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Die Stille des Meeres

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Man sieht förmlich den Vortrab der deutschen Einquartierung kommen und das Nebenhaus eines Landschlosses besetzen, in dem ein alter Franzose mit seiner Nichte wohnt. — Dann kommt der deutsche Offizier selbst, er steht im Zimmer, das Licht, das der Kamin spendet, erreicht ihn nur nicht ganz. Er ist jung, hübsch, groß und elegant und hat die guten Manieron der besten seiner Kaste. Er spricht einwand; reies Französich und lächelt fein, als seine Rede nicht beantwortet wird und man ihn wortlos auf sein Zimmer führt, von dem er nun für Wochen Besitz ergreift.

Es herrscht schlechtes Wetter und es regnet viel. Das Haus am Lande ist kalt. Eines Abends kommt der Deutsche sich am Kamin des Hauses wärmen, vor dem der alte Mann mir seiner Nichte sitzt. Der Offizier ist in Zivil, wohl, um den Hausleuten seinen Anblick erträglicher zu machen. Er ist menschlich einsam, und so beginnt er zu erzählen, von sich, für sich, und doch auch zu den anderen, den Fremden, gewendet. Er berichtet von seinem Vater und dessen Liebe zu Frankreich, dem vor Generationen auch seine Familie, die Ebrennac, enstammte. Er schildert, wie er unter den Fittichen dieser beiden größten Kulturen Europas erzogen und aufgewachsen sei, wie sein Vater später schwer an den Enttäuschungen der Nachkriegspolitik gelitten habe und wie sich dessen große Liebe zu Frankreich in tiefsten Haß verwandelte. Er hatte dem sterbenden Vater das Versprechen geben müssen, Frankreichs Boden nie anders als in Waffen zu betreten. „Tu ne devras jamais aller en France avant d'y pouvoir entrer botte et casque.“ Seine Worte fallen gläsern und kalt in die Dunkelheit des Zimmers ienes alten Hauses, von dem Vercors erzählt. — Vercors, der der große Graphiker Jean Brullers ist.

Abend für Abend, so erzählt das Büchlein, das ein kleines, unendlich feines Kunstwerk ist, weiter, kommt der deutsche Offizier nun an den Kamin des alten Hauses und findet Abend für Abend dort seine unfreiwilligen Gastgeber vor. Sie bleiben stumm, und er hält lange Monologe, von denen er nicht weiß, ob sie ihren Geist und ihre Seelen erreichen. Er selbst ist Musiker, er versteht nichts von Politik, aber er liebt Frankreich, er kennt Frankreichs Kunst, Geschichte und Literatur. Er spricht auch von deutscher Musik, von seinem Leben. Während er spricht, ruhen seine Blicke und sein Lächeln auf dem feinen, stillen Profil des jungen Mädchens. Er spricht, um sie zu sehen und er schweigt, um sie nicht zu stören, wenn sie einen neuen Faden in ihre Nadel einzieht. Sie bleibt stumm und ihre Augen begegnen nie den seinen.

Da geht er auf einen vierzehntägigen Urlaub nach Paris, von dem er sich viel erwartet, Seine Freunde und Kameraden werden gleich ihm über Frankreichs Kultur denken und Frankreichs Geist fühlen! Bevor er geht, deutet er an, daß er sich sehne, seine Liebe für Frankreich erwidert zu wissen. Wie zu sich selber sagt er: „Un amour partager'

Dann ist er eine Woche aus der Stadt zurück und hst sich am Kamin der Gastgeber nicht blicken lassen — eines Abends aber steht er plötzlich vor ihnen, er ist in Uniform und sehr blaß, sein Gesicht hat einen fremden, harten Ausdruck und die Worte, die er spricht, kommen ihm schwer an, tönen hart und hölzern. Er hat in Paris in seinem Kameradenkreis und bei seinem dort unerwartet angetroffenen Bruder nur Unverständnis uhd Ablehnung seiner Ideen der inneren Verständigung mit Frankreich gefunden. Eisiger Zynismus und unermeßliche Überheblichkeit der Theorie des „Tausendjährigen Reiches“ klangen ihm überall entgegen. Frankreich sei vorerst einmal geistig völlig zu vernichten, dann erst könne man vielleicht anbahnend aufzubauen versuchen. Das sei das Recht der Deutschen, das Recht der Starken Er aber, Werner von Ebrennac, hat daraufhin seine Versetzung zur kämpfenden Truppe erbeten und erhalten — am nächsten Morgen schon geht er zu einer Felddivision ab.

Seine Hand, die er zusammengekrampft hält, ist der Ausdruck all dessen, was er leidet und seine Stimme hat allmählich jeglichen Klang verloren. Wie immer hängen seine Augen an dem Gesicht des Mädchens, das ihm heute sein Antlitz voll zuwendet, während sie das Haupt gesenkt hält. Nur einmal, zum ersten Mal, hebt sie plötzlich den Blick ihrer hellen Augen zu ihm auf. Da klingen die Worte Leutnant Ebrennacs: „Oh, welch ein Licht“, fast unhörbar in deutscher Sprache an das Ohr ihres Onkels. Die Tragik des Erlebens, die mehr bedeutet, als das Schicksal zweier Menschen, nimmt hierauf ihren Fortgang. Der deutsche Offizier rafft sich zusammen, zieht die Tür an sich und spricht noch einmal den oft gehörten Satz der letzten Wochen aus: „Je vous souhaite une bonne nuit!“ Noch einen Augenblick verweilt er, dann fügt er leise die zwei Silben „Adieu“ hinzu.

Für kurz tauchen die Blicke des jungen Mädchens und die seinen nochmals ineinander —, ein Leben liegt in diesen Ewigkeitssekunden, dann errät man noch mehr, als man es hört, auch von des Mädchens Munde das schicksalschwere Wort: „Adieu!“

Die Starrheit ist aus der Haltung des Offiziers gewichen, ein Lächeln löst seine Züge und ein Lächeln bleibt im Raum zurück, als sich längst schon die Tür hinter ihm geschlossen hat und seine Schritte im Hause verhallt sind ...

Am nächsten Morgen beim Frühstück, das die Nichte auch an diesem Tage, wie immer, ihrem Onkel bereitet, erscheint dem alten Franzosen der Tag grauer und kälter als gewöhnlich ...

Das Obersetzungs- und Verlagsrecht in deutscher Sprache wurde von einem Schweizer Verlag erworben und da die Einfuhr von Schweizer Büchern nach Österreich noch nicht geregelt ist, können wir leider dieses zarte und tiefempfundene Buch, seine deutsche Fassung, nicht schon zur Lektüre empfehlen.

„Das Antlitz Gottes.“ Drei Skizzen: Der Alte der Tage — Gott der Keruben — Gtt der Seraphen. Von DDr. Claus S c h e d L Wien 1946. Verlag Herder.

Im November 1944 wurden zu St. Rupprecht in Wien „Einkehrstunden für die Einheit der Kirche“, bei denen der Redemptoristenpater Schedl drei Vorträge hielt, veranstaltet. Diese drei Vorträge bilden die Grundlage der vorliegenden Skizzen. In der Einleitung stellt uns der Verfasser mit lippertinisdi anmutender Sprachgewalt in die geistige Situation des Menschen von heute, dessen große Versuchung die Verwischung der Grenzen von Gott und Welt ist, der vitale Pantheismus, wie ihn uns schon die Mythen der Inder, die im zu Tode verwundeten Weltstier — „Gott“ des Mithrasaltares zu Car-nuntum symbolischen Ausdruck gefunden hat. Schedl will nun den Menschen zum Schauen des wahren Gottes führen, nicht auf dem „Weg von unten“, den nach dem Zeugnis des Aquinaten nur wenige mühsam zu gehen imstande sind, sondern auf dem „Weg von oben her“, aus Gottes Selbstenthüllung in seiner Heiligen Schrift, rf Der Verfasser läßt die fast vergessene Herrlichkeit des Alten Testaments in ihrem Schönsten und Größten, in ihrem Gottesbild in meisterhafter Sprache neu aufleuchten. B. v. D.

„Der Eid des Hippokrates“. Von Franz Büchner. Verlag Herder, Freiburg i. Br.

Vorliegende Schrift ist trotz ihres geringen Umfanges ein bedeutsamer Beitrag zum Thema der ärztlichen Berufsethik wie überhaupt zum Problem einer gesetzlich geregelten Tötung menschlichen Lebens bei gewissen Tatbeständen.Zum Kronzeugen für die eindeutige Haltung der christlichen Ethik in dieser Frage wird Hippokrates, der größte Arzt der griechischen Kultur, aufgerufen. Der Eid, zu dem er seine Schüler verpflichtete, ist jahrhundertelang das Grundgesetz des ärztlichen Handelns geblieben, bis es der Nationalsozialismus in materialistischer Verblendung durchbrach. Dieser Eid wird, zeitgemäß erläutert, dem Leser vor Augen geführt. Im Bemühen, nationalsozialistisches Gedankengut auf dem Gebiete der medizinischen Ethik auszuschalten, ist das Büchlein eine wertvolle Unterstützung.

„Neues Leben“. Zeitschrift für biologische Lebensgestaltung. Verlag Dornbirn, Schulgasse 6.

Die Zielsetzung, in populär wissenschaftlich einwandfreier Weise neue medizinische und biologische Kenntnisse unter dem Publikum zu verbreiten, entspricht einem subjektiven und objektiven Bedürfnis unserer Zeit. Die Aufsätze der ersten Nummer sind im Sinne dieser Aufgabe geschickt gewählt. Nach welchen Gesichtspunkten die im Geleitwort angekündigte Pflege seelischer Kultur besorgt werden soll, geht allerdings nicht klar hervor. Falls die Zeitschrift wissenschaftlich und weltanschaulich Niveau behält, mag ihr ein größerer Leserkreis beschieden sein.

„Wia i red*“. Von Franz K a i n d 1, Verlag A. Buscheks Witwe, Waidhofen an der Thaya. Aus dem Bändchen spricht viel Heimatfreude. Das Waldland und seine Menden suchen dann aus fühlbarer Vertrautheit nach Abbildung.„Mei Waldviertel“ und „'s Waldviertler Fruih-jahr“ sind kräftige, ansprechende Gedichte. Andere entsprechen nicht ganz jenen Grundsätzen, die gerade für die Pflege des Mundartschrifttums geboten sind. Kaindl ist der erfolgreiche Verfasser des von dem bekannten Kremser Komponisten Süß vertonten Waldviertler Heimatliedes.

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