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Apollo an der Donau

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Es gibt Namen, über denen ein Glanz liegt, auch wenn wir gar nicht recht wissen, was es mit seinem Träger eigentlich auf sich hat. .'Eine unbestimmbare Aureole umgibt eine Persönlichkeit, deren Wirkung und Leistung wir kaum vom Hörensagen kennen, aber das eine wie das andere muß eine reine und ungewöhnliche Atmosphäre ausgestrahlt haben, die auch noch das Dunkel des Unbekannten durchdringt. Ein solcher Zauber ging für mich immer vom Namen Alexander von Warsberg aus, den ich da und dort erwähnt fand, ohne daß im Grunde angegeben war, worum es sich bei ihm handelte. Er wird als Freund der Kaiserin Elisabeth genannt, mit der ihn gleiche geistige Interessen verbanden, ein Diplomat der österreichisch-ungarischen Monarchie, der sich auch als Schriftsteller betätigte, ja, er wird sogar unter den Dichtern : der siebziger und achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts aufgezählt, wobei allerdings meistens übersehen ist, eines seiner Werke anzuführen. Es kommt aber dann einmal ein Tag, wo uns eine solche Unkenntnis einer schon vertrauten Vorstellung gegenüber keine Ruhe läßt, es verlangt uns hinter die Maske dieser ungreifbaren Berühmtheit zu schauen und eine reelle Spur ihres Geistes zu entdecken. Einem solchen Anlaß verdanke ich die Bekanntschaft mit einem der beglückendsten Bücher, die aus dem alten Österreich hervorgegangen sind: Warsbergs „Odysseeische Landschaften“.

Eine Reisebuch, das uns ins Mittelmeer führt, auf die Inseln Korfu und Ithaka, wandelt sich immer lichtvoller zu einem dichterischen Kommentar der Odyssee und vermittelt uns gleichzeitig eine schicksals-beladene Geschichte der Ionischen Inseln. Das Außergewöhnliche dieses Buches ist aber, daß es unausgesetzt Dokument einer Freude ist, die sich liebevoll einfühlt in die Schönheit der Welt und die Wege der Menschen, zugleich aber auch in ihren hellen Abglanz in einem' der erhabensten Werke der Weltliteratur. „Zu Pferde, zu Wagen, ■wandernd und schiffend schrieb ich und schreibe ich. Es ist das eine Gewohnheit, die ich nicht überwinden könnte, auch wenn ich es anders machen wollte. Ein unwiderstehlicher Zwang treibt dazu, der mich nur dann befriedigt und beruhigt, mit mir selber wieder im Gleichgewichte sein läßt, wenn ich dem Papiere und Bleistifte ihre geforderten Rechte gewährt habe Andere brauchen einen Begleiter, um angenehm zu reisen, dem sie sich aussprechen können. Ich meide solche Geselligkeit sogar als mich störend, aber ich muß mich aussdi reiben.“

Der Freiherr von Warsberg, der dies in der Vorrede zu seinem Hauptwerk geschrieben, gehört zu jenen Meistern des Reisens, denen Schauen und Aufnehmen eine fruchtbare innere Arbeit bedeuten, einen notwendig einsamen Schöpfungsakt', der auch stattfinden würde, wenn er nicht von einer solchen Darstellungslust begleitet wäre. Ihr *

wh-kHehes Leben erfüllt stA, mHem sie

reisen, und was sie sonst sind oder treiben, liegt von ihrem wesenhaften Selbst fernab, sie finden es erst, indem sie sich einer fremden Welt schenken und in ihr untertauchen.

Welche Fülle von Gedanken ist in den drei Bänden des Werkes ausgestreut! Eine wahrlich allseitige Bildung hat, Warsberg davor bewahrt, der Zünftigkeit irgendeiner Doktrin zu verfallen. Das ihm zugedachte Lob gilt daher füglich auch seiner Zet, der er zwar leidenschaftlich zu entkommen versucht, die ihren Söhnen aber gleichzeitig den freien Blick und das reiche Rüstzeug ihres Wissens mitgegeben hat. Die zartesten Beziehungen zwischen Landschaft und dichterischem Gestalten werden hier bloßgelegt und in den geheirrnisvollen Zusammenhang zwischen Mythos und Kunst hineingeleuchtet. Es ist auf manchen Kathedern beliebt geworden, eine Persönlichkek dieser umfassenden Art einen Laien zu nennen. Wie fruchtbar erweisen sich aber solche Laiengedanken, die sich nicht in einer Richtung versteifen, sondern den weiten Horizont vor Augen behalten, unter dem sich alles Schöpferische stets in rücksichtsloser Vielfältigkeit begibt! Und wie hellseherisch vermag nicht die Freude zu sein, die einem solchen Manne treu bleibt, ihn nie mit der Eifersucht seines Faches einengt und seinem mannigfach bereiten Sinn immer wieder mit Neuem aufwartet.

Alexander von Warsberg, aus einem deutsch-lothringischen Geschlecht, war in Österreich aufgewachsen und über zwanzig Jahre im Konsulardienst der Monarchie tätig. Als er 1889 im Alter von 53 Jahren starb, w,ar er Generalkonsul in Venedig. In der schon erwähnten Vorrede zu seinen „Odysseeischen Landschaften“ unterzeichnet er sich als „Bürger von Ithaka ... im Geiste und in der Wahrheit“, wie er noch ausdrücklich hinzusetzt. Was ihn dazu berechtigen mag, ist sein nur am Mittelmeer heimischer Hang, das Transzendente zu vergegenständlichen, es vollkommen aufzulösen in einem Natürlichen von Landschaft oder Menschen, wie andererseits beide wieder stärker als irgendwo für Teil des Göttlichen zu nehmen. Eine solche Aufhebung von Grenzen hat Warsberg mehrmals unvergeßlich geschildert, vor allem im Kapitel „Zeus im Exil“, wo ihm bei der Umsegelung einer kephalonischen Insel ein junger Schiffer in das Bild des Göttervaters übergeht, der hier einem zärtlichen Abenteuer zuliebe seine Gestalt gewechselt hatte und dabei vom aufkommenden Christentum überrascht worden war. Oder der Besuch in Leukadien, die Landung am Vorgebirge der Sappho und die Rückkehr von ihrem Grab, auf der ihn ein Trauerfalter begleitet, als wäre es ihre unsterbliche Seele. Ich muß bei Warsberg seither an das Bild des Raffael im Louvre denken, er ist Marsyas,' der hingegeben den aus tiefem Innern aufsteigenden Flötentönen folgt, zugleich aber auch Apollo als Meister aller Darstellung, indem er den Dingen sein Licht gibt und die gestaltende Ordnung. Aber auch in dieser göttlichen Beleuchtung ist er an der Donau zu Hause geblieben, in der Verbindlichkeit seiner Gedanken und ihrer Form, aber auch in der Vermenschlichung 'des Erhabenen und der Freude an schlichter Sinnfälligkeit.

Mit dem Buch „Ein Sommer im Oriente“ Hat Warsberg seine literarische Laufbahn 1869 begonnen und ein den Kunstwerken Athens gewidmeter Nachlaßband sie zwei Jahre nach seinem Tode beschlossen. Ihm ist auch eine Untersuchung „Auf den Spuren des Gaudenzio Ferrari“ beigefügt, worin er den Gemälden dieses Leonardo-Schülers, durch die obere Lombardei an den Lago Maggiore und über den Ortasee bis nach Piemont hinein folgt. Welche erstaunliche Sicherheit der Wertung ihm eignet, wie mustergültig er die Kunstbetrachtung, die hier durch mancherlei Gestrüpp willkürlicher Zuschreibungen und unsicherer Quellen erschwert ist, stets vom Wesentlichen ausgehen läßt, werden ihm auch geübtere Fachgelehrte zugestehen müssen. Neben der gewissenhaft wägenden Betrachtung von Bildern läuft aber auch hier die Beschreibung seiner Wanderungen in unvergleichlicher Landschaftsschilderung und Menschenbildern, die oft nur mit wenigen Strichen festgehalten sind. Eine der geschlossensten Publikationen Warsbergs ist der „Sommernachtstraum in der Walhalla“, in dem er eine Nacht schildert, in der er versehentlich im Regensburger Ruhmestempel eingeschlossen wurde, und wo ihm die Rauchschen Viktorien — ein Kabinett-

stflek der Einfühlung — ihren innersten

Sinn sprechend enthüllten. Einleitend öffnet sich ihm zwischen den klassizistischen Säulen auch die deutsche Landschaft. „Aus dem dorischen Säulenumgang trat ich hinaus auf den grünen Platz, der hinter der Walhalla liegt. Allein vor dem in seinem Äußeren so kolossalen Baue war es ganz geheimnisvoll, das leise Leben der Natur um den glänzenden, wie goldig angehauchten Marmor sprechen zu hören. Die Luft war beinahe regungslos, und doch fühlte ich Leben um mich, weil es in mir doppelt lebendig ward... Unmittelbar zu meinen Füßen die Donau, das wite gesegnete Flachland dahinter; zu meiner Rechten und Linken an die Höhe sich anschließend, auf der ich selbst stand, weitgestreckte Hügelreihen und die Sonne, die, lange Strahlen werfend, dahinter versank, der Fluß rotpurpurn gefärbt, die Ebene blau in dunkeln Wolkenschatten und nur, wo der äußerste Horizont: das letzte verglimmende Licht einer absterbenden Hoffnung.“ Ein Dilettant der Feder? So hatte er sich in einer Anwandlung des Verzagens einmal genannt. Es hatte dabei aber nur das nie zufriedenzustellende Gewissen eines wirklichen Meisters, gesprochen, der das ewig sich Widersprechende in seiner einfachsten Formel wiederzugeben versucht.

Eine merkwürdige Unruhe war in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts

Sber die Besten der Zeh gekommen tmd

ihre Flucht in andere Bezirke der Seele konnte dabei sehr verschiedene Wege gehen. Während Warsberg Dalmatien und Griechenland, die Ionischen Inseln und den Orient bereiste, sich in immer wieder erkämpften Ferien zumindest nach Oberitalien oder doch irgendwohin, wo es etwas Schönes zu sehen gab, entführen ließ und dazu noch durch die Freundschaft der höchsten Frau seines Landes ausgezeichnet wurde, hatte sich ein anderer Diplomat, der um einige Jahre ältere Alexander von' V i 11 e r s, ebenfalls einem lothringischen Geschlecht entstammend, nach Neulerrgbach zurückgezogen, dort das Leben eines Bauern begonnen, höchstens noch mit Holzknechten Umgang gehabt und am liebsten bloß unter seinen Tieren gelebt. Seine Freunde haben die Briefe aus diesen Jahren unter dem Titel „Briefe eines Unbekannten“ herausgegeben und ein guter Teil davon ist an Warsberg gerichtet. So wenig sich beide auch in ihre Umgebung fügen wollten, so gut verstanden sie sich untereinander und es hatte sich überhaupt aus den Zeitflüchtlingen eine Art altösterreichischer Olymp rekrutiert. In ihm mochte der naturhaft witzige Villers als ein Hephästos aus dem Wienerwald figurieren, der kunstsinnige Warsberg aber hatte es gleich gründlicher angepackt und sich geistig im Reiche Apollos beheimatet.

Ein Bauer fpricht

Es ist so, wie es immei war: Nur eine Ernte bringt das Jahrl

Durch Schweiß und Mühsal, Sorg und Plag Bringt mit dem Aufstehn jeder Tag.

Nach Arbeit schreit jahrein, jahraus, Das Vieh, der Acker, Wald und Haus.

In euren Städten herrscht die Zeit — Ich untersteh der Ewigkeitl

Ich bin des Bodens Herr und Knecht,

Aus ihm wächst Brot, von ihm kommt Rechtl

Wer den nicht hat, ist bodenlos, Im Reichtum ist er arm und bloß.

Und ihm beiiehlt, ihn formt die Zeit — # Ich untersteh der Ewigkeitl

Hans Heidenbauer, Graz

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