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Geist in Jen Sinnen behaust

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AM 23. FEBRUAR wäre Elisabeth Langgässer 60 Jahre geworden — eine Verpflichtung, sich dieser großen deutschen Dichterin zu erinnern, um die es sehr still geworden ist nach ihrem frühen Tod vor neun Jahren. Trotz ihres Werkes, dem man europäischen Rang zusprechen darf, das einen neuen Kunst- und Formwillen im Bereich des christlichen Romans dokumentiert und christliche Existenz dichterisch zu gestalten versucht.

ELISABETH LANGGÄSSER war Rheinhessin, und diese Herkunft bestimmt entscheidend ihre geistige Entwicklung mit. Das in ihrer Heimat heute noch spürbare Nebeneinander keltischer, antiker und christlicher Wesenszüge zeichnet sich deutlich in ihrem Werk ab, als Polarität zwischen Natur — im antikisch-heidnischen Sinn verstanden — und christlich begriffener Uebernatur. Davon wird noch ausführlich zu sprechen sein.

Seit 1929 lebte Elisabeth Langgässer dann 18 Jahre in Berlin, wo sie, die Halbjüdin, 1935 den augustinischen Philosophen Dr. Wilhelm Hoffmann heiratete. Diese Ehe bewahrte sie vor den ärgsten ihr drohenden Gefahren, konnte aber nicht verhindern, daß ihr 1936 von der Reichsschrifttumskammer jegliche Berufsausübung verboten und daß sie 1944 zwangsverpflichtet wurde. Viel härter noch traf sie das Schicksal ihrer ältesten Tochter Cordelia, deren Vater Jude war.

„1938… mußte das Kind aus unserer Wohnung. Es durfte nicht länger mit ,Ariern zusammen wohnen. Es war zwar mein Kind, aber die Rasseuschranke fiel zwischen uns. Eine ganz fremde jüdische Familie mußte es nehmen, man nähte ihm den gelben Judenstern auf, nur noch in der Dunkelheit schlich es zu uns. Wissen Sie noch, wie das damals war: die Kleine bekam keine Milch, kein Fleisch mehr. Sie durfte nicht Straßenbahn, nicht Untergrundbahn fahren, vom elften Jahr an keine Schule mehr besuchen, und sie war doch so wissensdurstig. Ganz für sich lernte sie auswendig, z. B. .Der Mond ist aufgegangen’ und anderes. Eine hämische Frau entdeckte eines Tages ihren Stern am Mantel und wies sie aus der Kirche . ..”

(Aus einem Gespräch Elisabeth Lang- gässers mit Ernst Lissner.)

Diese schweren Erlebnisse während der Nazizeit mögen mit zur Erschütterung von Elisabeth Langgässers Gesundheit beigetragen haben. Ebenso wie die Gleichgültigkeit und Verständnislosigkeit breiter Kreise gegenüber ihrem Werk, dessen schwierige Problematik ihr manche Anfeindungen, auch aus dem christlichen Bereich, eintrug. Freilich fand sie in ihren letzten Lebensjahren zunehmend auch Anerkennung und Zuspruch. Doch fehlte es bis zuletzt an ausreichender materieller Sicherung. Kein Wunder, daß eine so sensible Persönlichkeit wie die Langgässer, die sich literarisch und menschlich — sie war Mutter von vier Kindern — gleich stark engagierte, derartigen Belastungen auf die Dauer nicht gewachsen war. Sie starb, noch nicht 52 Jahre alt, 1950 an einer fortschreitenden Nervenlähmung in dem kleinen pfälzischen Dorf Rheinzabern, wo sie seit 1948 mit ihrer großen Familie lebte.

WAS ELISABETH LANGGÄSSERS WERK angeht, so hat sie von Anbeginn Gedicht, Roman und Erzählung nebeneinander gepflegt.

1924 erschien ihr erster Gedichtband „Der Wendekreis des Lammes”. Kirchenjahrsgedichte im Geist der Liturgie, in denen schon die für sie charakteristische Grundeinstellung sichtbar wird: das Nebeneinander von Stoff und Pneuma, hier noch nicht im Sinn einer Synthese, sondern im Gegenteil antithetisch, jeder Verschmelzung oder auch nur Harmonisierung widerstrebend.

Wenn die Langgässer in ihren frühen Werken den Menschen weitgehend im Banne bloßer Naturkräfte sieht, ist doch auch das „Christliche”

als Element immer schon da, bis es, in den nach dem Krieg erschienenen Veröffentlichungen, als Glaube und Kirche an die entscheidende Stelle tritt.

Zu den frühen Veröffentlichungen gehört der Roman „Prosperina”, in dem alte, in ihrer rheinhessischen Heimat noch lebendige, römische Mythen beschworen werden; dann der Novellenband „Triptychon des Teufels”. Es folgen die „Tierkreisgedichte”, die Erzählungen „Rettung am Rhein” und, 1935, der wieder in der rheinischen Heimat spielende Roman „Gang durch das Ried”. Nach der durch den Nationalsozialismus entstandenen langen schöpferischen Pause erschienen — wieder die Dreiiahl der literarischen Formen wahrend — der Gedichtband „Laubmann und Rose”, der Novellenband „Der Torso” und schließlich, 1947, der große Roman „Das unauslöschliche Siegel”, der weit über Deutschland hinaus die Gemüter erregte.

Ein theologischer Roman, der jedoch völlig aus dem Rahmen jener christlichen Dichtung fällt, die mit konventionellen Kunstmitteln eine alte christlich-humanistische Bildungstradition zu wahren sucht. Hier wird vom Leser eine völlige Umstellung seiner gewohnten Vorstellungen verlangt. „Nicht Naturalismus und Surrealismus sind die Pole, zwischen denen die christliche Wirklichkeit sich spannt, sondern Uebernatur und Natur. An diesen beiden Wirklichkeiten hängt alles, Sündenfall, Gnade, Erlösung, der Blick auf die Welt, ‘die Jungfräulichkeit, der Einfluß des Bösen, der Sinn der Taufe, das neue Menschenbild”, hat Elisabeth Langgässer einmal gesagt und damit sehr genau den Raum Umrissen, in dem ihr „Unauslöschliches Siegel”, wie sie die Taufgnade bezeichnet, sich bewegt. „Natur” wird begriffen als der gefallene Mensch, der in der Sünde steht, der das Gute will und das Böse tut; und „Uebernatur” als die in der Gnade mögliche Neugeburt des Menschen im Glauben.

Vom Stoff her gesehen ist Langgässers Roman die Entwicklungsgeschichte des Herrn Belfon- täine, gesehen unter dem Gesetz der Taufgnade: Sein Uebertritt zum Christentum aus äußeren Gründen, der ihn in der Taufe mehr finden läßt, als er erwartet hat — eben das Geheimnis der ‘Taufgnade; sein bürgerlich gesichertes Leben sodann, und der Ausbruch in Schuld und Sünde; schließlich die neue Entscheidung für Gott, die erkennbar wird in der nur angedeuteten letzten Lebensphase als Bettler im Osten. Dazwischen liegt eine Zeit völliger Glaubenslosigkeit, die Beifontaine ins reine Nichts führt. Und diese Leere wird nun der Kampfplatz für die unsichtbaren Hauptpersonen des Buches: Gott und Satan. Um diese Handlung gruppieren sich zahlreiche typologisch gezeichnete Gestalten, „Rol-’ len” im Marionettenspiel des christlichen Welttheaters, die eigentlich nur zur Klärung bestimmter Zustände und Sachverhalte auftreten und um „die Stellung des Menschen im Bezugssystem aufeinander wirkender Kräfte” sichtbar zu machen. Auch die feste Ordnung von Raum und Zeit ist gesprengt, die Handlung weder als Faden noch als Band in sich geschlossen; nachdem sie plötzlich abbricht, kommt sie auf einer anderen Ebene in verwandelter Form wieder ans Tageslicht.

Alle diese Stilelemente finden sich wieder in Langgässers letztem Roman „Märkische Argonautenfahrt”, der kurz nach ihrem Tode erschien. Die Fabel ist einfach: 1945, nach der „apokalyptischen Heimsuchung” Berlins durch die Russen, begegnen sich sieben moderne Argonauten auf ihrer Wanderung zu dem märkischen Benediktinerkloster Anastasiendorf (Auferstelungskloster), um dort die Last ihrer Kriegserlebnisse los zu werden und Absolution für ihre mannigfache Schuld zu erlangen. Diese weltlichen Pilger sind Sinnbilder für die „Torso- haftigkeit und Gebrochenheit” des gefallenen Menschen, aber auch „für das geheimnisvolle Wirken der Gnade inmitten eines dem Tod verfallenen Daseins”. Auch in diesem Buch überrascht das Nebeneinander einer unerschöpflichen, und sehr eigenwilligen Phantasie und eines kühlen, klaren, scharfen Verstandes. Theologische und philosophische Disputationen stehen unvermittelt neben Bildern von praller Sinnenhaftigkeit und strotzender Vitalität Aber alles fügt sich jetzt harmonischer zusammen als in den Frühwerken. Die beiden Pole: Natur und Uebernatur, werden nicht mehr als in jedem Fall unvereinbar feindliche Gegenkräfte gesehen; die Möglichkeit der Synthese und das Wirken der Gnade bleibt offen.

WO IMMER wir uns mit Elisabeth Langgässer einlassen: bestürzend in ihrer Schonungslosigkeit wirkt die „christliche Entlarvung -der Abgründe” im Menschen, um die es ihr immer und überall geht. Die Welt als Sünde in all ihren vielfachen Möglichkeiten — als Fleischeslust, Sinnenlust, Hoffart des Lebens — wird bei ihr nicht verdrängt oder sublimiert, sondern nackt und unverhüllt „rundherum” dar- gestell-t: „In prangender Fülle, in teuflischem Hochmut und üppiger Augenlust”, wie sie es einmal formuliert. Ein Problem, auf das sie immer wieder zurückkommt, zuletzt in einem Aufsatz über die „Grenzen und Möglichkeiten christlicher Dichtung”, der in dem Nachlaßband „Geist in den Sinnen behaust” erschienen ist.1 „Wo die Welt ausgelassen ist, wird zwangsläufig auch die Gnade ausgelassen, die furchtbare Tiefe des Sündenfalls, und das Wort von der Felix culpa, die eines solchen Erlösers gewürdigt wurde, ist dann sinnlos geworden …”

Man sieht, Elisabeth Langgässer hat sich auf’ Großes eingelassen! Sie hat die Grenzen der traditionellen christlichen Dichtung gesprengt, nicht weniger revolutionär als Bernanos und Graham Greene es taten. „Sie preist”, wie Walter Dirks einmal sagte, „nicht die Humanität noch den Ordo, sondern bezeugt die Existenz und das Mysterium.”

Es sei noch erwähnt, daß der Claassen-Verlaj Hamburg, der Elisabeth Langgässers Schriften vet legte, seit sie wieder schreiben durfte, anläßlich ihre 60. Geburtstages die Publikation ihrer gesammelte; Werke in Einzelbänden beschlossen hat. Zu der Gedenktag werden bereits die Romane „Gang durc das Ried”, „Das unauslöschliche Siegel” und „Mär kische Argonauten fahrt” erscheinen.

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