Barfußmedizin - Barfußmedizin ist im Kommen. - © iStock/PeskyMonkey

„Man hats nicht leicht!“ – Der Mensch in der Spannung zwischen „geliebt“ und „gefordert“

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Mich als geliebtes Kind zu erfahren und sicher sein zu dürfen, dass diese Liebe mein Leben trägt und hält und mich nichts von dieser Liebe trennen kann, gibt mir Sicherheit, mich in einer Welt, die sich auf sämtlichen Social Media Profilen nur von ihrer Schokoladenseite zeigt, auch mit meinen Fehlern und Schwächen bewegen zu können. Ein Essay - entstanden im Rahmen des Schüler(innen)-Essay-Wettbewerbs "Theolympia".

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Mich als geliebtes Kind zu erfahren und sicher sein zu dürfen, dass diese Liebe mein Leben trägt und hält und mich nichts von dieser Liebe trennen kann, gibt mir Sicherheit, mich in einer Welt, die sich auf sämtlichen Social Media Profilen nur von ihrer Schokoladenseite zeigt, auch mit meinen Fehlern und Schwächen bewegen zu können. Ein Essay - entstanden im Rahmen des Schüler(innen)-Essay-Wettbewerbs "Theolympia".

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1. „Ecce Homo – seht den menschgewordenen Gott, das unergründliche Geheimnis der Liebe Gottes zur Welt. Gott liebt den Menschen. Nicht einen Ideal-Menschen, sondern den Menschen wie er ist. […] Gott wird Mensch, wirklicher Mensch. Während wir uns bemühen, über unser Menschsein hinauszuwachsen, den Menschen hinter uns zu lassen, wird Gott Mensch und wir müssen erkennen, dass Gott will, dass auch wir Menschen – wirkliche Menschen seien.“ (Dietrich Bonhoeffer, Ethik)

Gott wird Mensch. Diese drei Worte sind unfassbar, ja geradezu skandalös für die jüdischen religiösen Würdenträger und in letzter Konsequenz auch das Todesurteil für Jesus: Gotteslästerung!

Gerade erst ist wieder ein Weihnachtsfestkreis zu Ende gegangen. Gerade erst haben wir dieses zentrale Element unseres christlichen Glaubens gefeiert: So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen Sohn nicht nur in die Welt schickt, sondern ihn (vgl. Joh 3, 16) auch für diese Welt hingibt.

Hingibt als einen, der uns zeigen soll, wie Gott das „Menschsein“ definiert, ohne ihn uns als auf Hochglanz poliertes Ideal zu präsentieren. Aber wie dürfen wir diese Definition verstehen? Was will uns Gott durch Jesus über jeden von uns sagen? Werfen wir einen Blick in seine Biographie:

Ganz am Beginn seines öffentlichen Wirkens, bei der Taufe durch Johannes im Jordan, steht ein zentraler Satz, Ouvertüre und Quintessenz in einem: In der Taufe Jesu am Jordan macht Gott es sichtbar und hörbar: „Du bist mein geliebtes Kind, an dir habe ich Gefallen gefunden.“ (Mk 1,11)

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Das gilt nicht nur für Jesus, das gilt allen Kindern Gottes. „An dir habe ich Gefallen gefunden“. „Schön, dass es dich gibt. Ich freu mich über dich.“ Darin liegt eine große Liebe, aber auch eine große Herausforderung für alle Getauften. Denn an unserem Leben als Christinnen und Christen wird sichtbar, wie Gott ist. Gottes Zuspruch: „Du bist mein geliebtes Kind, an dir habe ich Gefallen gefunden“ dürfen wir für uns in Anspruch nehmen. Und wir dürfen es den anderen weitersagen und diese Liebe für sie spürbar machen.

Das bedeutet allerdings nicht, dass wir weichgespült und dauerlächelnd durch unser Leben tänzeln. Ganz im Gegenteil: Mich als geliebtes Kind zu erfahren und sicher sein zu dürfen, dass diese Liebe mein Leben trägt und hält und mich nichts von dieser Liebe trennen kann, gibt mir Sicherheit, mich in einer Welt, die sich auf sämtlichen Social Media Profilen nur von ihrer Schokoladenseite zeigt, auch mit meinen Fehlern und Schwächen bewegen zu können. Denn auch Jesus selbst war – vor allem in den Augen des Establishments - nicht fehlerlos und perfekt. Einer, der sich mit Sündern, Zöllnern, Aussätzigen und Prostituierten abgibt, einer, der sich nicht an die Regeln hält und am Sabbat heilt, einer, der König Herodes als „Fuchs“ (Lk, 13,32) bezeichnet und im Tempel randaliert, indem er die Tische der Geldwechsler und die Stände der Taubenhändler umstößt. (Mt 21, 12-13)

Ja, es ist gerade heute eine große Herausforderung, das Trennende nicht vor das Verbindende zu stellen. Aber ist es nicht gerade das, was das wirkliche Menschsein auch ausmacht.

Zu diesem Zeitpunkt weiß Jesus schon, dass es für ihn eng wird und trotzdem (oder gerade deswegen) hält er an dem fest, was das Fundament seines Glaubens und seiner Botschaft ist: Das Reich Gottes ist schon da. Mitten unter uns. Dort, wo Menschen einander Gutes tun, wo sie zärtlich zueinander sind, einander trösten, beistehen und sich gegenseitig Glück gönnen. Wo Menschen Schuld eingestehen und einander verzeihen können. Wo sie ihr Leben und ihren Glauben teilen.

Obwohl sich die Welt nach außen hin seitdem grundlegend verändert hat, ist das immer noch der rote Faden, der jeden von uns durch sein Leben begleiten kann. Allerdings unter der Voraussetzung, es auszuhalten, für diese Einstellung nicht immer nur „Likes“ zu bekommen. Ja, es ist gerade heute eine große Herausforderung, das Trennende nicht vor das Verbindende zu stellen. Aber ist es nicht gerade das, was das wirkliche Menschsein auch ausmacht: Nicht immer schneller, höher, weiter, besser und das ohne Rücksicht auf Verluste, sondern Verständnis füreinander zu haben, einander in ehrlichem Interesse zuzuhören – nicht, um sofort eine Antwort parat zu haben, sondern um sein Gegenüber zu verstehen und ihm Empathie zu zeigen.

Der österreichische jüdische Religionsphilosoph Martin Buber bringt es 1923 auf den Punkt: „Der Mensch wird am Du zum Ich.“ Ohne die Möglichkeit zum Dialog, zum Austausch, zum voneinander Lernen kann sich kein Mensch weiter entwickeln. Und am meisten lernen wir dort, wo wir auf die Themen schauen, die Entwicklungspotential haben, wo wir noch wachsen und Neues an uns entdecken können, wo echte Begegnung möglich ist.

Gott hat den Menschen von Anfang an auf dieses Miteinander hin ausgelegt (Gen 1, 27) und auch, als Adam und Eva das Paradies verlassen müssen, tun sie es gemeinsam (Gen 3, 23), um die neuen Herausforderungen miteinander zu bewältigen. Gott traut den Menschen zu, auf eigenen Beinen zu stehen, Fehler zu machen und aus diesen Fehlern zu lernen und daran zu wachsen – so, wie Eltern das auch ihren Kindern zutrauen sollten. Gott hält uns seine Hand entgegen und sagt jedem von uns: „Ich bin für dich da – wenn du mich brauchst! Wenn du es alleine schaffst, umso besser.“ So bekommen wir die Chance, ein Leben zu leben, das Jesus „ein Leben in Fülle“ (Joh 10,10) nennt.

Hannah Grasi hat mit diesem Text den 3. Platz beim zweiten "Theolympia"-Essaywettbewerb erreicht. Die 16-Jährige ist Schülerin im Evangelischen Gymnasium und Werkschulheim Wien.

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