Österreich ist gezellig

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Bilder des eigenen Landes in Amsterdam und auf Reisen.

Wie kommt es, dass wir Fremde immer erst fragen, wo sie herkommen, und viel später erst oder auch gar nicht nach ihrem Namen? Jemand, der sich neben mir an die Fensterluke drängt, fragt mich ohne weitere Einleitung, woher ich denn sei. Argentinien, sage ich. Ah, beautiful country, sagt der andere. Ja sicher, sage ich, und versuche mich zu erinnern, welche Städte in Argentinien liegen. Es ist nicht etwa so, dass ich mich schämte, Österreicherin zu sein, ganz im Gegenteil. Doch wenn man mehr als fünf Mal pro Tag ohne ersichtlichen Grund nach der Geografie seines Geburtsortes gefragt wird, und das über Monate hinweg, ist es kaum mehr zu ertragen, die eigene Stimme diese Landschaften und Ortsnamen aufzählen zu hören, die einem ebenso zufällig zugefallen sind wie Haarstruktur und Augenfarbe. Nur dass mir meine Heimat halt nicht anzusehen ist, nicht genau jedenfalls, es könnte Finnland sein, Moldawien, Litauen, Tasmanien oder Kanada, genauso wie Argentinien oder die Gegend zwischen Linz und Salzburg. Hätte mein Mitreisender wohl Ah, horrible country ausgerufen, hätte ich statt Argentinien Austria gesagt?

Ich kehre an meinen Platz zurück. Die Landkarte am Bildschirm vor mir zeigt einen von einem winzigen Flugzeug verfolgten Pfeil, der sich momentan über dem Kaspischen Meer befindet. Ich bin unterwegs von Sydney nach Amsterdam. Der Vergleich von Ticket und Pass ließ den Zollbeamten vor dem Einsteigen in die Maschine kritisch nachfragen. Verpflichtet ein österreichischer Reisepass denn dazu, von Sydney direkt nach Wien zu fliegen, dear Sir, frage ich ihn? Nein, natürlich nicht, Sie dürfen gern in die Niederlande.

Amsterdamer Toleranz

Die ersten Siedler im Gebiet des heutigen Amsterdam lebten am Ufer des Flusses Amstel, der zusammen mit dem Damm, den sie um 1270 im IJ bauten, der Stadt ihren Namen gab. Dort, wo sich heute Warmoestraat und Nieuwendijk befinden, die Eingänge zum Rotlichtviertel, lag diese erste Siedlung, Schutz vor Überschwemmungen bot eine von Wällen umgebene hölzerne Rampe. Ein Landfinger gegenüber der Mündung der Amstel in die Zuidersee, das jetzige IJsselmeer, hielt den Westwind vom Hafen ab, während der Tidengang der Nordsee ihn vor dem Trockenfallen bewahrte. Bereits im 16. Jahrhundert, nach der Revolte der Nord-Niederländer gegen die spanischen Habsburgerkönige, zog die Stadt durch ihren Ruf für Toleranz und Freiheit viele Einwanderer an. Als Antwerpen 1585 in spanische Hände fiel, stieg der Zuzug noch stärker an. Unzählige Protestanten flüchteten in die Stadt, wie auch reiche portugiesische Juden. Der Handel war nun nicht mehr auf das Baltische Meer und den Mittelmeerraum beschränkt; holländische Schiffe schwärmten aus über die sieben Ozeane, mit einer Flotte, die größer war als die der Engländer, Spanier und Franzosen zusammengenommen, und Amsterdam wurde zur bedeutendsten Handelsstadt des 17. Jahrhunderts. Walölfabriken, Seifenherstellung und Textilindustrie florierten, und mit ihnen Banken und Börse.

Heute sind mehr als 50 Prozent der Bewohner von Amsterdam keine Holländer, doch kenne ich unter ihnen außer mir nur noch einen einzigen anderen Österreicher, und er ist in Amsterdam geboren. Seine Mutter stammt aus der Steiermark. Meine Landsleute seien wohl gern zuhause, hatte ich kürzlich jemandem erklärt, der sich wunderte, dass er Österreichern so selten außerhalb ihrer eigenen Landesgrenzen begegnete. Warum sollten sie auch fortwollen, sie haben es fantastisch, wunderbar, in der schönsten Landschaft, die man sich vorstellen kann, hatte er mir geantwortet, und das beste Essen, die besten Torten. Er kam aus New York und hatte Schiurlaub am Arlberg gemacht.

Kulinarisches Österreich

Ich muss zugeben, dass ich in Sydney ins Café Vienna gegangen bin, wo der Mudcake "Sachertorte" hieß und leise Töne von Strauß-Walzern durch den Raum schwebten. Und, ja, nicht allein der Name schmeckte besser als die "Schlammkuchen" anderer Bäckereien. Das beim Verzehren des Apfelstrudels, den es natürlich auch gab und den ich der Torte hemmungslos folgen ließ - schließlich sollte es ein Mittagessen sein -, sich einstellende Gefühl von warmem Stolz und Freude über meine wunderbare Heimat voller Zuckerkünstler und Musiker wuchs noch weiter an, als ich später am Nachmittag dieses Tages einem jungen australischen Philosophen griechischer Herkunft begegnete, der mir mit Überzeugung versicherte, wenn er es sich aussuchen könnte, an zwei Orten wohnen zu wollen, dann wären es Griechenland und Österreich. Halb halb. Die schönsten Ferien seiner Kindheit habe er immer in Österreich verbracht. In Tirol. Do you ski too? Ich nickte heftig, heilfroh, dass er "Sound of music" nicht erwähnte, aus dem Australier mir sonst oft gern halbe Strophen ins Ohr sangen, weil sie es für eine Art österreichische Hymne zu halten schienen. Um grüne Hügel scheint es darin zu gehen.

Sound of Music und Haider

Auf dem Weg zum Flughafen an diesem Morgen hatte meine mit der Ferne anwachsende Heimatverliebtheit doch wieder einige Ernüchterung erfahren. Der Taxifahrer war auch schon zum Wintersport in Sell am Zääi gewesen. Didn't you have this Heeyider, wasn't that his name?, sagte er, bevor er mich aussteigen ließ. Have ist gut, dachte ich. Er lachte laut und aus vollem Herzen, als hätte er mir den besten Witz der Welt erzählt. Ich schmunzelte nicht, grinste nicht einmal zwanghaft, drückte ihm dankend sein Geld in die Hand, mit verhaltener Trauer, dass nicht Falco der erste berühmte Österreicher war, der ihm einfiel. Amadeus, Amadeus? Haben wir den Touristen unter den Taxifahrern tatsächlich keine echten Stars mehr zu bieten?

Doch, haben wir. Am Flughafen in Amsterdam befindet sich eine große Leinwand, auf die zur Unterhaltung der Reisenden Reklame projiziert wird. Ich höre einen Jodler, einen Juchatzer, sehe eine weißverschneite Berglandschaft, schwere Stiefel, die polternd eine Berghütte betreten, und da ist er, unser braungebrannter Schilehrer, der seinen niederländischen Schischülern den Arm um die Schultern legt und mit der anderen Hand zur Bar hin deutend mit österreichischem Akzent fragt Biertje?

Diese Heineken-Werbung hat bei den Niederländern einen regelrechten Österreich-Kult hervorgerufen, der seinen Niederschlag vor allem zu Weihnachten in Christkindlmarktstandln am Dam gefunden hat, aber auch in einem Ansteigen der Reisebuchungen Richtung Alpenland, wenn man den Statistiken Glauben schenkt. In einer Tageszeitung lese ich, dass mehr und mehr Innenstadtlokale ihre Räumlichkeiten im "Berghüttenlook" ausstatten wollten, das fänden die Gäste gezellig, also gemütlich. Man höre und staune. Österreich ist modern.

Vor einigen Monaten ist mir ein ganzseitiger Bericht in der Wochenzeitung der Universität von Amsterdam aufgefallen, in dem ausführlich über österreichische Austauschstudenten berichtet wurde. Unter dem Titel Gemütlichkeit ist wieder in wurden da allerdings weniger die intellektuellen Fähigkeiten der Österreicher unter die Lupe genommen, als vielmehr bis ins Detail ausgeführt, wie das Studierschuhwerk dieser Oostenrijkers aussah, die nämlich, wenn sie ein Studentenheim betraten, angeblich blitzartig aus den Schuhen und in ihre im Rucksack mitgebrachten, aus schaumgummigefülltem Stoff bestehenden so genannten Schlapfen schlüpften, bevor sie sich weiter ins Haus hineinwagten. Ein Amsterdamer geht (es ist wahr!) mit Bergschuhen ins Büro und behält sie auch den ganzen Tag über an.

Nicht nur Schi und Schlapfen

Keine Sorge, wir exportieren nicht nur Schi und Schlapfen, wer will, kann Österreichisches auch von einer ganz anderen Seite sehen. Amsterdam ist vielleicht die Stadt, die außerhalb Österreichs momentan am meisten an österreichischer Kultur zu bieten hat. In den Schaufenstern der Buchhandlungen drängen sich die Werke österreichischer Schriftsteller nicht weniger in den Vordergrund, als sie es zuhause tun (sollten?). Es gab ein ganz im Zeichen des österreichischen Films stehendes Dokumentarfilmfestival, neue Filme sind oft bereits lange vor Wien in Amsterdamer Filmhäusern zu sehen, und den österreichischen Theatermachern begegnet man hier seit Jahren sehr offen. Ganz zu schweigen vom Apfelstrudel der Konditorei Holtkamp - einer täuschend echten Imitation.

Österreich ist in

Auf dem Vorplatz des Flughafens rennt ein Mann im grauen Anzug einem kleinen weißen Zettelchen nach, versucht es zu fangen, indem er mit den Füßen danach tritt, seine Arme beidseitig drehend wie Propellerflügel. Endlich liegt es unter seinem Schuh, erleichtert hebt er es auf. Was mag es sein, eine Rechnung vielleicht, eine Telefonnummer, die Adresse eines Freundes? Der Mann ist nicht mehr jung und ziemlich außer Atem vom Laufen. Bevor er weitergeht, hält er kurz inne, selbst aus der Entfernung kann ich sehen, wie seine Brust sich beim Luftholen hebt und senkt. Als er um sich schaut, kreuzen sich unsere Blicke. Dag, sagt er und nickt mir zu. Und fragt mich nicht, woher ich komme.

Die Autorin istÜbersetzerin aus dem Albanischen, Publizistin und Biologin in Amsterdam.

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