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Mariazeller Besinnung

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Hat die 800-Jahr-Feier Mariazells uns etwas zu sagen? Können wir mehr erwarten, als daß man eben einer so alten und ehrwürdigen Wallfahrtsstätte die letztlich doch schuldige Achtung und Aufmerksamkeit schenkt? Werden wir auch arideres hören’ als die üblichen Rückblicke in die „große Vergangenheit"?

Mit Recht kann man einem „Jubiläum" etwas vorsichtig gegenüberstehen. 800 Jahre lang einen Wallfahrtsort haben, der neben seiner „großen Geschichte“ doch immer wieder und immer noch gewaltige Menschenmassen zum Beten ruft, verpflichtet freilich auch zu demütigem Dank gegen Gott.

Aber lassen Sie uns sagen, was wir selber zu Mariazells Jubiläum denken. Ein Wallfahrtsort, der an seine Sendung glaubt, muß sich zum freien Gnadenwirken Gottes hinzu — schon um dessen würdig zu bleiben — in erster Linie zum Werkzeug des Willen Gottes in der Jetztzeit machen. Das heißt, er muß seine Aufgabe erkennen, die ihm Gott zugewiesen hat. Gottes Gnaden sind sozusagen das Kapital, das wir richtig zu lenken haben. Wir glauben also an eine größere, besondere Aufgabe. Sie zu erkennen oder neu zu begründen und zu erwe:' vn, soll das Ziel und möge die Gnade des Jubeljahres sein.

Wir wollen eine Besinnung halten, nach zwei Richtungen.

1. Mariazell ist ein Cmdenort

Gnadenorte sind nicht von Menschen gemacht, sie sind. Werk Gottes, Werk Seiner Barmherzigkeit. Menschen können Seiner unwert werden, wenn sie die Gnade nicht mehr zu brauchen glauben. Die Gnade wirkt nach freier Entscheidung Gottes und auch gemäß der Glaubensintensität der Betenden. Daß diese an Gnadenorten immer wieder aufblüht, ist ständige Erfahrung.

Das Anliegen aller Marien-Gnadenorte ist das Anliegen Gottes, das ER durch Maria, Seine Mutter, der Welt sagen läßt: beten — büßen — umkehren, um die notwendige große Gnade zu verdienen. Wir wissen, wie stark und tiefgreifend unsere Zeit einer Haltung verfallen ist, die im Diesseits ihr ein und alles sieht. Wir wissen, wie sehr der Mensch unserer Zeit davon überzeugt ist, durch seine Arbeit, durch das Werk seiner Hände und seines Geistes allen Fortschritt zu schaffen. Auch in die Masse der gläubigen Menschen ist diese Ueberzeugung eingedrungen, daß Gott für die Sache des Glaubens ihre Arbeit will. Wir freuen uns über eine Glaubensaktivität, über die Aktivität der Katholiken. Der Geist der Zeit, der den Menschen allein zum Gestalter allen Fortschritts macht, ruft also auch den Katholiken auf den Plan, ihm mit gleicher Waffe zu begegnen. Der Zeitgeist erzieht auch den Christen zum Einsatz seiner Kraft. Erzieht er ihn aber auch zu einem innersten Wissen davon, was allein unbesiegbar macht in diesem Geisteskampf? W i r m e i n e n, daß wir trotz Einsatz aller uns möglichen Mittel und Arbeit s- methoden nie den Kräften des reinen Diesseits gewachsen sein werden — weil wir sie nie ėinsetzen dürfen und werden —, Wenn wir nicht vor allem eben das einsetzen, wirklich als ersten Faktor ein- setzen, was allein wirklich rettend ist; wir meinen also weiter, daß der Ruf Gottes an uns in dieser diesseitsverfallenen und mit allen bösen Kräften arbeitenden Zeit nicht bloß auch zur Arbeit, zur Gegenarbeit, ruft, sondern viel mehr nach dem zu greifen uns befiehlt, was der Herr als eigentlich Rettendes und Weltüberwindendes gebracht hat: die Gnade, das „Sein in Gott“. „Bleibt in Mir und Ich bleibe in euch"

— was ER auch in allen Botschaften durch Seine Mutter will: die Gnade, die die Umkehr bewirkt, vom Menschsein zum „in Christus sein“.

Wir wollen nicht eine eben aufbrechende Einsatzfreudigkeit der Christen etwa in ihrer Echtheit bezweifeln oder in ihrem Wert und ihrer Notwendigkeit. Sie muß sich aber ihrer größten Macht bewußt werden und diese heißt: Gnade

— „sein in Christus". Keine neue Erkenntnis. Eine alte Weisheit ist es: „agere sequitur esse"

— das Arbeiten muß aus unserem — neuen, eigentlichen — Sein kommen. Wir verstehen! Es darf auch die Warnung des Heiligen Vaters Pius XII. erwähnt werden, der von einer „Häresie des Aktivismus“ spricht, und wir wissen, was er damit treffen wollte. Also nicht nur „agere“, sondern vorher „esse“ — sein in der Gnade, sein in Gott.

Wer tiefer sieht, erkennt die Frage. Wir glauben, daß hier eine besondere Aufgabe der „Gnadenorte“ liegt. Es werden dort viele Gnaden von Gott erbeten, aktuelle Gnaden, Hilfen, Erhörungen. Daß es aber auch zu einer „gratia habitualis“, zu einem neuen Sein und Leben in Gott komme, zur „conversio“, zur Umkehr des Lebens, scheint mir d i e Aufgabe der Seelsorger am Gnadenort zu sein, die wohl mehr gesehen werden muß im unvermeidbar auftretenden „Betrieb". Es ist Aufgabe der Seelsorger am Gnadenort, alle Möglichkeiten auszunützen, neben vielen anderen vor allem die hl. Beichte, das Sakrament der conversio. Lind dazu das persönliche Wort von Mensch zu Mensch, das Führen zur Besinnung usw. Es geht hier ja um das letzte Anliegen aller Seelsorge, um das Bewußtmachen des Gnadenlebens. Hier kann sie nur in nuce erkannt werden.

Wozu schicken die Seelsorger ihre Gläubigen an Gnadenorte? Doch letztlich zu dem Zweck, daß das wahre Christsein, das echte tiefe Leben in Gott begründet oder erneuert werde. Je tiefer das Innenleben, um so mehr Unbesiegbarkeit und Kraft in der Arbeit nach außen. Man kann oft nur staunen, daß diese Selbstverständlichkeit so wenig ernst genommen wird.-Man legt zu sehr das Hauptgewicht auf Schulung und läßt die Erfahrung arbeiten.

Eine übergewaltige Sonderaufgabe der Gnadenorte tut sich hier auf. Wir müssen es wagen, an sie zu glauben. Bloß ein billiges Sondererlebnis einer Lichterprozession zu geben oder eine rasche Beichte an diesem günstigen Ort zu ermöglichen oder die Rührung einer warmen Atmosphäre zu schaffen, dazu wäre fast der Kraftaufwand eines Wallfahrtssonntags zu groß. Wenn wir auch oft und oft erfahren, daß gerade daran Gott Seinen Gnadenruf knüpft, müssen wir doch weiter in die Tiefe führen. Der beste Beweis für die Richtigkeit dieser Auffassung unserer eigentlichen Aufgabe ist die Praxis bei den großen Jugend wallfahrten, die sich immer mehr durchsetzt. Jugend ist doch am stärksten der Gefahr des Aktivismus ausgesetzt und Jugend wird auch am stärksten zur

Aktivität erzogen. Und gerade sie wird bei den Wallfahrten, in richtiger Erkenntnis, von ihren Seelsorgern zu immer tieferem Erfassen ihrer christlichen Sendung geführt.

2. Mariazell ist ein monastischer Gnadenort

Was bisher ausgeführt wurde, wird vielleicht die Antwort bewirken: unmöglich! Wallfahrt ist immer Massenerlebnis und Massenabfertigung. Unmöglich wird in der bisherigen Praxis mehr erreichbar sein. Wenigstens im allgemeinen Schon wegen der kurzen Zeit, die für den einzelnen zur Verfügung steht. Wir erleben das leider selber immer mit Bedauern. Dürfen aber dennoch nicht das Ziel aus dem Auge verlieren.

Eine besonders gute Voraussetzung — und Verpflichtung — zur Bildung eines wesentlichen

Christseins sehen wir in der benediktinischen Spiritualität. Mariazell ist ein Benediktinerkloster. Es ist m Werden.

Jeder Orden der Kirche hat seine wichtige Aufgabe. Der Orden des hl. Benediktus hat im Laufe der Geschichte manche spezielle Aufgabe angenommen, sicher zum Segen des christlichen Volkes. Sankt Benedikt hat seiner monastischen Familie kein besonderes Tätigkeitsfeld nach außen gegeben. Sein Orden ist nicht aus einer konkreten Not seiner Zeit entstanden, höchstens aus der Notwendigkeit, die Menschen seiner überaus unruhigen, zusammenbrechenden uhd neuwerdenden Zeit in eine neue und wesentliche Ordnung zu bringen. An sich ist er nur zur Erneuerung des Mönchtums gegründet. Er ist zeitlos gültig.

Aber eine Aufgabe ist ihm wesentlich, wenn er seinem Gründer treu bleiben will: er hat in Ehrfurcht vor Gott zu stehen in der erstwesentlichen Haltung als Geschöpf und als begnadeter Erlöster. Woraus folgt: er hat Gott zuerst zu suchen und sein eigenes Menschsein umzugestalten in der Schule des Meisters; das „Sein Gottes“ und das „Sein in Gott“ sind ihm höchste und erste Wirklichkeit und daher das Fundament seines religiösen Lebens. Das Lob Gottes zu singen ist ihm geschöpfliche Erstverpflichtung und die Feier der göttlichen Geheimnisse ist ihm ein Anteilhaben am göttlichen Leben. So steht der Mönch des hl. Benedikt unmittelbar vor Gott, und alle Umwelt nimmt er mit in diese Ausrichtung. Die Zeit, die heute durch ihre motorisierte Ueberhastung und durch ihren abnormen Lärm zum körperlichen und seelischen Ruin des Menschen wird, ist in die monumentale Ordnung des Gebetes, der schweigenden Besinnung und der Arbeit genommen, was allein schon einer Rettung des Menschen gleichkommt. Die „Regula“ hat es in sich, Menschen und Christen zu formen, die beides sind nach Gottes unverfälschtem Plan. Die „Regula" des hl. Benedikt „schult“ nicht, sie erzieht. Und wieviel und wie gerne „schulen“ wir heute, ohne so recht zu erziehen.

Jeder hörende Christ weiß es, daß der Ruf .Gottes an die Kirche und durch die Kirche: heute eine ganz große Erneuerung des religiösen Innenlebens fordert, eben dieses Gnadenlebens, das der Herr als eigentlich Neues brachte. Das tötende Tempo der Zeit und die daraus werdende Entpersönlichung des Menschen — eine menschliche und eine religiöse ist es — fordert gebieterisch Stätten mit einer Geistigkeit, die die Persönlichkeit retten können. Sind es nicht immer wieder und immer noch die Klöster? Jene Klöster, die sich ein Stehen über der Zeit bewahrt haben?

Darum ist uns die Besinnung auf unsere Ordensidee ein Auftrag des Jubeljahres. Zuerst für uns selber, damit der Mönch, der zu diesem Leben berufen ist, seine Berufung auch erfülle. Aber auch für die Sendung — eine wesentliche Sendung! — dieses Gnadenortes Mariazell: all den Menschen, die in den unterschiedlichsten Schattierungen eines Glaubens kommen, den Weg zu einem echten und gesunden Leben aus Gott zu zeigen. Wir sagen dies immer in der Erkenntnis: schicken wir im Kampf ums Reich Gottes nicht bloß tüchtig geschulte Gegenaktivisten an die Front, sondern Menschen, die aus dem Leben mit Gott kommen! (Hier darf hingewiesen werden, was Kanonikus Josef Car- dijn, der mit seiner Jungarbeiterbewegung wohl an eine der schwersten Aufgaben der Kirche von heute sich heranwagt, von seinen Aktivisten verlangt: persönlich sollen sie innigsten Verkehr mit Christus pflegen, Seine Lehre kennen, Seinem Beispiel folgen und in Seiner Gnade sein. In den Arbeiterbrüdern und -Schwestern sollen sie vor allem die Würde des Gotteskindes sehen und sie zur persönlichen Erkenntnis dieser ihrer Würde bringen. Cardijn weiß, daß seine Menschen, die Arbeiter, letztlich nicht zu retten sind durch bloße Erkämpfung eines sozialen Diesseitsprogrammes, sondern durch Zurückführung zu einem Leben aus Gott. Er wird recht behalten.)

Doch zurück zu Mariazell. Wir wissen, daß die Zeitknappheit immer eine Schwierigkeit sein wird, an den Wallfahrern diese gediegene Tiefenarbeit zu leisten. Aber schon diese eigent-

liehe Aufgabe zu sehen ist wichtig. Ganz umsonst wird nie ein Ziel angestrebt. Mariazell sieht darum seine weiterreichende Aufgabe darin, ein volles Monasterium zu werden im reinen Geist des hl. Vaters Benediktus. Ein Monasterium, das einfach in der vollen Kraft und Fülle dasteht und sein Leben lebt. Es wird kraft seines Lebens auch Leben wecken. Denn St. Benedikt hat unserer Zeit gar Vieles und Neues zu sagen. Leider sieht man heute fast nur noch in einer revolutionären Tat auf politischem oder sozialem Gebiet den Rettungsanker, während er gar nicht auf dieser Ebene zu erwarten ist. Die Heilung liegt dort, wo der einzelne Mensch an der Wurzel seines geschöpf- lichen und erlösten Seins erneuert wird. Sankt Benedikt kann da vor allen auf die alten Quellen neuer .Kraft zurückführen. Die Möglichkeiten Mariazells, sein Leben als Benediktinerkloster zu entfalten, brauchen nicht eigens aufgezeigt zu werden. Große Ziele sind es bei freilich noch geringen Kräften.

Die Feier des 800jährigen Bestandes Mariazells wird nicht nur große und bemerkenswerte Kongresse und Feierlichkeiten bringen, es wird vor allem auch viel gebetet und geopfert werden. Möge aus diesen Gebeten die besondere Gnade werden, daß wir unsere Aufgabe immer klarer erkennen und verwirklichen dürfen.

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