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Null-acht-fünfzehn

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„Am Marsch der Zeit wird dieser Elim fewiß nichts ändern. Aber er hat doch wenigstens gesagt, auf welche Weise, wenn wieder marschiert werden muß, auf keinen Fall marschiert werden sollte Gunter Groll in „Süddeutsche Zeitung

Bücher wie Hans-Hellmut Kirsts „N u lisch t • fü nf z eh n" sind im Westen nichts Neues. Mit der gleichen Wollust, mit der sich die am Kasernenhof oder im Felde Gepeinigten jahrhundertelang in die Pein gestürzt haben, entladen sie in gemessenen Abständen, von Grimmelshausen über Büchner bis zu Remarque, ihren Zorn auf die Peiniger in Balladen. Die Tragik der Peiniger dabei ist, daß sie die literarische Potenz in ihren Opfern nie rechtzeitig erkennen; sie würden sie sonst vielleicht nicht so schleifen; aber die Literatur wäre um soundsoviel schöne Zorne ärmer. Kirsts Kasernenroman gibt sich bewußt unliterarisch, eher amerikanisch-bestsellerisch, wohingegen etwa James Jones’ „Verdammt in alle Ewigkeit" eher abendländischen Ehrgeiz entwickelt und poetische Stirnrunzeln angesetzt hat, die der amerikanische Film noch dazu in der Richtung melancholischer Epopöe hin verstärkt hat.

Kirsts Roman ist rauh, aber herzlich. Und der ’ gleichnamige Film ist vorwiegend heiter, aber nicht hoffnungslos.

Zur Zeit sind hundertfünfzigtausend Kirst- Bücher im Umlauf und in Deutschland nicht weniger als 100 Kopien des Films; trotzdem kostet dort eine Kinokarte im Schwarzhandel ungefähr so viel wie das Buch. Den Reigen der österreichischen Aufführungen des Films eröffnet soeben Linz, es folgen Bregenz und Salzburg, denen sich mit ortsüblicher Verspätung, als ob es um Resultate von Landtagswahlen ginge, auch Wien vielleicht einmal anschließen -wird. Aber die Wiener haben schon einmal Walt Disneys „Schneewittchen" in Preßburg sehen müssen, warum nicht auch „08 15" in Neulengbach? Voilä. Hier prompt die Kritik.

Die Geschichte von der „abenteuerlichen Revolte des Gefreiten Asch" dürfte sich inzwischen durch deutsche Affären und Proteste gegen das Buch (nicht gegen den klugen Film!) einigermaßen herumgesprochen haben. Man müßte sie im Kommißjargon wiedergeben, dessen liebevolle Sprachpflege, nicht Sprachreform, zu den vernehmlichsten (nicht vornehmsten) Reizen des Buches zählt. Darnach wäre also Kanonier Vierbein die Wurzelsau der Batterie. Er fällt immer auf und wird darob vom Spieß und seinen Wurmfortsetzungen nach Strich und Faden geschliffen. Auf dem Tiefpunkt seiner Karriere entsteht ihm in Gestalt des Gefreiten Asch ein unerwarteter Retter und Rächer. Dessen hellem „Kopp" spielt der Zufall eine feine Schlinge in die Hand, die der zynische Intelligenzler hellwach und mit der genießerischen handwerklichen Fertigkeit eines Henkers von Profession der Reihe nach den Schleifern um den Hals legt. Es brandelt in der Batterie bis hoch hinauf, bis endlich einer, der um alles weiß, der Major (alte preußische Qualität), geistesgegenwärtig und stets über der Situation, die Lunte austritt und den ganzen Vorfall mit einem wahrhaft salomonischen Urteil liquidiert: Asch wird zum Unteroffizier befördert, und es wird sich, nach einem Jahr etwa, zeigen, ob er dann noch Lust und Muße zu solchen — Reformvorschlägen hat …

Hierherein schlägt im Film wie eine Peitsche die denkwürdige erste Sondermeldung vom Beginn des Polenfeldzuges, ein Gewitter zieht auf — und ein Blitz zerreißt die unheilschwangeren Wolken. Ende. Oder — fängt es jetzt erst so richtig an?

Mit diesem Un-happy-ending gewinnt der Film, wie auch sonst an mehreren Stellen, einen Hintergrund, den das massiv-vordergründige Buch gar nicht hat (erst sein II. Teil soll, wie man hört, diesen Trumpf ausspielen) und der den Film deutlich aus dem strammen Militärulk heraus auf eine völlig andere Ebene hebt. Dies geschieht schon am Anfang, wenn die bizarre Perspektive einer endlosen Kasernenhofmauer den „Staat im Staate“, die „Ordnung innerhalb der Ordnung" und ein besonderes, eigentümliches Menschsein innerhalb der Menschheit verkörpert; dann in der grandiosschaurigen Schleifszene in Fluten von Dreck und Galgenjammer — einem grellen Fanfarenstoß, härter und vielsagender als Rematques „Himmelstoß"; weiter in der chaplinesken Grußszene, da

Vierbein neben seinem Mädchen alle Sekunden nach allen Seiten hin ehrenbezeugen muß, sich aber damit tröstet, daß er es als Offizier damit noch schlimmer hätte (denn „unten sind immer mehr als oben"); und schließlich in der gespenstischen Mondscheinsonatenszene, da Beethoven gegen Hauptwachtmeister Schulz steht und zwei Welten, beide genau um ihre ewige Feindschaft wissend, beinahe brüderlich einander grüßen, so wie Voltaire jeweils den Hut vor der Kirche abtat …

„08 15" ist ein brillanter Film. Ein forscher, barscher, einseitiger, dabei aber grundehrlicher und in der heute ernsten, aber nicht hoffnungslosen Lage in Deutschland und Kakanien doppelt mutiger Angriff auf das Unteroffizierskorps, auf das Rückgrat der Armee (das verlängerte, würde Gefreiter Asch hinzusetzen), auf unnotwendige, zum Selbstzweck entartete Menschenschinderei und Individuumriecherei. Paul May, legitimiert durch „Duell mit dem Tod“, führt Regie, ein Team Namenloser spielt; sehr gekonnt, sehr diszipliniert und grau in grau wie die Namenlosen selber; nur Peter Carstens „Kowalski" und Wilfried Seyferts „Major” setzen ihren Randfiguren schärfere Lichter auf.

Der Film „08 15” predigt keinen schwammigen Linkspazifismus und flötet keine dicken EVG-Töne. Er ist eine harte Kopie einer harten Wirklichkeit, ein Dokument und damit ein Film der Zukunft. Büchners „Wozzeck" hat nicht den Remarqueschen Paul Bäumer und der brave Soldat Schwejk nicht den Kanonier Vierbein verhindert. Aber dąs macht nichts aus. Es müßte noch mehr Büchner- Dramen und Kirst-Filme geben. Denn der Soldat, mit einem so schweren und tragischen möglichen Amt gegen andere belastet, dürfte nicht auch noch sinnlos gegen sich selber wüten. Die Unteroffiziere des Ernstfalles, der Feldarmee, wußten das genau und waren für solidarische Kaltverpflegung und gegen gewichste Koppeln, für die brauchbare MP — und gegen die schmucke, blitzende, aber im Felde reichlich unzweckmäßige Dienstpistole „Nullachtfuffzehn".

(Nachschrift. Diese Kritik schreibt eine einstige Wurzelsau, ein ganz unmöglicher Vierbein der Ausbildungszeit, aus dem dann, als es um Tod und Teufel ging, trotzdem — nicht „weil" — ein ganz ordentliches Zweibein und Unteroffizier der Feldarmee geworden ist; eine „Nullachtfuffzehn" hat er also nie besessen.)

Die Witzecke einer bekannten Zeitschrift trägt den hübschen Titel „Man lacht woanders — anders". Wenn irgendwer, dann hat der Film zur Erhellung dieses Problems beigetragen. Renė Fülöp-Miller hat in seiner „Phantasiemaschine" als eine der wenigen historischen Leistungen des Films die Neuknüpfung des (ein Jahrhundert weit) abgerissenen Fadens der Hans-Wurst-Tradition erkannt. Darüber hinaus hat der Film unendlich Wichtiges zur spezifischen Nationalität des Humors beigesteuert, indem er seine verborgensten völkischen Wurzeln gleichsam „nah" und „groß" aufnahm, ja mitunter überhaupt erst entdeckte. Reizvolles Unternehmen: einmal den Filmlustspielen von München und Wien, Paris und Hollywood auf den Grund, auf die Finger zu schauen und solcherart tiefere Einblicke in nationale Arten (und Unarten) zu gewinnen!

Die Spitze, Sowohl hinsichtlich des künstlerischen Ranges wie auch der schärfsten nationalen Ausprägung, hält seit geraumer Zeit, etwa seit Ende des zweiten Weltkrieges, das englische Filmlustspiel. An seinem neuesten Kapitel, der bezaubernden „G eneviev e", kann man geradezu angelsächsichen Humor ablesen: Höchste Gegenständlichkeit, Intelligenz (aber nicht Spiritualität!), Weltweite und eine (bei allem Scharm) gewisse wohltuende Kühle und Verhaltenheit. Dieser Humor ist gut angezogen, hat Haltung und verliert (auch im Trubel des Klamauks) niemals den Kopf, ja nicht einmal den Zylinder. Dies hier sogar beim Wettrennen zweier Liebespaare mit — 50 Jahre alten Autowracks, von denen eines „Genevieve"heißt. Die geistige Souveränität der „Genevieve"müßte man in einem Seminar für österreichische. Lustspielregisseure vorführen.. Vielleicht lernte man daraus, wie man über Lust- Spiele nach innen lächeln, lachen, genießen und meditieren — und nicht laut herausbrüllen soll. Denn das Komische steckt nicht im Ding, sondern im Menschen. Dazu aber braucht es keine klebenden'Stühle,’Nackte in der Badewanne oder durcheinandergewürfelte Ehen wie im österreichischen und deutschen Weh-, nicht Lustspiel.

Stiller, fast altväterlich mild, gibt sich ein zweites englisches Lustspiel der Woche, „D i e M i 11 i o n p f u n d n o t e", die köstliche Geschichte Mark Twains von der Suggestivkraft vorgespiegelter, nicht vorhandener Reichtümer, die jahrzehntelang die Komödienstoffe der Bühne und des Films beeinflußt hat. Dem sauberen und netten Film fehlt gerade noch das Tüpfelchen auf dem i, das die ,,Genevieve” und andere englische Komödien haben.

Rudolf Jugert, Käutner-Schüler, ist der Regisseur zweier ’.deutscher Filme, die, ohne den ersten Rang zu. erreichen, doch über dem Durchschnitt, liegen „Gefangene der Ehe" wandelt das Heimkehrerthema ab: .hier..ij t es die, Frau, die. aus achtjähriger Sibiriengefangenschaft heimkehrt. Der unglückliche Titel gibt in keiner Weise die ernste Problemstellung des Films wieder. Curd Jürgens spielt den Mann, der nicht verzeihen kann, zu barsch, zu laut. Tragödien wie diese pflegen in einer unerbittlichen Stille abzurollen.

Bedeutender erscheint der Vorwurf Zuckmayers in dem Jugert-Fįlm.. „Ę ine Į. i.e be ..geschieh te" . Die äußeren- Vorzüge des Films sind bestechend: ejne Bombenbesetzung' (O. W. Fischer, Knef, de Kowa, Wieman, Schünzel, Diehl), das tief leuchtende Garutso-Plastorairia- Verfahren, die zauberhafte Wiedergabe der herben märkischen Landschaft ' und nicht zuletzt die Wortkargheit der keuschen Eiebesromanze. Sie an der preußischen Ordnungsmächt zerschellen zu lassen, dürfte nicht ganz im Sinne des Dichters liegen, denn er "läßt in des- Fridericus Rex glorreichen'Armee immerhin Soldaten prügeln und „keine Diskussion" -zu; Und "von- da weg führt die Via mala ohne viele Umwege zu Büchner, Remarque — und „08 15"! Roman Her le

Filmschau (Gutachten der Katholischen

Filmkommission für Oesterreich),.Nr. 41, 42 und 43, vom 14., 2,1. und .28. Oktober 1954: II (Für alle zulässig): „Die Millionpfundnote" — III (Für Erwachsene und reifere Jugend): „Sauerbruch — Das war mein Leben", „Der Komödiant von Wien", „Der Superspion", „Elfenbeinjäger" — IV (Für Erwachsene): „Die Lachbombe", „Tödliche Pfeile", „Brennpunkt Algier", „Houdini, der König des Varietes", „Quäx in Afrika", „Genevieve", „Man nennt mich Hondo" — IV a (Für- Erwachsene mit Vorbehalt): „Eine Liebesgeschichte“, „Gefangene der Ehe", „Mogambo", „Kinder der Liebe“, „Johannisfeuer" — IV b (Für Erwachsene mit ernstem Vorbehalt): „Bildnis einer Unbekannten", „Schule für Eheglück", „Heißes Eisen", „Die Sonne von. St. Moritz" — V (Abzuraten): „Das Geheimnis der Venus".

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