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WIDER DEN UNHEILIGEN GEIST

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In der Nacht ein Blick zu den Sternen: es sieht aus, als ob die Sterne an einem hohen dunklen Gewölbe stünden und sich — nach menschlicher Übereinkunft — zu Stern- Bildern formten. Stern-Bilder benennen wir; an ihnen orientieren wir uns in der Nacht. In Wirklichkeit, so wissen wir wider unserer Augen Blick, sind die einzelnen Sterne eines Bildes unendlich-endlose Lichtjahre voneinander entfernt in den Tiefen eines unvorstellbaren Raumes. Von unten her, von außen her ist die Sternenwelt flächig. Von innen her, aus den Sternen her ist sie dreidimensional.

So geht es uns mit fast allen Dingen, Erscheinungen, Erlebr’ssen und Ereignissen: für uns sind sie anders als für sich selbst. Nicht daß wir das Wirkliche fälschen wollten — es ist nur nie nach dem Menschenmaß eingerichtet, mit dem allein wir messen können. Wir müssen vorsichtig und behutsam mit der Umwelt und der Innenwelt uns befassen. Wir dürfen keine raschen Einbahnstraßen fahren, wenn Wir das, was ist, erfahren wollen, so wie es ist. Unheiliger Geist verführt uns, das gelebte und das gestellte Leben, das, was wir „Geist“, und das, was wir „Materie" nennen, flächig zu nehmen. Das Ganze bietet sich unserem Verstehen, dem mühsamen Begreifen immer nur in Gegensätzen: die eine und die andere Seite; die Erscheinung und das Wesen; sowohl — als auch…

Unheiliger Geist verkürzt und zerkleinert das lebendige Leben. Wir versuchen den ständigen Wechsel politischer, sozialer, ecolesialer, psychischer etc. Gegebenheiten aufzuhalten. Wir sind zu faul, zu müde oder zu arrogant, in Gegensätzen zu denken; wir denken einseitig-; wir lassen das UND aus. Der Wechsel in der Zeit der Zeiterscheinungen hat uns längst verdorben: wir beantworten ihn mit dem „Willen zur Macht". Wir übermächtigen, was uns entgleiten will, in unwiederbringliche Vergangenheit; wir vergewaltigen das Gegebene, daß es verweile und von uns fest-gestellt werde; das Fließende bereitet uns Unruhe — wie Verlassene, Übergangene, Überholte fühlen wir uns. Dies ist unheiliger Geist: beunruhigt vom Fließenden-Wechselnden-Sichändemden bringen wir das uns Wichtige zum Stehen und — fälschen es. Wir bringen Unruhe in die Zeit, indem wir mit Macht willen und Gewalt-Tat antworten. Unheiliger Geist: Beunruhigte stiften Unruhe durch Gewalt des Festhaltens …Heiliger Geist, lebendiger Atem, mitbewegende, selbst bewegte Kraft wird ent-sagen, verzichten. Der Christus ließ in höchster Lebensgefahr die Unruhe nicht zu sich ein: Die Jünger verleugneten, verließen Ihn — Seine Antwort war, daß Er ihrer nicht mehr bedurfte, Er entsagte: bis der Heilige Geist über sie kam, der sie in alle Wahrheit die Wege des lebendigen Lebens führte. Als des Christi Vater das Leiden des Christus forderte, hielt Er nicht eigensüchtig an sich selbst und an Seinem Heile fest, sondern verzichtete auf Seinen eigenen Willen, in dem Er gehorsam bis zum Tod am Kreuze wurde: bis der Heilige Geist Ihn auferweckte am Ostertag. — Unheiliger Geist ist Unruhe des Festhaltens; Heiliger Geist enthält sich des „Endweder-Oder“ und lebt ins Größere-Dritte hin. Unheiliger Geist sucht Lösungen; Heiliger Geist glaubt an Erlösung.

Neben und in der Unruhe unserer Gegenwart lebt deren Gegenteil: der „Geist der Schwere“, das Beharren im Raum. Hier wird nur Überblickbares gelebt, hier wird die Gewohnheit gewöhnlich; hier wird alles eingerichtet und gesichert durch Mauern und Kanonen. Die Unruhigen bestehen den Wechsel in der Zeit nicht; die Schweren verderben das Beharren im Raum. Alles wird klein und kleinlich; das Denken, der Mut, die Einbildungskraft, der Laut, der Glaube. Die Welt wird zugeschnitten aufs Maß des Kleinbürgers. Satzungen, Ordnungen, Institutionen, psychische, moralische, dogmatische Einsichten werden „verewigt“. Wenn es manchmal wie Revolution aussieht und mancherorts eifrige Neuerer alles umstürzen und ändern und verwüsten durch Absage ans Gestrige — dann ist dies nur Täuschung: Morgen werden sie ebenso felsenfeste Wälle um Satzungen, Ordnungen, Institutionen bauen, die wiederum gegen den Heiligen Geist der Freiheit sind wie gestern die alten. Unheiliger Geist ist der „Geist der Schwere“; Heiliger Geist ist Begeisterung: lebendiger Atem, lebenspendendes Gott-Leben verbindet Vergangenes mit dem Künftigen.

Die Sendung des Christus auf diese Menschenwelt sollte die Wahrheit bringen; die Wahrheit, die Er selbst ist; die Wahrheit, die eint und vereinigt im gemeinsamen Atem der Liebe. Hat Er Glauben gefunden? Hat man Ihn angenommen? Wurde Er nicht für einen Fremdling gehalten? Sagte man nicht, Er sei verrückt und habe einen bösen Geist? Hat dies alles die Begeisterung des Herrn verdorben? Hat Er resigniert? Der Christus hat Sein Wort und Sein Leben den Menschen überlassen. Er „hat sich den Menschenhänden überliefert“; Er hat losgelassen, sich und Sein Werk — unvollkommen, unvollendet, keimhaft, samengleich, wachstumsbereit; bewußt und furchtlos hat Er sich den Jahrtausenden der Geschichte überlassen, damit Sein Reich komme. Aber Seine Begeisterung hat Er nicht nur aufgegeben,’ sondern uns Seinen Geist zur Be-Geisterung hinterlassen Nicht der Geist der Schwere, sondern der Geist der Kinder ist in uns, unter uns: wir sind die immer Neuen, die immer am Anfang stehen und in Neu-gier; wir sind die stets Ungesicherten, die Tänzer auf dem hohen Seil, die Vertrauenden in den Geist der Schwebe: nichts, was ist, muß so bleiben wie es ist. Das „Wie" ist unser Abenteuer, das „Was“ ist unsere Gnade. Der Heilige Geist kündet uns das Künftige und lehrt uns das, was wir zu des Christus Zeiten noch nicht ertragen konnten.

Unheiliger Geist ist „Wille zur Macht“ und ist „Geist der Schwere“. Unheiliger Geist ist beunruhigt durch den Wechsel in der Zeit und durch das Beharren im Raum. Unheiliger Geist ist unmutig zur „Dialektik des Geistes“; er will vereinfachen, verkürzen, zerkleinern, was nur im Mut zum Gegensätzlichen lebendig und ganz bleiben kann. Heiliger Geist verzichtet und entsagt; Heiliger Geist ist Begeisterung, Lebenskraft im Bestehenden.

Wäre der Heilige Geist als Logik, als Mathematik, als Natur-Ereignis zu verstehen, hätte „Wille zur Macht“ und „Geist der Schwere“ recht; wir entkämen ihnen nicht, sondern müßten sie als Weg und Ausweg unseres Menschenlebens wählen, wenn wir überleben wollen. Der Heilige Geist ist nicht eine „Folge“ von Vater und Sohn, sondern deren „Reflexion“: Er ist das göttliche Sich-zurück-Beugen ins eigene Leben: Er ist das reflexe und reflektierende, trennende und einende „Zwischen“ von Vater und Sohn in der Gottheit.

Der Heilige Geist ist ein aufhaltendes Anhalten in der Gottheit: das Ruhende, die Ruhe im Prozeß der Gottheit. Im Anhalten des inneren Vorganges liegt eine Art Be-sinnung in und für Gott: sich auf den wesentlichen Sinn des Vaterseins und Sohnseins hinwenden und die wegelosen Wege, Richtungen, Dimensionen der Gottheit deutend erklären für Gott. So ist der Heilige Geist, der Geist der göttlichen Reflexion, das innergöttliche Bild der Begegnung von Vater und Sohn, indem er Bezug nimmt und Bezug gibt zwischen den göttlichen Personen. Das was man „das Dunkle in Gott“ bezeichnet, die Gottheit der göttlichen Person, wird im Heiligen Deutegeist für die Gottheit bewußt und deutlich, erklärt und klar …

Diese Reflexion Gottes über Gott und in Gott, der Heilige

Geist, ist als Liebe in unsere Herzen ausgegossen: als Liebe haben wir Ihn in uns und unter uns wohnen. Liebe nimmt uns in dieses selige Sich-zurück-Beugen hinein: nicht damit wir erkennen und verstehen mit Hirn und Vernunft; sondern als Geliebte dieses geheimnisvollen Gottes stehen wir auf Seiner Seite; vernehmen wir als innerlich Berührte Sein Leben; Als Er-griffene begreifen wir, was das Heilige, Unlogische, Unmathematische ist: was das gelebte Leben ist. Gelebtes Leben ist für den verstehenden Verstand in Gegensätze gegeben, die sich nicht anders als in Gott und als Liebe vereinen. Die Stern-Bilder-Flächen haben nicht recht; die Stern-Räume können wir nicht „sehen“. Was ist, entzieht sich unserer Erkenntniskraft; enthüllt sich mühsam und als Geheimnis der „Denkbewegung in Gegensätzen“; aber durch die Liebe können wir mit allem und im Ganzen mit-leben.

Die Con-solatio braucht die De-solatio: Die Be-sonnung verlangt die Ent-sonnung, der Tag braucht die Nacht, der Trost ist Nachbar der Verzweiflung: die Begeisterung gibt es für uns nicht ohne die Entsagung, das Ja verlangt nach dem Nein. So sind wir, daß wir immer das eine und das andere in den Blick und ins Herz bemühen müssen: sowohl dies als auch das… „Der Baum und das Kind suchet, was über ihm ist.“ (Hölderlin.)

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