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Ludwig Benedek, Held und kein Heiliger

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Sprach man in meiner Jugend den Namen Benedek aus, so erhitzten sich sofort die Geister. Von der Parteien Gunst und HaG verwirrt, schwankten nicht nur sein Charakterbild in der Geschichte, sondern 3uch die Vorgänge, die sich an seine Rolle im für Österreich und für die gesamte europäische Entwicklung so schicksalhaften Feldzug von Juni/Juli 1866 knüpften und die Bildnisse der dabei maßgebenden militärischen, politischen Hauptakteure. Nun nahen sie sich wieder, diese schwankenden Gestalten, heraufbeschworen durch das meisterhafte, gerecht wägende, überzeugende Werk des hervorragenden österreichischen Historikers und ehemaligen Offiziers, General Regele, der sich auch als Archivdirektor große Verdienste erworben hat, doch vor allem als Biograph Radetzkys und Conrads berühmt geworden ist.

Alle die glänzenden Eigenschaften, die an deren Würdigungen zu loben waren, finden wir wieder: reiche Kenntnis der Quellen, der Epoche, der leitenden Männer, wohltuende Sachlichkeit, die sich vor jedem Überschwang nach dieser oder jener Richtung hütet, ohne dabei die Sympathie für den Helden einzubüßen; sicheres strategisch-taktisches und politisches Urteil; Duldsamkeit, ja liebevolles Verständnis für den Gegner, die nicht in verwaschene Gefühlsduselei ausartet; Unbefangenheit bei festem Standort; Klarheit und Vielseitigkeit des Berichts; Verzicht auf schmückenden Tratsch. Dieses^ Buch, das einen weiten Leserkreis ansprechen soll und wird, ist geradezu das Gegenstück zur sogenannten feuille-tonistischen Geschichtsschreibung: altösterreichisch im besten Sinn.

Benedek erscheint in der gerechten, allseitigen Beleuchtung seines Biographen als mutig, ritterlich, energisch, rasch im Entschluß, unerschütterlich dem obersten Kriegsherrn ergeben, seinen Offizieren und Soldaten trotz einer harten Auslegung der Dienstpflichten aufrichtig zugetan. Er ist unkompliziert fromm, von der unantastbaren Anständigkeit der alt-österreichischen Militärs und Beamten. Doch er besitzt manche Eigenschaften, die das sonst erstrahlende Gesamtbild erheblich stören. Überempfindlich, wenn es sich um seine Person handelt, nachträgerisch, verschmähte er es nicht, selbst zu intrigieren, und das sogar gegen Gönner wie Ra-detzky. Regele zeigt in voller Offenheit, daß Benedek mit daran beteiligt war, den greisen Feldmarschall aus dessen Position als Generalgouverneur hinauszubefördern. (Gar rührend mutet dazu das Abschiedsschreiben Radetzkys an Benedek an.) Der im persönlichen Umgang oft schroffe und kantige Sonderling hatte zeitlebens Konflikte mit Vorgesetzten und Gleichgeordneten, so mit dem späteren Außenminister Graf Rechberg, als dieser im lombardo-venezianischen Königreich diplomatisch-politisch tätig war. Vor allem aber: er stand den nationalen und sozialen Bewegungen seiner Epoche mit vollendetem Unverständnis gegenüber und wußte, wenn seine recht beschränkten Gedanken mit den Handlungen „unbotsamer“ Elemente zusammenstießen, keinen besseren Appell als den an die rauhe Unterdrückungsgewalt. Statt vieler stehe dieses eine Zeugnis: Benedek, auf ein halbes Jahr Landeskommandant in Ungarn, dem er entstammt, faucht am Vorabend der Verkündigung des Oktoberpatents von 1860 die Vertreter der Budapester Presse an: „Ich weiß recht gut, ihr würdet, selbst wenn der Herrgott euch eine Verfassung machte, dagegen bellen ... Wer dagegen agitiert, den lasse ich einkasteln.“ Und zu den Stadtvätern (nachdem es bei Demonstrationen einen Toten gegeben hatte): „Ihr kennt den Benedek nur halb. Das nächstemal frage ich nicht, wie viele fallen.“

Dazu noch eine Briefstelle Benedeks; man sollte „die dummen Böhmen tüchtig zusammenschießen lassen“ und er wolle „die dummen Wiener dezimieren“, Wien „könnte meinetwegen geplündert werden“. Weil es nämlich sich im Herbst 1848 gegen den Kaiser erhoben hatte.

in groteskes Mißverständnis — war es wirklich nur ein Mißverständnis? — hat den Verfechter des blindesten Gehorsams an die Obrigkeit zum Heros einer liberalen, „fortschrittlichen“ Geschichtslegende gemacht. Sie endgültig zerstört zu haben, ist als erstes an Regele Buch zu preisen. Die Tatsachen, daß Benedek evangelisch war und aus faktisch zum

Das wichtigste Resultat aber dünkt uns die nun unangreifbare Feststellung der entscheidenden Verantwortlichkeit an der Katastrophe der Nordarmee. Weder Benedek noch die aristokratischen Generale tragen an ihr Schuld. Auch der „preußische Schulmeister“ hat beim Sieg seiner Landsleute nicht so sehr mitgeholfen, wie es manche Geschichtsklitterung des 19. Jahrhunderts behauptete. Die nackten, nüchternen Wahrheiten über die Ursache des bei Königgrätz unvermeidlichen Triumphs der Hohen-zollern über Habsburg-Lothringen lauten: unentschuldbarer, unverständiger doktrinärer Geiz der zivilen Ministerien und der jungen parlamentarischen Körperschaften gegenüber dem Heer; daraus hervorquellend starke Unterlegenheit der Bewaffnung der kaiserlichen Armee (Hinterlader gegen preußisches Zündnadelgewehr); Unfähigkeit und — ethisch schätzbare — Leichtgläubigkeit der Wiener Diplomatie, die zu spät die Unvermeidbarkeit des Krieges erkannte. Zu diesen drei Momenten gesellen sich, von Regele gut dargelegt, die Feldherrngaben Molt-kes, deren Benedek — was ihm menschlich anzurechnen ist — sich ebenso wie seiner eigenen Unzulänglichkeit für den höchsten Posten bewußt war; im Buch zuwenig beachtet, die, ungeachtet der Pflichterfüllung durch die Offiziere und Soldaten aller Nationalitäten,, mjt„der Haltung, der gesamten, Bevölkerung Preußens nicht vergleichbare Stimmung bei den nichtdeutschen Untertanen Franz Josephs.

Sehr zu Recht bemerkt Regele, daß auch Moltke mit einem in der Bewaffnung so hoffnungslos benachteiligten Heer hätte geschlagen werden müssen. Wenn nun die Partie von vornherein verloren war, und sie war es; wenn ferner auf Grund der Geheimverhandlungen mit Napoleon III. die Abtretung Veneziens an Italien sogar im Falle eines österreichischen Sieges feststand, dann meldet sich das Problem, wem zur Last fällt, daß unter diesen Gegebenheiten überhaupt Krieg geführt wurde. Regele weicht dieser Erörterung nicht ohne Fug aus, indem er, wie zuvor die Verantwortlichkeit ziviler Faktoren an der mangelnden Rüstung, dartut, daß Franz Joseph I. keine Wahl hatte; daß er, wie später am Abend seiner Regierung, den Kampf aufnehmen mußte, den seine beiden miteinander verbündeten Feinde entschlossen waren zu beginnen. Es bedarf heute keiner langen Beweise, das Bismarck und Viktor Emmanuel unbedingt die Verdrängung Österreichs aus Deutschland und aus der Poebene verwirklicht hätten. Angesichts dieser Tatsache mußte der ungleiche Krieg an zwei Fronten gewagt werden. Es bleibt im Ergebnis unbeträchtlich, ob und daß sich der Kaiser wie seine Berater in einer doppelten Täuschung wiegten: daß die deutschen Mittelstaaten ihre Aufgabe als Alliierte erfüllen konnten und woll-

ten, daß ferner das kaiserliche Heer den Preußen gewachsen, ja ihnen gegenüber siegreich sein würde, Mit Erschütterung liest man wachgerufene, wohlbekannte und neue, aus bisher unausgeschöpften Quellen stammende Einzelheiten über das gewaltige Drama, über die Verblendung der Politiker und über den todesverachtenden Heldenmut der Armee. Benedeks Gestalt wächst gerade in diesen, für ihn und für die Habsburgermonarchie verhängnisvollen Tagen zu echt tragischer Größe. Seine Tapferkeit, seine Bereitschaft für ein, nach seiner Ansicht objektiv und nach allen Anzeichen auch subjektiv unverschuldetes grausames Los, Strafe auf sich zu nehmen, zu büßen und zu schweigen, sie erheischen Respekt und Mitgefühl. Doch damit ist noch nicht ein Streit entschieden, der seit fast einem Jahrhundert ausgekochten wird: Erstens: War Benedek für die ihm zugedachte Rolle geeignet? Zweitens: Ist er zu ihr wider Willen gezwungen worden? Regele bietet auch darauf eine, wie mir dünkt endgültige Antwort,

Der Feldzeugmeister war, wie seine gesamte glorreiche Laufbahn bis zum Unglücksjahr 1866 erhärtet, ein vortrefflicher Offizier, General, höherer Truppenkommandant. Im Frieden sehr befähigt, Disziplin zu sichern, sich trotz seiner Strenge bei den Untergebenen aller Grade beliebt zu machen, rasch auch unerwarteter Situationen Herr zu werden und widerstrebenden inneren Gegnern eine heilsame Scheu einzuflößen; im Krieg ein anfeuernder, kühner Befehlshaber: das war Benedek ohne Zweifel. Es mangelten ihm aber, wie er es selbst einsah, die Qualitäten zur obersten Leitung. Obzwar Generalstäbler, besaß er weder die umfängliche theoretische Ausbildung noch den genialen Funken, die einem Moltke und auch Radetzky eigneten. Auf politischem Terrain war er von beinahe sturer Primitivität und Einfalt. Zu großen Konzeptionen für einen Feldzugsplan fehlten ihm der Weitblick und ... das Selbstvertrauen. Das alles leuchtet aus Regeies Werk sonnenklar hervor, obzwar der Verfasser mit löblichem Takt vermeidet, dies klipp und klar auszusagen. Hätte nun Benedek, in weiser Selbsterkenntnis, die Übernahme des Oberkommandos der Nordarmee ablehnen dürfen? Die Frage stellen, heißt sie verneinen. Ein General, dessen höchste Tugend, die blinde Fügsamkeit gegenüber dem Allerhöchsten Kriegsherrn war, konnte nicht auf die Dauer das Erfüllen einer ihm angetragenen Aufgabe verweigern. Es ist zudem unwahrscheinlich, daß Benedek ernsthaft ein Nein sprechen wollte. Er hat, wie Regele wiederholt berichtet, schon vordem mehrere Missionen anfangs zurückgewiesen und sie hernach vorbildlich durchgeführt Im Herzensgrund verließ er sich doch auf sein Soldatenglück. So befinden wir uns zuletzt dem heikelsten Kapitel in seinem Leben gegenüber: Ist er von Franz Joseph und dessen Beratern bewußt auf einen ihm nicht adäquaten Posten beordert worden, entweder — und das ist die bösartigere Lesart — weil eine Kabale den Emporkömmling zu erledigen trachtete oder nur, um die vorauszusehende Niederlage auf dem nördlichen Kriegsschauplatz ihm und nicht dem sonst einzig in Frage bleibenden Erzherzog Albrecht anzukreiden? Ist Benedek ferner vom Kaiser direkt oder indirekt, wohl gar durch den Sieger von Custoza, besonders zum Schweigen verpflichtet worden, obgleich er, redend und schreibend, seinen Ruf als Feldherr ge-, rettet hätte? Regele entpuppt dies alles als törichtes und hämisches Geschwätz. Zum Schweigen war der Oberbefehlshaber nicht minder angehalten als jeder andere Offizier. Es ist fast sicher, daß ihm dies durch Erzherzog Albrecht noch speziell in Erinnerung gebracht wurde, wie aus einem von Regele zitierten Brief Benedeks hervorgeht. Daraus eine unerhörte Zumutung zu machen, scheint trotzdem verfehlt. Die

Bürgertum zählenden Kleinstadel — wir würden vom Sohn des Provinzarztes sagen „aus arbeitender Intelligenz“ — kam, daß sodann sein letzter Mißerfolg als Feldherr an der Spitze einer meist hochadeligen Generalität eintrat, die man auf seine Kosten anklagen wollte: das alles genügt nicht, um aus einem in seinem Jahrhundert, außerhalb der Kaserne und dem Schlachtfeld, fremd einhermarschierenden oder meistens reitenden Original einen Märtyrer des Freisinns und der Demokratie zu machen. Auch nicht einen des Deutschtums.

Der gebürtige Ungar, der nur schlecht Madjarisch sprach und es noch schlechter schrieb, hatte eine deutsch-ungarische Mutter. Er fühlte sich nur einer Gemeinschaft eingeordnet, der schwarzgelben, kaiserlichen. Daß er für gewöhnlich in der Dienstsprache der kaiserlichen Armee sich ausdrückte, martialisch, eindrucksam, seine Inspiration eher au dem Reglement holend denn aus den Klassikern: das ist ohne Belang. Ludwig Benedek hatte überhaupt keine Nationalität. Er besaß nur eine todbereite, unzerstörbare Vasallentreue zum Kaiser und zum Erzhaus, zur österreichischen Monarchie. Das gebührend unterstrichen zu haben, ist ein zweites Ergebnis Regeies.

Armee ist, wie man sie in Frankreich nennt, „la grande muette“, und es gilt die weniger vornehme österreichische Version dieses Prinzips: „Kuschen und weiterdienen (oder auch nicht weiterdienen und den Weg nach Pensionopolis alias Graz anzutreten). Benedek hat demgemäß gehandelt. Obzwar er überzeugt war, und wir ein wenig diese Meinung teilen, daß bei der Übertragung des Nordkommandos an ihn wirklich hochpolitische Erwägungen über die Folgen einer Niederlage gegen Preußen mitgespielt haben, für die ein Mitglied der Dynastie verantwortlich gewesen wäre. Soll man indessen das dem Kaiser übelnehmen? Er mußte diese Lösung wählen. Nachher hat Franz Joseph aufrichtig, nicht zuletzt auf Grund der Berichte seines Milchbruders und Vertrauten Beck-Rzikowsky, ehrliche Entrüstung über mancherlei Irrtümer Benedeks verspürt. Der Monarch hat später die offenkundige Ungerechtigkeit eines allzu scharfen Aburteils gutzumachen unternommen, ist aber dabei auf die unversöhnliche Haltung des schwergekränkten, in seinem Selbstbewußtsein durch seine Soldatenloyalität nicht beirrten Benedek gestoßen ...

Die Biographie dieses einst von der Armee so sehr geliebten, wenig liebenswürdigen, ungemein tüchtigen und schätzbaren Generals wird durch wertvolle Anmerkungen, die zu zahlreichen Quellen hingeleiten, durch ein rund ein Vierteltausend Werke einbegreifendes Literaturverzeichnis und ein sorgsames Register ergänzt. Regele hat uns ein denkwürdiges und zu aufrichtigem Dank verpflichtendes Momwnentalwerk geschenkt.

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