6537677-1946_24_07.jpg
Digital In Arbeit

Zwischen den Ruinen der Wiener Bannmeile

Werbung
Werbung
Werbung

Da liegt am Stadtrand von Wien ein Dorf, hauptsächlich von Arbeitern bewohnt, obwohl es auch noch Felder und Gärten zwischen den Fabriken gibt. In religiöser Hinsicht galt es immer als harter, ja härtester Boden Hinter den Häusern stand ein Kirchlein, aber trotz seiner Enge, war es nie zu klein. Im Krieg wurde das Dorf ein gesuchtes Ziel der Bomber wegen seiner Rüstungsbetriebe. Am 7. Juli 1944 erfolgte ein Großangriff, der das halbe Dorf in Trümmer sinken ließ. Stundenläng deckte schwarzer ölqualm den Jammer. Der schwerverwundete Pfarrer wurde aus dem zerstörten Pfarrhaus getragen, er sollte seine Pfarre nicht wiedersehen. Am 23. August des gleichen Jahres war ein noch fürchterlicherer Angriff. Ein großer Bierkeller, in dem Tausende Zuflucht gesucht hatten, war mehrfach getroffen worden, es gab viele hundert Tote. Man konnte sie nicht einmal auf dem Friedhof beisetzen, weil er selber von Bomben zerwühlt war und die Särge in den Gräbern aufgerissen waren. Die Kirche war in sich zusammengesunken und der Turm hatte sich wie ein müder Greis zur Seite gelegt. Das Pfarrhaus war neuerdings getroffen. Die Dorfbewohner packte das Todesgraucn und von den Dreitausend blieben keine tausend; die. andern zogen fort. Jene, die daheim geblieben waren, eilten täglich, wenn d-r Kuckuck rief, in die Nachbardörfer. Die alten Leute wurden auf einen Wagen gesetzt und fortgeführt. Dabei konnte man sie klagen hören: „Arm sind wir und verlassen. Wir haben keinen Arzt mehr, der uns hilft, keinen Priester, der uns tröstet, wir haben keine Schule für die Kinder, keine Kirche, wo wir beten könnten. Gott und die Welt haben uns verlassen.“ Und merkwürdig, das Fehlen des Priesters machte den größten Eindruck. Man hätte es hier'nicht erwarten sollen.

Die Gemeinde blieb ohne Arzt und Priester, ohne Schule und Kirche den ganzen Sommer und Herbst, d-n Winter und Frühling.. Es gab keinen Gottesdienst. Immer mehr Häuser sanken in Schutt, immer weniger Leute wurden Im Frühling beauftragte der Bischof einen Nachbarpfarrer, die Sonntagsmesse im Dorfe zu lesen. In einem Wirtshaussaal. wo früher bei Wein und Tanz manch vergnügter Abend gefeiert worden war hatte man jetzt auf einem einfachen Tisch den Altar gerichtet, ein großes geschnitztes Kreuz war der einzige Schmuck. Ergriffen standen die Leute herum, nein, sie warten sich auf die Knie und schluchzter und nach der Messt küßten sie dem Priester die Hände. Über unzählige Trichter hinweg mußten sie ihren Weg heim suchen. Am Tag darauf war ein neuer Angriff, das Gasthaus erhielt einen Eintausend-Kilogramm-Treffer und barst bis auf den Grund mitten entzwei, der Saal brach ein, dem Gekreuzigten wurden Hände und Füße abgeschlagen, der Kreuzbalken zersplittert. Ein Entsetzen ging durchs Dorf. Sie spürten die Hand Gottes auf sich liegen. Am nächsten Sonntag abend war die Messe auf einer Veranda, das Volk stand im Garten unter den Bäumen. Dann fand sich wieder ein passender Raum für che nächsten Sonntage, wenn auch das Dach aufgerissen und die Wände gespalten waren.

Dann kamen die schrecklichen Wochen des Kriegsendes. Was sonst an Greueln nicht in hundert Jahren geschah, ereignete sich an einem Tag. Aber die Hoffnung war da und das war schon viel. Der Tiefpunkt war erreicht, jetzt konnte es nur mehr aufwärts-gehen.

Eines Tages ging ein großer schmaler Mann, ein Heimkehrer, durch die Ruinenstraße und fragte nach der Kirche Über ein Trichterfeld wurde er vor einen Trümmerhaufen geführt. Erschüttert stand er davor, nahm den Hut in die Hand und betete. Ob er ein Priester =ei, fragte ihn die alte Frau. Ja!

„Wir werden keinen Pfarrer mehr bekommen. Wer kann es auch verlangen, daß sich ein Herr hieher setzt“, sagte sie traurig.

Der Heimkehrer meldete sich beim Bischof:

„Nach fünf Jahren im Felde bin ich glücklich zurück. Zwei Jahre als gemeiner Soldat, dann als Feldpfarrer.“

Für seine Verwendung habe er eine Bitte. Er sei zufällig durch das Dorf gekommen und habe alles gesehen, er würde gerne dort anfangen. Auch ein Bischof ist froh, wenn er Idealisten unter seinen Männern hat.

Der Neuernannte fand keine Wohnung und keine Kirche, nur ein Trümmerfeld, aber in wenigen Tagen sah man ihn ,in Hemdärmeln mit Krampen und Scheibtruhe einen riesigen Trichter zuschütten, um einen ebenen Bauplatz zu schaffen. Einige redete er an, andere kamen selber und so wurde in der sengenden Hitze des Hochsommers gearbeitet. Manchmal blieben die Helfer aus, wenn sie müde wurden oder sich um etwas zu essen umsehen mußten, denn es war die sdilimmste Hungerszeit. Unverdrossen arbeitete der Heimkehrer weiter und die Vorbeigehenden — es liegt an der Hauptstraße — zeigten auf ihn und sagten voll aufrichtiger Bewunderung, auch wenn sie nicht Kirchengeher gewesen waren:

„Das ist unser neuer Pfarrer. Der packt an!“

Sie kamen wieder und ließen ihn nicht allein, weder beim Ebnen des Platzes noch beim Aufstellen des Holzbaues, denn es war nur ein einziger Fachmann aufzutreiben. Und bei den sdiwersten Arbeiten kamen Nachbarpfarrer, spuckten sich in die Hände und zeigten, daß sie nicht bloß geistige Arbeiter sind. Es gab Krisen, wo nichts weiterging, wo das Material ausging, wo an winzigen Schwierigkeiten alles zu scheitern drohte. Der Pfarrer verlor seinen heiligen Optimismus nicht und behielt recht.

Dnn kam der grofte Tag, n der saubere Holzbau fertig dastand, gekrönt von einem Kreuze, als erster Neubau unter den Trümmern. Unter dem gleichen Dache war Gottesdienstraum und Priesterwohnung. Und das Volk kam nicht bloß zur ersten Messe, es kam immer wieder und die Kirche wurde nicht nur mehr beim ersten Male voll. Ständig sah man neue Gesichter und sie blieben. An den Nachmittagen kamen die Kinder in die Seelsorgestunden, am Abend die Jugendlichen zu den Glaubensstunden. Abgefallene kehren zurück, blühendes kirchliches Leben ist wieder erwacht. Täglich kommen Geflüchtete heim und neugierig treten sie in die neue Kirche und sie gefällt ihnen allen.

Jede Kirche hat beim Gottesdienst ihre eigene Stimmung, das liegt nicht bloß am Bau, sondern an den Menschen, es ist eine ganz bestimmte Atmosphäre. In dieser Notkirche ist alles stiller und gedämpfter, die gemeinsamen Gebete sind inniger und die Gesänge leiser, aber voll von einer ergreifenden Glut. Und wenn der Priester gleich vom Altar aus zu seinen Leuten spricht, so klingt das mehr wie das Wort eines Hausvaters als eine pompöse Predigt. Eine neue Gemeinschaft ist um den Altar entstanden, die Opfer waren nicht vergeblich. Derselbe Gekreuzigte, dem beim Angriff Hände und Füße abgeschlagen wurden, hängt jetzt ergänzt und neugefaßt über dem Eichenaltar. Der Altarstein aber ist das einzige, was noch aus der alten Kirche stammt und so Gott will, wird er auch einmal, wenn es soweit ist, in die neue gemauerte Kirche getragen werden, die das Ziel und die Sehnsucht der Gemeinde ist.

Neuverjüngt steigt so eine Pfarrgemeinde aus den Trümmern. Notker

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung