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Isonzo 59

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BOHINJSKA BISTRICA - so steht es in großen Lettern auf dem Stationsschild gemalt. Der frische Wind zaust am Efeulaub und zieht dünne Staubfahnen vom trockenen, harten und weißlichgrauen Boden. Eine Schar munterer Schulkinder steigt in den Zug. der von Aßling her gekommen ist. Mit den Kindern steigt als letzter, aufmerksam umherblickend, auch ein wohlbewaffneter Soldat ein — gleichsam, um hier in der schier weltentlegenen herrlichen Alpenlandschaft daran zu erinnern, daß die Grenzzone beginnt. Indes die Kinder, Mädchen und Burschen zuerst die Erlebnisse des Vorrecht passend — indessen hat es sich der Soldat gemütlich gemacht und blickt angelegentlich aus dem Fenster in der Fahrtrichtung links, während hinter seinem Rücken jemand rechts photographiert. Bald umfängt uns die Nacht des Wocheinertunnels. Es folgt Podbrdo am Südportal. Ein paar Kinder steigen aus, der Soldat dreht sich das erstemal um. Nach Grahovo und Podmelec macht die Bahn einen Haken nach Süden, für einen ganz kurzen Augenblick blitzt nordwestlich die beschneite Spitze des Krn auf. Der Zug hält in Mosti nad Soči, was zu deutsch „Brücke am Isonzo" bedeutet; es ist die alte Station St.-Lucia-Tolmein. Die letzten Kinder steigen aus. Wahrscheinlich gehen oder fahren sie nach Tolmein.

VON DER BAHNSTATION, in der überhaupt kein Fremder — wie fast überall hier — aussteigt, geht es auf einer gut instand gehaltenen Straße nach Tolmein, das jetzt Tolmin heißt, nachdem es auch schon einmal Tolmino benannt war. Heute mögen etwa 1800 Einwohner da leben. Man sagt dem Ort, in dem Karl der Große im achten..Jahrhundert eine Grafschaft.- gegründet hat, wegen 'der rebenumrankterr Steinhäuser südländisches Gesicht nach'. Aber das allgemein Slawische.- das 'Uns seit -der Wurzener und Wocheiner Save begleitet, herrscht doch vor. Im Friedhof erinnern Soldatengräber an die erbitterten Kämpfe um den Brückenkopf von Tolmein-Woltschach. Auf dem Schloßberg soll Dante etliche Gesänge seiner „Divina Commedia“ geschrieben haben; waren sie aus dem „Inferno“, dann waren sie eine Vorahnung. Zur linken Hand hat man. wenn man auf der guten Straße bis Karfreit fährt (heute Kobarid, ein anderes Mal Caporetto), den durch die Durchbruchsschlacht bekannten Kolowratrücken. Etwa 14 Kilometer hat man bis Karfreit, heute eine Viertelstunde Autofahrt, vor zweiundvierzig Jahren war es eine Wüstenei. Flitsch, das man heute Bovec nennt, hat sich zu einem Luftkurort entwickelt.

DAS ENGTAL BIS AUZZA wirkt bedrük- kend, unwirklich, ist eine Welt außerhalb der unseren. Kaum sieht man, wenn der Zug aus einem der zahlreichen Tunnels herausstößt, auf der Straße drüben am rechten Isonzoufer einen Menschen. Und gerade dieses Fehlen von Menschen, von Tieren, von Fahrzeugen verstärkt den beinahe gespenstischen Eindruck. Darüber kann das Grün des Flusses, können die steilen, in einem Menschenalter doch schon wieder, wenn auch oft nur buschartig bewaldeten Berge nicht hinwegtäuschen. Bei Canale, heute „Kanal“ genannt, wirkt die Landschaft erstmals südlich.

Hier haben die Jugoslawen Industrie aufgebaut. Der Begleitsoldat steigt gemächlich aus. Ein halbleerer, etwas wackeliger Autobus wartet, und als niemand zusteigt, verschwindet er in einer Staubwolke. Weiter folgt Plava, wo sich in der dritten Isonzoschlacht die Wiener Deutschmeister auszeichneten, es war Spätherbst wie jetzt; darauf Zagora und die Höhe 383 — und dann wieder eine Enge. Leider hat auch der Isonzo, den die Slawen Soča nennen, seinen Tribut an die Stromkraftwerke entrichten müssen, stellenweise ist das Flußbett fast wasserleer, bis irgendwoher von der Seite wieder der Zuleitungskanal kommt. Der Zug rollt über die Salcano- brücke, seinerzeit die größte Wölbebrücke der Welt, mit ihren 85 Metern Spannung ein Meisterwerk österreichischer Ingenieurkunst, von dem Maler-Radierer Ludwig Michalek während des Baues im Bild festgehalten. Rechts steigen die Hänge des Monte Sabotino, links die des Monte San Gabriele auf, der alle Isonzoschlach- ten hindurch im Besitz der alten Armee blieb, der Monte San Gabriele mit seinen 646 Metern Höhe, der blutigste Berg der Kriegsgeschichte. In der 11. Isonzoschlacht wurde er von hunderttausend Italienern angegriffen, sechsmal erobert, ein siebentes Mal vom Linzer Infanterieregiment Nr. 14 zurückgewonnen, wobei dieses zwei Drittel seines Bestandes verlor. „Teufelsberg ittit-'dem'leiiigeiir Namen“ hieß ennittm sechzehn’ Meter ist er durch Artilleriebeschuß r-riiedrigerfgiwerden. Noch -ihnmet nfendvan

Schutzlöcher, eingestürzte. Verbindungsgräben und Granatsplitter.

IN NOVA GORICA kommt man an und wird erstaunt betrachtet, wenn man nach dem Weg fragt, der nach Görz führt. Die Bezeichnung „Gorizia“ ruft eisige Distanz hervor. In Wien, und zwar in einem repräsentativen ausländischen Reisebüro, hatte man versichert, Gorica und Gorizia wären ein und derselbe Bahnhof, „ein Teil gehört den Italienern, einer den Jugoslawen". Das stimmt nicht. Nova Gorica ist der alte österreichische Staatsbabnhof. Gleich hinter dem unansehnlichen Gebäude verwehrt ein hohes Drahtgitter das Weitergehen. Hinter dem

Gitter spazieren Alpinis auf und ab. Der Autobus, der dort seine Schleife macht, mutet ziemlich sinnlos an. Der Weg in die Stadt führt den Bahngeleisen entlang. Ich schließe mich einer alten Frau an, die sehr gut deutsch spricht. Wir gehen in einem Tunnel, in dem plötzlich das Bahngeleise aufhört und mit einem breiten Prellbock abgeschlossen ist. Von den Tunnelwänden plätschert das Wasser. Was für eine Verbindung das wäre, die keine ist, frage ich. „Das war die Südbahn“, sagt die Frau. Für diese alte Frau gibt es, wie für uns Wiener, noch den alten Begriff „Südbahn“. Sie fragt, woher ich käme; und als ich antworte: „Aus Wien", sagt sie nur: „Wien! Oesterreich!“ Bei dem Uebergang, der für den lokalen Grenzverkehr bestimmt ist, müssen wir uns trennen. Wer einen Paß und gar, wie ich, einen Koffer besitzt, muß die Zollstraße ein Stück weiter südlich nehmen. Auf diese Weise wandert der Reisende um Görz herum. Bei der jugoslawischen Grenzabfertigung werde ich (man hat einen Kofferzettel „Lub- Ijana" gelesen) entgegenkommend empfangen, jedoch nicht ohne Erstaunen, weshalb ich denn zu Fuß über die Grenze komme und nicht den

•_ Bahnübergang bei Sesana benützte. Der Grenz- , Polizist verhandelt mit einer verschlossen aus- sįepgęn,.piyfąrnuįerten Beamtin ge&,jpeMier. vorhandenen Dinare. Während ich diese bei „Putnik“ bis auf einen kleinen Rest, der nicht mehr gewechselt wird, umtausche, widmen sich die Zöllner des Duplikats der „Carinska put- nička prijava“ (Zollerklärung) aus Aßling. Der Beamte beim amtlichen Reise- und Wechselbüro „Putnik“ erkundigt sich sogleich, als er hört, ich sei Oesterreicher und Wiener: „Wie schaut es dort aus?“ Nach meiner Auskunft kündigt er an: „Heuer habe ich nicht nach Oesterreich fahren können, aber nächstes Jahr, da wird es bestimmt. Ich habe einen Bruder in Melk, den ich besuchen möchte.“ Er blickt in den Paß und fragt, wo meine Frau sei. „Ach, kann nicht mitfahren, arme Frau, kaufen Sie ihr da Andenken, schöne, haben wir Serviettering, Blumenkorb, alles Handarbeit, billig . ..“

BEI DEN ITALIENERN hinter det ..Casarossa“ (die Bahnbrücke, ein Tor bildend, an der Strecke Nova Gorica-Sesana, gehört noch den Jugoslawen) geht es etwas umständlicher. Der Kofferzettel wirkt eher erschwerend. Und gar die Blechdose mit den Kopfschmerzpulvern! Es ist etwas schwierig, den weißen Inhalt zu erklären, ohne Oeffnung eines Pulverpapiers geht es nicht ab. Die Herren hätten vielleicht gekostet. Aber das Wort „Apotheke", das auf dem Papier stand, besiegte ihr Mißtrauen. Von „Gorizia Centrale" (dem alten Südbahnhof) fahre ich weiter auf den Monte San Michele zu und nach Redipuglia, dieser im Vergleich zum österreichisch-ungarischen Friedhof überdimensionalen Grabstätte, die, obzwar sie 1952 fertiggeworden sein soll, doch offensichtlich die Planung des „Impero“ zeigt: Zweiundzwanzig mannshohe Steinabsätze, links und rechts Treppen, von Zypressen flankiert, oben drei Kreuze, darunter eine Krypta. Der Karstwind fegt über die Höhe. Vier Kilometer, hinter der Wüste aus Stein und Buschwerk, liegt Doberdo, wo in der Nähe heuer eine Gruppe von Höhlenforschern noch die Skelette von dreizehn unbekannten .os ęrteichįscjiąn oldątęn .fand. Man,;g bt die mannshohen Stufen entlang und liest Name um W- VSfi1)Fli fr(XXriiBdzwan ig T jNur an einer einzigen Stelle bemerkte ich ein vertrocknetes Blumenbüschel. Eine Stelle — für dreißigtausend!

GÖRZ IST EIN TRAUM, soweit die alten Gassen noch übriggeblieben oder im alten Stil aufgebaut wurden, ein Traum abseits der Zeit. Fremde bemerkt man weder in der Stadt noch auf dem Weg zur Isonzobrücke. Diese Brücke — wer von unseren tapferen Soldaten des ersten Weltkrieges kennt sie nicht? Vergessen ist die „Piazza della Vittoria"und die „Via Brigata Pavia“! Von der Stätte der alten Papierfabrik raucht es friedlich. Vor mir liegt die Podgora grün und still. Die Straße nach Pevma ist wieder nahezu menschenleer. Da warnt eine Tafel:

„Photographieren und Gebrauch von Ferngläsern verboten" in vier Sprachen. Welche Besorgnis! Von dem „Al-Ponte“-Uebergang photographiere ich dennoch nach allen Seiten. Unten, in der Stille des späten Nachmittags, rauscht der Isonzo. Oben aber auf dem Kastell - nachdem ich mich noch mit einem martialischen Bild Mussolinis in einem Schaukasten der MSI auf dem Marktplatz sinnend abgegeben, flattert die Trikolore. Wer kommt hierher? so fragt man. Kaum jemand. Aber einem weißhaarigen Mann, einem Oesterreicher, bin ich begegnet, der seiner Frau erzählte, wie er einst hier Steine schleppen mußte. Hinter den Zinnen geht man. hoch über der Stadt, bedrückt hin und her. Die zertrümmerte Altstadt zu Füßen des Kastells ist in Rasenflächen und Parkanlagen verwandelt worden. Auf einer Zinne kann der, welcher keine Karten mit hat, nochmals die Namen lesen, die wie Paukenschläge hallen: Podgora, Oslavija, Monte Sabotino, Monte San Gabriele; dahinter am Horizont streift der Blick das Plateau von Bainsizza-Heiligengeist, gleitet zurück zum Rosental. nach Vertojba, zum Monte San Michele . . . Längst ist schon der Abend gekommen. Ein schwüler Wind, in dem Rosenduft liegt, kommt auf. Im Nordwesten, zwischen dem Ternowaner Wald und dem Sabotino. gegen die Hochfläche von Bainsizza geistert in unregelmäßigen Abständen hellflächiger Schein. Es ist nur Wetterleuchten.

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