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Symbol VCien

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Vielleicht können Sie uns die Frage beantworten, was wohl tiefer dahinter steht, daß Sie, tei all Ihren Vortragsreisen nach 1933, gerade am Schluß dieser Zeit fast nur und dann immer für längere Zeit nach Wien gingen und daß es Ihnen einmal sogar schwerfiel, auf einen ständigen Aufenthalt in Wien zu verzichten. — Sie gehen, mit Reinhold Schneider darin einig, Geschichte im Symbol zu sehen. Ist für Sie Wien ein solches Symbol in der Gegenwart und was für eines?“

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Vielleicht können Sie uns die Frage beantworten, was wohl tiefer dahinter steht, daß Sie, tei all Ihren Vortragsreisen nach 1933, gerade am Schluß dieser Zeit fast nur und dann immer für längere Zeit nach Wien gingen und daß es Ihnen einmal sogar schwerfiel, auf einen ständigen Aufenthalt in Wien zu verzichten. — Sie gehen, mit Reinhold Schneider darin einig, Geschichte im Symbol zu sehen. Ist für Sie Wien ein solches Symbol in der Gegenwart und was für eines?“

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„Ja, Wien scheint mir Symbol. Und um es gleich zu sagen: das letzte deutsche Symbol. Gewiß scheint heute München die letzte deutsche Stadt des Geistes, sosehr es eine amerikanische Fassade vor Trümmern ward. Gewiß scheinen demgegenüber Berlin und Wien heute wie überfluteter Damm in steigender östlicher Flut, kaum noch, wie ehedem, Grenzdamm gegen die andrängende Flut der Slaven. Nicht umsonst ist in Berlin das alte Hohenzollernschloß abgetragen und ist in Wien das alte St. Stephan der mythischmystischen Dämmerung seiner farbigen Fenster dahin. Und der Verlust dieses eigentlichen St. Stephan ist wirklich das, was die ach so traurig-schönen Gedenkbücher des Wiener Herold-Verlages über St. Stephan in sich tragen: das Bildbuch über das Chorgestühl des Domes (,D ie Wiener Passion', herausgegeben von Paul W. Stix und Lucca Chmel), wie es Totenmal der' unerhörten Antlitz-Tiefe dieser vernichteten Schnitzereien ist, und die Baugeschichte St. Stephans (,D ie Steine von St Stephan' von Alois Kieslinger), in der die ganze Spanne schwingt von den .ersten Steinen' zu den ,letzten (Stein-) Trümmern', bis ein Bild (S. 379) in entsetzlicher Realität ein völlig aufgerissenes, fast ein ,ausgeweidetes' St. Stephan zeigt, ausgeweidet durch den Sturm von Westen und Osten, ausgeweidet zur ,Befreiung' Oesterreichs — wahrhaft .Wiener Passion'! — Und doch, man muß dabei bleiben: Wien ist die letzte deutsche Stadt. Als ich im Krieg in St. Stephan die letzte der Herz-Jesu-Triduen hielt, auf einem Brettergestell, aber im wirklichen alten St. Stephan und in wirklich abendländischer Luft, wußte ich innerlich, was später der Niedersturz der alten Türken-Glocke, der ,Pummerin', symbolisieren sollte: daß diesmal Wien nicht ,von den Türken befreit würde' sondern vom ,Sturm aus dem Osten' verschlungen würde. Aber es blieb das ,Austria erit in orbe ultima', das ,Oesterreich letztes auf dem Erdkreis' für mich unerschüttert. — Das Denkmal Maria Theresias in den Gärten der Hofburg, das ungeschützt in feuerspeiende Himmel ragte, blieb völlig unversehrt, und diese große deutsche Frau schlingt ihren Schutzmantel wie ehedem über die eine ,Kaiserstadt'. Mag das heutige Wien noch so sehr, wie man erzählt, ,balkanisiert' sein — dasselbe sagen aufrichtige Franzosen von ihrem Frankreich und Paris. Und doch sind Wien und Paris das letzte Abendland. Ja, so befremdlich es klingen mag, das ist Symbol Wien. Berlin (sosehr man diese tapfere Stadt lieben muß) hat sich als das enthüllt, was es immer war: Amassierung von Kleinstädten. München ist nun offen das, was es ebenso immer wa: Amassierung oberbayrischer Dörfer (woran wirklich Münchens Zauber hängt). Imperiale deutsche Stadt ist nur Wien, und imperial, wie es sonst nur Paris ist. Das, was Abendland ausmacht, der ,Atem der Welt', das ist Atem von Wien und Paris. Das ist der reale Untergrund aller Träume und Angstträume von ,Anschluß' (zwischen Oesterreich und Deutschland) und ,europäischem Bund' (entscheidend zwischen Deutschland und Frankreich)!“

„Spricht da nicht zu subjektiv in Ihnen das, als was die Wiener einst Sie ansahen und ansprachen: der Schlesier als .gestohlener Sohn Maria Theresias'? Gibt es real heute eine Wiener Weltgeistigkeit, wie es doch eine Pariser Welt-geistigkeit gibt?“

„Sie sehen hier ringsherum geschichtet Wiener Buchproduktion aus den letzten Jahren und daneben die Hauptwerke der großen Pariserin, Madame C o 1 e 11 e. Colette, vor der die beiden feindlichen Freunde, Claudel und Gide, zum erstenmal vereint sind, um gleichsam ihre Kronen vor ihr niederzulegen als vor der .größten lebenden Schriftstellerin Frankreichs' (Claudel) und dem .weiblichen Genie' (Gide). Lassen Sie mich da einmal meine beliebten .Fäden spinnen'.

Der bekannte alte Wiener Verlag Anton Schroll öffnete mit seiner grandiosen Geschichte der ,A 11 - W i e n e r Volks-k o mö d i e' von Otto Rommel gleichsam die ganze .große Wiener Bühne'. Blättern Sie nur die herrlichen Szenenbilder durch, so haben Sie handgreiflich, was ich sagen wollte. Wo ist sonst in deutschen Landen so imperiale. Souveränität der Perspektiven — und so souveräner Humor? Die kosmische Weite der Bühnenbilder zur ,Zauberflöte' — und die unerschöpfliche ,Komik in Tränen' des ,Wurstl', wie er in Nestroy und Raimund seine Klassiker fand?!

Und nun nehmen Sie den Wiener Roman in die Hand, den uns der Hamburger Rowohlt-Verlag beschert: RobertMusils ,Mann ohne Eigenschaften'. Ein Ungetüm an Länge (fast 1700 Seiten), und ein geruhsames, fast alt-englisch umständliches Erzähl- und Reflexionstempo! So umständlich, daß das Fragment noch weitere 1700 Seiten versprechen könnte! Aber man spürt in diesen Kapiteln mit ihren amüsiert ironischen Ueberschriften das ausgedichtet, was die Bühnenbilder der Alt-Wiener Volkskomödie öffnen: Weltweite und in ihr das schmerzliche überlegene Lächeln.

Das ist Wien, und das ist Wien, wie es zu Paris gehört. Wien und Paris sind die .Weltstädte um die Frau', wie Berlin und London die .Weltstädte um den Mann' sind. Und so treffen die bezaubernden Bücher der .größten lebenden Schriftstellerin Frankreichs' (wie Claudel sagt) — Wien und Paris, oder besser: Paris in Wien und Wien in Paris. Es ist das ein und alles der ,amour', was in Wien wie in Paris die allgemeine Luft' ist. Man kann die Pariser ,midinette' wie das Wiener .süße Mädel' zu Symbol Paris wie zu Symbol Wien nehmen und dann wirklich mit bestem Recht von Babel Paris und Babel Wien sprechen. Aber dann muß man Verzicht tun auf das Ergreifendste, was in den Romanen der Colette geradezu ,weint': das grenzenlose Erbarmen mit all den ,verlorenen Frauen', die unter aller Immoralität — oder besser Amoralität — eine hingebende, sich bis zum letzten opfernde Liebe tragen, — die all die ,Sünderinnen' unter den Schutzmantel der ,Stadtsünderin Maria Magdalena' . legt, und in ihm unmittelbar ans Herz des ,Einen Freundes und Tischgenossen der Sünder'! — Und nun denken Sie daran, daß es der bekannte Wiener Zsolnay-Verlag ist, der die deutsche Ausgabe der Werke der Colette betreut! Also wiederum: Paris in Wien und Wien in Paris!“

,yerführt Sie bei diesen Parallelen nicht eine besondere Liebe zu Wien? — Zugegeben, daß jene Habsburger, die Oesterreich und insbesondere Wien geformt haben, das letzte, und zwar große Kaiserhaus jenes Meiligen Reiches' sind, das in seiner Ur-Intention immer den Orbis ter-rarum meinte, das Erdall als Ganzes. Zugegeben auch, daß es von hier aus nicht das Ungebilde einer .österreichischen Nation oder eines österreichischen Menschen' gibt. Auch zugegeben, daß die Konzeption Franz Ferdinands die letzte große Reichskonzeption war: Oesterreich ganz nach dem Osten hin zu orientieren, mit dem Sinn eines slawischen Imperiums unter Habsburgs Krone. Aber ist das alles nicht mit dem ersten Weltkrieg auf immer zusammengestürzt? Als in den Friedensverträgen, die dem ersten Weltkrieg folgten, die Unabhängigkeit Oesterreichs völkerrechtlich festgelegt wurde, war da nicht der heutige Zustand für immer grnndgelegt: Oesterreich und Wien nicht als Form, sondern als Beute eines slawischen Imperiums mit Ruß land als Spitze? So daß selbst der Traum vieler Tschechen kindlich erscheint: Wien zu erhalten als Mitte eines solchen Imperium slavicum? Gewiß, Zauber von Paris und Zauber von Wien sind innerlich ein Zauber. Aber ist es mehr als —■ Zauber? Oder ist es nicht — wenigstens bei Wien — Zauber eines gut einbalsamierten Leichnams?“

„Ohne Frage, Sie haben gerade den Dichter des .Mann ohne Eigenschaften' für sich. Musil läßt die Pläneschmiede der .großen Aktion' das Schlagwort .Welt-Oesterreich' prägen (237). Aber Oesterreich ist für ihn selbst das ,für den Umgang mit Wunsch- und Unwunschbildern geeignete Land' (526). Und doch weiß dieser größte Ironiker des Oesterreichischen und Wienerischen gerade die Formel eines .kosmisch Oesterreichischen' auszusprechen: Es .wird sich unser Sinn öffnen für Mensch und Tier ... und uns nur in alle Welt verflochten erhalten' (819), .mit der Hilfe gegenseitiger Liebe in einer... gehobenen weltlichen Verfassung zu leben' (893), ,wo das Leben in zauberhafter Stille wächst wie eine Blume' (1051). Gewiß spielt in seine Ideen Nietzsche hinein: wenn er der Prophet eines ,guten Bösen' sein möchte, das ,die Welt mehr braucht als das utopische gute Gute' (1633). Aber mitten hierin weiß er darum, daß ,der katholische Glauben... dazu (erzieht), die Dinge zu sehn, wie sie wirklich sind' (863), bis dazu, daß er den Satz schreiben kann: ,Wer dieses Licht sucht, der müsse über einen Abgrund, der keinen Boden und keine Brücke hat' (1095).

Aber über diesen Abgrund, sagt Musil, kommen wir ins ,Licht', und nur so. Dieses spezifisch österreichische und wienerische ,Licht' ist das (verzeihen Sie den Gedankensprung!) was Hans Urs v. Balthasar in seinem Buch über ,ReinholdSchnei-d e r' (Hegner, Köln 1953) als Grundzug der Geschichtsvision des großen Historikers und Dichters zeichnet: ,Der Adel der vollendeten Form hebt sich wie eine unbewußte, freiwillige Frucht aus der langsam reifenlassenden Trauer' (35): ,strenge Form aus dem Tod' (42). Burgundisches und spanisches Zeremoniell der habsburgischen ,Kaiserstadt' haben Wien, am Tor zum asiatischen Osten, noch mehr zur ,Weltstadt' im tiefen Sinn gemacht, als es Paris ist (das, nach Feucht-wanger, einen immanenten asiatischen Osten in sich trägt). Gold der Glorie der Maria-Theresia-Gloriette von Schönbrunn und lächelnde Melancholie um dieses Gold — das ist wirklich Stigma dieser einzigen, ewigen ,Stadt des Heiligen Reichs'.

Denn das ist es noch heute und vielleicht grad heute, wo der Untergang besiegelt scheint: da das ,befreite Oesterreich' für die Weltpolitik ein peinlicher Rest, eine quan-tite-negligeable' zu sein scheint. Schauen wir uns das geistige Gesicht von zwei echt Wiener Verlagen an! Der Herold-Verlag greift in seinen Autoren und Themen wirklich ,in die Welt'. Da ist das Weltbild der Martina Wied, die, im .Krähennest' (Herold, Wien), in das Frankreich der ,resistance' greift, und es gelingt ihr das Gegenbild: die zigeunerische Verlorenheit des Frankreichs, das in Rousseau das asiatische' in sich hinein gelassen hat, dessen epidemische Ausbreitung in der ,grande revo-lution' Lion Leuchtwanger in einem beklemmenden Stil ärztlicher Diagnose zu schildern wußte (in ,Narrenweisheit', Frankfurter Verlagsanstalt 1952). Denken wir an das Burgundische Zeremoniell, das Wien formte, so ist fast noch unheimlicher, wie I m m a B o d m e,r s h o f in dem Buch des Herold-Verlags ,Das verlorene Meer' die heutige gespenstige Verlorenheit des klassischen Burgund in ein geradezu athmosphäri-sches Wort zu bannen weiß. — Es baut sich in solchen Werken eines großen Wiener Verlages eine ganze konkrete Metaphysik der abendländischen Verlorenheit, einer V. Horen-heit, der der französische Südstaatle'r Julien Green, der Engländer Francis Stuart und der Italiener Giovanni Papini die letzten Nuancen geben. Julien Green (Tagebücher') in der Weise, wie er die Landschaft seiner Heimat in den Südstaaten schildert: , Wilde, fährliche Natur... mit ihren Geiern und Schlangen, ihrem alphaften Wachstum. Und einer Schwermut wie aus Urwelttagen' und Bäumen ,wie Lumpen eines Hexensabbats' (97). — Der Italiener Papini sieht die ganze heutige Welt als solche Verlorenheit (,Das schwarze Buch'): im Bild eines .Bacchanal... besessener Krüppel' (17), aber, echt italienisch, möchte er alles erleben als ,ein Eckchen... vom allgegenwärtigen, vom ewigen Eden' (260). — Der Engländer Francis Stuart allein weiß das Tiefere in solcher Verlorenheit: da (in ,D a s Lächeln') Ezra aufstöhnt: ,All dieser vernichtende Schmerz ..., was kann aus ihm werden?', erhält er als einzige Antwort: ,Father Mellowes Lächeln', und ,er erkannte, daß sie keine andere Antwort bekommen würden' (341 Ende).

Und nun, als Gegenstück gleichsam zu dieser gesamten Herold-Produktion, die größte Publikation des anderen katholischen Wiener Verlags: die große Nadlersche Hamann-Ausgabe der Thomas-Morus-Presse im Verlag Herder, deren vierter Band nun vorliegt! Ist es nicht ein Paradoxon, daß ein Wiener Verlag uns endlich den ganzen ,Magus aus dem Norden', den einzigen Freund Kants, schenkt, und damit die Einsicht schenkt, wie dieser Freundesbund die ganze Ueberwindung der Aufklärung bedeutet: in Kant die negative Ueberwindung in ein herbes Sichbescheiden in die Erde des Menschen von Fleisch und Blut; in Hamann die positive Ueberwindung in das volle Christentum, das ,Haupt und Leib Ein Christus'?“

„Wollen Sie denn mit diesem rapiden Ueber-blick liirklich andeuten, daß all diese, doch zu-jäl/ien Publikationen ein Symbol sind? Symbol Wien für die heutige Stunde?“

„Sie kennen die Fresken des Camposanto von Pisa,, die man früher teilweise Orcangna zuschrieb — diese unerhörte Comedia della morte. Vor kurzem legte man mir das Pisa-Buch von Rudolf Borchardt (Kurt Schütte-Verlag Frankfurt) in die Hand. Man kennt die Totenreligion und die Totenmonumente der Etrusker: wie in ihnen der — klug verborgene — Tiefengrund Roms sich aufgehüllt hat. Borchardt hat den erstaunlichen Instinkt, im Camposanto von Pisa den höchsten Ausdruck dieser Stadt zu sichten, die einmal die eigentliche Kaiserstadt der großen Staufer war und die überdies die ,älteste Mutterstadt Europas' ist: ,Pisaner, und keine Etrusker geworden ... ; Pisaner, und keine Italiener geworden... ; keine Halbgermanen und keine Toskaner' (7). Diese mütterliche Urstadt des Abendlands, wie Borchardt sie, als den geheimen Ur-traum auch seiner eigenen Dichtungen, ausgräbt, spannte den Bogen ihrer Kultur so weit, als der Welttraum des Staufers Friedrichs II. ging: ,ihr morgenländisch-griechisches Element durch provenQalischen Seelstoff auswiegend' (21). ,Trionfo della morte', Triumph des Todes, hat man die schönsten Teile dieses Totenmonumentes genannt. Nehmen wir die Worte dialektisch, so lenken sie zu dem zurück, was Reinhold Schneiders Weltbild ist — und worin wir Wien gekannten: Tiiumph im Tod. Wenn Pisa die Urstadt des Abendlands ist und Wien die letzte Kaiserstadt des Abendlands, ist es dann nicht folgerichtig, daß beide im selben Symbol stehen: Triumph im Tod? Was der Camposanto für Pisa ist, ist das nicht für Wien die Glorie lächelnder Todesmelancholie, die der Zauber von Hofburg, Schönbrunn und altem St. Stephan ist — und nicht zuletzt der gloriosen Spät-herbstlichkeit des Belvedere? Ist dies nicht das, was dem letzten Oesterreich-Wienerischen in Hofmannsthal und Trakl so berückend eigen ist! Triumph im Tod?“

„Wohin treibt Sie noch das, was die Wiener Zeitschrift ,Wort und Wahrheit' einmal Ihr Adlerauge' nannte, bexvundernd, aber doch mit einer gewissen Skepsis! Fehlt dann zu Pisa nicht noch Sigmund Freud? Wenn Sie vom Camposanto Pisas aus in Wien eine Art Mythos oder Metaphysik des Todes sehen — ist es dann ein zu willkürlicher Sprung, an das letzte Buch Freuds zu denken, in dem er Eros und Tod in-einander flicht?*

„Ja, Sie haben recht. Wenn die Colette eine Wienerin sein könnte mit ihrer Welt der amour und wenn der Camposanto von Pisa (gerade auch durch die Verflechtung zwischen Pisa und der Provence der ,Liebes-höfe') zur Atmosphäre von Wien weist, glauben Sie dann nicht, daß die letzte Sicht Freuds, den man doch gerne (im Unterschied zu seiner übel versystematisierenden Gefolgschaft) den alten weisen Rabbiner genannt hat, glauben Sie dann nicht, daß auch und gerade das Positive in den Sichten Freuds tatsächlich ,wienerisch' ist? — Das heidnische Wien wie das heidnische Paris waren ja ursprünglich Kultsitz einer ,Magna Mater'. Und so wie Paris durch Notre-Dame diesen Urkult umgetauft hat in eine geheime Marianität, so ist das Marianische auch intimste ,Luft Wiens'. Ewald Roellenbeck in seiner (verkonstruierten) ,Magna Mater' hat, als echter ,Psycho-analyt' (wie in einem köstlichen Hochland-Aufsatz die Freudianer einmal getauft waren), das wohl geahnt, aber diese Ahnung schnell vermaskiert in eine massive ,Versexualisie-rung' des Alten Testaments hinein bis ins Neue (Ciaassen und Roether, Darmstadt 1949). Aber in dem echt fraulichen Buch Johanna Herzog-Dürcks ,Zwi-schenAngstundVertrauen' (Glock und Lutz, Nürnberg) lebt das .Marianische' einer echten Psychotherapie als beherrschend Methode, obwohl diese echte Aerztin es mit keinem Wort nennt. Aber wenn sie alles darauf zurückführt, daß der Mensch lernen müsse, .hingebend offen zu stehen' was ist das denn andres als das .Gescheh mir!' der einen Frau, die nach St. Augustin schlecht-.hin ,Heil* ist!?“ itAlso Symbol Wien ist Maria?“

„Ja! Und ein Benediktiner von Seckau hat auch bereits, aus seinen Wiener Jahren der NS- und Kriegszeit heraus, die entsprechende Ethik dazu geschrieben: Leopold Sou-k u p in seinem Buch .Grundzüge einer Ethik der Persönlichkeit* (Anton Pustet, Graz). Er betont gewiß, echt bene-diktinisch, den ,ordo' (in einem Thomismus nicht starrer Begriffe, sondern lebendiger .discretio'). Aber die Mitte seines Buches ist nicht einfach eine rein übergeschichtliche ,Lex aeterna', sondern der ,Kairos' (112 ff.) Und diesen Kairos, diesen ,Augenblick' sieht er — marianisch. ,Gott, der alles aus Liebe wirkt, hat gleichsam in jedem Augenblick für jeden Menschen ein Gefäß bereit, das ihm mit der Hingabe seines Willens auszufüllen aufgegeben ist' (112). Denken wir daran, daß in der Lauretanischen Litanei Maria ,vas devotionis' und ,vas spirituale' genannt wird! Wenn Maria schlechthin das .Gefäß der Hingabe' ist als ,Gefäß des Heiligen Geistes', was ist dann die geheime innere Form des .Gefäß Mensch' in der .Hingabt seines Willens' in den .jeweiligen Augenblick von Gott her' anderes als — Maria im Menschen?

Und nun zum Schluß: in jeder Karikatur birgt sich die tiefere Wahrheit.

Der Wiener wie der Pariser Mensch gilt als der .Mensch des Augenblicks', bis zum allzu glaublichen Augenschein der Unzuver-lässigkeit und Augenblickslaune. Birgt aber nicht auch hier die Karikatur die tiefere Wahrheit? — Gehören dann nicht zueinander das Marianische und dieses Augenblickhafte? — Ist Maria und Augenblick nicht dann zusammen und ineinander Symbol Wien? Theologisches Symbol Maria — anthropologisches Symbol Augenblick?“

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