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Diplomatisches Zwischenspiel

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Alles auf Erden hat zwei Seiten, auch die Diplomatie — eine glänzende, äußere, offizielle und eine völlig anders geartete, die in der menschlichen Unzulänglichkeit ihren Ursprung hat. Dodi sind auch ihr ab und zu diplomatische Erfolge beschieden, keineswegs die unansehnlichsten sogar, und gerade dafür kann ich aus meiner eigenen diplomatischen Vergangenheit ein bescheidenes Beispiel liefern. Das heißt, so bescheiden ist es im Grunde gar nicht, denn ich darf oder vielmehr, ich muß in diesem Zusammenhang erklären, daß ich durch eine dienstliche Unterlassung, jawohl, durch eine an und für sich unentschuldbare dienstliche Unterlassung, eine ernstliche internationale Verwicklung verhütet habe. Daß alles, was ich im folgenden erzähle, sich tatsächlich so zugetragen hat, wird man mir schon deshalb aufs Wort glauben, weil es kein allzu glänzendes Zeugnis ist, das ich mir damit ausstelle, was wohl jeden Verdacht der Schönfärberei aus Eigennutz ausschließt.

Im Herbst des Jahres 1911 wurde ich als eben ernannter Gesandtschaftsattache ao die österreichisch-ungarische Gesandtschaft in Belgrad versetzt. Es war dies mein erster und ein in Anbetracht der damaligen Weltlage — der bald danach ausbrechende Balkankrieg begann sich bereits am Horizont abzuzeichnen — keineswegs unwichtiger Posten, weshalb ich ihm mit größter Spannung, zugleich aber auch mit einer gewissen Besorgnis, entgegensah. Und nicht mit Unrecht! Denn, als ich an dem Ort meiner neuen Bestimmung angelangt war, empfing mich der k. u. k. Gesandte Graf Forgach, ein etwa 40jähriger, hochgewachsener Herr mit einem ausdrucksvollen, ungewöhnlich klugen Gesicht, zwar außerordentlich freundlich, doch ließ er sogleich einige derartig ernste Bemerkungen über di Tragweite der mir nunmehr obliegenden Pflichten fallen, daß ich beschloß, im Dienste fortan mein Bestes zu geben. Ich nahm mir daher kaum Zeit, die mir in unmittelbarer Nähe der Gesandtschaft angewiesene Wohnung zu beziehen, sondern eilte sofort in die Kanzlei, um midi dort in die Geheimnisse meiner bevorstehenden Amtstätigkeit einweihen zu lassen. Auf diese Weise waren seit meinem Eintreffen etwa 14 Tage vergangen, als eine völlig unvorhergesehene Verkettung von Umständen eintrat, die mir jene „weltgeschichtliche“ Rolle zuteilen sollte.

Außer dem Gesandten selbst gab es hier im ganzen drei sogenannte Konzeptsbeamte: einen Legationsrat, einen Legationssekretär und einen Gesandtschaftsattache. Nun spann aber das Schicksal tückische Fäden. Forgach hatte eine etwa eine Woche beanspruchende Dienstreise zu unternehmen, und gerade im Augenblick, da der Wagen, der ihn zur Bahn bringen sollte, vorgefahren war, traf mit Kurierpost eine Weisung aus Wien ein, die ein der wichtigsten der zur Zeit schwebenden Angelegenheiten betraf, weshalb er sie unbedingt noch vor seiner Abreise erledigen mußte. Dafür aber hatte Forgach augenblicklich niemanden anderen zur Verfügung als mich. Der Legationssekretär war schwer erkrankt und der Legationsrat befand sidi bei einer auswärtigen Sitzung, von der er frühestens in zwei bis drei Stunden zurückerwartet werden konnte. Der Gesandte ließ also mich zu sich bescheiden und setzte mir trotz der Eile, in der er sich befand, klar und eindringlich wie immer, den „Fall auseinander. Und ich — nun, ich war ja bereits soweit eingearbeitet, daß ich sofort wußte, was es nun zu tun galt, nämlich eine Note an die ser- bisdie Regierung zu verfassen, deren Inhalt sich aus dem Wiener Kurierakt eigentlich von selbst ergab. Forgach sah aber offenbar immer noch einen viel zu ungeschulten Neuling in mir, um mir eine solche Arbeit ohne alle weiteren Vorsichtsmaßregeln zu überlassen. Deshalb sagte er mir das, was ich nunmehr schreiben sollte, mehrmals hintereinander Wort fvjr Wort vor, bis er der Meinung war, daß es sich meinem Gedächtnis end gültig eingeprägt haben müsse. Dann trug er mir noch auf, die Note nach Fertigstellung durch den Legationsrut sofort unterschreiben und absenden zu lassen, und rekte ab.

Ich machte midi unverzüglich an die Arbeit. Es handelte sich dabei um folgendes: Die Beziehungen zwischen Serbien und der österreichisch-ungarischen Monarchie waren schon seit längerer Zeit ziemlich gespannt. Diese Spannung hätte sich noch weit unheilvoller ausgewirkt, wenn es Forgach nicht immer wieder gelungen wäre, die Spitzen durch seine meisterhafte diplomatisch Tätigkeit abzustumpfen. Immerhin war da aber noch genug Zündstoff angehäuft, daß mit der Möglichkeit einer ernsten Verwicklung gerechnet werden mußte. Doch erreichte Forgach letzten Endes etwas, das sich geradezu als ein Wendepunkt in dieser Hinsicht ansehen ließ: König Peter von Serbien sollte zum Besuch Kaiser Franz Josephs nach Wien kommen! Das war ein Erfolg, den Forgach ganz allein nur sich selbst zuschreiben durfte. Er hatte den ersten. Anstoß dazu gegeben und dann den König persönlich, durch kluge diplomatische Vorstellungen, für den Plan gewonnen. Auf österreichischer Seite war man von diesem anfangs allerdings nicht allzu erbaut gewesen, weil Kaiser Franz Joseph, der seit dem Belgrade Königsmord zur serbischen Dynastie keine näheren Beziehungen mehr unterhielt, sich ihm ziemlich abgeneigt zeigte. Forgich jedoch, für den das Zustandekommen dieses Besuches die Krönung seiner langjährigen, so überaus erspießlichen Belgrader Tätigkeit darstellte, gab nicht nach, sondern wie durch seine Berichterstattung o überzeugend in Wien nach, daß die bisher für unmöglich gehaltene Reise des Königs dahin für beide Länder gleichsam den Beginn eines neuen politischen Abschnitts bedeuten würde, daß sich der Kaiser schließlich bereit erklärte, den König bei sich zu empfangen. Diese seine Einwilligung war soeben eingelangt und sollte nun durch midi rar Weiterleitung an die serbische Regierung in die entsprechende Form gebracht, das heißt, in der mir angegebenen Weise stilisiert werden. Kaum aber hatte ich damit begonnen, als ich zu meinem Schrecken merkte, daß mir der Wortlaut der Formulierung seitens meines Vorgesetzten nicht mehr verläßlich in Erinnerung war. Hätte mir Forgach nicht alles so genau vorgesagt, wäre die Sache natürlich ganz leicht zu bewerkstelligen gewesen. Aber er hatte ganz bestimmte, höfische, mir nicht recht geläufige Redewendungen gebraucht, und von ihnen waren mir einige entfallen, so daß sich meiner eine wahre Todesangst bemächtigte, irgendeinen Fehler zu begehen. Dadurch verwisditen sich die Einzelheiten des Auftrages in meiner Erinnerung überhaupt, und schließlich war es soweit, daß ich we.der aus noch ein wußte. Ich zermarterte mein Gehirn, aber vergebens! Es blieb nichts übrig, als die Rückkehr des Legationsrates abzuwarten, der mir gewiß sofort aus der Verlegenheit helfen würde. Die Verzögerung war ja weiter nicht allzu schlimm. Außerdem liefen gerade ein paar chiffriert Telegramme ein, die dringendst dechiffriert werden mußten. So machte ich midi denn darüber her. Da aber der den Königsbesuch betreffende Akt die Aufschrift „streng geheim“ trug, legte ich ihn für die Zwischenzeit samt dem begonnenen Konzept aus Vorsicht zu unterst in die Lade mein Schreibtisches …

Eine Woche später wachte idi mitten in der Nacht in Schweiß gebadet auf: Ich hatte geträumt, daß ich auf den Akt vollständig vergessen und ihn weder erledigt, noch auch dem Legationsrat die leiseste Mitteilung davon gemacht batte. Eine Art Lähmung befiel mich, und erst ganz allmählich dämmerte mir das Entsetzliche. Ich hatte gar nicht geträumt, es entsprach der Wahrheit: der gesamte Akt kg unerledigt und unberührt, dort, wo ich ihn seinerzeit verwahrt hatte. Und eben heute wurde Forgach zurückerwartet!

Bis zum Morgen kämpfte ich mit düsteren Gedanken. Dann erschien idi in der Kanzlei, schlich aber so kleinlaut und kopfhängerisch dort umher, daß ich von allen Seiten nach der Ursache gefragt wurde. Ich fand nicht den Mut, mich zu ihr zu bekennen, sondern bemühte mich krampfhaft, Gleichmut vorzutäuschen. Als ich aber den Wagen, der den Gesandten von der Bahn zurückbrachte, heranrollen hörte, setzte mir im wahrsten Sinne der Herzschlag aus, denn nun mußte ich mich ja zu dem furchtbaren Bußgang entschließen. Trotzdem schob ich ihn von Minute zu Minute hinaus und benützte alle nur erdenklichen Vorwände, um die Galgenfrist zu verlängern. So war bereits eine halbe Stunde vergangen, als ein Diener erschien, der mich zum Gesandten beorderte. Nun gab es aJso kein Entrinnen mehr. Nachtwandlerisch folgte ich seinem Ruf, klopfte zaghaft an und trat ein.

Forgach saß an seinem Schreibtisch, hielt den Kopf in die Hände gestützt, sah bei meinem Kommen gar nicht auf, sondern blickte wie geistesabwesend vor sich hin: ein völlig gebrochener Mann. Ich brachte dies natürlich mit meiner Dienstunter- kssung in Verbindung und wagte kaum zu atmen, als jener mit einer völlig veränderten, dumpfen Stämme, deren bloßer Klang mich kalt durchlief, das Schweigen unterbrach.

„Du erinnerst dich“, begann er, „an die Frage des Königsbesuches, die wir damals, vor meiner Abreise, miteinander besprochen haben?“

„Ja!“ — Ich hauchte es nur mehr.

„Soeben“, fuhr Forgach fort und seine Stimme wurde noch dumpfer, „habe ich von verläßlicher Seite etwas in Erfahrung gebracht, was man nicht für möglich gehalten hätte. Das Ganze war nichts als ein politisches Manöver, ein Bluff. Ob der König selbst dabei mitgetan hat, oder von seiner Regierung nur ausgespielt worden ist, weiß ich nicht. Fest steht nur, daß man an die tatsächliche Ausführung dieses Besuches hierorts niemals gedacht hat, sondern unsere offizielle Einladung nur in Händen haben wollte, um sie dann in aller Form ablehnen zu können. Kein ungeschickter Schachzug vom hiesigen Standpunkt aus! Denn die uns zugefügte Brüskierung wird in der ganzen Welt Staub aufwirbeln und als ein so sinnfälliges Symptom unserer Schwäche gewertet werden, daß sie internationale Folgen von unabsehbarem Aus maß nach sich ziehen kann. Und ich … ich … bin der Schuldige …!“

Er sank in sich zusammen, während ich … Nun, anfangs hatte ich den Sinn der Worte, die da an mein Ohr schlugen, überhaupt nicht erfaßt. Als ich aber endlich soweit war, stürzte eine 6oldie Woge des Glückes auf mich hernieder, daß ich zuerst nur Unzusammenhängendes zu stammeln vermochte, das Forgach nun auch seinerseits nicht begriff. Als sich ihm aber das Vor gefallene in vollem Umfang enthüllte, als er erkannte, daß die Einladung überhaupt noch nicht abgeschickt, also das Unheil in jeder Hinsicht gebannt war, streckte er mir in wortloser Ergriffenheit die Hände entgegen und blieb fortan dabei, daß ich die Falle gewittert haben müsse.

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