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Der Roman des groben Krieges

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F r i e d 1 a n d. Roman von Jaroslav Durych, Verlag Herold, Wien. 608 Seiten, S 54.-

Immer wieder reizt es den Geist des Dich-ters, in das Geheimnis einzudringen, das die Gestalt des großen Friedländers umwittert. Schiller und Ricarda Huch — um nur die vornehmsten Namen zu nennen — haben mit Inbrunst und Glanz um diese Gestalt gerungen, ohne sie auszuschöpfen. Heute tritt •ie uns, neu gesehen, in der Diditung Jaroslav D u r y c h i entgegen. Und doch wird man dieser Dichtung nicht gerecht, wenn man m ihr nur die Deutung der Walleastein-Gestalt sucht. Der Titel .Friedland* trägt symbolischen Charakter — symbolisch im Sinn einer erschütternden Ironie. Friedland ist das Land, in dem vergeblich um Frieden gerungen wird — Friedland bedeutet eine hoffnungslos zerrissene Welt. Damit ist schon gesagt, daß dieser Roman keineswegs nur rückwärts gewandt ist, sondern hier erscheint im Gewand historischer Geschicke eine zeitlose Wirklichkeit, die uns leider nur allzu vertraut ist.

Es handelt 6ich um eine ungewöhnlich groß angelegte Konzeption. Schon die Sprache des Buches ist von seltener Kraft und Ausdrucksfähigkeit, dabei haben wir es mit einer Übersetzung zu hin: blühend und mit verschwenderischer Wortfülle spiegelt sie in dem bekannten Reichtum unserer eigenen Sprache den Reiz und offenbaren Reichtum einer uns unbekannten. Die Darstellung scheint dem geheimnisvollen Mittelpunkt wunderbar angepaßt. Durychs Kunst ist mit dem Geist Rem-brandts getauft, seine Bilder sind dunkel und hell, nah und fern zugleich. Es eignet ihnen der Charakter realistischer Glaubwürdigkeit, aber auch der Hauch visionärer Entrückung, ohne jedoch in jene Spukhaftigkeit mancher moderner Werke xu entgleiten, die rwar faszinieren, aber kaum noch ergreifen. Für Durych gibt es keinen .Verlust der Mitte“, wir bleiben an die Wirklichkeit der göttlichen Schöpfung gebunden. Wie mit Blitzlicht beleuchtet, treten die einzelnen Gestalten aus dem Dunkel der Vergangenheit hervor. Es ist, als erblickten wir durch eine Art von magischem Fernsehen große, altertümliche Porträts

Diese Woche neu beim BÜCHER-HERZOG:

L. Holtmann, Adalbert Stifter und Vien. Illustriert nur...S3.90 — JörsMauthe tPienerMeistcr-Feuilletoni Von Kürnbergcr bii Hotmann thal. Halbleinen, nur ... S 4.90 — Georg Rendi, Oer Berufene. Ein Entwidtlungiioman von Reinheit und Gläubigkeit, Halbleinen, nur... S 5.50 — V i e n VI, Mariahiller Straße 1 und wogende Schlachtengemälde. Manchmal erscheinen diese Gemälde in ihrer Farbenpracht bestürzend lebendig, dann wieder wie tief nachgedunkelt, schwer erkennbar, vom Nebel der Jahrhunderte überwallt — die Gestalten verschwinden und kehren zuweilen nicht wieder. Für manche einer restlos durchsichtigen Handlung bedürftige Leser mag diese mit Bruchstücken arbeitende Technik einen Mangel bedeuten, und in der Tat, es bleiben gewisse Rätsel der Zusammenhänge übrig. Aber dichterisch betrachtet, liegt darinnen ein Reiz, ja sogar eine gewisse Überzeugungskraft, denn wo läge vergangenes Leben je lückenlos überschaubar vor uns, wo ginge Leben überhaupt für unsere Augen restlos auf?

Ohne Zweifel ist Wallenstein der einzige große Mensch in der ganzen hier an uns vorüberziehenden Generation. In dieser Größe liegt sein Erfolg und sein Verhängnis beschlossen. Der Rettende ist zugleich der Gefürditete. Mit anderen Worten: die Geschichte des Dreißigjährigen Krieges, so wie Durych sie uns darbietet, stellt den Totentanz einer Generation dar, die nicht mehr zu vertrauen und — wir müssen hinzusetzen — auch nicht mehr zu verzeihen vermag. Es ist bezeichnend, daß der Einsatz des Buches mit dem Blutgeridit von Prag beginnt, das auf die Schlacht am Weißen Berg folgte. Für Durych aber heißt es: .Verurteilen wir einen Menschen, so verurteilen wir auch Gottes Barmherzigkeit.' So ist diese scheinbar von Anfang an ausgeschlossen — das Motiv der absoluten Gnadelosigkeit durchzieht den historischen Teil des ganzen Buches. .Der Mensch denkt, der Teufel lenkt“, heißt es darinnen. Alles steht unter dem Zeichen abgrundtiefen Mißtrauens und Hasses und somit unter dem Zeichen einer letzten Vergeblichkeit jeder Bemühung. Es ist ein sehr düsteres, oft geradezu beschämendes Bild, das Durych von den Mächtigen jener Zeit entwirft. Ja es ist so düster und beschämend gewesen, als wirke jenes Blutgericht von Prag selbst heute noch in der Seele des Autors nach. Auch die Gestalt Wallensteins erscheint dämonisch verdunkelt: wir sehen sein .teuflisch verächtliches Grinsen“, wir erleben eine tiefe Menschenverachtung, seine Wutausbrüche während der verlorengehenden Schlacht, sein beispiellose Kritik am Wiener Hof. Und doch haftet Ihm etwas Bezwingendes an und vor allem auch etwas Aufrichtiges. Der Wallenstein Durychs ist kein Verräter, er will von Anfang an den Kaiser retten, ja noch mehr, er will ihn .zum Herrn der Welt* machen. Hier berührt sich Durychs Konzeption mit der Ricarda Huchs: es ist ei erneuerter Reichsgedank, den

Wallenstein in der kühnsten und erfolgreichsten Periode seines Lebens vorschwebt. Zwar handelt er nicht ohne die Ziele persönlichen Ehrgeizes, aber sie sind in das Rettungswerk des Ganzen eingebaut. Er scheitert an der inneren Vertrauenslosigkeit des Kaisers, geschürt durch die Eifersucht der Reichsfürsten und die Intrigen des Hofes — auch durch fromme Intrigen: im Machtkampf um die Religion geht das eigentlich Religiöse unter, aber auch die politischen Instinkte werden dadurch verfälscht. Es bezeugt die religiöse Tiefe und Echtheit des Dichters, daß er diese Zusammenhänge schonungslos herausstellt, ebenso wie er der lauteren Frömmigkeit wunderbar gerecht zu werden weiß. Die eigentliche Stärke des Buches aber liegt im Dialog. Meisterhaft ist die Szene, wo der durch den Embruch der Schweden aufs neue tödlich bedrohte Kaiser den entlassenen Wallenstein durch den Fürsten Eggenberg zurückrufen läßt und so den Gedemütigten in die Lage versetzt, nun auch seinerseits den Kaiser demütigen zu können.

Wie in großartigen Kaskaden stürzt die Dramatik der letzten Seiten des Buches der Katastrophe entgegen: dieser Roman ist einer der seltenen, die gegen Ende nicht absinken, sondern sich vielmehr steigern. Unheimlich breitet sich der Abfall der Armee aus, ein Regiment nach dem andern verläßt den geächteten Feldhern. Als sich das Verhängnis erfüllt, wacht nur ein einziger auf seiner Schwelle: der ehemalige böhmische Rebell Georg, der dem Kranken den letzten Liebesdienst erweist und mit ihm zugleich die tödliche Wunde empfängt

Damit sind wir bei einer der drei Gestalten angelangt, deren Schicksal 6ich wie ein roter Faden durch das ganze Buch zieht. Es sind die menschlichen Repräsentanten der Kriegszeit — der Soldat, eben jener böhmische Rebell, der kaiserliche Offizier Kajetan und das von beiden geliebte und begehrte schöne Mädchen Angelika. Auch über den Wurzeln ihrer Existenz liegt das Rembrandtsche Helldunkel, wir erfahren nur, daß sie spanischer Herkunft ist. Aus unbekannten Gründen nach Böhmen verschlagen, geht sie nachtwandlerisch sicher durch das Dickicht der Verhängnisse, wie einst durch die Urwälder Perus. Im Lichtkreis ihrer Gestalt endet das böse Wort: „Der Mensch denkt, der Teufel lenkt“, sondern hier lenkt Gott. Angelika, die den beiden Hinrichtungs-

szenen des Buches als stille Beterin für die Verurteilten beiwohnt, bedeutet gleicherweise Demut und Gnade und stellt somit das eigentliche Gericht über die ganze Zeit dar — Gericht in Gestalt der Erlösung. Hier drängt sich unabweisbar der Vergleich mit der Gegenwart auf: nur noch im Einzelleben regiert das wahrhaft göttliche Gesetz. Es ist bezeichnend für Angelikas Verhältnis zu Georg, daß sie bei ihrer ersten Begegnung den Rebellen, der während des Blutgerichts von Prag unter dem zufälligen Blick des Henkers ohnmächtig wird, diesem Blick entzieht und aus dem Gedränge der Gaffenden hinausgeleitet. Durch ihre Schönheit ergriffen, begehrt er sie, beleidigt sie aber auch. Sie flieht vor seiner Lästerung ihrer Liebe in die spanische Heimat, um ihren Schmerz in einem Kloster zu verbergen, aber der Beichtvater, dem sie sich vertraut, heißt sie zu dem verlassenen Geliebten zurückkehren. .Deine Patronin*, erwidert er ihr, .war eine Witwe — was suchst du in Klöstern? Ich wünsche dir nicht, daß du eine Witwe wirst, aber wie, wenn dir Gott das Leben gegeben hätte, daß du den Menschen eine Freude seist?“ Und dann weiterhin: .Eine jede menschliche Seele ist, es wert, daß wir ihrethalben die ganze Welt durchwandern “ Hinfort heißt es für Angelika: „Wollte der größte der Engel mir in den Weg treten, ich wollte ihm sagen, ,geh und hindere mich nicht'.“ Sie findet den Vei-lassenen zum zweitenmal unter einem Blutgerüst. Er weiß jetzt, daß ihre äußere Schönheit nur die Hülle einer inneren ist. Er weiß, daß sie ihn in Gott liebt, aber eben deshalb fürchtet er sie. Gnade und Trotz ringen verzweifelt miteinander Angelikas Liebe wird, wie die göttliche Liebe so oft, erst im Tode angenommen. Der Sterbende ergibt sich ihr. Sie findet einen Priester, der ihre Ehe segnet Und nun folgt eine Szene, die in ihrer Kühnheit und ehrfurchtgebietenden Größe nicht wiedergegeben, sondern nur mit den Worten des Dichters selbst aufgenommen werden darf: als Angelika dem. Toten die Augen zudrückt, ist sein Sterbebett ihr Hochzeitsbett geworden. Eine innere Stimme sagt ihr, daß sie sein Kind unter dem Herzen trägt „Sie ging“, so lesen wir, „allein, unbekannt, in Elend und Kälte, in die Fährnis des Zeitalters mit Sicherheit im Herzen.“ Und nun fällt noch einmal ein Licht auf den Titel des Buches: ein wirkliches Friedland breitet sich aus inmitten des Krieges. Für die Landfremde heißt es hinfort: „Friedloses Land, Fremdland, mein benedeites Vaterland.“

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