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Ferdinand von Bulgarien

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Ein an Ehren und Erfolgen, aber auch an Mühen, Enttäuschungen und Schicksalsschlägen überreiches Leben, das fast drei Menschenalter umspannt, ist vor wenigen Tagen zu Ende gegangen. Ferdinand von Sachsen-Coburg, der am 10. September zu Coburg die Augen geschlossen, hat von seinen 87 Lebensjahren das erste Drittel in der unbedeutenden Stellung eines „cadet de famille“ eines der vielen kleineren deutschen Fürstenhäuser verbracht, das zweite Drittel war er einer der tätigsten, zähesten, umstrittensten und umworbensten Gestalten der Balkanpölitik und mit der gesamteuropäischen Politik aufs engste verflochten, während ihm das letzte Drittel das traurige Schicksal auferlegte, von der Stille seines Exils aus sein Lebenswerk, seine Träume und seine Dynastie, Stüde für Stück vergehen zu sehen.

Als 1887 der erste Fürst von Bulgarien, Alexander von Battenberg, trotz seinem Erfolge bei der Angliederung Ostrumeliens und der Abwehr des serbischen Angriffs zur Überzeugung gelangt war, daß er sich gegen den zu persönlichem Haß angewachsenen Groll des Zaren Alexander III. auf dem bulgarischen Thron nicht werde halten können, hatte die bulgarische Nationalversammlung — die Zumutung, sich durch die Wahl eines in russischen Diensten stehenden kaukasischen Fürsten ganz in russische Botmäßigkeit zu begeben, ablehnend — dem damals 26jährigen Coburger die Fiirsten- krone angeboten. Zu dessen Gunsten schien damals kaum mehr zu sprech n. als daß er einem Hause angehörte, das im letzten halben Jahrhundert Proben staatsmännischer Begabung in Belgien, Portugal und Großbritannien abgegeben hatte, und daß der Thronkandidat enge Beziehungen zu den meisten europäischen Höfen besaß. Ob dies genügen würde, um die dem jungen Fürsten gestellte, überaus schwierige Aufgabe zu bewältigen, war damals Gegenstand allgemeiner Skepsis. Denn Bulgarien, die jüngste von den Staatengründungen auf dem Boden des zerfallenden Osmanischen Kaiserreichs, war damals noch ein kaum zehn Jahre altes Staatsgebilde, dem noch die volle Souveränität mangelte, auf das Rußland als „Befreier“ ein wohlerworbenes Recht, es als Vorposten und Satrapie zu behandeln, zu haben behauptete, und dem überdies noch im Vertrag von San Stefano das Danaergeschenk des „großbulgarischen“ Zukunftstraumes in die Wiege gelegt worden war. Im Innern war Bulgarien noch ganz unfertig, ohne demokratische Erfahrung, ohne ausgebildeten Beamtenapparat, ohne Offizierskorps — der Krieg gegen Serbien war von jungen Subalternoffizieren einer jungen Miliz gewonnen worden —, zerrissen von erbitterten Feindschaften einander befehdender Politiker; in der äußeren Politik war es mehr noch als die andern älteren Balkanstaaten ein Stein im Schachspiel der großen europäischen Politik.

Obwohl Fürst Ferdinand von der russischen Politik offen bekämpft wurde und auch keinen sicheren Rückhalt bei einem der anderen großen Mächte besaß, gelang es ihm dennoch, seine Stellung im Lande und Europa gegenüber zu befestigen. Beraten von seiner klugen Mutter, der Prinzessin Clementine, und gestützt auf die unbeugsame Tatkraft Stambulows, der beim Thronwechsel des Jahres 1887 den Unabhängigkeitswillen der bulgarischen Nation gegenüber den russischen Aspirationen verkörpert hatte, konnte der junge Fürst sich in seine schwierige Aufgabe einarbeiten. In seinen ersten Regierungsjahren war es allerdings weit mehr Stam- bulow als er selber, der den innen- und außenpolitischen Kurs bestimmte, doch reiften damals bei Ferdinand bereits die künftigen Ideen seiner Politik. Nach sieben Jahren einer rücksichtslosen Stambulowschen Parteidiktatur im Innern und eines ausgesprochen russophoben Kurses nach außen sah der Fürst den Augenblick gekommen, sich von der Vormundschaft von Bulgariens erstem Staatsmann, dessen Regiment indessen auch im Innern zunehmende Gegnerschaft erweckt hatte, zu trennen. In der Außenpolitik war sein erster selbständiger Schritt die Einleitung der Versöhnung mit Rußland, die er für die von ihm erträumte Rolle Bulgariens als bestimmenden und das Zünglein der Waage der Balkanpolitik bildenden Machtfaktor für erforderlich hielt. Er zögerte nicht, hiefür einen großen Preis zu zahlen, die Anahme der griechisch-orthodoxen Religion durch den unmündigen Thronfolger Boris, bei dem der Zar zum Zeichen der Versöhnung Patenstelle übernahm. Daß dieser Schritt seiner kränklichen, aus dem streng katholischen Hause Bourbon-Parma stammenden Gattin Marie Louise, einer Halbschwester der späteren Kaiserin Zita, das Herz brach, lenkte ihn von der verfolgten politischen Linie nicht ab. Im Innern verstand es der Fürst hinfort, bei äußerlicher Wahrung und Anwendung der überaus demokratischen, streng parlamentarischen Verfassung Bulgariens, das Schwergewicht ganz in die Hände des Herrschers zu verlegen. Sein System ging davon aus, daß jedes Parteiregime sich nach einer gewissen1 Zeit verbraucht. Seine Kunst bestand darin, den richtigen Augenblick zu erfühlen, wo die Nation einen Wechsel des Regimes willkommen heißen würde, und dann aus der Reihe der Oppositionsparteien die ihm im Augenblick genehmste in den Sattel zu setzen. Es kam ihm dabei zugute, daß die bulgarischen Parteien infolge der national, reEgiös und sozial einheitlichen Struktur des Volkes — abgesehen von der Einstellung zu Rußland — durch keine prinzipiellen Programmverschiedenheiten getrennt waren, sondern weit eher um eine Führerpersönlichkeit gescharte Klüngel darstellten. Mit seinem

System ist Ferdinand, ebenso wie das Land, durch fast zwei Jahrzehnte gut gefahren; in der inneren wie in der äußeren Politik konnte der Fürst feste Bindung vermeiden, jedem gefährlichen Konflikt ausweichen. Im ersten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts galt Bulgarien als der Musterstaat unter den Balkanländern, Fürst Ferdinand als die wichtigste Persönlichkeit im Südosten Europas, deren Ansehen höchstens noch durch das Carols von Rumänien übertroffen wurde.

Der Ausbruch der türkischen Revolution im Jahre 1908 und die anschließende bosnische Krise der europäischen Politik ermöglichten es Ferdinand, die volle Unabhängigkeit seines bisher der Pforte tributären Fürstentums ohne Schwertstreich zu erringen und in meisterlichem Schaukelspiel zwischen St. Petersburg und Wien seine allgemeine Anerkennung als „Zar der Bulgaren“ zu sichern. Dieser Erfolg ermöglichte es ihm, sich nun dem von einem großen Teil der Nation heiß ersehnten Ziel zuzuwenden, der Verwirklichung des großbulgarischen Traums von San Stefano.

Mit dem Betreten dieses Weges, den Ferdinand vielleicht nicht ganz aus eigenem Entschluß, sondern unter der immer schwer auf ihm lastenden Drohung des mit seiner Friedenspolitik unzufriedenen mazedonischen Komitees betrat, endet die Periode seiner geschickten Aufbauarbeit und macht einer Periode einander rasch ablösender Erfolge und Katastrophen Platz. Erst der Siegeszug der verbündeten Balkannationen gegen die Türkei im Herbst 1912, in dem die bulgarische Armee sich mit Lorbeeren bedeckt und das „großbulgarische Reich“ schon in greifbarer Nähe gerückt sieht, dann die jähe Zerstörung aller Hoffnungen durch die Niederlage im zweiten Balkankrieg (1913) gegen die früheren Verbündeten, Serbien, Griechenland und das auf die Machtentfaltung Bulgariens eifersüchtige Rumänien. Im ersten Weltkrieg die Parteiergreifung für die Mittelmächte als derjenigen Partei, von der allein die Verwirklichung der großbulgarischen Aspirationen zu erhoffen ist, und nach anfänglichen glänzenden Erfolgen das Hineingerissenwerden in die Katastrophe der Mittelmächte. Als im Herbst 1918 deren Niederlage unbezweifelbar ist, legt Zar Ferdinand die Krone zugunsten seines Sohnes Boris nieder und geht freiwillig ins Exil, um Bulgarien die Kapitulation und den Abschluß des Sonderfriedens zu erleichtern, allerdings ohne den gewünschten Erfolg. In den ihm noch beschiedenen dreißig Jahren seines Lebens, in denen der früher so rastlos tätige Monarch — wenigstens nach außen hin — keine politische Rolle mehr spielt, außer vielleicht als stiller Berater des neuen Zaren Boris, mußte der entthronte Herrscher es noch erieben, daß Bulgarien ein zweitesmal durch den großen Weltenbrand in das Schicksal der verlierenden Partei verwickelt, die Dynastie, die :r fest begründet zu haben glaubte, mit dem geheimnisvollen Tode des Zaren Boris, dem grauenvollen Ende seines zweiten Sohnes Kyrill und der Verjagung seines Enkels Simeon ausgelöscht wurde und Bulgariens selbständige Existenz durch die Einreihung in die „volksdemokratischen" Satellitenstaaten der Sowjetunion ihr Ende fand. Wahrlich ein tragisches Monarchenschicksal.

König Ferdinands überaus schwierige Stellung in seinen ersten Regierungsjahren, die ihn zu vorsichtiger, zuweilen ränkevoller und listenreicher Politik geradezu zwang, mag es wenigstens zum Teil erklären, daß er im In- und Ausland wenig Liebe gefunden hat. Sein Verhältnis zur bulgarischen Nation war das einer reinen Vernunftehe; eine innige Zuneigung bestand auf keiner der beiden Seiten, wenn auch die Bulgaren sich durch viele Jahre unter seiner Führung gut aufgehoben fühlten und ihm dafür Achtung zollten, daß ihm das Wohl und der Ruhm des Landes aufrichtig am Herzen lagen. Unter seinen Standesgenossen und im Kreise der europäischen Staatsmänner hatte Ferdinand wenig Freunde, wohl aber — aus verschiedenen Ursachen — scharfe, wohl gar erbitterte Gegner. Alle aber wußten, daß sie mit ihm und dem unter seiner Hand entstandenen Werkzeug seiner Politik ernstlich zu rechnen hatten. So wurde er zeitweilig ebenso umworben, wie angefeindet. Seine persönlichen Charaktereigenschaften waren ganz dazu angetan, diese doppelte Wirkung seiner politischen Haltung zu vertiefen. Er war von hoher, umfassender Bildung, auf manchen Gebieten nahezu ein Gelehrter, ein Meister wohlüberlegter, geistvoller und formvollendeter Rede in mehreren Sprachen, sein Französisch war geradezu klassisch und druckreif für einen Artikel der „Revue des Deux Mondes", ebenso sein Ausdruck in deutscher, bulgarischer und ungarischer Sprache, denen ein vielleicht gewollter leichter französischer Anklang anhaftete. Jeder B'lick, jede Miene, jede Geste war wohlberechnet und verfehlten auch selten die beabsichtigte Wirkung. Die Subtilitäten des Verkehrs mit dem berechnenden, schwer zu durchschauenden Monarchen machten Sofia durch viele Jahre zu einem der interessantesten Posten und zu einem „gradus ad Parnassum“ der europäischen Diplomatie. Zar Ferdinand konnte ebenso durch Liebenswürdigkeit bezaubern, wie seiner Unzufriedenheit in verletzendster Form Ausdruck geben, letzteres allerdings meist in so raffinierter Weise, daß der Betroffene nichts dagegen machen konnte. Von hohem, beinahe übersteigertem Gefühl der Würde seiner Abstammung und seines Amtes erfüllt, hat Zar Ferdinand nur ganz wenige näher an sich herankommen lassen; von seiner mißtrauischen Menschenverachtung war nur eine ganz kleine Zahl von Mitarbeitern ausgenommen, die ihm sein Vertrauen auch mit unbedingter Hingabe lohnten. Sonst legte er weit mehr Wert darauf, gefürchtet als geliebt zu werden. Sein Hof war daher zuzeiten ein Treffpunkt zwielichtiger Existenzen, die durch seinen Wink aus der Gnadensonne in den Tartarus gestürzt werden konnten. Freuden des Familienlebens waren dem Fürsten nur in geringem Maße beschieden, und er besaß wohl auch kein Bedürfnis danach. Seine erste kurze Ehe war an der Frage des Religionsbekenntnisses des Thronerben in die Brüche gegangen, seine zweite, ebenso kurze, mit der stillen, vornehmen Eleonore von Reuß, die ganz in den Pflichten einer wohltätigen Landesmutter aufging, war eine reine Sache der Konvenienz zur Ausfüllung der verwaisten Stelle der ersten Dame des Landes. Für die Kinderstube hatte Ferdinand keinen Sinn, nur die politische Erziehung seiner Söhne war Gegenstand seiner unermüdlichen Sorge; und um so härter muß ihn deren tragisches Schicksal getroffen haben. Sein Privatleben ist von der ungezügelten Presse seines Landes oft schonungslos angegriffen worden, wobei dahingestellt sei, was davon Wahrheit oder bloß müßiger Klatsch war. Die Frage, ob Ferdinand von Bulgarien persönlichen Mut besessen hat, ist — wie so vieles in dem komplexen Charakter dieses Fürsten — schwer zu beantworten. Derselbe Mann, der ein gerütteltes Maß von Zivilcourage zeigte, indem er aus einem bequemen Prinzendasein entschlossen in den Hexen kessel der Balkankonflikte hineinstieg und in gefahrvollem Ringen gegen äußere und innere Gegner seine Autokratie zu errichten wußte, war von einer fast krankhaften Furcht vor Attentaten und ansteckenden Krankheiten besessen; dem Pferde gegenüber war seine Einstellung die des zu seinem Leidwesen beritten gewordenen Infanterieoffiziers, von dem der Ausspruch stammt: „Jedes Pferd ist ein offenes Grab!" Dabei war er passionierter Lokomotivführer und in späteren Tagen ein Freund rasender Autogeschwindigkeiten. Ein sehr sympathischer Zug seines Wesens war sein Interesse an den Naturwissenschaften, besonders Botanik und Ornithologie, das ihn noch im hohen Alter zu Forschungsreisen ins Innere Afrikas bestimmte, sowie seine Liebe zur Musik.

Österreich gegenüber hat Zar Ferdinand — obwohl in der ausländischen Literatur oft fälschlich als Kreatur der Ballhausplatzpolitik bezichtigt — kaum je wärmere Gefühle gehabt, als es ihm die momentane politische Konstellation ängezeigt erscheinen ließ. Seine vielfach geäußerte ehrfurchtsvolle Bewunderung für Kaiser Franz Joseph kann angesichts seiner in gleichen dithyrambischen Tönen gehaltenen Ergebenheitserklärungen an das russische Herrscherhaus darüber nicht hinwegtäuschen. Zwischen ihm und Erzherzog Franz Ferdinand bestand unverhohlene Abneigung. Des Erzherzogs Sympathien waren auf Seite Rumäniens und des alten Königs Carol und seine Abneigung galt dem skruppellosen Spieler, den er in dem Coburger sah.

Mit Ferdinand von Bulgarien ist der letzte Repräsentant einer versunkenen politischen Epoche zu Grabe getragen worden, einer Epoche, die der Persönlichkeit des Monarchen noch weitgehenden Einfluß auf die Geschicke seines Landes gestattete, und in der die Eigenschaften des Macchiavellschen „Principe" auf dem Balkan noch weiten Spielraum zur Entwicklung fanden. Mit ihm ist auch ein typischer Vertreter der verwickelten, verschwiegenen und behutsamen Kabinettspolitik des letzten Jahrhunderts dahingegangen, die er, der stets sein eigener Außenminister war, in allen Feinheiten beherrschte.

Alles in allem eine Persönlichkeit, die das höchste Interesse, aber nur ein begrenztes Maß von Sympathie zu erwecken geeignet ist. Aber das Übermaß von traurigen Erlebnissen, die seine letzten Lebensjahre überschattet haben, geben auch ihm den Anspruch auf aditungs- und mitleidsvolles Gedenken.

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