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Steirisches Land

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Das Dorf Oeblarn, in dem ich geboren bin und in dem ich noch immer wohne, liegt in einem Talwinkel der Niedern Tauern. Die Enns und das Kalkgebirge säumen ihn nach Norden ab. Während der Zeitläufte haben Wildwasser feinen Sand und Lawinengerölle angeschwemmt und die ältesten Häuser tief eingebettet. Da und dort wurde beim Pflügen eine Kellermauer oder ein Römerstein bloßgelegt, so daß die Leute, immer wißbegierig nach dem Sagenhaften und Geheimnisvollen, an eine versunkene Bergstadt glauben. Es war auch einst, wie in vielen Gegenden des Urgebirges, ein reger Schürf nach Edelerzen im Quellgebiet der Walchen, eben jenes Badies, auf dessen Geschütte Oeblarn steht.

Zwei Stunden inner dem Graben findet man auf dem grünen Almanger noch die Ruinen der Knappensiedlung. Die Schmelzöfen sind eingestürzt, aus den dicken Quader-geröllen wächst seit einem Jahrhundert der ,Wald. Ich denke an meine Kinderzeit, wo* ich mit den schwarzen Steinchen des Schlak-kenbruches spielte, die im Bachschotter verstreut waren und denen meine Phantasie geradewegs zauberhaften Ursprung beimaß

Damals vollzog sich der letzte Verfall der Gewerke, die vordem in Ruf und Ansehen gewest, wenn sie auch nicht so hoch berühmt waren wie der Schladminger und Zeyringer Erzbau. In jugendlicher Ehrfurcht, die noch kein Vergleich geschmälert hatte, hielt ich die Walchen für die herrlichste Schatzgrube der Welt. Ich bewunderte den Zug der magern ausgeschundenen Gäule, die mit der schweren Kiesfracht scharfe Gejeise in den Graben rissen, und ich habe mir den Tag gemerkt, wo ich zum erstenmal ins Bergwerk wanderte und atemlos und enttäuscht die Hunt.e auf dem Bremsberg rollen sah. Ich hatte mir eiserne Untiere eingebildet, deren Mäuler sprühten von Silber und Gold. Vielleicht finden die klugen Leute einmal, was die einfältigen glauben.

Aber bis jetzt tastete noch keine Hand und kein Hammer zu den vollsten und tiefsten Adern des Urstockes. Tausend und aber tausend Klafter Erde sind darüber. Und der Fels an seinen Blößen finster und undurchdringlich. Nur der mürbe Schiefer verbleicht vom grünen Bruch zu grauen Schuppen.

Dunkle Tönung hat zumeist auch die Landschaft, denn es decken sie große Bestände von Nadelwald. Allein im Jungholz machen sich die helle zartsilbrige Birke und die Laubkugeln der Haseln geltend. Die Wiesen an der Schattenseite sind oft moosig und von feuchten Farben angesaugt. Genug Brünnlein laufen über die Wege. Aber wo bie Sonne hinfindet, ist fruchtbares, wenn auch steiles Ackerland. In jedem Berghang ist der Fleiß der zähen, armen Bauerngeschlechter hineingezeichnet. Man wird andächtig, wenn man die Streifen und Gevierte überschaut, die Zoll für Zoll der Wildnis abgerungen sind. Man denkt an bie vielen Leiber, die sidi da gebückt haben und die namenlos wieder zu Staub wurden, und an die Kraft der Natur, die nicht müde wird, zu säen und zu ernten.

Wo der Baum und ber Mensch nicht mehr sichere Wurzel faßt, klammert sich immer noch die Blume, das Gras und das Tier lebendig an den Boden.

Die hohe Berginsamkeit lockte mich immer wieder in ein schönes Paradiesgärt-lein, schon als Kind, ehe ich sie mit reeinen kurzen Kinderschritten hätte, erreichen können. Mein erstes Gedicht, das di$ Mutter selig aufschrieb, weil ich noch nicht in die Schule ging, meine erste Sprache, unbeholfen und unbewußt, reimte sich aus dieser steten Sehnsucht, mit der Erde den Himmel zu berühren.

Um die hohe Bergeinsamkeit ist rioch der Wald als ein fester Kranz geschlungen. Dünne blaue Rauchsäulen, blitzende Fensterscheiben und wetterblanke Dächer geben das vertraute Gefühl, daß Menschen im Umkreis sind. Doch alle Bewegung der Tiefe ist punktklein entrückt; alles Unvollendete, Harte, Armselige, das einzeln und nahe betrachtet, nicht wohl tut, ist harmonisch in ein Bild geordnet. Es bleiben nur noch die großen Erscheinungen, die sich im ewigen Wandel immer wieder erneuern und die unabhängig sind von der Leidenschaft und Berechnung der Welt. Es bleiben nur die Elemente, die von altersher Feuer, Wasser, Wind und Erde heißen, die vier ersten Dinge, aus denen Gott das Leben formte.

Die Tauern sind der östliche Wurf der Uralpen, an den Grenzschneiden von Tirol, Salzburg und Kärnten noch von wuchtigem Ausmaß. Der Firnschnee legt große Felder um ihre Gipfel, die kahl gebrannt von der Sonne und geschliffen von den Stürmen sind. Die Glutflüsse der Schöpfung sind in ihnen zu Gold gestockt. Und die Flamme, die im letzten Grunde heimlich fortlodert, drängt das Wasser an manchem Ort heiß empor. Aus der hohen, beengten Einöd tauchen seltsame Namen, verwunschene Gestalten legendenhaft und zauberisch. Der auf geschlossene Sinn unseres Jahrhunderts hat dafür fast keine Deutung mehr.

Milder und zugänglicher ist die steirische Landschaft. Die Menschen sind weniger herb und hager. Ihr Gebar ist beweglich, und ihre Gesichter haben oftmals den Einschlag nachbarlicher Stämme. Die freundlichen Pässe, die unterhalb der Baumgrenze von Tal zu Tal führen, bie geschmeidigen Saumpfade, welche die Lieblichkeit des Gebirges diesseits und drüben erschließen, sind gleichsam die Richtlinien für Wanderung und Austausch.

Wo die Tauern südöstlich verflachen, waren einst die stattlichen Radwerke und Hämmer..., sind noch die fruchtbaren Landwirtschaften auf dem breiten Boden der Mur. Altersdunkel und zuweilen auch zerstört, begegnet uns dort die Überlieferung eines wohlhabenden Bauern- und Bürgerstandes. Seidene Trachten, Goldputz, kostbare Schmiedearbeiten aus Eisen und Edelmetall, eingelegter Hausrat, gotische Gebälke und Truhen, Totenschilde, Kirchengemälde, Paramente, Schnitzwerke, ja selbst die Mauerstümpfe der Burgen geben Zeugnis, daß es dem kleinen und dem großen Mann dortselbst nicht schlecht erging.

Das Ennstal ist ärmer. Chroniken und Sagenbücher berichten immer wieder von Überschwemmung und Erdsturz. Die Talebene, nunmehr gerodet und entwässert, war einmal feuchtes Sumpfland, in manchen Gegenden Auwald, in anderen Mooswiese. Zur Schneesehmelze des Hochgebirges, etwa im Juni, wiederholt sich noch zuweilen das Bild ber Vergangenheit: große blinkende Wasserlachen; aus den knolligen Inselchen der Moorheide heben sich Birken oder Föhren, einsam für die Stürme und den Blitz. Denn der Fluß, der sich beim Einbruch ins Kalkgebirge, dem berühmten Gesäuse, staut, hinterläßt viele geduldige Krümmungen. Seit das Gefäll in etlichen Durchstichen geregelt ist, wird das Schilf spärlich. In den Bereich der Wildenten und Schnepfen rücken die Singvogel vor, und mit den Traidfeldern, die immer mehr Raum gewinnen, wandert bie Brut der Wachtel.

Nach dem Blutgang, den seinerzeit die Zunft der kecken, todesmutigen Flößer belebt hat, strömt die Enns wieder ruhig und-grün zwischen der Erlenböschung des sanften Gestades. Ein lieblicher Lustgarten ersteht den Bienen zur ersten Mahd. Während der Schnee in opalfarbenen Krusten verdampft und aus der Krume erdbittere Düfte rauchen und die Luft in unruhigen Wellen schwingt, sträuben sich die rötlichen Schöpfe auf dem Weidestrauch. Und über Tag und Nacht entfaltet die zunehmende Kraft 5er Gestirne die Knospen. Sie verkünden als lebendige Palmbuschen die nahe Zeit der Auferstehung. Durchsichtig öffnet der Krokus seinen Kelch und verschmachtet. Indes verblühen die unirdisch schönen Sterne des Enzians. Verhutzelt, ins haarige Mäntelchen geduckt, zwingt sich neben ben lockern Maulwurfshügeln die Schlüsselblume hervor. Im launischen Spiel von Sonne und Schneeschauern wandelt sich der gebleichte Rasen in Gras und Kraut. Aber im Mai, wenn man schon an den Frühling glauben möchte, wird es oft noch winterlich rauh. Spät meldet sich der Kuckuck den Zug der Lüfte und der ■ Vögel von Süden her. Der wolkige Niederschlag zerflattert an den Bergwänden und aus dem Dämmer eines linden Morgens leuchtet weiß die Kirschblüte. Zu dieser Zeit beginnt die Feldarbeit und der Viehtrieb auf die Almen. Die Hausfrauen öffnen die Fenster vor ihren Zierblumen und sind in den umfriedeten Gärten der lieben Mutter Erde behilflich, die sich immer schöner für Pfingsten schmückt. Das Ftitter sproßt kniehoch. Die Flocken des Wollgrases nnd der Löwenzahn mit seinen großen Flaumkugeln schaukelt über die grüne Fläche. Darin vermischt, schimmert rosig ber Knöterich und die Nelke feuerrot in allerlei Art. Blau das Sumpfvergißmeinnicht, dunkelgelb die Dotterblume und die Trollblume und der Bocksbart. Zwischen dem freudigen Glanz dieser Sonnen und Sterne, die in ber Wiese aufgegangen sind, schatten schwermütig violett die Blutstropfen des Beinwell. Im Moor schillern ganze Felder von Narziß und Schwertel. Noch strahlender weiß nnd lilafarben sprossen Glocke und Jungfrauenblume aus den Rissen der trockenen Raingründe. *

Talab und talauf, für kleine Frist zur Maienzeit in die Pracht der Äpfel- und Birn-blüte gehüllt, liegen die bäuerlichen Ortschaften. Sie haben wie die Scholle keine reiche Kultur hinter sich. Nur die kleine Bergstadt Schladming und flußabwärts das Stift Admont hat eine Geschichte, welche sich durch bie verschwommene Ferne eines Jahrtausends erhalten hat. Pürgg, wie ein Kripplein an den hohen Felsen gebettet, war landesfürstlicher Besitz und Talsperre in vor-habsburgischer Zeit. Zuhöchst die Johanniskapelle hat romanische Fresken aus dem 12. Jahrhundert. Aus dem frühesten Mittelalter ersteht der Markt Gröbming mit seiner schönen Spitzbogenkirche und einem Flügelaltar, um den die Glaubenskriege getobt haben. Liezen, vielleicht eine Fuhrmannssiedlung vor dem Pyrn, wo die Eisenstraße und die Salzstraße sich gabeln. Einige Edel-sitze aus der Renaissancezeit und die vielen benediktinischen Pfarreien erinnern an die jahrhundertlange Schutzherrschaft, unter welcher sich in Dörfern ein ländlich bescheidenes Bürgertum entwickelt hat. Vollkommen vereinzelt hielten darin die reichen Postmeister unb Brauherrnsippen ein patrizi-sches Gebar und kleinstädtische Mode aufrecht. Meist sind in den alten Häusern nur Schränke und Truhen aus weichem Holz übrig, ungeschlachte Betten, mit Rosen und Tulpen bemalt. Die Gewänder, die der Ahn, der Vater und der Enkel getragen hat, sind grob. Und die festlichen Frauenkittel, ob-zwar von Taft, haben eine schlichte bäuerliche Machart. Die Fräcke und Filzhüte der Biedermeierzeit bürgerten die Hammerherrn aus dem Murboden ein, und die wertvollen Goldhauben und kunstfertig gewebten Umhänge kamen zumeist durch Einheirat aus dem oberösterreichischen Wohlstand herüber. Solch eine Brautfuhre rumpelte immerhin vierspännig vom gesegneten Fruchtboden her. Und bevor sie di* starre, steile Mauer unserer Landschaft passierte, hatte sie ein beträchtliches Stück Weg durch das Salzkammergut, ein Hochland, in dem - die Dachsteinklötze und das Tote Gebirg zu sanften Mulden abfallen und kalkiges Alm- und Eiswasser sich zu blanken fischreichen Seen staut. Ein Paß und eine uralte Handelsstraße verbindet uns mit diesen Nachbarn hinter dem Grimming. Sie haben schon andere Trachten und Bräuche. Ihre Mundart ist gegen unseren tiefen Tonfall wie Singsang. Ihr Wesen ist heiterer, behender, doch ebenso abgehärtet. Die linde Jahreszeit ist bei ihnen oft noch kürzer, nnd aus ihren Boden läßt sich mehr Salz aufheben als Brot.

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