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Königgrätz, Sommer 1966

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Hradec Krälove, 108 Kilometer ostwärts von Prag. Die Autostraße ist gut, aber wir benötigen drei Stunden für die geradlinig verlaufende Strecke, Die CSSR begeht den Jahrestag der Befreiung. Wir hatten ab Grenze mit Verzögerungen gerechnet, verursacht durch Massenaufmärsche, Demonstrationen. Doch unsere Reise verlangsamt sich erst nach der Ausfahrt aus der Hauptstadt, als uns in gemessenem Fünf- zigkilometertempo eine Autokolonne entgegenrollt, ohne Ende, vorwiegend ältere und alte Modelle, speichenbereifte, wohlkonservierfe

„Luxusautos“ von „Anno Tatra“: die Großstädter strömten heimzu, nach einem Tag der Erholung im Gebirge.

Hradec Krälove, eine moderne Industriestadt. Beton, Glas, Neon. Der ursprüngliche Name war Hradec, was dem slowenischen gradec entspricht — Graz. Krälove Hradec bedeutet „Königingrätz“, die Stadt war „Leibgedinge“ böhmischer Königinnen. Der alte Stadtkern um den Ringplatz ist gut erhalten. In der Backsteinkathedrale zum Heiligen Geist von 1303 war eine Zeitlang Jan Zizka bestattet, der BusSiienfüh- rer. Vor hundert Jahren war König- grätz, sowie Josefstadt und Theresienstadt, eine aiusgebaute Festung mit Bastionen und Raveläns. Die Werke wurden im Jahr 1884 geschleift. Die beiden anderen Festungen blieben größtenteils erhalten. Theresienstadt hat traurige Berühmtheit erlangt.

Tschechische Kollegen haben uns angekündigt. Ein Beamter des hiesigen Museums begrüßt uns. Das Haus, eine geglückte Verwirklichung sezessiondstischer Bauideen, enthält im Vestibül eine sorgfältig zusam- m engestellte Gedenkausstellung: „Königgrätz im Jahr 1866“. Man erklärt, gleichsam entschuldigend, dies sei nur eine vorläufige Exposition; eine größere, repräsentative Schau zum Thema werde Anfang Juii eröffnet werden. Zeitgenössische Abbildungen lassen die erhöhte Verteidigungsbereitschaft der Festung erkennen. Die Bäume vor den Wällen mußten fallen. Palisaden wurden errichtet. An diesen ziugespitzten Pfählen emporklettemd, versuchten in den Nachmittags- und Abendstunden des 3. Juli 1866 die geschlagenen Soldaten Benedeks in die bergende Festung zu gelangen, denn die Tore wurden geschlossen gehalten. Da half kein Bitten und Flehen, schon gar keine Drohung. Von denen, die Gewehre hatten, schoß mancher seinen letzten Schuß über die Mauer. „Die dichtgedrängte flüchtige Masse war gleichsam unübersehbar geworden und es both sich dem Auge ein unbeschreibliches Bild des Schreckens und des Jammers dar“, heißt es im Bericht des Kommandanten. Später wurde die Masse der Verwundeten und Versprengten durch die Festung geschleust. Es kam zu Plünderungen. Die Bürgerschaft hatte die Stadt verlassen. Die Geschäfte waren gesperrt. Es gab. kein Stück Brot in der wohlverproviantierten Festung Königgrätz.

Eine umgangene Festung

Mit einem silbernen Hammer — er ist in einer Vitrine zur Schau gestellt — tat eine „Prominenz“ 18 Jahre später den ersten Schlag, das Zeichen zur Schleifung einer jener Festungen, deren Wert immer fraglicher wurde. Die Preußen haben auf Königgrätz nur wenige Schuß abgegeben und die Festung auf ihrem Vormarsch umgangen.

Am folgenden Morgen fahren wir von Königgrätz nach Nordwesten. Wir suchen das Schlachtfeld. Mein Begleiter ist Kameramann. Was wir finden, wird als Filmbericht des Aktuellen Dienstes im österreichischen Fernsehen zu sehen sein. Wir versuchen zu zeigen, „wo“ es gewesen, eine Illustration zum „Wie“ der Historiker. Die Landschaft, in einem diffusen Licht, erscheint keineswegs „photogen“. Das Wetter ist schlecht. Rechts und links von der schnurgeraden Straße: Ebene, welliges Gelände, Waldstücke. Die auf der Karte angegebenen Weiler und Dörfer liegen in Mulden oder hinter Anhöhen. Wir versuchen, einen Überblick zu erhalten und gelangen, rechts abzweigend, nach etwa drei Kilometern auf eine Anhöhe. Aus Obstbäumen sticht ein spitzer Kirchturm. Eine Ortstafel zwischen den die Straße flankierenden „Kugelbäumen“: Ohlum.

.Hier war die Schlüsselposition der .Schlacht. Vor uns liegt jener Ort, in dem sich unbemerkt preußische Truppen festsetzten und nicht mehr geworfen werden konnten. Aber bevor wir das Dorf betreten, nähern wir uns dem von einem steinernen Adler gekrönten Obelisken, hundert Meter rechts von der Straße. Eine Inschrift auf Deutsch und Tschechisch: „Den im heldenmüthigen

Kampfe für Kaiser und Vaterland gefallenen Officieren und Mannschaften des K. K. 1. Armeekorps.“ Das Denkmal befindet sich in der Nähe einer Senke, die von Chlum nach Rosbefitz zieht. Nachdem Versuch, Chlum zurückzuerobern, war das Terrain mit Leichen bedeckt, .innerhalb von 20 Minuten sollen .hier, in diesem „Graben der Toten“. 10.000 Soldaten gefallen sein.

Am Horizont liegt Sadova

Ein Rundblick auf die Ebene im Süden. Nach Regenfällen liegt ein

Dunstschleier über dem Land, die Kontoren verschwimmen. Alles ist völlig plan. Distanzen erscheinen täuschend verändert. Irgendwo, rechts am Horizont, muß Sadova liegen. Leichter Wind bewegt die Wipfel der Bäume. Erstmals fühlen wir die menschenferne Stille, die uns später als Charakteristikum dieser Landschaft erscheint. Schweigend erwartet uns ein Bursche beim Auto. Mit krächzend-heiserer Stimme bietet er uns dann ‘ seine Dienste an, die Verständigung ist mühsam. Ich gehe in den Ort voraus. Auf der Straße sind weder Erwachsene noch Kinder zu sehen. Die niedrigen Häuser wirken unbewohnt. Manche der verwitterten Strohdächer weisen Löcher auf, aus denen die schwarzen Sparren herausragen. Die Kirche, der Friedhof entsprechen alten Abbildungen. In den Mauern stecken noch Artilleriegeschosse.

An der Kirche vorbei führt die Straße in einen tiefergelegenen Ortsteil. Unser Helfer weist auf ein strohgedecktes Haus an einem Weiher. Auf dem Tor ist ein mit weißer Farbe aufgemaltes, umrandetes Kreuz schwach sichtbar. Hier befand sich ein österreichisches Lazarett. Vereinzelte Kreuze und Gedenksteine im Ort und auf den Äckern dieser nördlichen Seite bezeichnen Gräber und Massengräber. Ein unendlicher Friedhof in den Feldern.

Wir kehren zurück auf die Höhe. Am Rande eines Wäldchens erhebt sich, zehn Meter hoch, eine mit Reliefs und Emblemen geschmückte Säule, aus der vier Kanonenläufe herausragen. Hier kämpften und fielen die Männer der „Batterie der Toten“. Die Kavallenebät’te ~fie’”77Vii der Geschützreserve des III. Korps unter dem Kommando des Hauptmannes August von der ‘Tiroeben schoß ursprünglich nora- "westlich von Ohlum in den awieo- wald. Ais aber Truppen der 2. Preußischen Armee der Durchbruch durch den ungedeckten rechten Flügel gelang, verschob sie sich 200 Schritt vor, in Richtung Dorf Ohlum, um den Rückzug der Brigade Appiano zu decken. Die Batterie wurde aufgerieben. „Treu bis in den Tod“, kündet die Inschrift.

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Benedek telegraphierte nach Wien,

daß es dem Feind gelungen sei, sich unbemerkt in Chlum festzusetzen: „Regenwetter hielt den Pulverdampf zu Boden, so daß er jede bestimmte Aussicht unmöglich machte.

Bei Chlum blieb unvermerkt eine Lücke in der Stellung “ Unter uns erstrecken sich die weiten, sanft ansteigenden Hänge, die damals vom Pulverrauch bedeckt waren. Regendunst überdeckt die Geländeeinschnitte und Hohlwege, in deren Schutz starke Verbände geigen die Höhe geführt werden konnten. Damals, am 3. Juii, muß das Korn schon hoch gestanden sein, zusätzliche Deckung für die schemenhaft vordringenden Soldaten.

Auf der Talstraße Richtung Sadova. Rechts oberhalb der Swiep ~ wald — ein freundliches Gehölz im" Frühlingswind. Dort sind vor bunt” dert Jahren 10.000 Mann gefallen, „überwiegend von österreichischer Seite“, wie es in einem tschechischen Bericht heißt. Niemand zählte sie nach der Schlacht, und viele Gräber wurden noch nicht entdeckt. Auf der linken Seite der Holawald. Ein Obelisk erinnert an den verlustreichen Sturmangriff des Regiments Heß Nr. 49, der im Feuer preußischer Hinterladersalven zusammenbrach.

Einfache Kreuze und pathetische Monumente im Stil des zu Ende gehenden 19. Jahrhunderts zeugen von Tapferkeit und Tod. Die Steine reden, und auch die Landschaft spricht. Und die Eindrücke beginnen sich zu ordnen, zum Bild einer Schlacht, das dem Nachgeborenen unbegreiflich ist. Da marschieren dichte Massen auf breiter Front gegen feuerspeiende Waldstellungen, ein Treffen hinter dem anderen, mit klingendem Spiel, wie zur Parade. Die Fahnen wehen und der Radetzkymarsch erklingt unter dem Donner der Kanonen. Batterien feuern auf kürzeste Distanz in attackierende Reiterei. Kavallerieformationen, aufgesessen, warten,

indes Granaten fürchterliche Lücken reißen, auf den Angriffsbefehl. „Es ist peinlich, ein Übermaß von Tapferkeit tadeln zu müssen“, schrieb der Korrespondent der Londoner „Times“, „doch habe ich im allgemeinen gefunden, daß die österreichischen Truppen sich den feindlichen Kugeln aussetzten, wenn sie mit eben demselben Nutzen augenblicklich in gedeckter Stellung hätten bleiben können sie schie- nen stets bestrebt, zum,""Handt- c emenge~~zii kommen, um sich als Waffe des Bajonetts oder des Gewehrkolbens bedienen zu können. Hieraus enfspräng eiffe WT2T056 Vergeudung von Menschenleben .. Was der kritisch beobachtende Zeitgenosse nur ahnen konnte, ist hundert Jahre später historisches Faktum: mit Königgrätz beginnt ein neuer Abschnitt auch in der Geschichte kriegerischer Auseinandersetzungen. „Was hier geschah, war nicht nur Opfergang, äußerste Einsatzbereitschaft, erstaunliche Disziplin. Es war letztes Aufleuchten —sinnlos oder sinnvoll — einer Epoche, die endete“, schreibt 1966 der deutsche Militärhistoriker Eberhard Kaulbach. Das Schrecklich-Charakteristische der Schlacht von Köndg- grätz fand seine volkstümliche Darstellung, bailadenhaft verdichtet, in der Moritat vom Kanonier Javourek, der — kein strahlender Held, sondern Ladeschütze — bei der Kanone stand und unablässig geladen hat. Im Verlauf der Strophen reißen ihm Granaten den linken Arm ab und den rechten Arm, beide Beine und schließlich den Kopf. Und immer der Refrain: Er stand bei der Kanone dort und lud in einem fort, und lud in einem fort

. „Sie wissen doch — die todes- ittütigen~5ster reichischen RänoYiiSYe

Ton einer Feststellung. Wir hören diesen Satz sinngemäß bei verschiedenen Gelegenheiten von einem Historiker, einer Verkäuferin, einem Gastronomen und von einem Journalisten. Es gibt (oder gab) einen Verein der Freunde des König- grätzer Schlachtfeldes. Dieser Ver ein errichtete im Jahr 1936 bei Chlum ein kleines Museum. Das Heeresgeschichtliche Museum von Prag übernahm das Haus und die Sammlung von Erinnerungsstücken im Frühjahr 1957 und zeigt, angeordnet „nach derzeitigen Museumsgrundsätzen“, eine ständige Schau, die einen guten Überblick über die Ereignisse bietet.

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