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Stromboli ist toll

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Stromboli ist toll. Ein einziger Lavakegel, ein täglich noch speiender Vulkan. Nur am untersten Rand liegt ein dünner Grünstreifen, in dem sich Menschen niedergelassen haben. Bedrängt vom Kratergebrodel oben und von der Meeresbrandung unten. Und dennoch von beiden lebend. Im Lavahumus gedeihen Kapern, aus dem Meer kommt der Fisch.

Auch wenn die Fischerkähne heute im Sommer mehr zum Transport der Fremden dienen. Der Stromboli gleicht im August, Italiens wildgewordenem Ferienmonat, einem Ameisenkegel. In Badekostüm und Bergschuhen will jeder da einmal hinauf. In den engen Gassen brodelt eine Menschenmenge; tritt man vors Haus, wird man fortgerissen von ihr, wie ein Zweig in einem Bachbett. Ferragosto - ganz Süditalien hat seine Hinterhöfe geöffnet, die Tage und Nächte der Insel bersten im Lärm.

Der Maria-Himmelfahrtstag ist die Mitte und der Höhepunkt dieses Monats. Für mich wenigstens. Dieser Tag ist mein Lieblingsfesttag, er ragt an Süße und Wehmut aus allen anderen kirchlichen Feiertagen heraus.

Aus der Mutter wird die Königin -ich sehe Maria im hellblauen Seidenmantel mit einer Lilie in der Hand kerzengerade in den Himmel davon-schweben, wie auf den glänzenden Bildern des Religionsunterrichts. Auf anderen Darstellungen sind von ihr am obersten Bildrand nur mehr die Schuhspitzen zu sehen, der Rest ist ein Glorienschein, der ihr folgt, wie der Schweif dem Komet.

15. August. Wo immer ich an diesem Tag bin, zieht es mich zur Kirche hin. In Monterosso bei Genua haben sie den Priester huckepack vom Boot herüber an Land getragen, damit die Soutane nicht naß wird. In Madeira zog eine vielköpfige Menschenmenge zur hochgelegenen Basilika Santa Maria della Salute hin. Alles auf Knien.

Ich freute mich auf die Prozession auf Stromboli, auf dieser schönsten eolischen InseL Ich sah die tausend Blumen vor mir, die festlich gekleideten Menschen, die Einheimischen wie die Touristen im stolzen Muttergottesspalier.

Ich ging in die Kirche, die ich an diesem Tag zum ersten Mal betreten würde. Sonst ist sie geschlossen. Auf dieser Insel wohnt kein Priester mehr, im Pfarrhof sind längst uv gendwelche lärmende Italiener eingezogen, wie man jedesmal, wenn man an der Kirche vorbeikam, hörte. Eigens hatte ich ein schwarzes Tuch auf den Kopf gelegt. Die Südländer ... Man kann ja nicht wissen.

Ich sah mich schon in einer schönen Marienprozession mitziehen. Gesungen hätte ich nicht, weil ich die italienischen Lieder nicht kannte, doch spürte ich schon im voraus, wie dieses Gefühl eins zu sein, mit der betenden und singenden Masse, mich wieder erfüllen würde.

Der Platz vor der Kirche war leer. Wie jeden Tag. Der rote und der weiße Oleander blühten einträchtig, doch ganz ohne Zeugen. Es war niemand da, der diesen schönen, erhabenen Platz benutzt hätte. Ich war allein. Sogar die Stimmen der Leute, die den Pfarrhof bewohnten, waren verstummt. Ich dachte: war dies die einzige Veränderung zu Ehren der Muttergottes?

Vom sonnig warmen Platz trat ich ins Dunkle der Kirche, und dort wurde mir kalt. Falscher Marmor im viel zu hohen Kirchenschiff. Wo waren die Menschen, für die diese Gotteshalle gebaut war? Nur wenige alte Frauen saßen gebeugt und murmelnd in den drei vordersten Bänken.

Der Priester war schon am Morgen aus Lipari herübergekommen. Von wö auch die Gladiolen mit dem Tragflügelboot herbeigeschafft wurden, die gestern schon, taufrisch in Nylon eingewickelt, am Landesteg lagen. Heute schmückten sie, schon etwas verwelkt, den Altar. Auch links und rechts von der hellblauen Madonna hat man einige von ihnen aufgestellt Nicht buschenweise, nicht üppig, kein Blumenmeer - nur drei Stämme in jeder Vase.

Diese Mariengestalt, die mit gefalteten Händen zur Gemeinde stand, war das einzige Außergewöhnliche an diesem Tag. Man hatte sie eigens aus ihrer Nische hervorgeholt Das mußte so sein, denn im Vorbeigehen hatte ich gemerkt, daß irgendjemand die Glastüre der Nische nicht wieder zugesperrt hatte. Sie stand offen. Wahrscheinlich, weil die Figur ohnehin bald wieder hinein mußte.

Noch zwei andere Madonnen stan-den in ihren Wandkästen. Eine schwarze, sehr schön mit goldenen Borten am Gewand verziert. Wahrscheinlich die für Begräbnisse, stellte ich mir vor, die wohl für heute nicht die richtige Marienfigur gewesen wäre. Auch nicht die Schutzmantel-muttergclttes daneben. Denn der heutige Tag gehörte der Jungfrau, die sich durch ihre Reinheit und Güte den Platz im Himmel eroberte.

Ich drängte mich in eine Sesselreihe. Sosehr ich auch wartete, die Andacht stellte sich aber nicht ein. Dem Priester vorne wurde immer wärmer, erwischte sich schon zum dritten Mal den Schweiß von der Stirn, mir aber wurde immer kühler. Ich fühlte mich um mein Marienfest, um meine Prozession gebracht.

Ich schlich auf Zehenspitzen wieder hinaus ins Warme. Sofort war ich ins Sonnenlicht des Oleanderplatzes getaucht. Dieser Raum im Freien schien mir mit seinem Vogelgezwitscher heiliger als der marmorne, un-gelüftete Weiheraum.

Als dieser Platz noch ein Platz war, dachte ich, auf dem Menschen zusammenkamen, muß es hier anders ausgesehen haben als heute. Kirchgänger mochten sich hier mit Kirchschwänzern getroffen haben, auf diesen Steinbänken, wo ich jetzt saß, mochten auch sie gesessen sein. Fischer, Olivenbauer, Großmütter und Mütter, die ihr Tagwerk unterbrachen, um schnell ein Gebet zu verrichten.

Plaudernd werden sie hier herumgestanden sein, die einen vor, die anderen auch während der Wandlung. Plaudernd über das Wetter, über die ausgewanderten Verwandten, über die durch Naturkatastrophen verursachte Dezimierung des Dorfes. Die Kirche selbst wies jetzt noch die Risse von einigen Erdstößen auf, aber es wird sie wohl keiner mehr reparieren.

D ie Messe war vorüber, die zehn bis zwölf Weiblein hatten den Platz, eine jede in eine andere Richtung, schon überquert Ich saß ganz alleine unter der rotweißen Oleanderhecke. Maria Himmelfahrt war, obwohl es nicht stattgefunden hatte, schon wieder vorüber. Die Tore der Kirche wurden geschlossen.

Da öffnete mit einem Mal der Himmel irgendeine seiner Pforten und ließ einen Düsenjäger nach dem anderen heraus. Erzengel posaunten mit Uberschall. Petrus an den Startschleusen. Uber den Wolken schmetterte ohrenbetäubendes Getöse.

Ich sprang auf. Am Horizont des Meeres weit draußen fuhren Zerstörer und Schlachtschiffe aus. Wie die Kulissen einer Marionettenbühne zogen sie am Ende der weiten Wasserfläche lautlos vorüber. Kein Schall drang herüber. Gespenstisch bewegten sie sich, Meile für Meile, langsam wie ein Leichenzug, gegen Süden. Meerabwärts, das Inferno eines dritten Weltkrieges im Visier.

Dann wieder das Krachen der technischen Eruption über mir. Ein Vulkanausbruch muß sich gegen das Düsengetöse zahm ausnehmen. Metallenes Bersten, Spritverbrauch in 1500 Meter Höhe, von wo Rußfahnen heruntersanken. Ich konnte den Eisvögeln kaum folgen. Dann wieder Stille.

Am Horizont hin glitten die Zerstörer feierlich als sängen sie einen Choral. Jeder Kanonenträger war auf Abstand vom nächsten bedacht. Wie eine zeremonielle Prozession. Die Leuchtsignale blinkten; startbereites Chrom blitzt und blendet herüber. Lautloser Aufmarsch. Die Navy zur Ehre Marias. Kontroll- und Leuchtturm als Monstranz. Gefunkte Botschaften der Vernichtung.

Mir war, als sagte mir einer: „Da hast du jetzt deine Prozession!“ Das Meer war zum Aufmarschplatz des Bösen geworden. Funker funkten das Halleluja des Teufels. In der Luft heulte die Unterwelt ihr Triumphgeheul.

Ich hatte eine gräßliche Vision. Von Lourdes bis Tschenstochau sah ich Marienfiguren aus ihren Nischen genommen. Betende, flehende, kniende Menschen davor. O Maria hilf!

Wie kann Maria da helfen? Vom Atlantik bis zum Pazifik blitzt müitäri-sches Rüstungsmaterial. Der Erdball liegt gefesselt im Eisen. Wäre ich nach Varna am Schwarzen Meer baden gefahren, hätte ich die sowjetischen Jets und Kanonenboote vor Augen. Es gibt offenbar keine Ferien vom latenten Krieg.

Vor mir am Meer kreuzte jetzt ein noch größerer Flugzeugträger mit rauchendem Schild. Auf ihm werden Hubschrauber bis in die Nacht hinein für den Ernstfall Starten und Landen üben. Bis in die Nacht hinein wird einer nach dem andern auf dem dunklen Untergangsboten landen. Ihre Hecklichter ziehen immer aufs neue ihren roten Streif.

In der Kirche, aus der ich gekommen war, brannte auch ein rotes Licht: Jesus und Maria sind unter uns. Auf daß man in ihrer Gegenwart keine bösen Gedanken habe. So haben wir das im Religionsunterricht gelernt

Die Hubschrauber werden ihre Lichter um Mitternacht abdrehen. Das Licht am Altar der Marienkirchen brennt über die Zeiten hinweg: in uns selbst.

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