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Der Coburger

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Unter den gekrönten Persönlichkeiten des letzten Jahrhrnderts, die nicht nur ein Szepter führten, sondern auch maßgebend — gut oder schlecht die Geschicke Europas mitbestimmten, war einer der interessantesten Könige Ferdinand von Bulgarien, der Coburger, Enkel Louis phüippes von Frankreich, Schwager unseres Mdrtyrerkaiscrs. Man wird lange suchen und weit in die Geschichte zurückblättern müssen, ehe man eine ähnlich komplizierte, hochintelligente, oft von Intrigensucht, seltener von menschenfreundlichen Gefühlen gelenkte Persönlichkeit findet.

Er bestand aus Widersprüchen, sowohl politisch wie im Privatleben. Nach außen größte Frömmigkeit zeigend oder vielleicht vortäuschend (sein Ministerpräsident sagte mir als Gesandten einmal: „Jetzt, in der Karwoche, kann ich Seine Majestät nicht sehen, er ist den .ganzen Tag in der Kirche’ “), warf er dennoch seinen ältesten Sohn und Nachfolger, Boris, Rußland zuliebe dem orthodoxen Glauben in die Arme. Das trug ihm die päpstliche Exkommunikation ein und schloß ihn jahrzehntelang vom ersehnten Gol- denen-Vließ-Orden aus.

Er war ein international gewürdigter Zoologe, dem es erstmalig gelang, in seinem zoologischen Garten in Sofia Bartgeier brüten zu sehen. Er besaß eine der berühmtesten Schmetterlingsammlungen, was aber bei seinen bulgarischen Beamten wenig Verständnis fand, denn einer von ihnen beantwortete einst eine Frage nach seinem Aufenthalt im Sommer mit der Feststellung: „Im Sommer ist Seine Majestät nicht hier, da ist er in Varna, da fangt er ja diese Mucken.“ Unter diesen „Mucken“ gab es aber recht kostbare Exemplare. Er beschämte die tüchtigsten Juweliere durch seine Fachkenntnisse und war in der Weltgeschichte zu Hause wie selten einer. Er beherrschte die deutsche, bulgarische und ungarische Sprache vollständig, und sein klassisches Französisch anzuhören war ein Genuß. In den seltenen Momenten seiner Gnadenausstrahlungen fesselte er die Zuhörer durch seinen Geist und seinen Witz.

Seine Hofhaltung in Sofia war im Gegensatz zu den anderen Balkanhöfen (Griechenland ausgenommen) auf durchaus europäischer Höhe. Er hatte an allen wichtigen Stellen gut geschulte Oesterreicher und Franzosen, und er führte ein strenges Regime. Bei ihm trug jeder den „Marschallstab“ im Tornister. Ein Chauffeur aus Wiener Neustadt, ein schöner Mann mit blondem Vollhart, den er auch persönlich sehr geschätzt zu haben scheint, brachte es. bis zum Hofmarschall, der anläßlich des Besuches unseres Kaiserpaares im Jahre 1918 an der Galahoftafel teilnahm.

Von seiner Nachkommenschaft war er mehr gefürchtet als geliebt.

In der inneren Politik manövrierte er bal- kanisch und sehr geschickt. Er war kein Freund reiner weißer Westen, da die befleckten ihm widerstandslos unterworfen waren. Die reinen wurden daher auch immer rarer.

Außenpolitisch war er gefährlich, da er der Championhalter der berühmten zwei Eisen im Feuer war. Uns gegenüber konnte er sich stundenlang über die russische „Perfidie“, über Verfolgungen durch Zaren und Großfürsten gegen seine arme Person auslassen, und von der großen Kaiserin, deren Nachkomme ja auch er bekanntlich sei, schwärmen.

Aber als er sich nach langem Zögern, ohne sein Volk viel zu fragen, entschloß, im Jahre 1915 auf das leider verlierende Pferd zu setzen, besuchte er in seiner ganzen Herrlichkeit und Feierlichkeit den russischen Gesandten, was er früher nie getan hatte, und beklagte sich, daß er gegen seinen Willen von seinem Volke gezwungen worden sei, auf seiten der Zentralmächte das Schwert zu ergreifen. Er, der Enkel Louis Philippes. Und von diesem Augenblick hat er nie den Kontakt mit der Feindseite abgebrochen. Immer wußte er es so einzurichten, daß bei der Entente ein Hoffnungsschimmer seines Abfalles bestehen blieb.

Dies zeigte sich besonders deutlich beim Besuch unseres Kaiserpaares in Sofia im Sommer ’918. Einen Gichtanfall vorschützend, war er bei er Ankunft der Majestäten am Bahnhof nicht anwesei-k sondern ließ sich durch seine Söhne und Töcht . vertreten.

Selbstversta dlich waren nach wenigen Stunden die Kabinett unserer Feinde von diesem ungewöhnlichen Etikettefehler unterrichtet, und niemand zweifelte, daß bei uns nicht alles stimmen dürfte, wenn der hohe Hausherr beim ersten Besuch eines österreichisch-ungarischen Monarchen und Verbündeten es für möglich hielt, durch Abwesenheit zu glänzen. Dies um so mehr, als beim unmittelbar nachfolgenden Galadiner und dem langen Cercle, der sich anschloß, der König in bester Stimmung seine Gicht stundenlang vergessen konnte. Da er mich hierbei mit einer Ansprache beehrte und sich über seine Gichtschmerzen beklagte, hielt ich es für meine Pflicht, in respektvoller Weise zu versichern, daß wir alle von dem Gefühl durchdrungen waren, was Seine Majestät gelitten haben müsse, um bei diesem Anlaß abgehalten zu sein, worauf mir der König den Rücken drehte und nie mehr ein Wort für mich übrig hatte.

Er haßte nichts so sehr, als durchschaut zu sein.

Seine Majestät der Kaiser freute sich sehr über meine Konstatierung und legte der üblen Stimmung seines Schwagers keine Bedeutung bei.

Zum Schluß der Tragödie, als der König nach seinem Separatfrieden fluchtartig Bulgarien verließ und von unserem Kaiser ein Durchfahrtsverbot erhielt, das ich ihm zu überbringen hatte, verhalf ich ihm durch die Gnade unseres Kaisers zur Milderung dieser Repressalie, wonach ich im letzten Moment zu seinem „besten Freund“ ernannt wurde.

Ich war nur froh, daß König Ferdinand nie mehr in die Lage kam, mich diese angekündigte Freundschaft — in Feindschaft umgewandelt — fühlen zu lassen.

Die heim ihm akkreditierten Diplomaten pflegte er in „traurige Idioten und infame Intriganten“ einzuteilen. Jeder hoffte, der letzteren Kategorie zugezählt zu sein, erhielt aber hierüber keine kompetente Auskunft.

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