Kreisky - © Foto: picturedesk.com/Imagno/Nora Schuster

Bruno Kreisky: Lust an der Macht? Das war einmal...

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1983 führt der damalige Chefredakteur Hubert Feichtlbauer mit Bundeskanzler Bruno Kreisky ein sehr persönliches Gespräch über Macht, Moral und Tod.

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1983 führt der damalige Chefredakteur Hubert Feichtlbauer mit Bundeskanzler Bruno Kreisky ein sehr persönliches Gespräch über Macht, Moral und Tod.

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Kein Kernkraftwerk ohne Endlagerlösung, Salcher als Nachfolgetalent, Kreiskys Auffassungen von Macht, Moral und Tod werden in diesem sehr persönlichen Gespräch berührt.

DIE FURCHE: SPD-Geschäftsführer Peter Glotz hat von den deutschen Sozialdemokraten eine weitere „Remoralisierung der Politik“ gefordert. Können Sie damit etwas anfangen?
Bruno Kreisky: Dieses Problem beschäftigt auch mich seit langem. Es geht zwar in der Politik sehr viel anständiger zu, als viele Menschen glauben, aber es gibt Entartungen im gesellschaftlichen Bereich, deren Korrektur die Menschen von der Politik erwarten, etwa ungebührliche Bereicherungen, auch wenn das Gesetz sie nicht erfaßt.

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DIE FURCHE: Woher bezieht ein Agnostiker wie Sie die Maßstäbe für das, was moralisch richtig und was falsch ist?
Kreisky
: Auch ein Agnostiker bestreitet nicht, daß alle großen Religionen moralische Maßstäbe gesetzt haben und daß die Zehn Gebote deren konzentrierteste Zusammenfassung sind. Auch wenn griechische Philosophen schon die ersten großen Moralgesetze formulierten, taten es für die große Masse der Menschen doch die Religionen.

DIE FURCHE: Sie und Ihre Partei haben seit vielen Jahren die Macht in Österreich. Immer wieder versichern Philosophen und Soziologen, daß jede Art von macht zum Machtmißbrauch verführe.
Kreisky:Das könnte prinzipiell der Fall sein, aber nicht in der Demokratie, in die Sicherheitselemente gegen Machtmißbrauch eingebaut sind – in der Verfassung, durch eine freie Presse. Aber schon bloße Klugheit gebietet denen, die Einfluß ausüben, sich freiwillig Schranken aufzuerlegen. So hat meine Partei meiner Empfehlung zugestimmt, daß eines der wichtigsten wirtschaftspolitischen Instrumente des Staates, die Nationalbank, der Führung unseres intelligentesten Gegners anvertraut wurde. Denken Sie aber auch an die höchsten Befehlsstellen im Bundesheer, die Leiter der Höchstgerichte, die keine Parteigänger der SPÖ sind, denken Sie an den Bundespräsidenten!

DIE FURCHE: Daß die Betrauung der Nationalbankführung mit Stephan Koren ein geschickter Schachzug von Ihnen war, schrieb anläßlich Ihres jüngsten USA-Besuchs auch William Drozdiak in der „Washington Post“. Im selben Artikel schrieb er aber auch: „Kreisky gibt zu, daß die aus der Macht stammende Erregung ihm Appetit auf ein Verbleiben im Amt gemacht habe.“
Kreisky: Na ja, seinerzeit – aber jetzt nicht mehr. Ich habe kein Machtbedürfnis. Aber sich durchsetzen wollen, das ist etwas anderes. Ich habe noch die Demütigung Österreichs und damit auch seiner Menschen in früheren Zeiten in Erinnerung. Darunter litt ich. Daß heute von Österreich in aller Welt, von gescheiten Amerikanern und auch in Beduinenzelten, mit Respekt geredet wird, erfüllt mich mit Genugtuung. Natürlich danken wir dies auch den Leistungen von Renner, Raab, Figl, Schärf...

DIE FURCHE: Golda Meir beschreibt in ihren Memoiren, wie erstaunt Kreisky und Willy Brandt gewesen seien, als sie einmal berichtete, in ihren Ministerratssitzungen käme Willensbildung durch Abstimmung zustande. Die Europäer könnten sich nur Entscheidungen durch den Vorsitzenden vorstellen...
Kreisky: Journalisten sollten einmal bei den ein- bis eineinhalbstündigen Ministerratsvorbesprechungen dabeisein. Da hält keiner mit Selbstkritik zurück. Da wird von mir auch keinem Minister dreingeredet, wen er nur über sein Ressort entsprechend berichtet. Natürlich müssen in jedem Gremium gewisse Leute dominieren, damit auch regiert und nicht nur geredet wird.

Ich habe noch die Demütigung Österreichs und damit auch seiner Menschen in früheren Zeiten in Erinnerung.

Bruno Kreisky

DIE FURCHE: Aber zieht nicht ein Mächtiger, sei er SPÖ-Kanzler oder ÖVP-Landeshauptmann, oft die Jasager und Speichellecker an, die ihm nicht mehr ihre wahre Meinung sagen?
Kreisky
: Wenn das geschieht, wird draus bald ein willenloser Haufen. In der Umgebung Adenauers oder Churchills sind nicht viele groß geworden. In meiner Umgebung sind sechs, sieben, acht große politische Talente herangewachsen, von denen letztlich jeder in der Lage wäre, meine Funktionen zu übernehmen: Fred Sinowatz, Heinz Fischer, Karl Blecha, Herbert Salcher...

DIE FURCHE: Salcher nennen Sie heute zum erstenmal in einer solchen Aufzählung!
Kreisky: Weil er sich als einer der Neueren sehr bewährt hat. Oder denken Sie an die Beliebtheit von Landwirtschaftsminister Haiden bei den Bauern...

DIE FURCHE: Viele junge Österreicher werden den heutigen Politikern vor, sie hinterließen Hypotheken auf deren Zukunft: Schulden, leere Sozialversicherungskassen, Atommüll. Nicht um das Ausmaß der Schulden geht es, sondern darum, daß man die nächste Generation gar nicht fragt, ob sie das haben möchte, wofür sie wird zahlen müssen.
Kreisky
: Erstens hinterlassen wir keinen Atommüll. Solange ich in der Politik etwas zu reden habe, werden wir die Frage eines Kernkraftwerks nicht wieder aktualisieren, ehe man nicht eine klare Antwort über eine Lagerung geben kann, die für die Zukunft keine Gefahr darstellt. Ansonsten aber wurden alle großen Bauvorhaben der Vergangenheit – Semmeringbahn, Arlbergbahn usw. - auch zu Lasten der Zukunft durchgeführt. Aus Umfragen unter den jungen Österreichern, deren Ergebnisse wir nicht publizieren, können wir feststellen, daß tendenziell die Zustimmung zu unserer Politik gewachsen ist. Einen Teil lehnen sie ab, aber sehr sind sie für unseren Einsatz für den Frieden, für unseren UN-Friedensdienst, auch dafür, daß Österreich Asylland bleibt. Auch ein großes Konferenz- und Kulturzentrum, in dem es wahrscheinlich eine Dauerausstellung österreichischer Kunst geben wird, ist eine Attraktion...

Ich halte nichts von Denkmälern. Ich werde froh sein, wenn die Zeit, in der ich in Österreich maßgeblich mitzubestimmen hatte, in guter Erinnerung bleibt.

Bruno Kreisky

DIE FURCHE: Glauben Sie nicht auch, daß die Jugend die Schwarz-weißmalerei der Parteien, wonach alles Eigene großartig und alles vom Gegner böse ist, als abstoßend empfindet?
Kreisky: Immer hat sich die Jugend nur zum Teil und erst einige Zeit nach dem 20. Lebensjahr für Politik interessiert, wenn es um unmittelbare Lebensinteressen geht. Und immer formuliert die Jugend pointierter. Sie fordert heute „einseitige Abrüstung“ - Ausdruck einer großartigen Gesinnung, aber da muß man ihr eben klarmachen, daß dies der Weg in den nächsten Krieg wäre, weil eben ein gewisses Gleichgewicht notwendig ist. Aber wir waren in unserer Jugend doch auch nicht anders. Die Jungen werden sozusagen physiologisch gegen die Alten recht behalten. Deshalb muß sich rentieren, was wir für sie investieren – auch moralisches Kapital.

DIE FURCHE: Apropos „physiologisch recht behalten“ - im zweiten Band seiner Lebenserinnerungen schreibt Manges Sperber, dem Sie sich ja stark verbunden fühlen: „Meinen Körper mochte ich nicht... Ich habe ihn zuweilen wie einen lästigen Begleiter empfunden.“ Sie holen aus Ihrem kranken Körper immer wieder erstaunliche Reserven heraus.
Kreisky: Sperber und ich kommen aus zwei unterschiedlichen Kulturbereichen. Ich habe trotz all dessen, was ich mitmachte ein glücklicheres Leben geführt. Ich bin eine sehr frohe Natur, lache gern, freue mich gern. Ich habe immer ein gutes Verhältnis zu meinem Körper gehabt. Daß ich gewisse Sportarten wie Tennis oder Schifahren auf Rat meiner Ärzte nicht mehr ausübe (schwimmen darf ich noch), darunter, das gebe ich zu, leide ich, wenn auch in Grenzen. Aber bis auf meine Niere bin ich ein relativ gesunder Mensch mit guten Befunden. Aber mit 72 hat man halt kleinere Gebrechen. Trotzdem macht mir ein 10-, 12-Stunden-Arbeitstag keine Probleme.

DIE FURCHE: Zur „Arbeiter-Zeitung“ sagten Sie einmal, je älter Sie würden um so weniger fürchteten Sie das Sterben. Was bedeutet für Sie persönlich der Tod?
Kreisky: Sehr viel mehr als an mich denke ich an die Menschen, die ich zurücklasse. Ich halte nichts von Denkmälern. Ich bin mir der Vergänglichkeit aller dieser Dinge bewußt. Ich werde froh sein, wenn die Zeit, in der ich in Österreich maßgeblich mitzubestimmen hatte, in guter Erinnerung bleibt. Wenn mir die Zeit bleibt, was ich hoffe, werde ich sicher noch ein Buch schreiben, weil ein Mensch mit vielen Erinnerungen an Menschen und Ereignisse diese nicht sang- und klanglos mit sich nehmen darf.

DIE FURCHE: Alles Gute fürs Buchschreiben, Herr Bundeskanzler!

Mit Bruno Kreisky sprach Hubert Feichtlbauer, von 1978 bis 1984 Chefredakteur der Furche.

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