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„Form hat mir ein wenig wehgetan...”

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In einem vielbeachteten Beitrag (FURCHE 207 19,85) hat sich Norbert Leser kritisch mit Erwin Ringels Schweigen zu Erich Frieds Ansichten auseinandergesetzt. Er hat dafür die Form eines' offenen Briefes gewählt. Heute antwortet der Adressat in der FURCHE: ebenso offen.

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In einem vielbeachteten Beitrag (FURCHE 207 19,85) hat sich Norbert Leser kritisch mit Erwin Ringels Schweigen zu Erich Frieds Ansichten auseinandergesetzt. Er hat dafür die Form eines' offenen Briefes gewählt. Heute antwortet der Adressat in der FURCHE: ebenso offen.

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Lieber Norbert Leser! Selbstverständlich habe ich Ihre Kritik wohlwollend aufgenommen; niemals könnte ich mir verzeien, sie — nämlich die Kritik — zum Anlaß zu nehmen, um eine wichtige und wertvolle Freundschaft zu zerstören. Schließlich haben Sie nichts anderes getan, als Ihrem Gewissen zu folgen, eine Eigenschaft, die in Österreich immer seltener wird und daher jede Anerkennung verdient.

Darf ich Ihren offenen Brief nun, was die Sache betrifft, in einem ebenso offenen Brief in drei Punkten beantworten:

1. Die Veranstaltung im Konzerthaus war nicht als Diskussion zwischen Erich Fried und mir geplant, sondern ich sollte tiefenpsychologische Thesen formulieren und der Dichter dazu Verse vorlesen, deren Auswahl selbstverständlich ganz allein ihm überlassen blieb. In diesem Sinne scheint zumindest primär jeder von uns nur für seinen Teil verantwortlich, und Sie bescheinigen mir auch in diesem Zusammenhang, daß Sie mit meinen Ausführungen zum großen Teil einverstanden waren.

2. Dennoch haben Sie mit Ihrer Bemerkung recht, daß ich trotz dieser Struktur unseres Abends nicht hätte schweigen dürfen, wenn ich mit wesentlichen von Fried geäußerten Ansichten nicht einverstanden gewesen wäre. Erstens ist es ja klar, daß wer schweigt, zuzustimmen scheint; davon unabhängig ist aber bekannt, lieber Norbert Leser, daß ich seit langem niemals schweige, wenn ich anderer Meinung bin.

Also kann mein Verhalten nicht anders gedeutet werden — selbst wenn Sie das schockiert —, als daß ich mit den Ansichten Frieds im großen und ganzen einverstanden war. Wohl hat mir die Form, in der er sie gelegentlich vortrug, ein wenig wehgetan; ich hätte sicherlich andere Ausdrücke gewählt, im Sinne eines „suaviter in modo”; aber welche Rolle spielt schon die Form gegenüber dem Inhalt? Und eben dieser Inhalt gab mir keine Veranlassung, zu widersprechen. Womit wir bei Reagan und unserem jetzigen Papst angekommen sind.

Ich bin ein großer Freund der Vereinigten Staaten und werde es immer bleiben. Dem Marshall-Plan verdanken wir unser Uberleben, der Existenz dieses wunderbaren Landes unsere Freiheit. Ich bin aber nicht der Meinung, daß, wer ein Freund Amerikas ist, auch ein Freund Reagans sein muß, ja, im Gegenteil: Ich glaube, daß man gerade aus Liebe zu den Vereinigten Staaten nicht glücklich sein kann über diese Präsidentschaft, auch wenn sie durch die überwiegende Mehrheit der Wählenden (keineswegs der Gesamtbevölkerung) zustande gekommen ist.

Dies ist ein Mann, der aus Anlaß des Vietnam-Krieges gesagt hat: „Wir sollten Nord-Vietnam den Krieg erklären. Wir könnten das ganze Land asphaltieren, Parkbuchten einzeichnen und zu Weihnachten wieder zu Hause sein;” der in einer Sprechprobe, als er sich unbelauscht glaubte, Rußland für vogelfrei erklärte und seine Bombardierung in wenigen Minuten ankündigte; ein Scherz, der von Friedrich Hacker als Höchstleistung einer Freud'schen Fehlleistung bezeichnet wurde, wobei wir ja wissen, welche unbewußten Wünsche sich in einer solchen Fehlleistung enthüllen; der jetzt nicht davor zurückschreckt, selbst den Weltraum in kriegerische Manipulationen einzubeziehen.

Daß er glaubt, in Deutschland lebten sowieso keine Menschen mehr, die den 2. Weltkrieg erlebt hätten, mag noch als Dummheit im Sinne Frieds gewertet werden. Die anderen Fakten verlangen aber eine viel kritischere Beurteilung, die in die Richtung einer gefährlichen Aggressivität gehen muß.

Kein Geringerer als der in internationaler Politik enorm erfahrene Bruno Kreisky hat im Zusammenhang mit dieser Persönlichkeit jüngst von einer „Götterdämmerung” gesprochen. Warum sollten also ähnliche Äußerungen Frieds eine Gefährdung der Jugend darstellen? In meinen Ausführungen war die Sowjetunion (mit den prophetischen Bemerkungen Adlers über die Bol-schewiki) kritisiert, die USA (durch Zitierung des Bischofs Hundhausen) positiv erwähnt worden.

Wenn dann nun Fried die Politik Amerikas angriff, so kann ich daran doch im gesamten keineswegs eine „fatale Schlagseite” in Richtung Amerikafeindlichkeit diagnostizieren. Außerdem sollte man doch bei der Problematik zwischen den Vereinigten Staaten und Rußland die verständliche größere Allergie der Sowjetunion in Rechnung stellen. Die Vereinigten Staaten haben bisher (glücklicherweise) kein feindliches Eindringen in ihr Land erleben müssen, wenn man von dem doch peripheren Uberfall auf Pearl Harbour absieht.

Die Sowjetunion hingegen ist in der schlimmsten Weise überfallen worden; große Teile ihres Landes wurden verwüstet, mehr als 20 Millionen Einwohner getötet. Es ist psychologisch durchaus verständlich, wenn daher ein besonderes Sicherheitsbedürfnis die Politik dieses Landes beherrscht, und gerade dem neutralen Österreich steht es wohl an, für cliese Situation Verständnis zu haben.

Ich komme zur Kernfrage: Warum sollte ein solches Verständnis unsere entschiedene Bereitschaft schwächen, unsere Freiheit zu verteidigen? Ich habe in meinem Buch „Die österreichische Seele” mit Nachdruck darauf hingewiesen, daß nur ein paar Kilometer östlich von Wien die Unfreiheit beginnt. Ich glaube also, wohl in Anspruch nehmen zu können, nicht nur ein Antifaschist, sondern auch ein Antitotalitarist zu sein, der die zeitgenössischen Erscheinungsformen des Totali-tarismus, von welcher Seite auch immer, mit Leidenschaft aufzeigt. (Übrigens hat dies auch Fried getan unter ausdrücklicher Erwähnung des totalitären und imperialistischen Kommunismus).

Und nun zwingen Sie mich einmal mehr, nach Reagan über den Papst zu sprechen. Natürlich ist er eine Freude für alle Konservativen, aber für jeden fortschrittlich denkenden Menschen ist er eine von Jahr zu Jahr zunehmende Belastung: nur autoritäre Gehorsamsparolen, für Menschen in sozialer Not und seelischen Schwierigkeiten kein Verständnis, keine Bereitschaft, die Gleichberechtigung der Frau anzuerkennen und über andere Auffassungen im Dialog zu diskutieren, rigoroses Redeverbot.

Natürlich kommen Leute, wenn er mit ungeheurem Einsatz durch die ganze Welt reist; jeder will den Papst sehen. Aber was nehmen sie mit? Er spricht nur die an, die sowieso nicht mehr überzeugt werden müssen, und dies scheint doch zu wenig zu sein für unsere Zeit. Die Weltkirche kann eben nicht nur aus der Perspektive einer Polnischen Zitadelle gesehen werden.

Ein Wiener Pfarrer hat einmal gesagt: „Er ist nicht vorkonziliär, er ist vorchristlich.” Soweit möchte ich nicht gehen, aber ganz und gar stimme ich Wolfgang Broer zu, wenn er jüngst geschrieben hat: „Dieser Papst, so wie er ist, verhindert, was er herbeisehnt: Den Menschen die Botschaft der Katholischen Kirche als gültige und beseligende Lebensform zu präsentieren.”

Ich meine, daß dies schwerwiegende Gesichtspunkte sind, und ich wundere mich eigentlich sehr, daß Sie, der Sie doch wirklich nicht dem konservativen Lager angehören, nicht ähnlich denken.

3. In einem Punkt muß ich aber ganz entschieden und persönlich widersprechen, ihn habe ich als kränkend empfunden, wenn Sie mir nämlich vorwerfen, immer dabei- und obenaufsein zu wollen. Seit meiner Jugend in der nationalsozialistischen Zeit bin ich meinem Grundsatz treugeblieben, den Menschen eher Unangenehmes zu sagen, das, was sie nicht hören wollen, und dafür bin ich jetzt nachgerade bekannt.

„Habe einen Auftrag”

So war es ja auch mit meiner „Rede über Österreich”, und daß sie doch zu einem Erfolg wurde, grenzt an ein Wunder. Ich bin zur ÖVP gegangen und habe dort die Argumente der SPÖ zum Feber und Juli 1934 vorgetragen; dann habe ich im Renner-Institut mit umgekehrten Vorzeichen gesprochen. Ich kann Ihnen nur versprechen, daß ich dies auch weiter so halten werde!

Freilich möchte ich Ihnen dabei gleich ein Problem erklären, das mich nun von Monat zu Monat mehr beschäftigt: Ich habe eine gewisse Fähigkeit, mich klar und allgemein verständlich auszudrücken, und ich werde daher sehr oft befragt und antworte auch. Ich tue dies auch in der Uberzeugung, daß ich diesbezüglich einen gewissen Auftrag habe.

Es mehren sich aber jetzt die Stimmen, die sagen, daß ich zu oft spreche. Und wenn nun auch Sie die Deutung geben, ich wolle eben immer dabeisein, dann muß das wohl für mich ein zusätzlicher Ansporn sein zu einem Verhaltenswechsel, der mich hoffentlich nicht bis zum völligen Verstummen bringen wird.

Selbstverständlich bleibt, wie schon gesagt, die Einladung zu einem persönlichen Treffen in meiner Wohnung aufrecht.

Mit sehr herzlichen Grüßen, Ihr ERWIN RINGEL

Der Autor ist Professor für Medizinische Psychologie an der Medizinischen Fakultät an der Universität Wien.

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