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Der seltsame Infanterist

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Eines Tages während des ersten Weltkrieges öffnet sich die Tür meines Amtszimmers im k. u. k. Kriegsarchiv, und es tritt ein Mann herein, den ich mit gutem Gewissen als den sonderbarsten Soldaten der damaligen österreichisch-ungarischen Armee bezeichnen kann, Rainer Maria Rilke, der Infanterist. Er hatte sich bei mir zu melden, der ich sozusagen sein Zwischenvorgesetzter war, als Bindeglied zwischen dem Obersten der Schriftenabteilung und der ihm zugewiesenen Untergebenen.

Ein Mann in Uniform war damals keine ungewöhnliche Erscheinung. Bei diesem Dichter Rainer Maria Rilke aber wirkte sie höchst ungewöhnlich, ja phantastisch. Das Ehrenkleid des Soldaten ist nur dort am Platz, wo sein Träger sich menschlich der Allgemeinheit zugesellt. Bei einem völlig Abseitigen, seinen inneren Gesichten Zugewandten, wie Rilke es war, der lieber gleich eher gestorben wäre, ehe er seine Waffe gegen seinen Feind erhoben hätte, verlor das wehrhafte Kleid seinen Sinn und wurde zur Maske.

Also erfüllten mich Staunen und Verlegenheit zugleich, als der von mir so verehrte Dichter sich bei mir meldete und mittun sollte an einer Sache, mit der ihn das Wesentlichste nicht verband.

Es fiel mir nicht schwer, mit ihm ein Gespräch über andere Dinge zu beginnen, wobei ich die Literatur noch ängstlicher vermied als das kriegerische Handwerk. Er scliien meine Rüdcsicht zu fühlen und zeigte sich dankbar dafür, indem er auf jene Verschlossenheit verzichtete, die er sonst gerne, auch Kollegen gegenüber, zur Schau trug. Er begann über Rußland zu sprechen, über jenes Land, mit dem wir eben im Kriege lagen. Der Krieg war offenbar für ihn gar nicht vorhanden, da seine Welt ihn nicht vertrug, und so erging er sich in einer tiefen stillen Begeisterung über seine Reisen in Rußland; besonders hatte es ihm das alte Moskau angetan. Er wohnte in einem Schloß außerhalb der Stadt, und wenn er morgens mit den Bauern auf der Troika in die Stadt fuhr, saßen sie alle, wie er berichtete, rittlings auf einem einzigen Brett, einer hinter dem anderen, und jeder hielt sich dabei an den Schultern des Vorderen fest.

Es bleibt mir unvergeßlich, wie der Dichter in se'nem schlichten Soldatenkleid mir in unverkennbarer Bewegtheit ror-kündete, es sei diese menschenbrüderliche Fahrt in die morgendliche fremde Stadt vielleicht der tiefste Eindruck seines Lebens gewesen. Er habe damals Möglichkeiten einer Zusammengehörigkeit verspürt, die ganz nahe an die Pforten der letzten Weisheit und Erlösung im Menschentum ging.

Man denke sich jetzt, angesichts solcher Eröffnungen, in meine Lage, da ich ihm nun den dienstlichen Auftrag geben sollte, mir „drei Kurzgeschichten täglich“ zu liefern, wie es damals bei uns im Kriegsarchiv bereits zum geflügelten Wort geworden war.

Das Wort bedarf einer näheren Aufklärung. Es war uns vom Kriegsministerium der dienstliche Auftrag zugegangen, besonders rühmenswerte Taten unserer Krieger im Felde zu sammeln, zu beschreiben und in Büchern herauszugeben. Es sollte damit eine Chronik geschaffen werden, die einerseits die Leistungen unserer Armee für kommende Geschlechter bewahren und andererseits auch das Vertrauen der Mitwelt in die Beharrlichkeit unserer Krieger erhöhen sollte. Diese Schilderungen wurden aui Grund der Belohnungsanträge, die nach ihrer Erledigung im Kriegsarchiv zusammenliefen, geschrieben. Es war zu jener Zeit kein Geheimnis, daß eine erhebliche Anzahl von Schriftstellern und Dichtern zu dieser Aufgabe herangezogen worden waren, unter denen sich auch einige bekannte, ja bedeutsame Namen befanden. Mir selbst war die letzte militärische Bearbeitung all dieser Schriftstücke anvertraut worden. Jeder meiner Untergebenen hatte täglich drei rühmenswerte Begebenheiten zu liefern, so war es vom Obersten befohlen worden, womit auch das früher erwähnte geflügelte Wort erklärt ist.

So sehr es mir nun um des Dienstes willen den anderen Kollegen von der Feder gegenüber gar nicht sdiwergefallen war, die Forderung heldischer Darstellung an sie zu stellen, bei Rilke versagte sie vollständig. Nicht so sehr, weil ich ihn schonen wollte, sondern weil ich die gänzliche Aussichtslosigkeit dieses dienstlichen Auftrages einsah.

Es gab unter den zahlreichen Räumen des Kriegsarchivs auch ein abgelegenes, dem Geiste vergangener Zeiten besonders geweihtes Zimmer, das war an allen

Wänden angefüllt mit riesenhaften, in weißes Leder gefaßten Aktenbüchern aus Maria Theresias Zeiten und aus den Napoleonischen Kriegen. Dorthin führte ich nun den Dichter und zeigte ihm am Fenster, wo die Sonne freundlich hereinschien, einen Tisch, einen Stuhl, ein Tintenfaß, eine Feder und bedeutete ihm, daß dies sein Arbeitszimmer sei.

Ich verabschiedete mich dann von ihm, mit Worten, die mir nicht mehr in Erinnerung sind. Ich glaube, ich deutete ihm nur leise an, er sei hier völlig sich selbst überlassen und er werde mich, seinen „Zwischenvorgesetzten“, sobald nicht wieder erblicken.

Ich ging dann zu meinem Obersten hinüber und besprach mit ihm, was nun des weiteren mit Rilke, unserem jüngsten Infanteristen, zu geschehen habe. Der Oberst lächelte und meinte: „Wir müssen ihm der Form halber wohl eine Arbeit geben — sie wird nicht dringlich sein.“

Und so saß nun der Dichter vor allerlei kriegerischen Akten, die ihm wohl vorgelegt wurden, an deren Bewältigung von seiner Seite aber niemand ernstlich dachte. Er teilte übrigens das Zimmer mit einem anderen Mann der Feder, dessen stilles Wesen wohl die beste Gesellschaft für ihn war. Von jenem erfuhr ich auch von Rilkes letzter, recht sonderbaren dienstlichen Betätigung:

Der Oberst hatte ihm eine sehr einfache Arbeit zugeteilt. Der Dichter hatte nämlich mit Zuhilfenahme eines Bleistifts und eines großen Lineals die für Gagen- und Lohnberechnungen erforderlichen Papierbogen zu rubrizieren, was er auch mit großer Sorgfalt ausführte.

Wenige Wochen später wurde er, da sein Gesundheitszustand nicht der beste war, vom Militärdienst befreit.

Es ist mir nicht bekannt, in welcher Weise er später an seine milde soldatische Laufbahn zurückdachte. Er hat darüber geschwiegen, und wir haben ihn nicht gefragt. Immerhin mag ihn in den Räumen des österreichischen Kriegsarchivs ein Geist begrüßt haben, der überlieferungsgemäß die Dinge einzuordnen wußte auch nach ihrem inneren Sinn.

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