6560559-1948_45_15.jpg
Digital In Arbeit

Ich

19451960198020002020

Übert ragung aus dem Ukrainischen von Dromyr

19451960198020002020

Übert ragung aus dem Ukrainischen von Dromyr

Werbung
Werbung
Werbung

1. Fortsetzung

…Die Unsrigen gehen zurück: von einer Stellung in die andere: an der Front herrscht Panik und im Hinterlande. Mein Bataillon liegt in Bereitschaft. In zwei Tagen werde ich selbst ins Artilleriefeuer gehen. Mein Bataillon wird zur Unterstützung herangezogen: es sind alles junge Fanatiker der Kommune.

Aber jetzt bin ich hier nicht weniger vonnöten. Ich weiß, was das heißt: „Hinterland“, wenn der Feind an den Stadtmauern steht. Diese verschwommenen Ge- rüchte verbreiten sich mit jedem Tag und schleichen sich wie Schlangen durch die Straßen. Diese Gerüchte trüben schon die Front und die Garnison.

Man berichtet mir:

— Es gehen dumpfe Anklagen.

— Es können Aufstände ausbrechen.

Ja, ja ich weiß: es können Aufstände ausbrechen und meine treuen Agenten spüren in allen Winkeln herum und es ist schon fast nirgends mehr ein Platz vorhanden, diesen schuldigen und doch beinahe unschuldigen bürgerlichen Mist unterzubringen.

Und die Kanonade kommt immer näher und näher. Häufig kommen Boten von der Front. In Wolken erhebt sich der Staub und steht über der Stadt, verdeckt die trübe feurige Sonne. Ab und zu flammen Blitze auf. Trosse ziehen dahin, Lokomotiven gellen alarmierend, Kavallerie fliegt vorbei.

Nur heben dem schwarzen Kommunetribunal steht dunkle Schweigsamkeit.

Ja, es werden Hunderte erschossen werden und schließlich tragen mich die Füße nicht mehr.

Ja; Es hören schon die „Versailler“, wie in der dumpfen und toten Stille des adligen Gutes’ über der Stadt harte und kurze Schüsse aufblitzen: die „Versailler“ wissen:

Es ist Duchonins Stab!

So wurde in der Ukraine volkstümlich die „Tscheka“ .genannt.

…Und die Morgenstunden glitzern in perlmutternen Tautropfen und in das frühe Morgenrot fällt der Nebeldunst des fernen Waldes.

Und die dumpfe Kanonade wächst.

Es wächst die drohende Stimmung vor dem Gewitter: bald wird der Sturm da sein,.,.

… Ich trete in das fürstliche Gut hinein.

Dr. Tahabat und der Wächter trinken Wein. Andruscha sitzt bedrückt in einem Winkel. Dann tritt Andruscha auf mich zu und sagt naiv traurig:

— Höre, Feund! Entlasse mich!

— Ich entgegne: Wohin?

—. Andruscha: An die Front! Ich kann nicht mehr länger hier sein.

Oha! Er kann nicht mehr länger hier sein. Und plötzlich lodert in mir eine Bosheit auf. Es brach endlich in mir. Ich hielt mich lange zurück. — Er will an die Front? Er will weg von dieser schwarzen, schmutzigen Angelegenheit? Er will seine Hände in Unschuld waschen und rein sein wie eine Taube? Er hat mir sein Recht, sich in der Blutlache zu baden, abgegeben?

Dann schreie ich: — Sie vergessen sich! Hören Sie?… Wenn Sie nochmals darüber sprechen, erschieße ich Sie auf der Stelle!

Dr. Tahabat platzt mit Nachdruck heraus So gebührt’s ihm! So geschieht ihm recht! — Und ein Gelächter polterte durch die leeren Gemächer der Fürstenzimmer. — So gehört es ihm! — So geschieht ihm recht! —

Andruscha erbleichte und ging aus dem Zimmer hinaus.

Der Doktor sagte: — Schluß! Ich raste mich aus! Arbeite du noch!

Ich frage: Wer ist an der Reihe?

— Sache 282 —

Ich: Hereinführen! —

Der Wächter ging schweigend wie ein Automat aus dem Zimmer. — Ja, das war der unersetzbare Wächter. Nicht nur Andruscha — auch wir machten Fehler: ich und der Doktor. Wir haben uns oft gesträubt, die Erschießungen zu überwachen. Aber er, dieser Degenerierte, war immer Soldat der Revolution und ging nur dann vom Plan, wenn sich die Pulverschwaden verzogen hatten und die Erschossenen eingegraben waren.

…Der Vorhang teilte sich und in mein Arbeitszimmer traten zwei ein: eine Frau in Trauer und ein Mann in Pincene. Sie waren äußeret erschreckt durch die Einrichtung: aristokratischer Luxus, fürstliche Porträts und blauer Zigarrenrauch.

Ich: — Ihr Familienname? —

— Z —

— Ihr Familienname? —

— X —

Der Mann preßte die dürren bleichen Lippen zusammen und verfiel in einen un-vermittelt weinerlichen Ton: er bat um Gnade. Die Frau wischte sich mit einem Tuch die Augen aus.

Ich: — Wo sind Sie ergriffen worden? —

—- Dort und dort. —

— Weswegen wurden Sie ergriffen? —-

— Für das und das. —

Aha, bei ihnen war Versammlung! Wie kann nur zu solch einer aufgeregten Zeit zu nächtlicher Stunde in einem Privatquartier eine Versammlung stattfihden?

Aha, Sie sind Theosophen! Sie suchen die Wahrheit! Eine neue?…

Ja, ja … Wer ist es denn? Christus? … Nein?… Ein anderer Retter der Welt?… So, so! Weder Konfuzius noch Laotse noch Buddha noch Mohammed nicht einmal der Teufel hat sie befriedigt!… Aha, ich verstehe: Der leere Platz muß ausgefüllt werden! …

Ich: — So ist freilich Ihrer Meinung nach die Zeit für einen neuen Messias reif geworden?

Der Mann und die Frau: — Ja —

Ich: — Sie meinen also, daß man diese psycholofgiische Krisis sowohl in Europa als auch in Asien und in allen übrigen Erdteilen merken muß?

Der Mann und die Frau: — Ja —

Ich: — Warum zum Teufel denn, verflucht nochmal, machen Sie denn diesen Messias nicht aus der Tscheka?

Die Frau begann zu weinen. Der Mann erbleichte noch mehr. Die strengen Porträts des Fürsten und der Fürstin blickten bedrückt von den Wänden. Der Lärm der Kanonade und das Alarmsignal vom Bahnhof drangen herein. Ein feindlicher Panzerzug hat einen Angriff auf unseren Bahnhof begonnen — wird im Telephon gemeldet. Aus der Stadt drängt Lärm herauf: über die Brücke knarren die Räder der MG- Wagen fort.

… Der Mann fiel auf die Knie und bat um Gnade. Kraftvoll stieß ich ihn mit dem Fuß — er schlug rücklings auf den Boden.

Die Frau drückte den Trauerschleier an die Schläfe und stürzte sich voll Verzweiflung auf den Tisch. Die Frau sagte leise und wie tot: Hören Sie, ich bin Mutter von sechs Kindern!…

Ich: — erschießen! —

Sofort sprang der Wächter zu ihnen hin und in einer halben Minute war niemand im Zimmer. Dann schritt ich zum Tisch hin, goß mir aus einer Karaffe Wein ein und trank es in einem Zug aus. Dann legte ich die Hand auf die kalte Stirn und sagte: — Weiter! —

Der Degenerierte trat ein. Er rät mir, die Angelegenheiten beiseite zu schieben und eine außerordentliche Sache vorzunehmen.

— Eben brachte man aus der Stadt eine neue Gruppe „Versailler“, es scheint, alles Nonnen, sie hielten auf dem Markt eine öffentliche Kundgebung gegen die Kommune ab.

Ich trat in meine eigentliche Rolle ein. Nebel stand vor meinen Augen Und ich befand mich in jenem Zustand, den man als außergewöhnliche Ekstase qualifizieren kann.

Ich schritt zum Fenster hin und sägte: Herein mit ihnen! In das Arbeitszimmer ergoß sich ein ganzer Schwarm von Nonnen. Ich habe es nicht gesehen, aber ich habe es gefühlt. Ich blickte auf die Stadt. Ich wandte mich lange nicht um. Keine von ihnen wird in zwei Stunden noch sein! — Es dämmerte. Neuerdings durchschnitten wetterleuchtende Blitze die Landschaft. Am fernen Horizont hinter der Ziegelei stiegen Rauchwolken auf. Die „Versailler“ greifen heftig und wütend an — wird durch das Telephon gemeldet. Auf den leeren Landstraßen zeigen sich nur ab und zu Trosse und ziehen sich eiligst nach Norden zurück. In der Steppe stehen wie ferne Helden die Schutzposten der Kavallerie.

Alarm! —

In der Stadt sind die, Krämerladen fest verschlossen. Die Stadt ist wie tot und nähert sich dem Zustand der Städte des fernen, wilden Mittelalters. Am Himmel wachsen die Abendsterne empor und übergießen die Stadt mit einem grünen Schein wie Irrlichter. Dann verlöschen und verschwinden sie.

Aber ich muß eilen! Hinter meinem Rücken steht eine Gruppe Nonnen. Wohin muß ich eilen? Im Keller ist alles zum Bersten voll.

Ich drehe mich entschieden um und will das Wort sagen, das kein Entrinnen kennt:

Erschießen! —

Aber ich drehe mich um und sehe — gerade vor mir steht meine Mutter, meine traurige Mutter mit den Marienaugen.

Ich sprang in der Aufregung zur Seit? und schrie: Du!?

Und ich höre aus der Menge der Frauen das Besorgte:

— Mein Sohn! Mein inniggeliebter Sohn!

Ich fühle, daß ich beinahe umsinke. Mir ist schrecklich übel zumute. Mit der Hand klammere ich mich an einen Stuhl und beuge mich darüber.

Aber in dem Moment erdröhnte lautes Gelächter, brach sich an der Decke und verklang. Das war Dr. Tahabat!

Mutti! — Ach du Teufelsbraten! Willst du a — a? Mutterle!

Ich kam plötzlich zur Besinnung und umkrampfte mit der Hand die Mauserpistole. — Du Teufel! — Und ich warf mich auf den Doktor.

Aber jener blickte nur kalt auf mich und sagte: — Nun, nun, nur ruhig, Verräter der Kommune! Zeig nur, daß du auch mit deinem Muttchen abrechnen kannst er betonte das „mit deinem Muttchen“, wie du es auch fertiggebracht hast, mit anderen abzurechnen. Und schweigend ging er fort.

… Ich war wig zu Stein erstarrt. Bleich, fast wie ein Toter, stand ich vor der schweigenden Menge der Nonnen, mit aufgerissenen Augen wie ein zu Tode gehetzter Wolf. Das sah ich in dem gigantischen Trumeäu, der mir gegenüber an der Wand hing.

— So! —

Nun ist auch der andere Teil meiner Seele erfaßt. Nun werde ich nicht mehr an den Stadtrand zu gehen brauchen, um mich vor dem Verbrechen zu verbergen.

Und jetzt habe ich nur mehr ein Recht: — Niemanden, niemanden werde ich jemals und sei es auch nur mit einem Worte sagen, wie ich mein eigenes „Ich“ gespalten habe.

Und ich habe den Kopf nicht verloren.

Die Gedanken zerschnitten mir das Gehirn. Was muß ich tun? Versage ich, der Soldat der Revolution, denn nicht in diesem entscheidenden Augenblick, verlasse ich denn meinen Posten und verrate feige die Kommune?

… Ich preßte die Kiefer aufeinander, finster blickte ich auf meine Mutter und sagte scharf: Alle in den Keller! Ich werde gleich dort sein!

Aber ich hatte dies noch kaum aus-gesprochen, als das Arbeitszimmer neuerlich von einem schallenden Gelächter erdröhnte. Da wandte ich mich zum Dr. Tahabat um und warf nachdrücklich hin:

— Doktor, Tahabat! Sie haben anscheinend vergessen, mit wem Sie es zu tun haben! Wollen sie vielleicht auch vor den Stab Duchonins kommen? … mit diesem Gesindel? Ich wies mit der Hand auf jene Stelle, wo meine Mütter stand, und Verließ schweigend das Zimmer.

Hinter mir hörte ich nichts…

Vom Gute aus schritt ich wie trunken ziellos in die Abenddämmerung des drückenden, gewittrigen Abends hinaus. Der Kanonendonner wuchs. Von neuem ballten sich über der Ziegelei die Geschoßwolken. Jenseits der Hügelgräber dröhnten Panzer- ? züge. Zwischen ihnen spielte sich ein ejit- , scheidendes Duell ab. Die feindlichen Regimenter griffen die Insurgenten wütend und mit Erfolg an. Man spürte in der Luft die ‘ drohenden Erschießungen.

Ziellos schritt ich weiter. An mir zogen die Trosse, flogen die Kavalleristen vorbei, knarrten über die Brücke die MG-Wagen. Die Stadt stand in Staub gehüllt und der Abend hat das Drohen eines bevorstehenden Gewitters nicht aufgelöst.

Ohne Ziel schritt ich weiter, Ohne Gedanken, mit einer stumpfen Leere, mit einer zentnerschweren Last auf dem gekrümmten Rücken.

Ziellos schritt ich weiter. Ja, das waren unerträgliche Augenblicke. Es war Lüge. Aber ich wußte schon, wie ich handeln werde.

Ich wußte es schon damals, als ich das Schloß verließ. Andernfalls wäre ich nicht so schnell aus meinem Arbeitszimmer fortgegangen.

Nun ja, ich muß konsequent bleiben.

Und die ganze Nacht hindurch erwog ich die Angelegenheiten. Dann, im Verlaufe einiger dunkler Stunden, ertönten in gleichmäßigen Abständen kurze und harte Schüsse.

Ist es denn meine Schuld, daß mich das Bild meiner Mutter die ganze Nacht hin- durch nicht einen Augenblick verließ? Ist es denn meine Schuld?

In der Mittagszeit kam Andruscha und warf finster hin:

— Höre, erlaube sie freizulassen!

Ich frage: Wen?

— Deine Mutter!

Ich schweige …

Dann spüre ich, daß ich lachen könnte, bis es mir weh täte. Ich halte es nicht aus und lache brüllend, daß es durch alle Zimmer schallt.

Andruschka blickt streng auf mich. Man kann ihn einfach nicht erkennen.

— Höre, wozu dieses Melodrama?

Mein naiver Andruscha wollte für diesmal scharfsinnig sein. Aber er täuschte sich.

Ich fahre ihn grob an: Scher dich zum Teufel!

Andruscha erbleicht auch diesmal.

Ach, dieser naive Kommunist verstand schließlich gar nichts. Er wußte buchstäblich nicht, wozu diese unsinnige tierische Grau-samkeit diene. Er merkte hinter meinem kalten steinernen Gesicht nichts.

Ich befehle ihm: Telephoniere und erkundige dich, wo der Feind steht!

In diesem Moment flog zischend ein Geschoß über uns hinweg und krepierte in der Nähe. Die Fenster klirrten und ein Dröhnen hallte durch die widerhallenden leeren fürstlichen Gemächer.

Im Telephon wird gemeldet: die Versailler“ greifen erfolgreich an, schon nahe in einer Entfernung von drei Werst. Kosakenaufklärungsabteilungen sind neben dem Bahnhof erschienen. Die Insurgenten gehen zurück. Ein fer.nes Bahnhofssignal gellt auf.

… Andruscha sprang auf und nach ihm auch ich.

… In der Ferne raucht es. Wieder sind am Horizont Rauchwolken aufgestiegen. Der Staub steht über der Stadt in einer Wolke. Die Sonne erscheint wie Kupfer und der Himmel ist nicht zu sehen. Nur hoch oben ziehen am fernen Horizont trübe Staubwolken. Von der Straße erheben sich phantastische Staubmassen, fliegen in die Höhe, zerschneiden den unendlichen Raum, durchfliegen die Siedlungen und aufs neue drängen und drängen sie heran. Es war wie die zauberhafte Stimmung vor einem Gewitter.

… Und hier wimmern die Kanonen. Kavalleristen fliegen vorbei. Nach Norden strömten MG-Wagen und Trosse zurfck.

.. Ich vergaß alles. Ich hörte nichts und — ich erinnere mich selbst nicht, wie ich in den Keller geriet.

Mit Klirren krepierte neben mir ein Schrapnell und im Hofe wurde es leer. Ich schritt zur Tür, und eben, als ich durch das kleine Fensterchen blinzeln wollte, ergriff mich jemand an der Hand. Ich drehte mich um — es war der Degenerierte.

Das ist eine Wache! Alle sind sie fortgelaufen … hi.. .hi…

Ich frage ganz erstaunt: Sie?

Er: Ich? Oh, ich … und er klopfte mit dem Finger an die Tür.

Ja, das war ein treuer Hund der Revolution. Er wird auch auf der Lauer stehen, nicht nur in solchem Feuer.

Ich erinnere mich, daß ich hernach dachte: Das ist der Wächter deiner Seele. Und gedankenlos wanderte ich auf die öde Stadt zu.

Fortsetzung folgt

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung