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Der Tag von Hochstädt

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ln den kämpfenden Heeren des 18. Jahrhunderts wußte man von all den Feinheiten und präzisen Wendungen der Kabinettspolitik recht wenig. Man wußte jedoch, daß auch der Feind wohlerfahren in der Kunst des Krieges und seiner zahllosen, schönen Regeln war. Soldaten und Armee bewegten sich wie in einer graziösen, wehn auch etwas makabren Quadrille. „Meine

Herren Franzosen, schießen Sie zuerst!“ rief ein vor seiner Kompanie schreitender englischer Offizier seinem Gegner zu. Distanzierter kann man es kaum halten. Im milden Licht der Ironie formt sich der Heldenstil des Leisgedämpften, der Heldenstil des „understatement“; er wird im Engländer selbst das hinreißende Pathos der napoleonischen Kriege überleben.

‘ „Kommt und sehet, wie ein Marschall von Frankreich auf dem Schlachtfeld stirbt", hat einer der Heerführer Napoleons seinen Männern zugerufen.

„Mylord“, sagte einer der Adjutanten Wellingtons, dem eben eine Kanonenkugel das Bein zerschmettert hatte, zu seinem Oberbefehlshaber, „Mylord, ich fürchte, daß mein Bein mich verlassen hat.“

Es ergibt sich nun die Frage, welchen Veränderungen der Kriegsstil des 18. Jahrhunderts unter dem Einfluß wirklich großer Feldherrenbegabung unterworfen war, und wie all die Regeln und Etiketten, die besonders in den Belagerungen zu einer so feinen und schwierigen Kunst zusammengefaßt worden waren, der Belastung durch das Genie standhielten. Auf dem innereuropäischen Kriegsschauplatz erfolgte der erste große Durchbruch der Begabung durch die versteinerten Konventionen bei Hochstädt, oder wie die Engländer sägen: bei Bienheim, wobei das Bemerkenswerte war, daß Eugen von Savoyen und der Herzog von Marlborough nur die Konventionen zerrissen, die dahinter spürbare Ethik aber unangetastet ließen. Napoleon sollte es anders halten. Zunächst sah es übrigens auch bei Hochstädt so aus, als würde sich der Kriegsstil, nicht aber das Feldherrngenie durchsetzen. Marlborough allein konnte die Franzosen weder schlagen noch überhaupt angreifen, der Prinz Eugen besaß keine Armee, und der Markgraf von Baden (der ihm Truppen hätte geben können) wollte, wie er es in einem anderen Zusammenhang formuliert hatte, „den Krieg wie ein erfahrener Feldherr, nicht wie ein Husar führen". Im besonderen Fall wollte er ihn auch noch wie ein erfahrener Reichsfürst führen.

Doch das angesammelte Genie mußte sich nun einmal entladen. Eugen und Marlborough waren bereit, ein ungeheures Risiko auf sich zu nehmen, sie ließen Ludwig von Baden in eine andere Richtung ziehen, verzichteten auf die numerische Ueberlegenheit, die sie hätten haben können, stahlen sich heimlich aus dem Kriegsstil des 18. Jahrhunderts. Am 12. August 1704 schob sich die englisch-kaiserliche Armee an die französisch-bayrische heran.

Bienheim war das, was man früher eine „schöne Schlacht“ genannt hätte. Wir sind heute eher geneigt, die schrecklichen Seiten eines solchen Treffens vor Augen zu haben, und vergessen daher, daß auch dieses Schauspiel nicht nur seine absoluten ästhetischen Qualitäten besaß, sondern fest eingebaut war in den grandiosschrecklichen Plan von Werden und Vergehen,

. Leben, Streiten und Tod. Welche Qualitäten eine „schöne Schlacht“ besitzen muß, darüber kann man natürlich verschiedener Meinung sein. Sicherlich müssen Wucht und Entscheidung sich sehr zusammenballen, und in dieser Beziehung übertrifft Bienheim beinahe alle anderen Schlachten. Ein Morgennebel, der plötzlich aufreißt, gehört zu der Witterungsdramatik solcher Entscheidungsstunden, und es fällt nicht schwer sich vorzustellen, wie an diesem Tag aus den Dunstschleiern, die die sumpfigen Wiesen um den Flußlauf der Nebe bedeckten, plötzlich die Menschenmauer aus tiefem Rot und vollem Blau emporstieg. Gegen das Strahlende eines Sommertages mit seinen satten Tönen von Grün und Gold muß sich die dunkle Majestät des Todes seltsam eindringlich abgehoben haben.

Eine gewisse Ueberheblichkeit der schließlich unterliegenden Partei aber dämpft unser Mitgefühl. Von solcher Ueberheblichkeit war das französische Heer bei Bienheim nun keinesfalls frei. Die kaiserlich-englische Armee war bereits zum Angriff angetreten, als Marschall Tallard an seinen König schrieb: „Sie (die Feinde) haben nun vor ihrem Lager Stellung bezogen, und es sieht so aus, als ob sie heute abziehen wollten. Umlaufenden Gerüchten zufolge, wollen sie nach Nördlingen marschieren.“ Das war um etwa sieben Uhr. Knapp eine halbe Stunde später hatte das Artillerieduell feereits eine solche Heftigkeit erreicht, daß der vierzig Meilen entfernte Markgraf von Baden, der gerade einen Brief an den Kaiser schrieb, hinzufügte: „Der Prinz und der Herzog sind westwärts in ein Gefecht verwickelt — Gott schütze sie.“

Daß dabei Marschall Tallard mit seiner überheblichen Sicherheit keinesfalls vereinzelt war, zeigt das Tagebuch des Grafen Merode. Sein Offiziersbursche mußte ihn erst für die Schlacht wecken, indem er das Tor der Scheune aufstieß und den Teppich von der Bettstatt wegzog, so daß sich den Augen des erstaunten Merode das Bild der von präzis vormarschierenden Regimentern des Feindes erfüllten Ebene darbot. Trotzdem darf man nicht annehmen, daß das französische Heer überrumpelt worden war. Man hatte alle Vorkehrungen getroffen, konnte nur an den Angriff bis zum Schluß nicht glauben. „Sie waren so lange an diesen Krieg mit beschränkten Risiken gewöhnt, daß ihnen die Idee einer wilden und tödlichen Umklammerung gar nicht kam. Daß die Armee sich plötzlich auf sie stürzen würde, in dem Versuch zu töten oder unterzugehen, kam ihnen ebenso unwahrscheinlich vor wie daß ein Schachspieler das Brett umstürzt, um seinem Gegner an die Gurgel zu fahren“, schreibt Churchill in seiner Marl- borough-Biographie.

Der Gefechtsgedanke war, wie bei allen „schönen Schlachten“, ein einfacher: Eugen sollte angreifen und den linken Flügel des Feindes niederhalten, Marlborough den rechten überwältigen und damit den Untergang des französischen Heeres auslösen. Auch heute noch wird es einem, wenn man das Schlachtfeld besucht, klar, welch ungeheures Risiko Eugen dabei auf sich genommen hatte. Nicht genug, daß er sich von Ludwig von Baden getrennt hatte, schob er auch seine Armee zwischen den Feind und weglosen Höhen, die einen geregelten Rückzug unmöglich gemacht hätten. Wie sicher mußten die beiden doch ihrer Sache gewesen sein! Und doch fehlte es nicht an dramatischen Augenblicken. Einmal mußte Marlborough selbst intervenieren, als die Nahtstelle der beiden Armeen aufzubrechen schien — „in diesem Augenblick sah ich die Chance des Sieges“ —, schrieb Tallard später. Der Engländer aber führte hannoveranische Bataillone und englische Artillerie ins Treffen und schickte eine Botschaft an den selbst hart bedrängten Eugen, ihn mit Kavallerie zu unterstützen. Und gerade rechtzeitig wechselten die Fuggerschen Füsiliere die Front, um, in anderer Richtung angreifend, in den Kavallerieangriff des Marschalls Marsini hineinzureiten, der sonst furchtbare Folgen gehabt hätte. Doch liegt die eigentliche Größe Marl- boroughs natürlich nicht in solchen, für einen Oberbefehlshaber immer etwas gefährlichen Episoden — sie verstricken ihn in lokale Abenteuer und beeinträchtigen seinen Ueberblick über die große Schlachtenlage —, sondern in der großen Ruhe und Uebersicht, die er bewahrte, in der feinen Hand, die er beim Einsatz der Truppen bewies und in der Wendigkeit des Geistes, der nicht eigensinnig an dem einmal gefaßten Plan festhielt, sondern ihn dauernd variierte. Kein einziger Fehler des Feindes schien ihm zu entgehen! Er wußte, daß die Franzosen in Blen- heim alle ihre Reserven zusammengezogen hatten — 27 Bataillone, die dort so dicht standen, daß sie kaum mehr kämpfen konnten. Das wichtige Reitergefecht auf Tallards Flügel war ihm nicht verborgen geblieben, und er begriff, daß Eugen sich nur mehr mit letzter Kraft und Energie halten konnte. Doch hielt er die schlachtentscheidenden Reserven mit letzter Kaltblütigkeit zurück.

Trotzdem schienen gegen 16 Uhr beide Heere so erschöpft, daß die Schlacht wie von selbst verebbte. In Wirklichkeit aber war dies der Augenblick, da Marlborough die Masse seiner Kavallerie und das Gros der unter seinem Bruder stehenden Infanterie auf der anderen Seite des seichten Flüßchens wie zur Parade aufgestellt hatte. Von Bienheim bis Oberglau hatte er nun die entscheidende numerische Ueber- legenheit, während der Gegner seine Reserven verzettelt und zu früh eingesetzt hatte. Nun standen Marlboroughs 80 frische Schwadronen gegen 60 abgekämpfte französische zur Verfügung. Um 16.30 Uhr; die Sonne neigte sich allmählich, führte Leopold von Anhalt-Dessau, die Fahne in der Hand, das preußische Fußvolk vor, während Eugen die kaiserliche Reiterei mit sich riß. Das französische Zentrum konnte dem Anprall nicht standhalten.

Die englische Nation hat Marlborough unweit Oxford ein Gut geschenkt und darauf einen fürstlichen Palast, Bienheim mit Namen, erbaut. Oder genauer gesagt: Die Nation hat es ihm nicht geschenkt, sie hat nur die Beträge zum Bau bewilligt, und die Königin hat Land und Gut in Erbpacht an die herzogliche Familie gegeben. Der Pachtzins ist kein drückender, nur einmal im Jahr, am Tage von Bienheim, muß „eine Fahne oder Standarte", auf die die Wappenblume des französischen Königs, die Lilie, gestickt sein soll, dem englischen Thron präsentiert werden. Das „Heilige Römische Reich“ ist längst untergegangen, die Fürsten der deutschen Libertät sind in alle Winde zerstreut, und die Bourbonen von den Thronen Spaniens und Frankreichs verjagt. Aber alljährlich macht sich noch der Herzog von Marlborough mit „einer Fahne oder Standarte“ nach Windsor Castle auf, um der Lehensbestimmung Genüge zu tun.

Aus „Degen und Waage“,

Vertag für Geschichte und Politik, Wien.

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