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Ich lehnte ab, ein Gott zu sein

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Man wird mich vielleicht noch nach meinem Tod anklagen? Vielleicht wird man sagen: Er war es, in dessen Hand der Schlüssel zu einer goldenen Zukunft lag, und er wurde schuldig, weil er sich weigerte, den Schlüssel zu gebrauchen. Ich fürchte, man wird noch meinen Enkeln und Urenkeln aufrechnen, wieviel Unheil ihr Ahn über das deutsche Volk gebracht habe. Diese Befürchtung liegt um so näher, als schon in letzter Zeit durch aufgebauschte, entstellende Berichte in Illustrierten solche Anklagen vorgebracht worden sind. Es liegt mir deshalb daran, der Öffentlichkeit die Motive darzulegen, die mich seinerzeit bewogen haben, nach reiflichem Überlegen so und nicht anders zu handeln.

Die Nüchternheit meiner Sprache wird man mir verzeihen, obwohl sie dem großen Gegenstand meiner Ausführungen gewiß nicht angemessen ist. Außer den Mitteilungen und den monatlichen Berichten an die Firma und gelegentlichen Briefen an meine geschiedene Frau — auch diese mehr rechnerische Tatbestände betreffend als geistige Probleme — habe ich seit langem keine schriftlichen Formulierungen geübt, und mein Beruf — entgegen anderslautenden Behauptungen habe ich mich seit dem Jahre 1931 niemals mit etwas anderem befaßt als mit dem Vertrieb von Staubsaugern und anderen Elektrogeräten für den Haushalt — läßt mir für solche Dinge keine Zeit.

Damals, das darf ich wohl sagen, zumal es für den Hergang des folgenden von wesentlicher Bedeutung ist, war ich ein sehr ansehnlicher junger Mann. Ich hatte gerade geheiratet und sah recht hoffnungsvoll in meine Zukunft. Auch in der Zeit der großen Wirtschaftskrise erzielte ich stets ein befriedigendes Einkommen, und nach dem Umschwung von 1933 spürte ich bald an jeder Wohnungstür die Kraft des neuen Wirtschaftssystems. Von dem, was später mit mir geschehen sollte, ahnte ich damals nichts. Ich betone das- ausdrücklich, um Unterstellungen entgegenzutreten, meine Parteizugehörigkeit sei reine Spekulation gewesen. Unmöglich konnte ich wissen, daß man mich auf Grund meines Aussehens zu Höchstem auserwählen würde.

Auch heute noch bin ich ziemlich schlank, und damals hatte ich eine ausgesprochen sportliche Figur, obwohl ich außer den morgendlichen Freiübungen nach Anweisung des Radios niemals einen Sport ausge-

übt habe; meine Haare waren damals voll, leicht gewellt und von einem kräftigen Goldblond; meine Augen haben ein strahlendes Blau, das, wie die Zahlenreihen meiner Auftragsbücher beweisen, vor allem auf Hausfrauen von kaum zu unterschätzender Wirkung ist, und mein Gesicht war schmal, kernig und offen. Mein Aussehen entsprach, um es kurz zu sagen, in einer erstaunlichen Vollkommenheit jenem Bilde des nordischen Herrenmenschen, wie es die Rassenkunde erarbeitet hatte, und es war nicht verwunderlich, daß mein Antlitz, frontal aufgenommen wie auch im Profil, für ein weitverbreitetes Handbuch der Rassenlehre vorgesehen war. Zu dieser Veröffentlichung ist es damals allerdings nicht gekommen, weil man weit Größeres mit mir plante.

Ich ahnte nichts davon, das nehme ich auf meinen Eid. Niemand war mehr überrascht als ich selbst, als der Staat eines Tages — es war im Mai 1935 — mit der Aufforderung an mich herantrat, ein Gott zu sein.

Nach dem Tode des greisen Reichspräsidenten — ich kann nicht umhin, einige historische Geschehnisse zu erwähnen — brauchte der Staat damals ein neues Symbol. Ich habe gelesen, daß man auch mit Männern aus alten Fürstengeschlechtern verhandelt hat. Sei es nun, daß diese nicht an die Spitze des Volksstaates treten wollten, sei es, und das erscheint mir wahrscheinlicher, daß die Staatsführung erkannte, wie wenig diese Repräsentanten einer vergangenen Zeit zu der dynamischen Idee der jungen Bewegung paßten: Die Verhandlungen blieben, wie jedermann weiß, ohne ein positives Ergebnis. Eine tatkräftige Unterstützung durch die Religionsgemeinschaften konnte der Staat auch nicht erwarten, jedenfalls nicht in dem erwünschten Umfang, und so kam es endlich zu jenem denkwürdigen Plan, in dessen Mitte ich stand.

*

Auch heute noch scheint mir, daß das Vorhaben Hand und Fuß hatte. Die grundlegenden Werke über die neuen Ideen waren geschrieben worden und hatten Eingang in die Bücherschränke gefunden. Was damals fehlte — und dieser Mangel machte sich später noch wesentlich unangenehmer bemerkbar —, das war ein echtes Symbol des neuen Glaubens.

Man wende nicht ein, der Führer und Reichskanzler sei ein solches

Symbol gewesen. Die bitteren Erfahrungen der Zeit nach dem verlorenen Krieg haben ja gerade mit aller Deutlichkeit gezeigt, daß ein Mensch, so fähig er auch sein mag, nur zu schnell mißachtet und vergessen wird, wenn das Schicksal sich gegen ihn wendet. Auch in den maßgebenden Führungskreisen war man damals zu der Erkenntnis gekommen, daß Deutschland neben dem staatlichen Repräsentanten auch einen geistigen benötige, etwas vollkommen Unantastbares, Heiliges — kurz, einen Gott.

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Ich habe, wie man weiß, abgelehnt, dieser Gott zu sein. Zu diesem Entschluß haben mich nicht irgendwelche äußerlichen Gründe bewogen. Pöbelhafte Angriffe und Unterstellungen, ich hätte aus bloßer Unsicherheit so gehandelt, entbehren aber auch jeder Grundlage, und ebenso ist es völlig falsch, wenn behauptet wird, ich hätte den ehrenvollen Auftrag aus familiären Motiven abgelehnt. Ich darf wohl sagen, daß ich die mir zugedachte Rolle voll hätte ausfüllen können. Mein Beruf hat mir eine vorzügliche Menschenkenntnis und eine besondere Fähigkeit zur Menschenbehandlung gegeben, die mich zweifellos auch bei dieser größeren Aufgabe nicht im Stich gelassen hätten. Ich traute mir durchaus zu, in einer angemessenen Umgebung der zu sein, den man von mir verlangte, und zweifellos wäre diese Umgebung geschaffen worden.

Ich habe die Pläne selbst eingesehen, die die Errichtung einer gewaltigen, burgähnlichen Anlage mitten in der herrlichen Natur des Bayrischen Waldes vorsahen, wo mein Geburtsort in einer stilechten Köhlerhütte festgelegt werden sollte. Schon von ferne hätte man die ragenden Mauern erkennen können, das erhabene Profil der inneren Burg mit den schlanken Glockentürmen. In den weiten Vorhöfen sollten Weihedienste für Wallfahrende stattfinden, getrennt nach Geschlechtern, während der innere Burghof nur an Sonn- und Feiertagen und nur für politische Leiter offengestanden hätte. Nur ganz einzelnen Auserlesenen wäre die Ehre einer persönlichen Begegnung mit mir zuteil geworden. In keiner Hinsicht hätte ich mich überanstrengen müssen. Man hat mir sogar großzügigerweise angeboten, mit Frau und Kind dort zu leben. Das war zwar damals mehr eine Geste. Meine Frau hatte sich bereits von mir getrennt, und ich dachte nicht daran, eine neue Ehe einzugehen. Aber es war, das muß ich betonen, für mich und meine Bequemlichkeit in jeder Weise auf das großzügigste gesorgt, und selbst ein weniger gewandter Mann als ich hätte wahrscheinlich die erhabene Aufgabe würdig erfüllen können.

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Der andere Anwurf, ich hätte den Vorschlag aus Rücksicht auf meine alten Eltern abgelehnt, trifft ebensowenig zu. Zwar sollte ich vor Antritt meines hohen Amtes durch einen fingierten Unfall meiner bisherigen Umwelt entzogen werden. Alles, was mit meiner natürlichen Herkunft in Zusammenhang stand, hätte selbstverständlich ausgelöscht werden müssen, da man ja den neuen Gott, gemäß den Traditionen der maßgebenden Menschheitsreligionen, auf übernatürliche Art erscheinen lassen mußte. Meine Eltern, die damals beide noch lebten, hätten aber nur meinen Tod zu bedauern gehabt, sonst wären keine Nachteile für sie entstanden. Sogar für ein würdiges christliches Begräbnis sollte gesorgt werden. Ein Wiedererkennen durch irgend jemanden wäre schon deshalb ausgeschlossen gewesen, weil gewisse kleine rassische Fehler, die trotz meines vorbildhaften nordischen Aussehens noch bei mir festgestellt worden waren, durch die Kunst eines Gesichtschirurgen beseitigt worden wären.

Ich wiederhole: Keiner der mir unterstellten Gründe hat mich dazu bewogen, den großen Auftrag abzulehnen. Das eigentliche Motiv meines Verhaltens lag tiefer: Ich konnte mich nicht dazu entschließen, meinen Beruf aufzugeben.

Vielleicht wird das nicht für jedermann auf den ersten Blick einleuchtend sein. Diejenigen jedoch, die wie ich mit Leib und Seele ihrem Beruf nachgehen, werden mich verstehen. Wer wie ich eine Tätigkeit ausüben darf, die jeden Tag die ganze geballte Kraft seiner Persönlichkeit fordert, die stets von neuem rückhaltlosen Einsatz verlangt, um die drohende Niederlage in einen Erfolg umzuwandeln — wer wie ich seinen Beruf von ganzem Herzen und von ganzer Seele liebt, der, dessen bin ich gewiß, wird begreifen können, daß ich mich nicht dazu entschließen konnte, aus dieser Lebensfülle heraus einen Thron zu besteigen, der mich, bei aller Vorsorge für Annehmlichkeiten und Bequemlichkeiten, letzlich doch einsam gemacht hätte.

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Ich habe abgelehnt, ein Gott zu sein. Wahrscheinlich, das muß ich allerdings hinzufügen, hätte ich mich doch anders entschieden, wenn ich gewußt hätte, daß mit meinem Nein der große Plan überhaupt hinfällig wurde. Aber konnte ich denn wirklieh glauben, daß die Führung in mir den einzigen Menschen sah, der die erhabene Aufgabe befriedigend lösen können würde?

Aus allen diesen Gründen kann ich mit ruhigem Gewissen jene Vorwürfe zurückweisen, die in mir den Alleinschuldigen für den unglückseligen Gang der Geschichte festhalten wollen. Gewiß, es wäre sehr wahrscheinlich anders gekommen, hätte ich die Berufung damals angenommen. Auch die bis dahin noch Schwankenden wären überzeugt worden, die Widerstrebenden, die, wie erst später ganz deutlich geworden ist, der Führung doch recht schwer zu schaffen machten, wären in eine hoffnungslose Minderheit gedrängt, der Krieg wäre, das kann man wohl mit Sicherheit sagen, unter der Fahne des neuen Gottes gewonnen worden.

Beschuldigungen aber lehne ich ganz entschieden ab. Ich selbst gehöre zu den Opfern der furchtbaren Jahre nach dem Kriege. Monatelang habe ich in einem Intemierungs-lager gedarbt, bis sich meine Unschuld herausstellte, und jedermann weiß, wie schwer es bis 1948 war, in meinem Beruf tätig zu sein. Ich habe damals mit Gasmaskenbüchsen und sogar, unter Hintanstellung meines nationalen Bewußtseins, mit amerikanischen Zeltbahnen handeln müssen und fand doch nur ein kümmerliches Auskommen. Ich habe gelitten. Nicht von ungefähr ist mein Gesicht heute von schweren Falten gezeichnet. Wer schuldlos ist, der werfe den ersten Stein.

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