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Hoch, klingt das Lied...?

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Schlägt man in einem deutschen Lexikon das Stichwort Radetzky nach, so liest man überaus Ehrenvolles und Achtbares von diesem österreichischen Helden, Heerführer und Erzieher. Fast 70 Jahre lang gräbt sich seine Spur in Oesterreichs und seiner Verbündeten Geschichte.

Sieht man hingegen einen österreichischen Film, etwa „Hoch klingt der Radetzky-m a r s c h“, so sieht die Sache anders aus. Ein Filmlustspiel ist kein Geschichtsbuch. Aber es geht doch wohl auch hier nicht an, einen Radetzky-Film irgendwie vorzugeben und dann die entscheidende Mitwirkung des Mannes an den Befreiungskriegen, sein berühmt gewordenes Ausbildungssystem in Lom-bardo-Venetien und die Siege von Custozza und Novara samt und sondeis durch die Schlichtung einer Stubenmädchenrevolte und das Abfeuern von ganzen Batterien Nußdorfer und Grinzinger zu ersetzen. Ein hervorragender österreichischer Radetzky-Biograph hat in diesem Film gut zwanzig schwere Verstöße gegen Zeit- und Umwelttreue festgestellt. Die Jugendprädikatskommission des Unterrichtsministeriums hat den Film einstimmig wegen Verfälschung des Geschichtsbildes und Schädigung der geistigen Entwicklung der Jugend für den Besuch aller Jugendlichen bis 16 Jahre gesperrt. Was sich zudem' einzelne Darstellerinnen und Darsteller an Verstößen gegen Takt, Geschmack und Selbstachtung leisten, ist einfach unbeschreiblich. Hätte die Darstellerin der Sängerin Lina Strobl beispielsweise ihren Auf-und Abtritt auf der Praterbude auch nur ein einziges Mal vor dem Spiegel geprobt, hätte sie das Grausen so gepackt — wie jetzt das Publikum.

Nein, nein, Herrschaften, so geht das nicht. Man kann nicht über die österreichische Filmmisere jammern und sich dann selbst ins Gesicht spucken. Wir pflegen nicht streng, sondern sehr, sehr gnädig an österreichischen Filmen, besonders der Abteilung Unterhaltung, Maß zu nehmen. Für diesen Film aber schämen wir uns.

Hoch klingt das Lied... In diesen Tagen biegt ein englischer Film das jahrzehntelang arg filmverbeulte „Ehedreieck“ zurecht. „Die Frau im Morgenrock“ ist die Frau, die sich in der Ehe gehen läßt Und zudem von einer guten Portion fast chaplinesken Pechs verfolgt ist. Die andere Seite ist gepflegt und sordiniert, kein Vamp, nicht ohne Skrupeln, eher Typus der modernen, hübschen Sekretärin „mit Recht auf Liebe Dazwischen der Mann, ein Dutzendexemplar, hin- und hergerissen von links nach rechts. Die Lösung liegt in der Herzmitte: eine Ehe ist kein Koffer, den man nach zwanzig Jahren einfach einpackt. Ein großartiger Film: in Kleinigkeiten und seiner innersten Gradheit und Sauberkeit. Es läßt sich darüber streiten, ob Buch und Titelheldin (Yvonne Mitchell) die schlampige Schusseligkeit der kreuzbraven Ehefrau nicht etwas übertreiben, überbelichten; möglich ist sie, und Genaueres wissen wir eigentlich nicht darüber, wieviel Ehe daran schon zerbröckelt sind. Daß ein Film dieser Misere, ohne auch nur einen religiösen Satz zu sagen, das christliche Kreuz entgegenhält, ist nicht - hoch genug anzuschlagen. Der lobenden Empfehlung des Internationalen Katholischen Filmbüros und dem österreichischen Förderungs-Großunternehmen der Aktion „Der gute Film“ und des Verbandes österreichischer Filmjournalisten (siehe auch: Bild und Legende der heutigen Filmsonderseite) ist daher von ganzem Herzen Erfolg zu wünschen.

An zwei ernste Vorwürfe wagen sich (mit beachtenswertem Mut und Können) der deutsche Film „Nasser Asphalt“, Geschichte einer unheilvollen Zeitungsente, und „Fräulein“, fast ein Versuch einer (amerikanischen) Ehrenrettung der femme fatale der Besatzungszeit. „Im Mantel der Nach t“, ein französischer Kriminalfilm mit einem Spritzer Psychologie, steckt doch, trotz sehenswerter Spielleistungen, zu tief im Klischee. Be-, stürzend lustig machen sich die Amerikaner über ihre Marine in „Geh nicht zu nah ans Was-s e r“. Nicht den üblichen Schwung hat der Film mit Vittorio de Sica, „Ferien auf der Sonneninsel“; er ist aber auch eine deutsch-italienischfranzösische Gemeinschaftsarbeit — und das fällt dann eben so aus, wie wenn die drei einmal als Verbündete Krieg führen müßten!

F i I m s c h a u (Gutachten der Katholischen Film-koitimission für Oesterreich), Nrn. 39 und 40, vom 27. September und 4. Oktober 1958: III (Für Erwachsene und reifere Jugend): „Der schwarze Blitz“, „Teufelskerle des Ozeans“, „Wege zum Ruhm“ — IV a (Für Erwachsene): „Cowboy“, „Hinter den Mauern des Grauens“, „10.000 Schlafzimmer“, „Fahrstuhl zum Schafott“, „Die Höhle der Gesetzlosen“, „Hoch klingt der Radetzkymarsch“ — IV a (Für Erwachsene mit Vorbehalt): „Die Liebschaften enden im Morgengrauen“, „Der Acker der Verfemten“ — IV b (Für Erwachsene mit ernstem Vorbehalt) „Frauenstraße“, „Im Mantel der Nacht“, „Vom Teufel geritten“ — Vi (Abzulehnen): „Im Rausch der Sinne“. das Schul- und Bildungswesen enorme Bedeutung zu. Vorausgesetzt natürlich, daß das Entwicklungsschema nicht auf dem Papier bleibt, wie etwa der famose „Vanoni-Plan“, von dem heute nur noch ganz kaltblütige Politiker öffentlich zu reden wagen. In einem Jahrzehnt, und zwar in steigendem Rhythmus, will der Staat 1386 Milliarden Lire (56,2 Milliarden Schilling) zusätzlich für das Schulwesen ausgeben. Die Zahl soll nicht mehr Eindruck machen als sie es verdient. 13 86 Milliarden Lire stellen rund ein Drittel des gesamten Staatsbudgets eines Jahres dar; auf zehn Jahre aufgeteilt sind es 3,5 Prozent. Eine beachtliche Anstrengung also, und der erste ernsthafte Versuch in der Geschichte Italiens, zu einer wirklichen Kur des Grundübels am italienischen Volkskörper zu schreiten. In seinem Regierungsprogramm hat Fanfani das Schulwesen so stark unterstrichen, daß es hier und dort ironische Bemerkungen gegeben hat. Zu unrecht, denn nur mit der Erhöhung des allgemeinen Bildungsstandes kann auch das Uebel der Arbeitslosigkeit angegangen werden. Was würde es nützen, in einer spezialisierten Industrie neue Arbeitsplätze zu schaffen, wenn den verfügbaren Kräften jede Eignung fehlt, die Aufgaben zu erfüllen? Das Fanfani-Schema legt daher Gewicht auf die Ausbreitung der Fortbildungs-, Berufs- und Fachschulen, bei denen — wie bei den Pflichtschulen — das Prinzip der vollkommenen Unentgeltlichkeit herrschen soll. Für die Schulbauten werden insgesamt 640 Milliarden Lire ausgegeben und bei erfülltem Plan wird Italien um 75.000 Elementarschulklassen und 38.000 Schulräume für die höhere Stufe der Pflichtschulen mehr besitzen. Die Anzahl der Lehrkräfte soll sich um 70.000 vermehren.

Endlich werden auch die wissenschaftlichen Institute, Laboratorien und Bibliotheken über reichere Mittel verfügen und damit erst wirklich in der Lage sein, „die wissenschaftliche Forschung zu fördern und die zur Erfüllung der Berufsaufgaben notwendige Bildung zu vermitteln“, wie es die italienische Verfassung vorschreibt. In welchen Zustand der Verödung das Bildungswesen gelangt ist, zeigt das Beispiel der Nationalbibliothek „Vittorio Emanuele“ in Rom, eine der beiden „nationalen“ Bibliotheken Italiens, von denen sich die andere in Florenz befindet. Die „Vittorio Emanuele“ hat seit 1876 ihren Sitz in einem ehemaligen Jesuitenseminar, ein Bauwerk aus dem 16. Jahrhundert. Dem jährlichen Zuwachs von 45.000 als Pflichtexemplare abgelieferten Bänden waren die Mauern schließlich nicht mehr gewachsen und seit 1953 zeigten sich bedrohliche Anzeichen des Verfalls. Unterrichtsminister Segni setzte 1954 eine Kommission ein, welche neue Lösungen für die Unterbringung der Bibliothek studieren sollte. Auf Segni folgten die Minister Martino, Ermini, Rossi und Moro. Es erübrigt sich beinahe zu sagen, daß das Problem mit keinem Schritt weiter kam. Aber im Februar dieses Jahres traten plötzlich breite Spalten im Mauerwerk auf, so daß die Bibliotheksäle schleunigst geräumt werden mußten, wenn die Studierenden nicht mit den Termiten zusammen unter Trümmern und Buchregalen begraben werden sollten. Die Katastrophe ist nicht eingetreten, aber die Bibliothek, das einzige umfassende Studieninstrument für die Universitätsjugend Roms, ist seither geschlossen und 130 Bibliotheksangestellte vertreiben sich die Zeit in glücklicher Einsamkeit, zwei Millionen Bände abzustauben. In einem so dringenden Fall tat das Ministerium, was zu geschehen pflegt: eine zweite Kommission wurde ernannt, das Problem zu studieren. Das Ergebnis war jenes, was jeder mit den Dingen nur einigermaßen vertraute Römer seit Jahren als einzigen Ausweg gewiesen hat: der Vorschlag, auf dem Platz des Castro Pretorio, in der Kaiserzeit Sitz der Prätorianer, ein neues Gebäude aufzubauen. Heute befindet sich dort eine Kaserne, aber auch die tausendjährige Tradition berechtigt ihren Weiterbestand mitten im Zentrum Roms, in unmittelbarer Nähe der Universität, nicht, während alles auf den Sitz der neuen Bibliothek hinweist. So weit der Vorschlag der Kommission. Natürlich gibt es Leute, die das zentralgelegene, weite Areal lieber für die Bodenspekulation, für den Bau von Geschäfts häusern und Luxuswohnungen, verwenden möchten und der Bibliothek ein'am Tiber gelegenes altes Armenkrankenhaus zuweisen möchten, wo die Feuchtigkeit die Bände bald mit einer dicken Schimmelschichte überziehen würde, oder geradezu Mussolinis Weltausstellungsgelände auf halbem Wege nach Ostia, was zu einer Entmutigung der Studenten führen würde, die täglich eine solche Reise anzutreten hätten. Es mag spannend sein, die weitere Entwicklung der Dinge zu beobachten: ob die Bodenspekulanten oder der Gemeinsinn die Oberhand behalten werden.

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