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DALMATINISCHER AUFENTHALT

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war sein erster Tag im Feuer, auf den er sich sehr gefreut hatte. Er wollte immer in meinen Fußstapfen gehen und kam nun, gleich mit dem ersten Schritt, so unermeßlich über mich hinaus...“

In „Strahlungen“ heißt es später:

KirchUorst, 16. Jänner 1945 „Der Tod meines Jungen setzt eines der Daten, einen der Angel- und Wendepunkte in mein Leben ein. Die Dinge, die Gedanken, die Taten vorher und nachher unterscheiden sich.“

Kirchhorst, 17. Jänner 1945 „Nach Burghof. Bei Beinhorn lebhaft an Ernstel gedacht. Wir gingen dort im vorigen Dezember im Nebel durch die Wälder und sprachen über den Tod. Er meinte: „Zuweilen spürt man darauf eine solche Neugier, daß man ihn kaum erwarten kann.“

Kirchhorst, 20. Jänner 1945 Wie die Lemuren versuchen, sich in einen solchen Tod einzudrängen, gewissermaßen mitzuzehren von ihm. So unterstellte der Kompaniechef, der mir die Botschaft sandte, daß Ernstl „für den Führer“ gefallen sei. Dabei war ihm die Vorgeschichte des Jungen wohlbekannt. Sodann der Funktionär, der mir laut Vordruck „in würdiger Form“ die Botschaft zu bringen hatte — grauenhaft. Ja, das gehört zu unserer Wirklichkeit, und früh schon war mir deutlich, daß sich nur eine Qualität ihr sinnvoll zuordnet: der Schmerz.“ Zur Tragik der Besten heute gehört es, daß Ethos und Polis sich nicht treffen im Punkte der Tat. Doch schneiden sie sich wie Parallelen im Unendlichen. Jünger hat offensichtlich in diesen Wochen das Gefühl, daß er an einer Wegkreuzung seines Lebens angelangt ist, wo er sich wirklich dem „magischen Nullpunkt“ nähert. Am 29. März 1945 notiert er:

„Fünfzigster Geburtstag. Das ist die Mitte des Lebens, wenn man es nicht mit der Elle, sondern auf der Waage mißt. Doch ist es in diesem Jahrhundert auch ein hohes Alter, wenn man den langen gefährlichen Anstieg bedenkt, besonders dessen, der sich nicht schonte und in den beiden großen Kriegen auf gefährlichen Posten stand, im ersten in den Wirbeln der Materialschlacht und während des zweiten in den dunklen Fährnissen der Dämonenwelt.

Das neue Lebensjahr begann mit einer einsamen Nachtwache, während derer ich mir eine kleine Feier stiftete durch folgende Lesung:

1. Der 73ste Psalm. t

2. Goethe, ,Orphische Urworte'.

3. Droste-Hülshoff, .Gründonnerstag'.

4. Joh. Christian Günther, .Trost Aria'.“ Dreizehn Tage später endet die Macht der Lemuren auch für

ihn. Amerikanische Panzer rollen durch Kirchhorst.

*

Ernst Jünger hat nicht stets nur ein Auge für die Beobachtung der sichtbaren Welt — gerade die Reisebeschreibungen zei-

gen, wie ihn Natur und menschliche Gesten faszinieren und Brücken schlagende, allgemeingültige Einblicke in Zwangsläufigkeiten der durch sie symbolisierten Zusammenhänge erlauben —, er hat auch stets die eigene Reaktion auf Geschehnisse und Erfahrungen als exemplarisch betrachtet. Schon in der ersten Ausgabe von „Das abenteuerliche Herz“ ist er sich des stellvertretenden Charakters seiner Aussagen bewußt, wenn er sagt:

„... weiß ich auch, daß mein Grunderlebnis, das, was eben durch den lebendigen Vorgang sich zum Ausdruck bringt, das für meine Generation typische Erlebnis ist, eine an das Zeitmotiv gebundene Variation, oder eine vielleicht absonderliche Spezies, die jedoch keineswegs aus dem Rahmen des Gattungskennzeichens fällt. Aus diesem Bewußtsein heraus meine ich auch, wenn ich mich mit mir beschäftige, nicht eigentlich mich, sondern das, was dieser Erscheinung zugrunde liegt, und was somit in seinem gültigsten und dem Zufall entzogensten Sinne auch jeder andere für sich in Anspruch nehmen darf!“ So muß auch der 1949 erscheinende, fast 500 Seiten starke Tagebuchband „Strahlungen“, der, sich an „Gärten und Straßen“ organisch anschließend, Aufzeichnungen der weiteren Kriegsjahre bis zur Kapitulation enthält, in der Tat als „seismographischer“ Bericht, oder wie der Autor es selbst formuliert, als geistiger Beitrag zum zweiten Weltkrieg, soweit ihn die Feder lei-

stet, verstanden werden. Wurde aus dem Krieger ein Pazifist, aus dem Bewunderer der Technik ein Feind des technischen Fortschritts, aus dem Nihilisten ein Christ, aus dem Nationalisten ein Weltbürger! Ja und nein: Ernst Jünger wurde bis zu einem gewissen Grade jeweils das zweite, ohne damit aufzuhören, das erste zu sein. An keiner Stelle seines Lebensweges hat Einst Jünger konvertiert, hat er das verbrannt, was er gestern „anbetete“. Wandlung hedßt hier dazugewinnen, sich ausweiten, sich ergänzen, nicht sich umwenden — heißt den gleichen Weg reifer werdend weitergehen, aber nicht an Raststellen verbleiben. So fand Ernst Jünger seine Identität, als Diagnostiker der Zeit, in den Fragestellungen ebenso undogmatisch wie in den angedeuteten Antworten. Und: „Es ist sogar gut, wenn dunkle Stellen bleiben, die sich der Autor selbst nicht zu erklären vermag“, heißt es in „Gärten und Straßen“.

Jünger hat sich stets das Wort Pasc als zu eigen gemacht: „Jeder Autor hat einen Sinn, in welchem alle entgegengesetzten Stellen sich vertragen, oder er hat überhaupt keinen Sinn.“

Den Juni und.Juli des.Jahres 1932 verbrachte ich mit Friedrich Georg im dalmatischen Küstenstrich. Nach der phantastischen Landkarte, die wir von Ländern, die wir noch nicht gesehen haben, im Kopfe tragen, hatte dieses Gebiet als eine Art erweiterten Italiens in meiner Vorstellung gelebt. Während des langen Tages, an dem unser weißer Dampfer an gezackten Inseln und zerissenen Küstenbändern vorüberglitt, hatte ich Zeit, mich von diesem Irrtum zu befreien.

Ich fühlte mich durch den ersten Eindruck fast enttäuscht. Die karstigen Felsmassen, die sich, vielfach zerklüftet, zum Brandungsstreifen niedersenkten und sich dort wie geschmolzenes Blei verästelten, erschienen mir nur als der Knochenbau einer Landschaft, der die gefällige Rundung und der fleischige Ansatz mangelten. Später bemerkte ich freilich, daß dieses Land seine geheimen Kräfte besitzt; es belebt sich in der Erinnerung und ruft ein Gefühl von Heimweh hervor. Entfernt schien es mir der Lüneburger Heide verwandt.

Unser Landungsplatz war Korcula, ein uraltes, befestigtes Seenest, dessen Gründung dem Antenor zugeschrieben wird. Dort begrüßte uns unser Wirt, Kapitän Bohrer, ein alter kaiserlich-königlicher Seeoffizier. Wir überquerten in seinem Motorboot den schmalen Meeresarm, der Korcula von der fingerförmig ausgestreckten Halbinsel Sabbioncello trennt. Am Nordausgang des kleinen Marktfleckens Orebic leuchtete Bohrers „Hotel Bellevue“, in dem für uns ein Zimmer mit der Aussicht zum Meere bereitet war.

Auf einem ersten Gang durch den Ort schlössen wir Bekanntschaft mit dem kroatischen Typus, einem angenehmen und gutgewachsenen Menschenschlag. Die Kroaten hatte ich mir ungefähr so vorgestellt, wie sie bei uns zulande in der Erinnerung an den Siebenjährigen Krieg weiterleben — als eine Art von zottigen Barbaren mit hängenden Schnurrbärten und finsterem Blick. Zu unserem Erstaunen trafen wir dagegen ein freundliches, fleißiges und kultiviertes Völklein an. Mit Behagen tauchten wir in ein patriarchisches Element, wie es bei uns schon seit Urgroßvaters Tagen verlorengegangen ist. Daß an diesem Gestade noch die alte, gewachsene Schichtung lebendig ist, wurde uns bald an mannigfaltigen Beobachtungen klar. Zu ihnen gehört die Unterscheidung von Gospodin und Gospodar in der Anrede der Person. Gospodin bedeutet einfach Herr; die Bezeichnung Gospodar dagegen steht dem Familienvater zu, der auf eigenem Grund und Boden sitzt. Den Unterschied kennt man bei uns nicht mehr, abgesehen vielleicht von unseren östlichen Marken, in denen der Patron noch als der „gnädige“ Herr angesprochen wird.

Die Bevölkerung lebt vom Land und vom Meer! Wir sahen in den Gärten den mürben, rotbraunen Boden, der köstliche Weinsorten, Oliven, Mandeln, Feigen und Granatäpfel trägt. Die Häuser sind sauber aus Stein gebaut; in den schönsten wohnen alte Kapitäne, die sich nach ihren Fahrten an dieser Küste niedergelassen haben. Sie pflegen ihre Wohnsitze mit der Ordnung und dem peinlichen Raumsinn einzurichten, an die man sich auf den Schiffen gewöhnt. Wir kamen oft an ihnen vorüber, wenn sie am Strande an ihren Segelbooten arbeiteten oder von ihren terrassenförmigen Gärten aus mit Fernrohren das Meer beobachteten. Wenn ihre alten Schiffe vorüberfahren, werden sie von ihren Nachfolgern durch ein Sirenensignal begrüßt. Dalmatien bringt seit alten Zeiten einen vorzüglichen Schlag von Seefahrern hervor.

Die Mahlzeiten nahmen wir auf einer von Weinreben be-

schatteten Terrasse ein. Ich setzte hier das Studium der Mittelmeerfische fort, die ich mir jedesmal zeigen ließ, ehe sie aus den Körben der Fischer in die Küche wanderten^ Leider hatte ich im Trubel der Abreise vergessen, Ovids „Halievtica“ und das 32. Buch des Plinius einzupacken, wie es meine Absicht gewesen war. Daß wir uns in einem alten österreichischen Kronland befanden, verriet uns schon die Mannigfaltigkeit der Mehlspeisen, die eine unerschöpfliche Erfindungsgabe hervorzauberte. Nicht eine von ihnen wiederholte sich während der Wochen unseres Aufenthalts. Eine besondere Erwähnung verdient auch der dalmatinische Schinken, der es mit dem westfälischen aufnehmen kann. Er verdankt seinen Wohlgeschmack den würzigen Hölzern der Macchia, mit denen er geräuchert wird. An Weinen lernten wir zwei Sorten kennen, den roten Opolo als Landwein und den feurigen, bernsteinfarbigen Grk, Weine von hoher Erdkraft, die sich jedoch nicht ohne Widerstand darbieten, sondern deren Geist man sich erobern muß. Bei der ersten Probe stößt sich die Zunge an einem eigenartigen Äther- oder Terpentingeschmack, der sich im Laufe der Wochen mehr und mehr verliert. Nichts macht mit einer Landschaft vertrauter als der Genuß der Weine, die auf ihrer Erde gewachsen und von ihrer Sonne durchleuchtet sind.

Abends, wenn der Duft der blühenden Orangenbäume und der in Marmorbecken eingepflanzten Geranienbüsche in die Salzluft des Meeres einzuströmen begann, saßen wir gern in der freundlichen Gesellschaft unseres Wirtes hinter einer oder mehreren Karaffen auf dem Tisch. Wir lernten in ihm eine der einfachen Naturen kennen, denen ein soldatisch geführtes Leben einen hohen Grad von Kindlichkeit erhalten hat. Freilich hatte auch auf seinem Gemüt die Katastrophe ihre Schatten hinterlassen; dennoch hatte sie die ihm angeborene Heiterkeit nur getrübt, nicht aber zerstört. Bei einem Angriff gegen die venezianische Küste hatte ein Torpedo sein Schiff innerhalb von Minuten versenkt; ein Patrouillenboot fischte ihn, nachdem er eine Nacht im Wasser geschwommen hatte, wieder auf. Zuweilen bemerkten wir an ihm die Anflüge eines Leidens, das man das österreichische nennen kann und das vielen alten Angehörigen dieser letzten wirklichen Dynastie gemeinsam ist. Mit ihr wurde eine Form des Lebensgenusses zerstört, die in den übrigen Ländern Europas schon seit Generationen unvorstellbar geworden war, und diese Zerstörung wirkt sichtbar in den einzelnen nach. Besonders deutlich wurde uns die andere Art, in der sich der Umsturz in Österreich vollzogen hat, als uns Bohrer eines Abends über die Vorgänge berichtete, die sich während der Revolution in den Offiziersmessen von Spalato abgespielt hatten. Bei uns im Reich hatte sich, von der allgemeinen Erschöpfung abgesehen, doch höchstens die Verschiedenartigkeit sozialer Schichtungen bemerkbar gemacht; hier aber hatten sich die Klüfte der Nationalitätenunterschiede aufgetan. In der Erzählung des biederen Kapitänleutnants klang das Entsetzen nach, das er empfunden hatte, als sich der alte Kameradenkreis eines Tages, wie durch einen Zauberstab berührt, in Polen, Tschechen, Serben, Slowaken, Kroaten und Italiener gespalten hatte und in alle Winde zerstoben war. Wir wurden nicht müde, ihn nach den Einzelheiten zu fragen, denn das ist die innigste Art, auf die man in die Geschichte eindringen, und der beste Schlüssel, den man sich zum Verständnis der alten Autoren erwerben kann. Das alte Österreich ist für uns. die wir wieder vor der Bildung von Imperien stehen, wie ein Fossil, aus dessen erhaltenen Knochen man den Aufbau einer andersartigen Welt errät - einer Welt, die hinter, aber vielleicht auch schon wieder jenseits der Moderne liegt,

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