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Die W allfahrt

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Die Freude und Bedrängnis des Herzens können wir selten nur ganz still in uns einschließen. Sie suchen nach Zeichen und Ausdruck, mit dem beschleunigten Herzschlag gerät auch der übrige Mensch in Bewegung, so daß das Kind schon vor Freude hüpft und in der Angst um sich schlägt.

Im Erwachsenen werden diese unmittelbaren Antriebe maßvoller, aber auch nachdrücklicher. Der innerlich ziellos gewordene Mensch unserer Zeit sieht sich in seiner anonymen Unsicherheit zur dauernden Bewegung gedrängt, die ihn rastlos mit seinen Motoren übers Land jagt, ohne rechtes Ziel, ohne Ruhe, ein verräterisches Zeichen seiner inneren Verarmung.

Der gläubige Christ aller Zeiten kannte und kennt auch das Ungestüm der Gefühle, das sich nach außen kundtut. Auch er möchte das, was ihn bewegt in frohen und harten Stunden, weitertragen. Aber seine Antriebe münden unwillkürlich bei Gott. Er hat damit ein Ziel, bei dem alle Unruhe ein Ende findet, aufgelöst und in eine neue Kraft fürs Leben umgewandelt wird.

So hat sich der Christ oft in Bewegung gesetzt und Wanderungen zu Gott oder zu besonderen Gnadenstätten unternommen. Das Land, in dem der Herr Jesus landauf, landab gezogen ist, hat es ihm angetan, oder es waren Stätten, die vom Blut der Märtyrer und von der Kraft hochgemuten Glaubens getränkt waren. Den Heiligtümern der Gottesmutter gehörte aber seit je seine Hinneigung, weil er dort die Geborgenheit des Daheim durch eine mütterliche Hand bereitet wußte.

Was Wunder also, wenn die Menschen unseres Landes, ja einst eines großen Reiches, zu ihrer Haus- und Landesmutter nach Mariazell kamen, wo sie alle, trotz der Verschiedenheit der Sprachen, „ihr“ Nationalheiligtum sahen, das sie alle zu einer Familie zu einen vermochte. Denn die Herzen der Menschen sind alle aus der einen Hand Gottes hervorgegangen und könnten einander unter der mütterlichen Obhut Mariens auch verstehen.

Wer sich nun nach dem Gnadenort Mariazell in Bewegung setzt, tut das nicht so obenhin wie etwa bei einer Geschäftsreise oder bei einem Ausflug.-Der echte und rechte- Wallfahrer hat immer seinen besonderen Anlaß. Mitunter liegt er recht handgreiflich zutage, wie uns das P. Rosegger erzählt, als er zum erstenmal mit seinem Vater dahin wallte. Er war bei der Feldarbeit als kleines Bübel unter die Egge geraten und hätte nach allem Anschein in Stücke zerrissen sein müssen. Der Vater konnte nur mit geschlossenen Augen und voll Entsetzen Unsere Liebe Frau von Mariazell anrufen, um hernach doch seinen Aeltesten mit einigen wenigen Ritzern halbwegs heil wieder vom Boden aufzulesen. Die gelobte Wallfahrt war dann auf allen Wegen ein großes Dankgebet, dem am Gnadenort ein schwerer Eggenzahn als Weihegabe folgte, um solcherart das aus seinen Fugen geratene Gemüt wieder ins rechte Lot zu bringen.

Nicht anders erging es einer Reihe meiner Pfarrkinder, die m den Bombennächten und zur Zeit der russischen Besetzung arge Gefahren zu bestehen hatten. Sie gelobten, falls sie unbeschadet all dem Ungemach entkommen sollten, zu Fuß von Wien nach Mariazell zu gehen. Was focht es sie an, daß sie von der Heimatkirche bei strömendem Regen und aussichtslosem Wetterbericht auszogen; weder die Enttäuschungen in den Quartieren noch die damalige Unsicherheit der Wege konnte ihnen den Frohsinn der Herzen rauben, der, je näher dem Gnadenort, um so mehr alle Schwierigkeiten beiseite schob. Auch die freundliche Einladung vorbeikommender Lastkraftfahrer, aufzusteigen, wurde ebenso freundlich abgelehnt, wenn es auch ein mitleidiges Kopfschütteln hervorrief. Wir wollten uns das Gelöbnis nicht verbilligen lassen und in den Augen Gottes etwa als Gaukler erscheinen.

Es mag heutzutage nicht immer gleich einsichtig sein, worin der Sinn einer Wallfahrt besteht. Wenn geschäftige Veranstalter mit modernen Werbemethoden am Werk sind, dann tun wohl manche mit, die sich eher dazu überreden ließen, als daß ihnen das Anliegen aus dem Herzen kam.

Gewiß nehmen trotzdem viele eine echte innere Frucht der gemeinsamen Veranstaltung mit, weil sie aus dem Erlebnis echter Frömmigkeit und der eigenartigen Atmosphäre der Glaubenssichtbarkeit innerlich berührt werden. Gewiß bedeutet es für den modernen Menschen, der von so vielen Eindrücken gefangengenommen wird und der sich für sein inneres Leben sowenig Zeit gönnt, einen unschätzbaren'Wert, einmal den ganzen Alltag abzuhängen und sich religiösen Kräften mit Muße zu erschließen, fürs Beten Zeit zu haben und sie sich auch zu gönnen.

Dennoch hat der richtige Wallfahrer stets gewußt, daß er sein ganz persönliches Opfer herzhaft in die Waagschale zu werfen hatte, um nicht zu guter Letzt mit leeren Händen und leerem Herzen vor dem Gnadenthron zu stehen, wo Maria die Opfer ihrer Kinder zu dem ihres göttlichen Sohnes gesellen wollte, damit daraus .ein wirkliches Heil quelle.

Aus solcher Haltung legten sich ehedem die Wallfahrer allerlei Strapazen auf. Als Volksschüler traf ich einmal bei einem Streifzug über den Anninger mitten im Wald eine fromme Schar von Slowaken, die — es war noch in der Zeit der alten Monarchie — zu Fuß von der Slowakei bis nach Mariazell gingen. Eben rasteten sie am Wegrand, verstaubt, verschwitzt, mit der einfachen Zehrung ihres heimatlichen Bodens zufrieden. Da gab es weit und breit kein Gasthaus, nicht einmal eine Quelle. Dennoch stand Zufriedenheit in ihren Gesichtern geschrieben, weil ihnen offenkundig die Entbehrung zugehörig zu ihrem Vorhaben schien.

Wenn dazu die Mutter daheim zu erzählen wußte, wie an ihrem Elternhaus vorbei die Leute, mit Steinen beladen, zum Sigmundberg hinauf beteten, dann verband sich in meinem Bubenherzen mit Mariazell der feste Gedanke, daß so wie dort auch sonst mit der himmlischen Gnade das Opfer verbunden sein müsse.

Da ich selbst später einmal zum Heiligtum Unserer Lieben Frau hinaufstieg, traf ich knapp davor eine Bäuerin von weither aus dem Gebirge. Sie trug die Schuhe in der einen Hand, in der anderen den Rosenkranz. Die bloßen

Füße zeigten blutige Spuren des .harten Weges. Wie sie mir sagte, war sie seit vier Uhr früh auf dem Weg, und nun stand sie am späten Nachmittag vor dem Ziel ihrer einsamen Wanderung, glücklich darüber, den Opfergang durchgestanden zu haben.

Das hat ja der Fußweg den heutigen Wallfahrtsreisen gegenüber zweifellos voraus, daß er leichter zur Besinnung kommen läßt und durch das angestrebte Ziel, dem man oft mehrere Tage widmen mußte, den Geist intensiv beschäftigte. Möge die Geschwindigkeit der Stolz unserer Zeit sein. Wenn sie so groß wird, daß sie jeden Augenblick den Menschen unvermutet von der Zeitlichkeit in die Ewigkeit schleudern kann, dann wäre nur dringend zu raten, daß auch der

Blitzfahrer von heute öfter zur gemächlichen Gangart der Fußwallfahrt überginge, damit ihm die Größe des Schrittes von der irdischen Dämmerung ins göttliche Licht innewerde.

Die 800-Jahr-Feier führt in diesem Sommer zahlreiche Scharen und Einzelpilger nach Mariazell. Nach wie vor tragen viele die Last ihres Lebens dorthin in der Zuversicht; neue Kraft für die gesamte zeitliche Pilgerschaft einzutauschen. Das gläubige Volk betet und singt dort, wie es das fromme Gemüt ihm eingibt; ihm geht es darum, einmal unbekümmert die Schranken der mannigfaltigen Voreingenommenheiten abstreifen zu können, Maria zu preisen und ihr mit allen Zeichen kindlicher Ergebenheit zu begegnen, weil dies die Seele richtig erfrischt und herzlich erfreut. Es finden sich auch Fragende und Zweifler ein, die erfahren möchten, was wirklich an der Anziehungskraft- des Wallfahrtsortes daran ist; sie würden vermutlich auch einer offenbaren Bezeigung der

Huld Marias zurückhaltend gegenüberstehen, weil Gnadenerweise immer über die Fassungskraft des menschlichen Geistes hinausgehen. Doch kann sie die Echtheit des christlichen Verhaltens ansprechen, wie denn immer wieder auch durch gepanzerte Widerstände hindurch die Gnade einen Weg zum inwendigen Menschen findet. Die größten Wunder geschehen ja nicht in der sinnenfälligen Welt, sondern im Bereich der Seele.

Mariazell kann in diesen Tagen auch die Neugierigen, die zudringlichen Reporter und den nomadisierenden Flugsand der Allerweltszivili sation nicht fernhalten. Der bergende Schutzmantel Unserer Lieben Frau will auch diese nicht ausschließen, den leichtfertigen Kindern gehört ja eher die doppelte Sorge einer Mutter. Oft leuchtet ein vorübergehende! Eindruck in späten Tagen auf und läßt dann erst wahrnehmen, daß der flüchtige Besucher des Gnaden- bildes doch von der Liebe Christi heimgesucht wurde, weil Seine Mutter darauf nicht vergaß. ' Unter den Aeußerungen christlichen Lebens gehört das Wallfahren bestimmt nicht zu jenen Unternehmungen, ohne die das Heil nicht ge wonnen werden kann. Dennoch wird der Christ darauf nicht einfach verzichten. Wenn sonst in der Liturgie die aktive Mitwirkung der Gläubigen angestrebt wird und heute mit seiner bindenden Kraft erkannt ist, so kommt bei der Wallfahrt dieses persönliche Tun voll zur Geltung. Als Sinnbild der Wanderschaft zu Gott, zu dem wir ein ganzes Leben unterwegs sind, wird sie an unserem Inneren entscheidend mitgestalten können.

Darum rüsten wir uns im heiligen Jahr der Heimat zur Wallfahrt nach Mariazell.

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