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FeUmarschall Raderky

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Aus Anlaß des hundertsten Todestages des Feldmarschalls Radetzky am 5, Jänner gab der Verlag Herold ein Buch über den berühmten österreichischen Heerführer aus der Feder des ehemaligen Direktors des Wiener Kriegsarchivs, General a. D. Hofrat Dr. Oskar Regele, heraus, dem wir nachstehenden Beitrag entnehmen.

Die bedeutenden Namen, die uns in der Geschichte begegnen, tragen nicht immer Menschen, die ein nützliches Erbe hinterlassen haben, es können auch solche sein, die mit einem Ereignis irgendwie verknüpft und bloß dem Namen und der Funktion nach erinnerns-wert sind. Ein fruchtbares Erbe liegt vor, wenn dessen Schöpfer auch von den ernsten Nachkommen anerkannt bleibt. Die Oesterreicher bewundern und verehren ihren Radetzky noch immer — oft genug ist ihnen aber gar nicht recht bewußt, weshalb sie dieser so festverwurzelten Tradition huldigen. Erst wenn sie diese Frage genauer beantworten, empfinden sie die von Radetzky ausstrahlenden unvergänglichen Kräfte.

lieber den Feldmarschall als Soldat ist kein Wort zu verlieren. Als Mensch bleibt er nachahmenswert in seiner Achtung vor der Menschenwürde, in seiner Humanität und seiner Kunst, aus zusammengehörenden Menschen über alle Unterschiede hinweg für ein gemeinsames Ziel eine kraftvolle Einheit zu formen.

Das machtpolitische Erbe bestand in der „italienischen Armee“, dem Vorbild für In- und Ausland, aus welcher Felix Schwarzenberg und Erzherzog Albrecht, Hess, Kuhn und John, Franz Joseph I. und sein Weggefährte, Graf Beck, hervorgingen und deren Geist auf die Flotte wirkte, denn ohne Custoza und Novara wäre kein Lissa geworden. Gleich nach Abschluß der entscheidenden, die Großmachtstellung Oesterreichs für viele Jahrzehnte sichernden Kämpfe in Italien gab Radetzky an die Armee in Ungarn Kräfte ab, die dort zum Sieg mitverhalfen. Nach der bestandenen Probe von 1848/4 vermochte der Geist dieser Armee 1850 den Frieden ohne KWf'ia erhalteri. 1851 genügte das Erscheinen einer einzigen k. r Division in“ Schleswig-r?ol-'J stein, um ohne Blutopfer den politischen Willen durchzusetzen, genau wie 1853 das Ultimatum an die Türkei hinreichte, um ohne Schwertstreich in der montenegrinischen Frage alle Forderungen erfüllt zu sehen. Während des Krimkrieges gelang es der Stärke und dem Ruf der österreichischen Waffen, einen allgemeinen Krieg fernzuhalten. Solange also, nach Ra-detzkys Grundsatz, zureichend gerüstet wurde, konnte Oesterreich den Frieden durch Macht als Staatsprogramm erhalten und auf diesem Wege einem der Hauptgrundsätze der großen Politik Genüge leisten.

Vom Kampfwert der k. k. Armee in Italien hat Prinz Hohenlohe-Ingelfingen behauptet: „daß hunderttausend Oesterreicher, richtig geführt, imstande seien, einem Gegner von zweihunderttausend Mann innerhalb des Festungsvierecks einen siegreichen Widerstand zu leisten. Der Erfolg hat diese Behauptung bestätigt. Im Krieg 18 59 hat Oesterreich zwar Frieden geschlossen, ehe um das Festungsviereck gekämpft wurde, aber 1866 hat der Erzherzog Albrecht mit nicht ganz hunderttausend Mann zwei sardinische Armeen von im ganzen zweihunderttausend Mann siegreich abgewiesen.“

Wie der preußische Prinz, so versuchte' es auch Horsetzky, das in der Armee fortlebende Vermächtnis Radetzkys zu zeichnen: „Unverändert blieb (nach dem Ableben des Feldherrn) der durch die Kriege gefestigte sprichwörtlich gewordene ,gute Geist' der Armee, ihre innige Kameradschaft, ihre unbedingte Ergebenheit für den geliebten Allerhöchsten Kriegsherrn. Getragen von den stolzen Erinnerungen an die Ruhmestaten in Italien, durchdrungen von dem Bewußtsein, daß die Armee es war, die 1848/49 die Monarchie gerettet, war das damalige österreichische Heer der Träger des österreichischen Staatsgedankens und trotz seiner mannigfachen Elemente — das Sinnbild eines einigen und mächtigen Oesterreichs.“ Bei Solferino, wo der Radetzky-Schüler Benedek in der Niederlage die Waffenehre rettete, rang die Haltung der Truppen dem Marschall Forey das Wort ab: „Noch einen solchen Sieg und wir kehren ohne Armee nach Frankreich zurück!“ Von König-grätz wissen wir aber: „In sinnloser Zerstörungswut hatten sie (Politik und Parlament) jenes herrliche Werkzeug zertrümmert, das Radetzky dem Vaterland als kostbarstes Vermächtnis hinterlassen ... und als dieses Werk-

zeug den übermächtigen an zwei Fronten Oesterreich angreifenden Gegnern die Schlachtfelder überlassen mußte, sagte der preußische General von Schlichting: „Nie hat sich ein Zusammenbruch in allen Waffen unter größerem Glanz vollzogen“ (Kerchnawe).

Die k. u. k. Armee schöpfte im ersten Weltkrieg ebenfalls viel ihrer Kraft aus der Ra-detzky-Ueberlieferung. Kaiser Franz,Joseph, der, siebzehnjährig, unter Radetzkys Befehl im Felde stand, dachte nach 67 Jahren in seiner Proklamation vom 23. Mai 1915 an den Feldmarschall: ,*Die großen Erinnerungen von Novara, Custoza tmd Lissa, die den Stolz meiner Jugend bilden, und der Geist Radetzkys, Erzherzog Albrechts und Tegetthoffs, der in meiner Land- und Seemacht fortlebt, bürgen mir dafür, daß wir auch gegen Süden hin die Grenzen der Monarchie erfolgreich verteidigen werden.“ Zur Offensive im Jahre 1916 schrieb „Oesterreich-Ungarns letzter Krieg“: „So kam in jenen Pfingsttagen am Isonzo vnd auf den Bergen Tirols und Kärntens noch ein letztes Mal Grillparzers Ruf an die Armee zu seinem Recht: ,In deinem Lager ist Oesterreich!' “, und im Armeebefehl vom 2. November 1917 verlaytbarte. Kaiser Karl f.: „An den Wachtfeuern in Friaul leben für Meine Wehrmacht stolze Erinnerungen

wieder auf, Erinnerungen an längst vergangene Ruhmesepochen, die von den Namen Meiner Altvordern Carl und Albrecht und von dem Radetzkys nie und nimmer zu trennen sind.“

Ein weiteres Erbe hinterließ Radetzky als Staatsmann in seiner Auffassung vom Staat als einem der Umwelt unterworfenen Gebilde, als einer harmonischen Einheit aller Staatszweige in gegenseitigem Verstehen von Regierung und Verwaltung, von Rüstung und Wirtschaft, von außenpolitischer und militärischer Führung, in seinem evolutionistischen Fortschritt von oben nach unten, endlich im Begriff des Staatsdieners, in dem sich Freiheit des Geistes mit gläubiger Moral und restlosem Pflichtbewußtsein verbinden.

*

Thron und Altar — das war die Formel der alten Monarchien, und deshalb war auch Radetzky sehr religiös, wiederholt bezeichnete er die Religion als ein unentbehrliches Erziehungselement. In Aufrufen, Befehlen, Briefen oder Gesprächen appellierte er gerne an den Allmächtigen und schrieb unter sein von Richter gezeichnetes Porträt: „Gott segne und erhalte uns„ dies mein Wahlspruch!“ Das Testament .bekundet wahre Frömmigkeit, und unter den vielen Bildungsbestrebungen begegnet uns die

Förderung der Errichtung eines Institutes des soeurs du sacre coeur in Mailand. Nach dem Tode* seiner Tochter, der Gräfin Berchtold, fügte er sich demütig dem Schicksal: „So scheitern aber Pläne und Hoffnungen und lehren uns, wie wir, bloß dem Himmel vertrauend, mit Gewißheit auf etwas rechnen dürfen“ (1825), und nach dem Ableben seiner Gattin: „Gottes Fügung sei unser Trost, in der Hingebung Seines Willens unsere Aufgabe, das Los unserer Religion.“

Das staatspolitische Bekenntnis erschöpfte sich in der Dreiheit Dynastie-Oesterreich-Armee, damit hob es sich über alle Völkerschaften, Bekenntnisse, Parteiungen und Sonderströmungen empor, allein geeignet, das Amt des Feldherrn so auszuüben, um alle Söhne der vielfältigen Heimat zu gemeinsamem Sieg zu führen. Daß ihm wirklich alle gleich nahe standen, geht aus der Antwort auf die Ergebenheitsadresse des Berauner Kreises vom 13. August 1849 hervor: „Kein Zeichen der Liebe könnte mir teurer sein als das Andenken meiner Mitbürger, unter denen ich das Licht der Welt erblickte. Empfangen Sie alle, Hohe und Niedere, Junge und Alte, den wärmsten und innigsten Dank Ihres Mitbürgers, der stolz darauf ist, aus Ihrer Mitte hervorgegangen zu sein.“

Radetzky verstand es, auch der Krone gegenüber mutige Offenheit mit absolutem Gehorsam zu verbinden. In einem Vorschlag an die Staatskonferenz, „der uns zu moralischen Herren von Mitteleuropa durch Achtung und Respekt vor uns erheben würde“, bekannte er: „Dem edlen und hochherzigen Mann gegenüber ziemt sich die Sprache der Wahrheit und Ueber-zeugung, nur die Schwäche findet sie kühn.“ Natürlich' wtißte ■ er zu unterscheiden, - wo die Offenheit am rechten Platz“ sei und-wo nicht. Helfert erzählt, wie der Feldherr Unbrauchbare ausschied, „ohne es diese merken zu lassen. Das war bald in der ganzen Armee bekannt und es fühlte sich jeder seiner Offiziere nicht recht zumute, wenn ihn der Feldmarschall mit besonderer, etwas übertriebener Artigkeit behandelte, weil er darin ein sicheres, obwohl verhülltes Zeichen von dessen Unzufriedenheit erblickte. Radetzky ist dadurch bei den Gekränkten in den Verruf der Falschheit gekommen ... ging es wider seine Natur, jemandem unfreundlich zu begegnen.“ Dieser Charakterzug entsprach dem angeborenen Takt, der es nicht zuließ, einen einzelnen durch ablehnendes Verhalten allgemein bloßzustellen. Wenn der unerbittliche Dienst es forderte, mußte der Vorgesetzte vertraulich auch ungünstige Urte'le melden und durfte die Gefahr, dadurch angefeindet zu werden, nicht scheuen. Aber auch der Kreuzzug gegen den schriftlich unzählige Male angeprangerten „Schlendrian“, gegen „Schläfrigkeit“, gegen alle Bequemen und Unfähigen, denen Initiative mangelte und die bei jeder Reform hundert Bedenken zur Hand hatten, um nicht eine neue Arbeit beginnen zu müssen — dieser Kreuzzug konnte auch nicht nur Freunde gewinnen, und so war die Grenze gezogen, wo die notorische Güte endete, wo der große Unterschied gesetzt war zwischen' dem „Vater Radetzky“ und dem „Papa N. N.“, dem einen, der aus Ueberzeugung edel und gut war und dabei im Dienst keine Vernachlässigung dulden durfte, und dem anderen, der verantwortungslos auf Kosten des Dienstes durch die Finger sah, nur um sich beliebt zu machen. Die Korrektheit im Dienst ging so weit, daß eine Bitte aus dem Familienkreis mit dem Bedauern abgelehnt wurde, „nicht helfen zu können, da ich mich in Regimentsangelegenheiten nicht, mengen kann noch darf“.

In ■ Wort und Schrift war Radetzky einfach und verständlich. Sejne amtlichen Ausarbeitungen — bei denen man den Unterschied zwischen '1797 und 1857 in Inhalt, Stil und Schrift nicht übersehen darf — zeichnen sich durch logischen Aufbau: rückblickende Einleitung, punkt- oder paragraphenweise Stoffgruppierung und zusammenfassenden Auftrag aus. Fast alle Schriftstücke sind eigenhändig entworfen, häufig nachkorrigiert, in Diktaten finden sich persönliche Ergänzungen, Privatbriefe tragen das Zeichen

der Hast, des Zeitmangels und der Vernachlässigung von Stil und Form, mit zunehmendem Alter des Verfassers bleiben sie bisweilen nur schlagwortartige Bruchstücke. An Sprachen beherrschte Radetzky außer Französisch einige nichtdeutsche Armeesprachen „zum Dienstgebrauch genügend“, im Italienischen gab er zu, es „nicht so ferm“ zu gebrauchen. In auffallendem Widerspruch zu der beispiellosen Beliebtheit des Marschalls steht der Mangel an Rednergabe, die sonst so hervorragend dazu beiträgt, Herzen zu gewinnen. In der Anbahnung von Reformen trat oft eine ungestüme Eile zutage, die nicht immer Zustimmung eintrug. „Rührigkeit mit Fähigkeit gibt Führer“, pflegte Radetzky zu sagen.

Für Liebhabereien ließ sein Leben wenig Zeit. Radetzky hatte vermöge seiner Fähigkeiten gewöhnlich mehrere Aemter zugleich zu besorgen, er war Pionierkommandant und Generaladjutant, er war Brigadier und mit der Oberauf sieht über das gesamte Pferdewesen betraut, er war T-hef des Generalstabes und Hofkriegsrat, Divisionär und Adlatus, Armeekommandant und Generalgouverneur. Bei seinem Streben, sich jederzeit in den Militärwissenschaften ebenso wie in politischen Fragen auf dem laufenden zu halten, bei den zeitraubenden repräsentativen Verpflichtungen konnte er keine Muße erübrigen, um sich etwa der Musik oder sonstigem entspannenden Zeitvertreib zu widmen, der Dienst absorbierte das ganze Tagewerk. Lebhaftes Interesse gehörte der Geschichte. Seiner Tochter gab der Marschall den Rat: „Lasse deine Kinder vorzüglich in der Geschichte — mehr als Linterhaltungsstudium — unterrichten, es ist das einzige, was uns im praktischen Leben nützlich, ja als ein Spiegel in Betrachtung der lebenden Zeit lehrt.“ Einem seiner als Gutsbesitzer tätigen Schwiegersöhne pries er in den Jahren 1832 bis 1838 die Landwirtschaft: „Oekonomie ist noch stets der lohnendste Preis, den uns die Schöpfung gab, ich habe stets aber fruchtlos nach diesem Standpunkt gezielt, mein Los war anders bestimmt ... dünkt mir, ist der Oeko-nom allein der Glückliche, soweit wir Beschäftigung mit entsprechender Tätigkeit und der Uebejzeugung der hervorgebrachten Vorteile als Glück zu achten fähig sind.“ Der liebevoll gepflegte Festungsgarten in Olmütz, eine Tarock-partie, eine Pfeife, ein Glas Wein, das waren die bescheidenen außerdienstlichen Genüsse — anders hätte es aber kaum zum Leben Radetzkys gepaßt.

Betrachtet man Radetzkys Laufbahn, ist man zu glauben versucht, es stimme das physikalische Gesefe 'WdrT'fttthft Wo viel Licht - viel | Schatten. Was im Beruf stoYeffld' Virkt, das sind i die unausweichlichen Reibungen, ohne die es keine Berufsausübung geben kann, die daher nur bedingt als Schatten aufzufassen sind. Anders im Privatleben, das zu gestalten weitgehend in des Menschen Macht steht. Da wechseln zwar auch weniger erfreuliche Zeiten mit solchen des Glücks, bisweilen sind aber die ersteren überwiegend, und dann darf man mit Recht von Schatten sprechen. Niemals wird vom Schicksal das Füllhorn für den einzelnen zur Gänze entleert, das ist der weise Ausgleich der Schöpfung, die das Vollständige nur in der Erwartung, das Unvollständige jedoch im Erleben vorsieht. So mußte auch Radetzky für den blendenden Sonnenschein seiner Berufserfolge manche Düsternis daheim hinnehmen.

Radetzky trat fast ohne Vermögen ins Leben, denn sein Vormund hatte das Erbe höchst unvorteilhaft verwaltet. Aus einem Schriftstück von 1803 geht hervor, daß sich Radetzky „in dem letzten Türken- und französischen Krieg um das Vaterland verdient machte und während seiner Abwesenheit vom Vaterland um sein ganzes Vermögen kam“, daher eine Realitätenbesitz betreffende Zahlungserleichterung zugebilligt erhielt. Das Leben in kleinen Friedensgarnisonen brachte oft Gelegenheit, Geld zu verlieren, Kartenspiel, Würfel, Abenteuer und Wein mochten bisweilen an Wallensteins Lager gemahnt haben. Daß aber Radetzky ähnlichen Versuchungen nicht unterlag, bezeugen seine Konduitenlisten. In der Beschreibung von 1786 , und 1787 lauten für den Zwanzigjährigen die Rubriken: „Guter Wirt: Ja! Dem Trunk ergeben: Nein! Spieler: Nein! Schuldenmacher: Nein! Zänker: Nein! Für 1789 — im Türkenkrieg — findet sich in der Rubrik „Guter Wirt“ die Aenderung: „Nicht sonderlich.“ Die Kon-duitenliste von 1795 sagt, daß der 29jährige Rittmeister von guter Gesundheit, sehr guter Gemütsbeschaffenheit, vortrefflichen Talenten, sprachgewandt, in allen Diensten und in der Feder sehr geschickt, ein guter Reiter, sehr eifrig, wirksam, unermüdlich mit sehr viel Eifer, im Verkehr mit Vorgesetzten, Untergebenen und mit dem Zivil sehr gut, ein guter Wirt, weder Trinker noch SpJ :1er, weder Schuldenmacher noch Zänker, daher, alles in allem, für die Beförderung vorzüglich geeignet sei. Finanzielle Schwierigkeiten stellten sich erst mit der Ehe

ein, die nicht weniger als zwölf Uebersied-lur.gen in 33 Jahren zu verzeichnen hatte — und . -ht umsonst hörte man in Altösterreich bei;.. Lilitäf sagen, jede Uebersiedlung bedeute einmal Abbrennen. Die Gemahlin Radetzkys, mit 17 Jahren verheiratet, mit 36 Jahren achtfache Mutter, war den Anforderungen einer so zahlreichen Familie mitten in der Wirtschaftsnot langer Kriegszeiten, verbunden mit oftmaligen Trennungen vom Gatten, zuwenig gewachsen und die Sorgen wuchsen ihr bald über den Kopf. Die Ungunst der so ereignisreichen Zeiten und die wechselvollen Schicksale der Kinder und ihrer Familien störten in der 5 6j ährigen Ehe sehr oft ein ruhiges Familienleben, die Ehegatten blieben sich aber trotzdem eng verbunden, wie die auch in ärgster Zeitbedrängnis vom Schlachtfeld aus unterhaltene Korrespondenz dartut.

Die Söhne traten in die Armee ein, allein sie entgingen nicht den Fährnissen des Offiziersdaseins, das bei kümmerlicher Gage kostspielig war, und als Söhne eines Offiziers, der bald einen allbekannten Namen führte und dann sogar Feldmarschall war, neigten sie zu Ausgaben, die ihr Einkommen überschritten. Es mußte stets der Vater aushelfen, besonders dann, wenn sie, wie zum Beispiel in Mantua, in Erpresser-

hände fielen. Sogar st* musterhafte Lieblingstochter, die Gräfin Wenckheim, geriet in Geldnot, als sie einem Bruder zu Hilfe kommen sollte, und sie entschuldigte sich: „ ... mit fünf Kindern muß man wahrlich mehr als sparen, um schuldenfrei auszukommen... das Geld, das mir der Vater vor einige Jahren sandte, als er anstatt, 'der. Donation ,die;aweimalhunderttausend Gulden erhielt, habe ich davon gleich meine Schulden bezahlt, die ich machen mußte, als ich heiratete, da ich keine Ausstattung erhielt.“ Aus anderen Briefen geht hervor, daß sich dieselbe Tochter ihr Brautkleid eigenhändig genäht hat, daß sie vom immer hilfsbereiten Vater für die zur Anwesenheit bei der Mailänder Krönung vorgeschriebene Robe einen Beitrag erhielt, diesen aber Geschwistern abgetreten und gleichzeitig ihr väterliches Taschengeld der Mutter überlassen hat. Radetzky bekleidete der Reihe nach Stellungen mit umfangreichen gesellschaftlichen Verpflichtungen, und so stand er bald selbst vor Geldverlegenheiten. Man darf sich nun Radetzky nicht als pedantischen Hausvater vorstellen, wie er des Abends in ein Notizbuch die täglichen Ausgaben eintrug. Er bezog seine Gage, die seit 1810 vom Kaiser dauernd durch eine Zulage „in Rücksicht seiner sowohl in Kriegs- wie Friedenszeiten geleisteten ausgezeichneten Dienste und aus besonderer Gnade“ erhöht war, dazu kamen 1841 Quartiergeldbeihilfen, weil, wie der Hofkriegsrat konstatierte, „der Kommandierende General mehr als jeder andere in die Notwendigkeit versetzt ist, in seiner Wohnung Personen aus höchsten Ständen, ja selbst regierende Herren zu empfangen; er muß sich mit einem höheren Glanz umgeben, an den man zu Mailand gewohnt und welchen er auch seiner hohen Stellung schuldig ist“ (1845). Die Mailänder Wohnung (Casa Arconati) bestand aus acht Zimmern und fiel 1848 der Plünderung anheim. Der General hatte weiter einen Marstall mit sieben, später mit zwölf Pferden zu unterhalten, und man weiß, daß die Pferdehaltung oft ganz unvorhergesehen hohe Auslagen mit sich brachte. Auch „Tafelgelder“ standen zur Verfügung, zeitweise Erträgnisse aus Gutsbesitz, endlich noch die The-resien-Ordens-Pension. Häuften sich nun Zahlungsverpflichtungen, dann ließ der Schuldner auf seine Einkünfte wie auf ein Konto vormerken, er ließ seine Gage und Ordenspension herabsetzen, und die Gläubiger wurden derart nacheinander befriedigt. Natürlich empfand Radetzky diesen Zustand als irgendwie störend für seine Stellung, aber er zögerte nie, Verpflichtungen seiner Familie zu übernehmen, selbst wenn er persönlich daran nicht beteiligt war. Bereits 1841 war die Ordenspension abzugsfrei, und als nach dem Tode der Gräfin Radetzky, der im greisen Witwer noch einmal auch die schmerzlichen Erinnerungen an einen

langen, gemeinsamen Lebensweg aufleben ließ, Generaladjutant Stöger die Führung des Haushaltes — man hätte ruhig sagen können: der Hofhaltung — übernahm und auch damit aufräumte, daß gewissenlose Elemente aus der bekannten Großzügigkeit der finanziellen Gebarung Vorteile zogen, da trat bald volle Sanierung ein. Am 20. Mai 1849 schrieb der Feldmarschall an seinen Notar: „Ich bin alt und fühle das Abnehmen meiner Kraft, somit ist Vordenkung für die Abfahrt mir als Familienvater Pflicht. Ich habe alle mir zur Last gelegten Schulden befriedigt und bin in dem Genuß meines vollen Gagebezuges, welcher mit einem Drittel Abzug seit dem Jahre 1816 belegt war, ebenso habe ich noch seit dieser Zeit mit einem Fünftel des mir Belassenen alles übrige bezahlt.“ Der Notar wurde ersucht, genau nachzusehen, ob nun wirklich alles in Ordnung gebracht sei. Beim Tode des Marschalls blieb den Erben einschließlich der Ehrengeschenke ein Nachlaßwert von 61.740 Gulden, und die Ordenspension wies ein Guthaben von 284 Gulden aus. In ebenso geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen wie als Leutnant 1786 oder als Rittmeister 1795 schied der Feldmarschall 1858 aus dem Leben. In seinen Schriften liegt eine Betrachtung über „Balancierung

des Einkommens mit den Auslagen“, verfaßt aus Anlaß überhandnehmender Verschuldung der Offiziere: „Nichtgeregelte Haushaltung führt zum Schuldenmachen. Leichtsinnige Schulden sind das größte Unglück für einen jungen Manu und Offizier ... wirft sie in die Hände gewissenlose? Wucherer — dieses Bild des Jammers ist... auf traurige Erfahrungen gegründet, und glücklich der junge Mann, der mit angeborenem Hang zum Leichtsinn noch beizeiten den Abgrund erblickt, der sich ihm öffnet.“ Von den „leichtsinnigen“ Schulden waren also andere zu unterscheiden, die sich aus ungünstigen Fügungen ergaben. Im Falle Radetzky könnte man übrigens sagen, Schulden machen dürfe nur jener, der sie auch abzahlen und dabei auf Freundeshilfe rechnen kann. Die Bilanz ist aber grundsätzlich anders aufzustellen. Es gibt vor allem eine Wohltätigkeitsbilanz insoferne, als zu berücksichtigen ist, daß der Feldherr immer, man kann nur sagen verschwenderisch wohltätig und gebefreudig war. Er schenkte an Soldaten, Arme und Bettler fast alltäglich Geld, er mußte fortlaufend Spenden zeichnen, er hatte Hochzeits-, Tauf- und Jubiläumsgeschenke zu verteilen, die heute noch den Stolz von Familien bilden, die sie ererbten, er half als Inhaber in seinem Regiment, er förderte Vereine, er führte ein gastliches Haus, das für jedermann offen stand, wer immer im Hauptquartier zu tun hatte, er übernahm Patenschaften wie für Nachkommen Andreas Hofers oder für Alexander von Battenberg. 1815 errichtete der Gutsherr auf Unterthurn eine Schulstiftung, und als 1811 das Gut niedergebrannt war, da überließ er die von den Franzosen gewährte Entschädigung den Marktbewohnern. Als ein Gläubiger der Familie auf seine Forderung zum Besten eines Erziehungsheimes verzichtete, erlegte der Marschall sofort die Summe von sich aus, „obwohl diese Schuld seine Person keineswegs betraf“. So wurde mit vollen Händen gegeben, und als

einmal der Oberleutnant von Stdnbach von einem Rekognoszierungsritt eine Meldung brachte, auf die Frage nach der Zeit jedoch nicht antworten konnte, da er beim Ritt seine Uhr verloren hatte, da überreichte ihm der Marschall sofort seine eigene goldene, aus England stammende Taschenuhr als Geschenk. Noch bis zum Tode gab Radetzky den ihm beigestellten Rollstuhlfahrern täglich einen Silbergulden.

Das bedeutendste Haben in der Abrechnung betraf jedoch den Staat. Hätte Oesterreich 1813 bis 1815 oder 1848/49 Kriegsentschädigungen zahlen und noch andere Verluste hinnehmen müssen, statt daß es, nicht zuletzt durch Radetzkys Wirken, als Sieger hervorging, dann würde der Saldo ein anderes Bild zeigen: das ist die Nationalbilanz der Schulden. Der für ganz Oesterreich entstandene Nutzen ist derart unmeßbar, daß die dem Feldherrn zuerkannten Geldbeträge nicht ins Gewicht fallen können, höchstens im Sinne einer beispiellosen Verzinsung, wie es der Kaiser nach den Siegen im Jahre 1848 aufgefaßt hat: „Schaut's, jetzt war's halt doch gut, daß wir ihm noch einmal die Schulden zahlt haben!“ Unter welchem Titel die Zahlungen erfolgt sind, war letzten Endes belanglos, denn auch Radetzky hatte, ob mit oder ohne Schulden, als siegreicher Feldherr darauf Anspruch, von der Nation einen außergewöhnlichen Lohn zu empfangen, wie es in aller Welt üblich war. Nach dem Krieg von 1870/71 wurden im Deutschen Reich an den Prinzen Friedrich Karl von Preußen, an Moltke, Roon und Manteuffel je 1,200.000 und an 21 Armee- und Korpskommandanten zwischen 300.000 und 600.000 Mark als Nationalgeschenk ausgezahlt, und Kaiser Franz Joseph gewährte manchem hohen Funktionär Beihilfen aus der Privatschatulle, auch wenn dessen Name nicht in die Geschichte Eingang gefunden hatte.

An die Finanzgebarung geschichtlicher Persönlichkeiten ist nicht kleinlich die Elle des Alltags anzulegen. Prinz Eugen hatte Schulden — was schuldet ihm aber Europa bis heute? Rembrandt, Nelson, Mozart, Schubert und Beethoven kamen aus Geldverlegenheiten nicht hinaus, alle diese Großen waren irgendwie lebensuntüchtig, sobald es sich um die kleinen Existenzfragen handelte. Um Beethoven aus solcher Bedrängnis zu befreien, vereinigten sich Fürsterzbischof Erzherzog Rudolf, Fürst Lobko-witz und der Theresienritter Fürst Ferdinand Kinsky und gewährten 1809 dem Meister der Töne eine Jahresrente von 4000 Gulden, „da es erwiesen ist, daß nur ein soviel wie möglich sorgenfreier Mensch sich seinem Fach allein widmen könne, und diese von allen 'übrtgiftr-Beschäftigungen- äüsscnliejßlichef Vttjjfoflbj? allein imstande sei, große, erhabene und die Kunst veredelnde Werke zu erzeugen“. General Gamelin schrieb 1936 über Licht und Schatten im Leben großer Männer: „Ich glaube nicht, daß die berühmten Generale oder die großen Staatsmänner immer aus den .braven Kindern' hervorgehen müssen. Heinrich IV. war unser größter König. Richelieu unser größter Minister. Sie waren keineswegs Muster der bürgerlichen oder kirchlichen Tugend. Der gesunde Sinn des Volkes stößt sich nicht daran. Er verlangt nicht dieselben Eigenschaften von einer Schauspielerin, einer Familienmutter und einer barmherzigen Schwester.“

*

Als feingeistiger Menschenbeobachter rühmt Adalbert Stifter in seinen „Bunten Steinen“ am Individuum als „groß“: das Maßhalten, die Wahrung von Recht und Sitte, die Beachtung von Altruismus und Duldsamkeit, dann Pflichterfüllung und die „ruhige Todesverachtung des Helden für das Vaterland“; als „klein“ bezeichnet er alles Gegenteilige, wie Zorn, Rache, Habsucht, Gewalt, Rechtsbruch und Zerstörung. Radetzkys Charakterzüge fallen offenkundig unter die Stiftersche Definition menschlicher Größe. Versucht man, die den Feldherrn vorwiegend kennzeichnenden Eigenschaften, Gaben und Talente auf einige wenige grundlegende zurückzuführen, dann ergeben sich als zeitlose Leitsterne:

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