6675568-1961_20_01.jpg
Digital In Arbeit

Das Feuer der Liebe und der Wahrheit

Werbung
Werbung
Werbung

Pfingsten ist. Nicht die Erinnerung an die Herabkunft des Feuers auf die Apostel Unser Pfingsten, das in dieser, unserer Weltstunde über uns kommt. Wir beten: „Komm, Heiliger Geist, erfülle die Herzen Deiner Gläubigen, und entzünde in uns das Feuer Deiner Liebe. Sende aus Deinen Geist, und alles wird neu geschaffen werden.“

Die Ankündigung des II. Vatikanischen Konzils hat in allen christlichen Bekenntnissen eine über die Ökumene hin spürbare heilige Unruhe und Sehnsucht nach der einen Kirche Christi wachgerufen. Die heimliche Bedrük- kung und das Scandalum der vielen „Kirchen" findet auf einmal eine Sprache der Offenheit und Bereitschaft, die wir lange schon nicht mehr gehört haben. Wir horchen auf den heiligen Paulus und erschrecken, daß von seinen Worten uns nich; bisher die Ohren tosten: „Ertraget einander in Liebe! Und seid bestrebt, die Einheit des Geistes zu wahren durch das Band des Friedens. Es ist ia nur Ein Leib und Ein Geist, wie ihr auch bei eurer Berufung nur zu einer Hoffnung berufen wurdet. Es ist nur Ein Herr, Ein Glaube, Eine Taufe, Ein Gotr und Vater aller, der da ist über allen, durch alle und in allen." (Eph. 4, 3—6)

Was sich das kommende Konzil an Fragen und Aufgaben auch präzise stellen mag, diese erwachte Sehnsucht nach Einheit und der fast allgemeine Entschluß, sie zu erbeten und zu erreichen, werden bleiben Es sind schon Tatsachen gesetzt, bedeutende Kirchenmänner und Theologen gaben Erklärungen ab, wie wir sie seit Jahrhunderten nicht gehört haben. Die Unionsliteratur wächst: die Kontroverstheologie tastet nach positiven Lösungen: ein evangelischer Theologe fragt, ob nicht die Verschiedenheit nur im Ansatz und der Terminologie läge. Darüber hinaus stellt ein katholischer Missionär, Ordensmann, in einer führenden Zeitschrift eines anderen Ordens fest: die Offenbarung unseres Herrn und Meisters sei in der Vorstellung und Sprache eines Rama- krischna, eines Laotse und Konfutse fällig.

Die Zurückhaltung der ändern kommt aus der gleichen Liebe, aber auch der Sorge, daß der Weg zur sichtbaren Gemeinschaft der christlichen Ökumene gegangen werden muß, aber schwer sein werde. Die konfessionellen Theologien überprüfen ihre Positionen und Grenzen, ihren geschichtlichen Ursprung und den erkenntnistheoretischen Ansatz ihrer Fachsprache. Und vergleichen. Und das, weil sie auf der Suche nach der einen heiligen Kirche sind. Die Zeit der Abschirmung und eines Apriori der Rechthaberei ist vorbei. Das Leiden der Kirchen in dieser bedrohlichen Welt wird zum Mitleiden aller nach dem Wort des Völker apo- stels: „Leidet ein Glied, so leiden alle Glieder mit“ (1 Kor. 12, 26).

Damit wird in einer neu erlebten Weise das Kennzeichen Seiner, aller Seiner Jünger in dieser Welt wieder sichtbar und werbend, die Liebe: „Ein neues Gebot gebe ich euch: liebet einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben. Daran sollen alle erkennen, daß ihr meine Jünger seid, wenn ihr einander liebet“ (Joh. 13, 34f). Denn die Welt ist trotz allen Geredes vom „Wohlfahrtsstaat“, von sozialer Gerechtigkeit und Lebensstandard ohne Liebe. Nicht als ob das Beispiel der christlichen Liebe nicht mehr da wäre. Der Heroismus der Liebe ist im Leben der Missionäre und der Krankenschwestern heute noch groß und offenbar. Die Selbstverständlichkeit, mit der sie ein ganz anders gearteter Alltag sieht und übersieht, verdeckt sie, aber als ökumenisches Phänomen in der Spannung der Mächte und ihrer Blöcke ist sie spürbar. Hier gilt, was der heilige Johannes vor 1900 Jahren ausgesprochen hat: „Jeder Geist, der bekennt: Jesus Christus ist im Fleisch gekommen, der ist aus Gott“ (1. Joh. 4, 3) und „Jeder der liebt, ist aus Gott geboren und erkennt Gott. Wer nicht liebt, kennt Gott nicht; denn Gott ist die Liebe.“ (1. Joh. 4, 8). Die einzige Definition Gottes, die im Neuen Testament steht, heißt: „Gott ist die Liebe.“ Darum kann das Kennzeichen seiner Jünger nur die Liebe sein.

Es gehört zum Größten dieser Stunde, daß diese Liebe wieder die Suche der Wahrheit begleitet. Die Liebe sieht zuerst das, was vereint und dann das, was die Bekenntnisse trennt. Damit ist die Brücke schon geschlagen. Die liebende Wahrheitssuche will erst sehen, was alle von den getrennten Brüdern lernen können, und dann, was sie bei uns finden. Yves-M. J. Congar, der große französische Dominikaner, gesteht frei (und das in der Zeitschrift der französischen Protestanten „Reforme“ 1946): „Wir müssen uns aus voller Wahrheitsliebe dem wirklich offenhalten, was wir voneinander empfangen können. Es darf nicht geschehen, daß die Begegnung für uns nur Anlaß ist, uns in den eigenen Augen zu rechtfertigen.“ Nur diese Wahrheitsliebe wird die Wahrheit finden. weil nur sie sie sehen kann. Daß man eine Kluft, die Jahrhunderte aufgerissen, nicht in einem Schwung übersetzen kann, weiß gerade, wer sie kennt. Congar gesteht, daß es wohl ein Menschenalter dauern kann, bis die Katholiken die evangelische Spiritualität erfaßt haben. Und das wird umgekehrt wohl auch so sein.

Es muß klar gesehen werden. Nichts soll verwischt werden, was die Bekenntnisse und Kirchen trennt. Die Liebe aber ist nicht nur eine Folge der Erkenntnis, sondern auch ihre Voraussetzung. Es gibt eine Verstok- kung in den Irrtum und sie macht es schwer, wenn nicht unmöglich, dem von ihm Befallenen beizukommen. Es gibt aber auch eine Verstocktheit in die Wahrheit der eigenen Überzeugung, Und diese macht den von der Wahrheit Besessenen blind und selbstgerecht dafür, den Irrtum in seiner Wurzel und Tragik zu erfassen. Sie kann nur streiten, bestenfalls sich mit Gegnern auseinandersetzen. Sie macht unfähig, vom Irrtum zu befreien. Wahrheit und Irrtum „leben“ begrifflich, abstrakt, d. h„ abgesehen vom Menschen, nur auf dem Papier der Bücher. Im wirklichen Leben begegnen sich Menschen, Rechtgläubige, Irrgläubige, Ungläubige. Und sie allein können und sollen einander finden und sollen erlöst werden. Und können durch die eigene oder fremde Schuld verloren gehen. Es wird gespenstig, wenn zweibeinige Abstraktionen, vielleicht nur zwei Schablonen, widereinander eifern; oder als fensterlose Monaden einander anstarren.

Nicht der Glaube an sich, nicht der mangelnde oder irrige Glaube, nur die Liebe zu Gott bestimmt unsere christliche Existenz. Augustinus sagt: „Auch der Teufel glaubt, aber er liebt nicht,“ und darum bleibt er unerlöst. Es hat etwas von dessen Besessenheit an sich, wenn fanatisch, also ohne Liebe, der Weg zur Wahrheit versucht wird.

Die Wahrheit hat nur, wer sie in der Liebe lebt. Nur der überzeugt, der den, den er überzeugen will, hebt. Die Abgründe der Seele sind nur dem zugänglich, der liebt. Wer den Irrenden nicht sieht, weil ihn dessen Irrtum fasziniert, bleibt in seiner selbstsicheren Berückung allein. Wir müssen sachlich klar erkennen und unterscheiden.

Wer aber nur unterscheidet, um zu richten und meint, er hätte das Seinige getan, wird nie das Wort des heiligen Johannes erfassen: „Wer seinen Bruder haßt, der ist ein Mörder " (1. Joh. 3, 14 f).

Wir Menschen sind nicht nur vom Herrn auf die Nächstenliebe und die Liebe zum Gegner verpflichtet. Wir sind zur Feindesliebe verhalten Gerade in dieser liegt der menschliche Beitrag zur Erlösung der Wit, weil nur der, der liebt, wo bisher gehaßt wurde, die unendliche Kette des Bösen und des Hasses abreißt. Er erlöst den Hasser und erlöst sich mit ihm, weil beide sich aufeinmal in einer Ebene begegnen, die den Nur-Fanatikern und Hassern unbekanntes Land ist. Es ist die Ebene, in der Erlöste, weil Liebende, atmen, in der die Liebe und Erlösung unseres Herrn und Meisters in seinen Jüngern Fleisch geworden ist.

Der Geist der Wahrheit, der Geist, der in die Wahrheit führt, ist der Geist, der lebendig macht (Joh. 6, 64), ist der Geist der Liebe. Nur dem, der liebt, offenbart sich Gott. „Wer Mich liebt,“ sagt der Herr, „den wird Mein Vater lieben und auch Ich werde ihn lieben und Ich werde Mich ihm offenbaren“ (Joh. 14, 21).

Die Kirche weiß, was die Liebe für jeden, der die Wahrheit sucht, bedeutet, darum lehrt sie uns zum Geist der Wahrheit beten: „Komm, Heiliger Geist, erfülle die , Herzen Deiner Gläubigen und entzünde in ihnen das Feuer Deiner Liebe.“ Die eine heilige katholische und apostolische Kirche wird kommen, wenn uns der Geist der Liebe und der Wahrheit ein neues Pfingsten bringt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung