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Fritz Schwarz befragte Fremde in Wien Herbert Hrebicek photographierte

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Fritz Schwarz befragte Fremde in Wien Herbert Hrebicek photographierte

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Wien wird gegenwärtig von Fremden überschwemmt. Die Donaustadt bildet aber im Sommer keine Ausnahme. Auch Paris, Rom und Florenz sind, wie jedes Jahr, „erobert“. Alle wollen ja in Florenz den David des Michelangelo sehen — and David wants to see them. Autos mit Nummernschildern aus aller Herren und Genossen Ländern stehen eng an- einahdergereiht auf den Plätzen der Wiener Innenstadt, denn der Verkehr ist, frech nach Clausewitz, die Fortsetzung des Gehens mit anderen Mitteln. In der Kärntnerstraße, auf dem Helden- und Stephansplatz sieht man fast nur Fremde. Man erkennt sie, an der Kamera, die vor ihrem Bauch baumelt, „das Land der Phäaken mit der Leica suchend“. Einige Bundesländer klagen über einen leichten Besucherschwund. Die

Touristen seien heuer Transittouristen, heißt es. Vielleicht stimmt es, vielleicht auch nicht. Erst im Herbst liegen die Statistiken vor.

„Wir in Wien spüren davon nichts. Eher das Gegenteil“, sagt ein Portier eines Hotels, das im „Führer“ unter Kategorie II rangiert. Allerdings ist der Juli und’ der August nicht mehr die absolute Spitze, weil man schon den Juni und den September entdeckt hat. Sie sind ideale Ferienmonate, gelten als Vor- beziehungsweise Nachsaison, sind daher billiger. Entweder kommt der Urlauberstrom erst oder er ist schon verebbt. Wir haben nun einige Wien-

Besucher gefragt, woher sie kamen, weshalb sie kamen, was ihnen gefiel und was nicht.

Eben löst sich eihe Ladung von Touristen aus einem Bus, der vor der Kapuzinergruft hält. . ,,Oh, yes, Vienna is a wonderful town“, sagt ein älterer Herr aus Philadelphia, der mit seiner Schwester einen Europatrip macht. Sie sind Pensionisten und leben hier natürlich viel billiger als drüben. Nur mit Gewalt kann ein jüngeres Ehepaar, aus Göttingen bei der Opernpassage seinen hellblonden Buben zum Weitergehen bringen. Er ist die Rolltreppe schon sechsmal herauf- und hinuntergefahren, und das alles gratis. Was sie in Wieh gesehen haben? „Natürlich Schönbrunn. Zauberhaft dieses Schloß. Gefällt uns fast besser als Versailles, es wirkt irgendwie freundlicher.“ Dem Mann, er ist Chemiker, gefiel besonders der Blick auf den Heldenplatz vom Ballhausplatz her. „Einfach umwerfend. Aber wie werdet ihr hier mit eurem Verkehr in den engen Gassen der Altstadt fertig? Das ist mir schleierhaft.“

Auf den Stephansturm wäre wahnsinnig gerne eine ältere Dame gestiegen. Sie kommt aus Lüttich. Ihre Beine tun’s nimmer. So ist sie mit dem Aufzug auf den Nordturm gefahren und hat sich über die Pummerin erzählen lassen, die sie" bestaunte. Auch ein Konzert hat sie besucht. Es war nur ein wenig zu heiß. —. Eih Berliner mit seinem Jungen ist von der Umgebung hingerissen. „Wir leben doch eingesperrt. Kannst jar nich raus,“ Im Marchfeld war er wochentags. „Wenig Leute, aber viel Atmosphäre. Die Schlösser, so richtig romantisch.“ Übrigens findet er die Wiener „Schupos“ schick gekleidet. — Bepackt und schwitzend stehen zwei junge Damen in Blue jeans auf dem Schwarzenbergplatz. Sie wollen nach Mariahilf in die Jugendherberge. Quer über ihre Rucksäcke steht in weißer Schrift „Australia“. Es sind Studentinnen. Sie trampen durch Europa. „It’s too hot“, keuchte die eine, währehd sich die andere den

Schweiß von der Stirn wischt. Ihr Programm können sie in einen Satz kleiden. Sechs Wochen Europa, davon drei Tage Wien. Ob sie etwas Bestimmtes besuchen wollen? „Ja, ein Schwimmbad!“

Etwas länger Zeit für Wien läßt sich ein amerikanisches Ehepaar aus Minnesota. Sie sind schwedischer Herkunft. Er, ein Lehrer, hatte hier als Fulbright-Student zwei Semester lang studiert und spricht ganz gut Deutsch. „Im Sommer, wenn die Stadt leer ist, kann man viel mehr sehen. Der Josephsplatz ist ganz ohne Cars.“ Vier Tage haben sie für Museen und Palaces aufgewendet, eineh Tag für Heiligenkreuz, Vetsera- Grab und Mayerling.

Ein Detmolder Pkw-Fahrer (Ford- Taunus) läßt sich bei der Tankstelle am Hof Sprit geben, ehe er nach Graz weiterfährt. „Die Westautobahn habt ihr ja nun fertig. Wann wird’s denn mit der Südautobähn soweit sein?“ Ihm sind die Straßenverhältnisse wichtig.

Auch zwei junge Leute aus Aberdeen haben nur wenig Zeit für die Sehenswürdigkeiten. Sie knipsen den Hochstrahlbrunnen und das Russendenkmal. Sie wuhdern sich, daß der Soldat eine MP trägt und einen Schild. Das schönste an Wien sind die freundlichen Einwohner, sagt eine Holländerin aus Apeldoorn. „In Frankreich ist man verloren, wenn man nicht Französisch spricht. Kein Mensch bemüht sich, einen zu verstehen.“ Unlängst hatte sie um Auskunft gefragt und im Nu standen drei Wiener um sie herum. Sie hat sie nicht verstanden, aber schließlich herausbekommen, daß die einstige Villa von Richard Strauss das gleiche Gebäude ist, in dem • nun die Botschaft ihres Heimatlandes ihren Sitz hat. Eine Ehepaar aus Freiburg hat gerade das „interessante gotische Rathaus“ bewundert und war erstaunt, daß es zu den „Ringstraßenbauten“ gehört, also zu jenem genialen Stilmisch- masoh des 19. Jahrhunderts. Er be dauert, daß das Burgtheater geschlossen ist. Sie hat sich beklagt, daß auf einem Postamt nur zwei Schalter geöffnet waren und sie lange warten mußte.

„Wien ist eine der schönsten Städte, die wir je gesehen haben“, äußert spontan eine Gruppe Franzosen aus Rennes, die in einem schattigen Gasthausgarten Gulaschsuppe essen und Bier vom Faß trinken. Auch die Höflichkeit der Polizisten rühmen sie. Aus der alten Reichsstadt Memmingen kommt ein bejahrtes Ehepaar, das sich im Inneren Burghof aufhält. Der Sprache nach sind es aber keine Schwaben. Wie sich herausstellt, stammt er aus Troppau und sie aus Pardubitz. Er hatte seinerzeit als junger Mann beim k. u. k. Infanterieregiment Nr. 1 dem Kaiser gedient. „Der Hötzen- dorf war dort einmal Kommandant“, sagt er. Und ntfti erklärt er seiner Frau, wie das hier einmal war, daß da die Burgwache ins Gewehr trat, wenn der Schnarrposten rief: „Gewehr errrausss!“ Jetzt als alter Mann wollte er noch einmal herkommen.

Eine Herr schält sich aus seinem Fiat heraus, genau gegenüber dem Belvedere. Er ist Architekt aus Udine, hat moderne Häuser für die nordadriatischen Badeorte gebaut. Nun sieht er sich das Belvedere an, denn von Lukas von Hildebrandt hat er schon in der Studentenzeit gehört. ,,Un’ arohitettura maestro.“ Ein Hamburger Ehepaar mit zwei Kindern ist schon eine Woche hier. Sie besichtigen nur einige Sehenswürdigkeiten. „Wir sind nicht so sehr auf Denkmäler aus. Land und Leute interessieren uns viel mehr.“ Hier könne er sich gut erholen. Gute Luft, große Wälder. Daß man in der Donau baden kann, wundert ihn. „Probieren Sie das mal im Rhein oder Main, da können Sie gleich anschließend in die Hautklinik gehen."

Aus Lautlihgen kommt ein Maschineningenieur. Lautungen ist die Heimat des Hitler-Attentäters Stauf- fenberg. Er arbeitet in Heidenheim. Mit seiner Braut ist er auf der Durch-

fahrt zum Plattensee. Zwei Tage bleiben sie hier. Ein Heurigenbesuch steht auf dem Programm. München ist die Heimat eines Druckereibesitzers. Mit seiner Frau, einer Norddeutschen, kommt er aus Hamburg und bleibt sechs Tage in Wien. Dort wurde er 1945 als Angehöriger einer Gebirgsdivision verwundet, die sich auf dem Rückzug befand. „Ich hab’ den Platz wiedergefunden, wo’s mich damals derwischt hat, g’wiß wahr. Es war a glatter Heimatschuß. Alles prima verheilt.“ Aus Oregon stammt eine 23jährige Studentin. Ihre Gruppe sitzt noch in dem Restaurant, während sie schon fertig ¡st und auf die anderen wartet. Sie lassen sich, wie so viele Amerikaner, von Frommers „Europa für fünf Dollar täglich“ leiten. Oregon ist noch eine naturbelassene Gegend. Holzfäller und so. Sie ist beeindruckt von der Tradition, vom Handkuß und vom Demel.

Das Heeresgeschichtliche Museum war es, das Svetozar K., einen Kaufmann aus Agram, beeindruckte. Er spricht das harte Deutsch der Südslawen und sinniert noch über den Sarajewo-Saal, wo er lange vor dem Auto des Thronfolgers stand. Er war schon an der Lateinerbrücke in Sarajewo gewesen, wo Gavrilo Prfticip gestanden ist, als er die verhängnisvollen Schüsse am 28. Juni 1914 abgefeuert hat. Aus Edinburgh kommt der Inhaber e:r es Selbstbedienungsladens. Zwei Jahre war er hi’r Besatzungssoldat gewesen. Er verwendet einen Ausdruck der englischen Soldatensprache, der etwa der „ruhigen Kugel“1 entspricht.

Ein Herr, braungebrannt und dunkelhaarig, der Typ eines Südländers, entpuppt sich als waschechter Gmundner. „Ich habe hier nur beruflich zu tun. Immer möchte ich nicht da leben. Es ist zu laut“, sagt er.

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