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Wir warten auf den Heiligen Geist

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Superlative sind in der liturgischen Sprache gebräuchlich. Man kann sie aiuch rechtfertigen. Alle Aussagen, die wir von Gatt machen können, sind nur gültig, wenn wir uns bewußt sind, daß sie „ganz anders“, im Übermaß, eminenter, wie es in der Schuisprache heißt, ausgesagt wenden. Aber gibt es nicht manchmal Superlative, die ein wenig stärker von unserer Erfahrung abzuweichen scheinen, etwa, wenn wir von der Muttergottes aussagen, sie habe alle Häresien getilgt. Und ein ähnlich schockierender Satz steht auch in der Pfingstliturgie: „Der Geist des Herrn erfüllt den Erdkreis.“ Erdkreis, das ist doch die Welt des Menschen — aber ist diese Menschenwelt, besonders wenn wir sie etwa als politische und soziale Ordnung verstehen, nicht von ganz anderen Geistern durchwühlt, und sind es nicht eher Dämonen, die diese Welt erfüllen? Wo bleibt denn schon der Geist des Herrn? Und dabei ist dieser Satz biblisch!

Müßte man den Heiligen Geist nicht spüren? Gott ist immer da, wo Er am Werk ist. Und Er ist immer am Werk, wo immer Er da ist. Gott ist immer schöpferisch. Und sagen wir nicht gerade vom Heiligen Geist aus, Er sei Schöpfer — komm, Schöpfer Geist, kehr bei uns ein!

Aber zeigt nicht gerade diese Bitte, daß Er nie da ist als eine letzte unverletzliche Ordnung? Die Letzten Dinge sind noch nicht vollendet — sie sind immer erst in Ankunft und im Kommen. Und Gottes Heiliger Geist ist immer im Anbruch. Wir müssen immer noch auf Ihn hoffen und warten und um Ihn beten: Komm!

Aber warten wir wirklich auf Ihn? So wie die Apostel damals auf Ihn gewartet in Jerusalem? Auf den Heiligen Geist, der ihnen als Paraklet verheißen war (das bedeutet sicherlich nicht nur als billigen Tröster, wie wir Ihn manchmal mißverstehen). Wußten die Apostel überhaupt, wer und was das sei, der Paraklet? Sie wußten nur, es müsse etwas Herrliches sein, sie sollten sich ja auf Ihn freuen.

Auf was warten wir denn? Nun, vielleicht ist das eine Temperamentsfrage. Vielleicht auch eine Frage der Brille, die wir. dem Gebot der Mode entsprechend, tragen.

Trägt man derzeit nicht jene Brille, die alles grau in grau zeigt? Man wartet schon auf gar nichts anderes mehr, als daß irgend etwas Furchtbares geschehe — etwa ein dritter Weltkrieg, einige Atombomben oder, weil es gerade in einem geht, ein Weltuntergang.

Und andere, mit einer ganz anderen Brille, warten eigentlich nur auf Gehaltserhöhung, den verlängerten Urlaub und ähnliche angenehme Dinge.

Und junge Menschen warten auf die große Liebe, die Ehe, auf den Menschen, der ihr großes Glück ist — oder einfach darauf, daß sie endlich einmal zum Zug kommen, daß ihnen die Chance geboten werde, die Welt und das Leben nach ihrem Geschmack zu meistern.

Aber auf den Heiiiigen Geist? Wer wartet schon auf den Heiligen Geist, von dem die Schrift sagt, daß Br das Antlitz der Erde verändere? Man denke sich, wie das wäre, wenn das Antlitz der Erde nach dem Konzept des Heiligen Geistes erneuert und verjüngt würde, das alte, verhutzelte, zerfurchte Antlitz unserer alten, uralten Mutter Erde. Schaut sie nicht aus wie Dürer seine Mutter gesehen auf jenem beinahe erschreckenden und doch wieder so rührenden Bild? Dieses Antlitz der Mutter Erde, dem alle möglichen Zauberkünstler mit attlen möglichen kosmetischen Mitteto beikommen möchten, die es aber mit Kosmetik im Grunde nur lächerlich machen!

Und wir Ohristen, auf was warten wir? Natürlich auf den Heiligen Geist! Wir beten doch jedes Jahr darum! Aber sind wir mit unserem Warten nicht ein wenig ins Gedränge gekommen? Vielleicht sind wir sogar zwischen zwei Mühlsteine geraten.

Der eine, das ist der Materialismus, die absolute Geist-losigkeit, die brutale Genußsucht, die hysterische Jagd nach dem immer größeren Lebensstandard; hier ist Geist nicht mehr gefragt, und schon gar nicht Heiliger Geist.

Und der andere Mühlstein ist die Geistreichigkeit, dieses leere Klappern der großen Worte, die sich als Geist maskieren und die doch nur Geistreichigkeit sind, mit der kein Korn gemahlen wird, sondern nur die Eitelkeit der Produzenten. Dünkt uns nicht, Geistreichigkeit sei dem wirklichen Geiste noch abträglicher als der brutale Verzicht auf Geist? Was hat es noch mit Geist zu tun oder gar mit Ohristengeist, wenn irgendeine christliche Institution sich einen Drucksachenmanager bestellt, damit er sie unterrichte über die Frage, wie ein Christ auszusehen habe. Ganz klar, der Pressemann beginnt seine Unterweisung mit der Feststellung, seine einzige Beziehung zum Christentum bestehe darin, daß er getauft sei und Kirchensteuer bezahle. Und niemand lacht, über die Auftraggeber nämlich, die solche Einladung erließen! Ob wir mit der Frage, wie ein Ohrist auszusehen habe, nicht doch anderswohin gehen müssen? Was ist mit christlichen Geistreichigkeiten schon gewonnen? Können wir denn ernst genommen werden, wenn wir den Heiligen Geist nur in geistreichen Gesprächen suchen?

Nun, wird Er vielleicht doch manchmal sichtbar, der Heilige Geist? Wir bringen Ihn doch in besonderen Zusammenhang mit der Wahrheit und dem Suchen nach Wahrheit? Meint der Mensch, wenn er nach Wahrheit sucht, ob nun nach der kleinen Speziaiwahrheit oder der alle Tteil-

Wahrheiten umschließenden Wahrheit, nicht letztlich doch den Heiligen Geist? Augustinus, der allerlei elementare Leidenschaften in sich selbst erfahren hat, kommt schließlich zum Schluß, die elementarste Leidenschaft des Menschen sei sein Hunger nach Wahrheit! Also nicht sein Machttrieb, sein Geltungsdrang, seine Genußsucht und sein Sexus, nicht seine Habgier und sein verfluchter Hunger nach Gold (ach, wir Armen!) — sondern sein Hunger Wahrheit. Quid enim magis desiderat anima quam veritatem! Wie sehr Augustinus recht hat, spürt man freilich erst mit aller Wucht, wenn die „inkarnierte Lüge“ die Macht an sich gerissen hat. Sagte mir damals einer so: „Alles könnte man tragen, aber dieses ständige Angelogenwerden nicht!“

Wenn Augustinus also recht hat, dann muß er doch immer wieder ankommen, der Heilige Geist der Wahrheit. Und sind wir nicht doch immer wieder Zeugen Seiner Ankunft und Seines Wirkens?

Ist es erlaubt, als Fest des Heidigen Geistes jene große Feier zu St. Stephan zu deuten, mit der die Jubelfeier der Wiener Universität begann? Sind jene Männer, die von der Universität nach St. Stephan zogen, um am Grab des Stifters einen Kranz niederzulegen (und gewiß nicht nur deswegen), sind diese Männer nicht alle gejagt und getrieben von dem Eros nach Wahrheit, vielleicht nach einer Teilwahrheit in ihrem besonderen Forschungsgebiet? Aber alle diese Teil-wahrheiten sind doch nur kleine Steinchen, die sich au einem großen Mosaik der Wahrheit zusammenfügen, und dieses Bild wäre also das Bild der Wahrheit. Gewollt oder ungewollt, bewußt oder unbewußt dienen sie doch alle dem Heiligen Geist. Klang das nicht aus den Worten des Kardinals? Ach, es wäre schade, wenn sie verklungen wären, so wie das Tedeum Bruckners verklang.

Und war in diesem Fest nicht auch das Glänzen der Wahrheit spürbar — wenn Schönheit der Glanz der Wahrheit ist, nach Thomas von Aquin, wohlan, es war schön, dies Bild, der festliche Dom, dessen Schiff gefüllt war mit all diesen Dienern der Wahrheit, diesen Grandsedgneurs der Wissen-

schaft, in deren traditionsgeladenen Gewändern die Bemühungen vieter Jahrhunderte um Wahrheit sichtbar geworden sind. Wat es nicht doch ein Fest des Heiligen Geistes?

Und wird Er uns, den Gläubigen, nicht noch viel mehr spürbar, der Heilige Geist, in jener noch glänzenderen und noch ernsteren Versammlung van Männern, denen es nun unmittelbar um die letzten Wahrheiten geht, dem Konzil? Ach, es wäre schade, wenn wir unser Urteil über das Konzil trüben ließen von dem Gerede der Berichterstatter, die häufig nur Randerscheinungen; Sensationen, Skandälchen (wie sollten sie fehlen!) im Schatten des Konzils zu erzählen wußten. Sagte nicht Mario v'on Galli, mit solchen Methoden könnte man auch ein Kabarett daraus machen! Aber wenn man kühl, nüchtern, sachlich überlegt, was wir in den letzten Jahren erlebt — genauer gesagt: seit der Wahl Johannes' XXIII. —, dann spürt man den Heiligen Geist, den Geist der Wahrheit, den Lebendigmacher, den Paraklet, der in Seiner Kirche am Werk ist!

Aber Wahrheit ist nicht nur da zum Schauen; sie ist nie nur Theorie. Wahrheit ist nicht „wertfrei“, wenn sie nicht wertlos sein soll — sie greift immer über auf unser Herz. Hugo Rahner, zu dem'in den letzten Wochen anläßlich seines 65. Geburtstages alle unsere guten Wünsche gegangen sind, hat einmal das schöne Wort von der „Verherzlichung der Wahrheit“ gesprochen; die Wahrheit müsse aus unserem Kopf in unser Herz herabsinken. Und in unserem Herzen wird sie zur Liebe. Wahrheit and Liebe — beides ist uns der Heilige Geist — gemäß der Forderung Pauli: „Die Wahrheit tun in Liebe.“

Liebende Wahrheit und wahre Liebe — ist Er nicht doch spürbar auf dem „Erdkreis“, in unserer Menschenwelt — nicht nur in Seinen großen Festen, ebensosehr oder sogar noch mehr in all den kleinen Festen, da ein Mensch die große Wahrheit Gottes und die Liebe unseres Herrn Jesus Christus in sein Leben übersetzt in der Kraft des Heiligen Geistes.

Und das ist unser Auftrag.

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