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Vom Land des Erzherzogs Johann

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Der obersteirische Menschenschlag war die große Liebe des Prinzen Johann. Sein Name berührt die Weltgeschichte, da wo er noch jung und vom kriegerischen Geist durchdrungen, als Befehlshaber in den Freiheitskämpfen stand, und ein Lebensalter danach, wo er von der deutschen Nationalversammlung berufen, als Reichsverweser in Frankfurt einzog. Aber das Glück der Staatsgeschäfte war unverläßlich. Es nahm vielleicht im Kölner Gürzenich schon schnellen Abschied, als er beim Jubiläum des sechshundertjährigen Domes umhuldigt und glorreich an der Fürstentafel saß.

Zwischen diesen Merkzeiten seines militärischen und politischin Lebens verbrachte er ein stilles, aber hochbedeutendes Kulturwerk in der Steiermark. Er, ein Bruder des Kaisers von Österreich, hat selbsttätig als Radmeister und Grundbesitzer an der Arbeit der Eisenbürger und der Bauern mitgewirkt, hat das schöne kuriose und kostbare Erbteil der Vergangenheit bewahrt und die schöpferische Entfaltung in Geist und Stoff auf allen Wegen gefördert. Wer aber von diesen rühmlichen Verdiensten nichts wüßte, kennt doch seine sagenumwobene liebliche Herzensgeschichte mit der Ausseer Postmeisterstochter Anna Plochl, die in einem rechtmäßigen Ehebündnis ihr Ziel gefunden hat. Als ihm ein Sohn aus dem starken, gesunden Mutterstamm unseres Volkes geboren wurde, fügten sich seine Gedanken zum gesegnenden Spruch, der wohl einem zugedacht, dennoch Gebet worden ist für jeden jungen Nachfahren Österreichs, der einstmals seine Augen auftat, nachdem Erzherzog Johann sie längst geschlossen hatte.

„Welche und wie diese (seine Schicksale) seyn werden, da wenn Gott ihn leben läßt, sie m eine neu sich entwickelnde Zeit fallen, diese kann kein menschlicher Verstand angeben. Daß aber das Kind an Körper und Geist gedeihen und ein edles warmes Herz haben dürfte, hofft der, welcher die gegenwärtige Erzählung schrieb, vertrauend auf den, auf welchen er allein gebaut, dem nichts zu groß und nichts zu klein ist.“

Und die blumig beschauliche Weissagung jener Biedermeiertage begann sich zu erfüllen. Schon in den siebziger Jahren, wo die Eisenbahn erstand und die neue Zeit alsbald auf Schienen einherrollte, gab es dem stillen Leben einen Ruck. Viele Gestalten entschwanden daraus, andere traten hervor wie in einem Bilderbuch, wenn man umblättert. Noch sind die Menschen, welche diesen Wandel mit angesehen haben. Doch wenn sie davon erzählen, erscheint es ihnen selber wie ein Märchen, daß ehedem wackelige Reisekutschen, Salzknechte, kroatische Essigführer, Viehhändler, Hausierer, Kameltreiber, Walzbrüder, Harfenisten, abgediente Soldaten, vielleicht einmal eine kaiserliche Stafette, die großbestaunten Boten von jenseits der Berge und die Verkünder einer fernen Welt waren, die niemand daheim mit eigenen Augen gesehen hatte.

Seitdem ist das Landvolk reicher und armer geworden; es hat Schulen, geistige Mittel und technische Werkzeuge bekommen, die ihm den ständigen Kampf mit den Naturgewalten erleichtert haben. Die Wildbäche haben Sperren und Dämme. Der Kienspan und die Talgkerze, die stets bedrohliche Gefahr für die hölzernen Bauernhäuser, ist erloschen, ja selbst das neuartige Wunderding, die Petroleumlampe, hängt man da und dort schon in die Rumpelkammer. Die Wasserkraft und der elektrische Strom speist die Maschinen. Aber es ist ein Gleichgewicht, in dem sich Nutz und Schaden aufwiegt. Die Mechanismen haben die Handwerker arbeitslos und brotlc gemacht. Der Mensch, einmal aus der körperlichen Verbindung mit der Natur gerissen, findet nicht mehr zurück. Der Bauer und der ländliche Bürger verliert allmählich seinen Stil. Die Sitten, die Lebensgewohnheiten, ja selbst die Kleider erneuern sich nicht mehr aus seiner Wesensart, sondern aus der Anbiederung an Fremdes. Das aber, was sich überlebt hat, feiert künstliche Auferstehung bei Festzügen und im Theater. Auch der Mundart, der urhaften Musik, droht vielleicht ein solcher Untergang. Man wird sie vergessen und wieder entdecken und dereinst als Kauderwelsch von aller Herren Ländern schulmäßig eintrichtern.

Wir sind mißtrauisch geworden, denn wir haben in kurzer Zeit große Wandlungen erlebt. Etliche Jahre Technik haben die Materie erschlossen und etliche Jahre Krieg haben den Geist gegen alles Überlieferte aufgebracht. Auch der Bergbauer hat an dieser Revolution teilgenommen. Die eindringende Wissenschaft und die räumliche Vergrößerung des Gesichtsfeldes haben ihn über die ungeheuren Naturkräfte und die Welthändel aufgeklärt. Er ist hinter manchem Zauber gekommen und meint nun, auch an das Wunderbare nicht mehr glauben zu dürfen.

Doch wiederum, gerade die Natur zeigt uns, daß wir bei aller Erschütterung nicht aus dem Rahmen fallen, mit dem sie uns begrenzt hat. Und daß jeder Umsturz nur der chaotische und wilde Ubergang zur Ordnung ist. Wir müssen daran denken, daß Festland und Meer, Winter und Sommer schon den Ort gewechselt haben und daß zuletzt doch wieder das Gleichgewicht zwischen Wasser und Erde, daß fester Boden und gutes Wetter zum Säen und Ernten geworden ist. So kann wohl ein Mensch oder eine Generation den Halt verlieren. Aber so wenig wie die stofflichen 'Werte gehen die übersinnlichen Werte zugrunde. Wenn die Erscheinungsformen sich geschichtet haben, muß sich der freie Geist, die Autorität über der gebundenen Natur zu erkennen geben. Es war so im Anfang und bleibt bis zum Ende: daß der Geist Gottes über den Gewässern schwebt. Die Verwirrung zeigt uns die Zusammenhänge nur beschränkt. Doch im einzelnen sind schon die gültigen Gesetze für das Allgemeine. Es braucht nur eine Flamme zu brennen und wir haben das Feuer. Man braucht nur die buntfrohe und bittere Jahreszeit eines Dorfes zu sehen und man hat klein und fein den Spiegel der ganzen Welt. Die Leute in der engen Heimat leben nachbarlich aneinander, oft zum sündlichen Gezänk, oft zum christlichen Tröste. Nicht sie erfahren, sondern sie empfinden die Ereignisse. Mit freundlicher oder feindlicher Teilnahme wird ein Kälbchen verkauft, ein Markstein gerückt, ein Kind geboren. Es ist ein nahes Wissen um alle sichtbaren Dinge, um alle Bewegung, die im Dunkel kreist. Daher dichtet es im Volk. Diese hellseherische Anschauung eines noch ungebrochenen, aus den Leidenschaften genährten Geistes vermag die nüchterne Wahrheit zur verklärten Symbolik der Sagen und Märchen zu erheben. Auch die Bräuche sind aus dem Wachstum der Erde gekommen und haben sich zu Gott emporgewendet. Sie versinnbilden die Hoffnung des aufsteigenden Jahres und die gesegnete Stille seiner Umkehr. Das Dreikönigswasser, die Lichtmeßkerze, die geweihten Palmen und Scheiter zu Ostern, die Pfingstmaien, die Sonnwendkränze sind beschwörende Opfergaben, zuvörderst aus heidnischer Ahnung gebildet, vom Christentum mit Wunderkraft der Evangelien beseelt. Da ist der jährliche Bittgang, daß Gottes Erd- und Luftgewalten uns gnädig seien. Mit den Bergfeuern, die zu Johannes auflohen und langsam zu Asche versinken, unterwirft sich der naturhörige Mensch dem absteigenden Zeichen. Selten feiern die Bauern Hochzeit oder heitere Feste unter dem wirtlichen Tagesbogen des Sommers. Sie empfinden das fruchttragende Reifen und Ruhen, und ihre Fäuste sind nur mehr willige Werkzeuge, die den Gewinn der Schöpfung aufheben und weiterstreuen. Wenn das Heu und das Grummet niedergelegt und der Schnitt in der Tenne ist, aber die Äpfel und die Ebereschen sich noch runden und röten, fällt oft schon mit einem matten Gewitter der Herbstschnee in die Landschaft. Nebel verhüllen den Morgen. Der Mittag ist heiß und von tiefblauer Klarheit, liehe vergilbt, zeigt sich die Eigenart des Bald schieiert die feuchte, rötlichgelbe Tönung des Abends von West nach Ost, Unter der schiefen Sonne erscheint die Wölbung des Urgebirges in wundersamen Farbstufen. Der rosenblasse Hauch seiner Gipfel schmilzt feuriger im Niedergleiten, er verschattet von Gelb zu bläulichem Grün und versinkt violett in den Talschluchten. Die Lärchen ragen wie Lichtkeile daraus hervor. Die Ennswasser spiegeln flacher im zwielichten Glanz des Ürschiefers und des Kalkes. Gerade im Herbst, wo sich im Welken die Linien verschärfen und das ZeitGebirges, das aus Land und Meer entstanden ist. Über dem bunten Saum von Nadelholz, gelben Laubbüschen und roten Ebereschen greift schon die Kiefer in das trockene spröde Geklüft der Kalkfelsen. Buchenbestände, sonst seltsam in der Gegend, verfärben sich an der sonnigen Bergseite, und das Flimmern ihrer Kronen versteinert in der hohen Ferne zu einem grau-purpurnen Mosaik. In den brüchigen Karen beginnen die Quellen wieder spärlich zu tropfen; über den kleinen struppigen Bergkräutern, die noch Blüten treiben, fristet sich ein absterbendes Volk von Schmetterlingen. Bisweilen rieselt malmend und gebleicht der ewige Sand einher, lautlos wie ein Toten-bächlein und begräbt sie.

In der blendenden Nacktheit weht es heiß und kalt. Nur das kühne Getier vermag dort zu bestehen. Adler und Geier horsten. Auf den Schneemulden unterhalb der Grate äsen bis zum Herbst die Gemsen mit den Kitzlein. Zu Allerheiligen, wenn die satten berauschenden Düfte leise vergären und die Früchte gekellert sind und das Korn unter den Dreschflegeln hüpft, wenn die letzte grellrote und goldene Glorie der Natur auf die Gräber fällt und der Schnee schon an der windigen Baumgrenze anfriert, ducken sich die Bergbewohner mit dem Vieh in den finstern Gehöften zusammen. Hinter den kleinen Glaslucken, wo im Rauch das Geranium blüht und die geschnitzten Krippenmännlein im Moose stecken, erwacht die arme Bauernseele im geschundenen Körper und erlebt die überirdische Ahnung des Advent. Der Jäger, der Wildschütz und der Holzknecht sind allein noch draußen. Ihr grobes Tagwerk und ihre junge Kraft verliert sich selten in die stille Besinnlichkeit der Träume, weil Tod und Leben sie in Atem hält. Aber wenn neben der roten Schweißspur des flüchtigen Wildes fromm die Christblume aufleuchtet und wenn die Bräuche der Heimat selbst Speis und Trank aus dem Irdischen heben, werden auch sie den heiligen Gewalten fügsam. Oh, viele von denen, die sich dem Zauber der Welt verdingt haben, sie horchen nun doch auf die Glocke, die in der Einschicht läutet. Und sie müssen sich stumm und andächtig vor dem Wunder Gottes neigen wie einst die drei Könige, die aus dem Morgenland kamen.

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