6717435-1964_49_20.jpg
Digital In Arbeit

Stadieldraht und Heckenrosen

Werbung
Werbung
Werbung

WIE SCHON IN FRÜHEREN JAHREN, so sollte auch heuer das Ziel des Urlaubes ein Stück verwehtes Altösterreich sein: diesmal aber, im Gedenken an den Ausbruch des Weltkrieges vor 50 Jahren, die Schlachtfelder im Isonzo- und Karstgebiet. Als Begleiter und Reiseführer dienten mir die Bändchen „Isonzo” von Fritz Weber und die in Tagebuchform aufgezeichneten Erinnerungen meines Großvaters sowie einige Speziallandkarten aus der damaligen Zeit.

Es ist ein strahlender Morgen, als mich mein Fahrzeug, bei Gemona von der großen Straße ostwärts abzweigend, durch das hügelige Randgebiet der friaulischen Ebene bringt. Schlösser, Ansitze, ja auch Grabsteine in den Kirchen zeugen noch heute von Geschlechtern italienischen Namens, denen es eine Ehre war, im Dienste des Hauses Österreich gestanden zu sein. Schon steigen Berge und Hügel aus dem Dunst hervor, deren Aufgabe es einst war, Verteidigungswall von Görz zu sein. In Lucinico angelangt, mit seiner berühmten Eisenbahnbrücke, folgte ich einem Wegweiser auf den Monte Calvario — die schwerumkämpfte Podgora. Dichtes Buschwerk verbirgt die Spuren des Krieges; nur ein Obelisk kündet von der ungeheuren Zahl der italienischen Opfer.

Längs des Weges nach dem zu trauriger Berühmtheit gelangten Oslavija stehen Tafeln, die kriegsgeschichtliche Daten in Erinnerung bringen. Da gibt es den „Bosniakenhügel”, wohl zur Erinnerung an die grauenvollen Nahkämpfe, in denen unsere Bosniaken mit Messern, aber auch mit bloßen Händen, ja sogar mit den Zähnen kämpfend, den Italienern ungeheuren Schrecken einjagten; da gibt es die „Cote 188”, ein kleiner Hügel neben der Straße: Hier finde ich auf einem frischgepflügten Acker zahlreiche Schrapnellkugeln, aber auch ein Stück eines menschlichen Unterkiefers: die Zähne darin lassen auf einen jungen Menschen schließen

BEI STRÖMENDEM REGEN GEHT ES VON GÖRZ aus nach Süden, ins Vallonetal hinein, von wo eine Straße auf den Monte San Michele abzweigt. Unterwegs bei einem Bauernhaus eine Auskunft erfragend, werde ich als Österreicher herzlich begrüßt und bewirtet: Die Bäuerin war als Kind, während der Krieg in ihrer Heimat tobte, als Flüchtling in Niederösterreich! — Vom Monte San Michele geht der Blick weit über die Isonzoebene mit den berühmt gewordenen Ortschaften Sdraussina, Gradisca, Sagrado mit seiner „Toteninsel”, wo gleich in der ersten Schlacht 700 Italiener beim Versuch, den Isonzo zu überschreiten, durch einen Feuerüberfall österreichischer Artillerie vernichtet wurden, aber auch auf den Hang des ganzen, sich nach Süden zu erstreckenden Plateaus von Doberdo. An Großkampftagen soll es von den Leichen der in den Tod Getriebenen buchstäblich übersät gewesen sein, erzählen die Augenzeugen. In ungeheuer großen Galerien kann man den Gipfel des Berges unterwandern. Auf seinem Gipfel ein kleines Museum, Gedenksteine — zu unserem Trost auch einer für die Kärntner „Siebener”. Eine vom Herzog von Aosta verfaßte Inschrift im Gedenken an die Gefallenen auf beiden Seiten sticht wohltuend ab von den zahlreich vorhandenen Siegesphrasen.

Über San Martino geht es wieder herab, vorbei an den Orten — alles durch Tafeln erläutert —, von wo aus am 29. Juni 1916 der erste große Gasangriff der Verteidiger durchgeführt wurde, dem zwölf italienische Bataillone zum Opfer fielen. Ein Besuch gilt dem gutgehaltenen österreichischen Heldenfriedhof von Fogliano, der aber ganz im Schatten der kolossalen italienischen Begräbnisstätte von Redipuglia liegt: buchstäblich ein „Altar des Vaterlandes”, einer aztekischen Tempelpyramide ähnelnd. erhebt sie sich in 22 übermannshohen Stufen zum Plateau hinauf; 40.000 namentlich Angeführte, 60.000 Unbekannte sind hier bestattet; ihr Führer, der Herzog von Aosta, mitten unter ihnen. Die Summe ergibt 100.000, es ist aber ein offenes Geheimnis — und jeder sagt es einem —, daß hier in Wirklichkeit 300.000 Gefallene bestattet sein sollen. Aber so ist es der Siegespropaganda zuträglicher.

MONFALCONE, ADRIA WERKE! WENIGE hundert Meter östlich die ehemalige „Bagnistellung” und die Cote 21: Hier war einst die südlichste Feldwache der von der Nordsee bis zur Adria reichenden und nur durch die Grenzen der neutralen Schweiz unterbrochenen Westfront der Mittelmächte. Heute wird dieser Felshügel als Steinbruch verwendet; in wenigen Jahren wird er nur noch auf alten Landkarten existieren.

Die Sonne hat die regenschweren Wolken durchbrochen, in ihrem Licht leuchten golden die Blüten des Ginsters, und in der Ferne leuchtet wie damals das unserem Gegner unerreichbar gebliebene Ziel: Triest.

Von San Giovanni aus — die alte Mühle am Timavo gibt es nicht mehr, die Kirche daneben notdürftig restauriert, aber immer noch voll von Kriegsnarben — begebe ich mich zum großen Eisenbahnviadukt. Dahinter die Sablicisümpfe und anschließend daran die ehemalige österreichische Stellung „Pietra rossa”. Über Duino und Sistiana geht meine Fahrt weiter nach Cerovlje. Von hier aus beginne ich meine einstündige Wanderung durch parkähnliche Landschaft hinauf auf die Hermada, das unbezwungene Bollwerk vor Triest. Der Gipfel liegt bereits in der Militärzone, dennoch zeigen mir die italienischen Soldaten bereitwillig Gräben, - verfallende Kavernen und betonierte ehemalige Beobachtungsstände. Auch hier ist der Gipfel von dichtem Buschwerk bewachsen; man kann sich schwer verstellen, daß diese jetzt so freundliche Landschaft einmal eine trostlose, öde und zerschossene Steinwüste gewesen ist: die Hermada, die monatelang schwerstes Trommelfeuer der italienischen Geschütze zu ertragen hatte!

Auffallenderweise finde ich dort und auch bei meinen weiteren Wanderungen im Karstgebiet weder Sprengstücke noch Geschoßreste! Wie ich nachträglich hörte, wurde in der faschistischen Ära sehr viel Altmaterial gesammelt, damals wurden ja auch die großen österreichischen Werke bei Trient gesprengt, um das darin verbaute wertvolle Betoneisen wieder zu gewinnen. Aber etwas anderes finde ich. Am Rande einer Doline, westlich von Cerovlje, blühende Pfingstrosen!

Wer mag die dorthin gepflanzt haben — vielleicht zur Verschönerung einer Unterkunft oder eines Lagers?

NÖRDLICH VON TRIEST DIE GRENZE nach Jugoslawien überschreitend, gilt ein kurzer Besuch dem einstigen „k. k. Hofgestüt” in Lipizza, auf dessen Schimmeln auch der einstige k. u. k. Feldwebel, heute Marschall und Staatspräsident Tito, gerne reitet. In Berje und Gorjansko suche ich die großen

Soldatenfriedhöfe auf: trotz ihres Verfalles überaus eindrucksvoll. Viele der Zementkreuze sind umgestürzt — der Kreuzsockel war wohl zu schwach für die massiven Kreuzesbalken —, viele sind zu Haufen geschichtet, nur auf einer geringeren Anzahl kann man die

Namenstäfelchen entziffern. Gedenkpyramiden, vom k. u. k. Infanterieregiment 91 errichtet, sind verhältnismäßig gut erhalten. Trotz der Armut der Bevölkerung spüre ich die Achtung der Leute von diesen Totenfeldern, die doch größere Flächen ihres so schon kargen Bodens einnehmen. Meine Gedanken sind bei diesen Helden des alten Österreich; ich erinnere mich an die Worte, die Kornel Abel in seinem „Karst”-Buch schreibt: „Ein Riesengrab ist der Karst geworden. Darum soll man behutsam durch dieses schicksalgezeichnete Gelände gehen und zusehen, wohin man seinen Fuß setzt.,, Denn vielleicht ist gerade dort, wo man sich über einen grünumsproßten Fleck freut, ein Soldatenleben zu Ende gegangen.”

Mit solchen Gedanken geht es dem eigentlichen Plateau von Körnen zu. Das Brestovicatal durchquerend, gelange ich nach Zagrajc, in dessen Nähe sich während der 10. Insonzo- schlacht das Kommando der 9. Infanterie-Truppen-Division befand. Ein Einheimischer zeigt mir in einer kleinen, mit Eichenbäumen bewachsenen Schlucht zahlreiche erhaltene Fundamente der einstigen Divisionsbaracken, des Spitals, der Generatorenstation und führt mich in die weit in den Felsen reichenden Kavernen. Der Schein der Taschenlampe scheucht tausende Fledermäuse auf; wir werfen einen Stein in eine kleine Felsspalte im Boden der Kaverne — und hören ihn noch lange in unterirdischen Tiefen kollern. Auch hier flattern Scharen von Fledermäusen heraus!

In Vojscica wieder eine Erinnerung an die alte Armee: Eine Zisterneneinfassung trägt die Aufschrift „Inf. Rgt. 91 — 1916”. Südlich der Ortschaft, auf der Höhe oben, einsam aufrechtstehend, der letzte Mauerrest einer Kirche; weder von Freund, noch vom Feind gänzlich niedergelegt, hatte er beiden Artillerien als Hilfsziel gedient. Daneben ein meterdick betonierter Beobachtungs- oder Geschützstand, aber auch er „geknackt” — unzählige große und kleine Granattrichter zeugen noch heute von der schweren Beschießung dieses Punktes.

Westwärts anschließend erhebt sich die Höhe „Stara Lokva”, von Kiefern dicht bewachsen. Auch hier gibt es noch zahlreiche Betonstände der Artilleriebeobachter zu sehen, denn sie ist ein hervorragender Aussichtspunkt. Ihr zu Füßen liegt die Ortschaft Selo, einst im Mittelpunkt der Kämpfe gestanden und gänzlich zerstört, jetzt wieder auf gebaut, aber arm, sehr arm. Hier lasse ich meinen Wagen stehen und gehe auf einem Pfad längs der Geländebruchlinie des Steilabfalles zum Brestovicatal in Richtung der jetzigen italienischen Grenze, nur mit Karte, Fernglas und Kompaß ausgerüstet. Wohltuend empfinde ich es, daß trotz nächster Nähe der Staatsgrenze keine Militärzone angelegt zu sein scheint. In der herrlichen Abendsonne bewundere ich von Cote 219 aus lange die Landschaft. Auf einmal werde ich angerufen; ein Grenzsoldat, der gar nicht erst aufs Verhandeln eingehen will, deutet mir wortlos mit seiner Maschinenpistole, vor ihm herzugehen. Nach einer Viertelstunde kommen wir zu einer kleinen Kommandantur an der Grenze, von wo aus zunächst endlos telephoniert wird.

Wegen des schönen Wetters hatte ich meinen Rock im Wagen gelassen — samt meinen Papieren. Ich kann mich nicht ausweisen; ein Verhör kommt wegen der Sprachschwierigkeiten auch nicht zustande. So werde ich schließlich eine halbe Stunde weit zum Auto zurückeskortiert. Am Ortseingang hatten sich inzwischen zahlreiche Leute angesammelt, um den „armen Sünder” zu bestaunen. Endlich kommt ein Gendarm, mit dem ich mich verständigen kann und der meine Harmlosigkeit auch bald erkennt. Er blättert in meinen Büchern und macht Stichproben wegen meiner Reisenotizen, wo geheimnisvolle Ziffern neben den Ortsnamen nichts anderes als die betreffenden Seiten zahlen im Buch bezeichnen. Dann entläßt er mich nach einer freundlich gehaltenen Verwarnung. Auf meinen Einwand, daß keinerlei Absperrung noch Aufschrift zu sehen ist, kann er nur die Achseln zucken. Eigenartig und seltsam war, nachdem der Soldat mich arretiert hatte und mich zur Grenzstelle eskortierte, also Richtung Westen, daß ich — auf den ersten Weltkrieg übertragen — das ärgerliche und beschämende Gefühl hatte, in „italienische Gefangenschaft geraten” zu sein!

Zu beiden Seiten der Straße nach Kostanjevica sieht man im Buschwerk noch und noch Dolinen, von ihrer Sohle aus oft noch eine Kaverne in den Karstfelsen führend, oft aber auch am Eingang zu so einer Kaverne ein Granattrichter! Wie viele mögen auf diese Weise verschüttet worden sein! Von Kostanjevica aus ist es nicht weit auf den Fajti Hrib, der ebenfalls stets im Mittelpunkt der Kämpfe gestanden war: Kurzes Gedenken dem k. u. k. Obersten Theodor von Körner und dem k. u. k. Oberleutnant Julius Raab, die sich beide um die Verteidigung dieses Berges verdient gemacht hatten.

DOCH NUN HEISST ES ABSCHIED nehmen von diesem Stückchen Altösterreich: Noch einmal geht der Blick in die Ferne. Es ist ein herrlicher Tag, ein einzigartiges Panorama bietet sich mir, wie ich es noch kaum je erlebt habe: im Süden das Meer, im Westen, weit hinter dem Monte San Michele, die italienische Ebene, im Norden das fruchtbare Wippachtal, Görz und die Kulisse des schneebedeckten Hochgebirges bis gegen Osten hin! Zu Füßen aber, gegen Süden, liegt in tiefem Frieden das Land, das einst im großen Streite verwüstet und vom Blute aller Nationen des alten Reiches getränkt worden war: die Karsthochfläche. Noch sieht man Spuren des Krieges, aber viele hat die Natur schon verwischt: Sogar der Stacheldraht scheint sich in Heckenrosen verwandelt zu haben

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung