Wo stehen wir nun, Herr Präsident?

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Der scheidende Bundespräsident Heinz Fischer verrät, warum Österreich reif für die erste Präsidentin ist, wie es ihm mit seinem Kirchenaustritt ging und was er über Maschek denkt.

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Der scheidende Bundespräsident Heinz Fischer verrät, warum Österreich reif für die erste Präsidentin ist, wie es ihm mit seinem Kirchenaustritt ging und was er über Maschek denkt.

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Nach zwölf Jahren als Bundespräsident resümiert Heinz Fischer, wie sich die Politik, das Leben in Österreich und er selbst verändert haben - und womit das nächste Staatsoberhaupt gut beraten wäre.

Die Furche: Herr Bundespräsident, 2016 wird wohl erstmals jemand ins Amt gewählt werden, der nicht den Traditionsparteien SPÖ oder ÖVP entspringt. Hundstorfer und Khol müssen sogar um die Stichwahl bangen. Bereitet Ihnen diese gesellschaftspolitische Umwälzung Bauchweh?

Heinz Fischer: Ich habe kein Bauchweh, ich betrachte es auch nicht als gesellschaftspolitische Umwälzung - allenfalls als parteipolitische. Wenn SPÖ und ÖVP zusammen nur mehr rund 50 Prozent der Stimmen erlangen, dann ist die logische Konsequenz, dass auch Kandidaten dieser Parteien bei einer Bundespräsidentenwahl keine Garantie haben, gewählt zu werden. Für eine Demokratie ist es vielleicht sogar ein Lebenszeichen, dass Präsidentenwahlen keine Routinesache sind, um Dinge abzusegnen, die schon im Vorfeld entschieden wurden, sondern dass es eine wirklich spannende, kaum prognostizierbare Wahl ist.

Die Furche: Laut einer aktuellen Studie wünschen sich zwei Drittel der Österreicher einen unabhängigen Bundespräsidenten. Empfinden Sie das als Kritik an Ihrer Amtsführung oder wie erklären Sie sich diesen Wunsch?

Fischer: Der Wunsch ist logisch, der Bundespräsident hat tatsächlich unabhängig zu sein und ich war es auch. Niemand kann mir Bevorzugung einer Partei in meiner Amtsführung nachweisen und ich habe in manchen Fragen - siehe z.B. Berufsheer oder Wehrpflicht ganz eindeutig auch gegen Intentionen der SPÖ Stellung genommen. Ein anders Mal wird vielleicht die ÖVP mit mir keine Freude gehabt haben. Ich habe von keiner Partei auch nur etwas Ähnliches wie Wünsche oder Empfehlungen entgegen genommen. Ich habe Persönlichkeiten aus allen Parteien bei Personalentscheidungen chancengleich behandelt. Dass die Bevölkerung eine Fortsetzung dieser objektiven und unabhängigen Amtsführung wünscht, betrachte ich als Bestätigung, nicht als Kritik. Man sieht das ja auch an meinen Vertrauenswerten.

Die Furche: Wobei heute unter "unabhängig" ja verstanden wird, dass jemand nicht klar zuordenbar aus einer Partei kommt, wie Sie aus der SPÖ. Diese hat ja Ihren Wahlkampf mitfinanziert und auch die Grünen haben eine Wahlempfehlung für Sie abgegeben.

Fischer: Der Maßstab für "unabhängig" ist nicht die Frage woher jemand kommt, sondern wie er als Bundespräsident handelt. Es kann ja jemand "unabhängig" sein in dem Sinn, dass er/sie keiner Partei angehört, und dann trotzdem ein stark auf eine bestimmte Interessensgruppe zugeschnittenes Weltbild hat. Gleichzeitig kann jemand aus einer demokratischen Partei heraus gewachsen sein, aber ein unparteiischer und objektiver Bundespräsident sein.

Die Furche: Sie haben sich bei den Regierungsbildungen für eine große Koalition ausgesprochen. Sind Sie rückblickend mit dem Resultat zufrieden?

Fischer: SPÖ und ÖVP waren während meiner gesamten Präsidentschaft stärkste und zweitstärkste Partei. Man braucht sich wirklich nicht rechtfertigen, wieso man im Sinne des Wahlresultates für eine Verbindung der stärksten mit der zweitstärksten Partei eingetreten ist, um eine stabile Regierung zu bilden. Umso mehr, als ja diese Parteien schon vor der Wahl gesagt haben: Wenn wir erfolgreich sind, ist die wahrscheinlichste Lösung, dass wir zusammenarbeiten.

Die Furche: Angenommen das neue Staatsoberhaupt hat sehr viele Proteststimmen erhalten und fasst diese als Mandat auf, stärker einzugreifen: Wo ziehen Sie die Grenze der Zuständigkeit? Kandidat Hofer hat angekündigt, für ein Burka-Verbot einzutreten.

Fischer: Ich unterscheide nicht zwischen Protestwählern, Nicht-Protestwählern oder Halb-Protestwählern. Für mich hat jede Stimme gleiches Gewicht und man kann ja nur Stimmen für die Kandidaten auf dem Stimmzettel abgeben. Die Forderung nach einem Burkaverbot kann der Kandidat Hofer natürlich äußern -es gibt ja kein Meinungsverbot -aber das wird bekanntlich nicht vom Bundespräsidenten entschieden. Da kann ich nur sagen: Seine Sorgen möchte ich haben. Die Furche: Sie haben gesagt, ein guter Präsident darf kein Unruhestifter sein. Ist der Aufruf zum Burka-Verbot nicht ein Akt des Unruhe Stiftens? Fischer: Nicht jede undurchdachte Forderung ist ein "Akt des Unruhe Stiftens". Aber im Prinzip meine ich: Ein guter Präsident muss dazu beitragen, dass das Land eine friedliche und gute Entwicklung nimmt. Der Bundespräsident wird nicht gewählt um Schlagzeilen zu produzieren und Aufregung zu schaffen, sondern um Verlässlichkeit und klare Werte von der Staatsspitze auszustrahlen.

Die Furche: Empfinden Sie sich in Ihrer Funktion als eine moralische Instanz des Landes?

Fischer: Ich weiß nicht, ob man das Wort "moralische Instanz" verwenden soll, vor allem, wenn man über sich selbst spricht. Aber mir ist bewusst, dass der Bundespräsident sehr genau beobachtet wird. Ein Staatsoberhaupt sollte als Vorbild geeignet sein, sollte Vertrauen genießen, sich nicht mit dem Vorwurf von Unkorrektheiten auseinandersetzen müssen oder sich auch nicht zu unakzeptablen oder unüberlegten Formulierungen hinreißen lassen. Und er sollte auch im Ausland Anerkennung finden.

Die Furche: Sie sind wegen der Affäre Groër aus der Kirche ausgetreten und definieren sich als Agnostiker. War dieser Austritt vor allem Sozialkritik an der Institution Kirche oder eine Glaubensentscheidung?

Fischer: Erstens: Ich definiere mich nicht als Agnostiker, sondern werde von anderen so definiert, weil ich ähnlich wie Bruno Kreisky sage: Ich kann die Existenz eines persönlichen, allmächtigen Gottes weder beweisen noch widerlegen. Und zweitens: Der Widerspruch zwischen dem, was von einem Kirchenführer erwartet werden kann und muss, und der Lebensrealität des Kardinals Groër war offenbar so schmerzhaft, dass es für mich keinen Sinn mehr machte, in einer Kirche Mitglied zu sein, an deren Spitze in der Diözese Wien Kardinal Groër stand. Das hatte mit philosophischen oder weltanschaulichen Fragen nichts zu tun. Ich habe damals keine andere Möglichkeit gesehen, gegen das Phänomen Kardinal Groër zu protestieren, als zu sagen: "Das muss ich nicht durch meine Mitgliedschaft mittragen".

Die Furche: Welche Rolle hat Ihr Austritt während Ihrer Kandidatur und Präsidentschaft gespielt?

Fischer: Eigentlich keine Rolle. Natürlich ist im Wahlkampf manchmal subkutan oder auch nicht subkutan darauf verwiesen worden, dass Österreich doch ein katholisches Land sei und man sich überlegen müsse, jemanden zu wählen, der nicht Mitglied der Kirche ist. Aber es hat weder auf das Wahlresultat noch auf meine Beziehung zu Kardinal König oder meinen Respekt für die Werte und Leistungen des Christentums einen Einfluss gehabt.

Die Furche: Sie haben sich klar für die Eintragung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften und für deren Adoptionsrecht ausgesprochen. Wie zufrieden sind Sie mit dem Status quo?

Fischer: Der springende Punkt ist nicht die "Eintragung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften", sondern die Grundfrage ob wir dem mit Vernunft und Gewissen ausgestatteten Menschen zubilligen, seinen Lebensentwurf selbst zu wählen. Ob man ihm gestattet, einer natürlichen Neigung zu einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft nachzugeben. Und dieses Recht ist in manchen - nicht in allen - Gesellschaftsordnungen jahrhundertelang verwehrt worden. Wenn man sich nun in Europa mehr und mehr dazu entschließt, auf diesem Gebiet unterschiedliche Neigungen anzuerkennen (und auch Österreich geht diesen Weg) dann ist es meines Erachtens nicht gerechtfertigt, darüber zu streiten, ob eine legale Verbindung einer solchen Partnerschaft nur am Gemeindeamt oder auch am Standesamt amtlich bestätig werden darf. Wenn ein einzelner Mensch außerhalb einer Ehe ein Kind adoptieren kann und ihm Wärme und Geborgenheit gibt, dann sehe ich nicht ein, warum es nicht auch zwei Frauen oder zwei Männern gestattet sein soll, ein Kind zu adoptieren.

Die Furche: Wäre Österreich schon bereit für einen homosexuellen Präsidenten oder für eine Präsidentin mit einem First Husband?

Fischer: Im Prinzip sehe ich da kein Problem. Es gibt ja schon Staaten, wo das Staatsoberhaupt homosexuell ist. Es gibt auch Staaten, wo das Staatsoberhaupt single ist, weil verwitwet oder nie verheiratet, es gibt Frauen als Staatsoberhäupter. Amerika hat ein Staatsoberhaupt, das nicht aus der weißen Bevölkerung stammt. Ich begrüße diese Fortschritte und glaube, dass auch Österreich dafür reif ist. Ganz allgemein gesagt, muss ein Staatsoberhaupt fachlich, ethische und moralische Qualitäten haben. Die Frage der Religion, des Geschlechtes, die Frage, ob geschieden oder nicht, oder die Frage ob heterosexuell oder homosexuell kann rechtlich kein Kriterium sein und sollte auch politisch und faktisch kein Kriterium sein.

Die Furche: Wie würden Sie die Entwicklung des Landes in Ihren zwölf Amtsjahren skizzieren?

Fischer: Österreich ist nach wie vor ein lebens-und liebenswertes Land, hat nach wie vor im Vergleich mit anderen EU-Staaten in vielen Bereichen eine gute Position. Aber man kann nicht leugnen, dass eine langjährige Aufwärtsbewegung in manchen Bereichen zum Stillstand gekommen ist. Der Beitritt Österreichs zur EU war sicher richtig. Doch je mehr einzelne Staaten durch Finanzkrise, Flüchtlingsproblem, Angst vor Terrorismus, steigende Arbeitslosigkeit, etc. sich unter Druck fühlen, umso mehr steigt die Bereitschaft, sich ängstlich in das Schneckenhaus nationaler Egoismen zurückzuziehen.

Die Furche: Ist die Desillusionierung bei den Bürgern nicht auch auf das Versagen der Politik zurückzuführen?

Fischer: Sie tun so, als ob die Antworten am Tablett liegen und die Politiker nur die Augen verschließen! Die Generation der heute lebenden Politiker ist nicht dümmer, fauler, fantasieloser oder engstirniger als jene vor 30 Jahren, sondern sie findet wesentlich schwierigere Problemlagen vor. Viele der empfohlenen "Antworten" sind gar keine Antworten oder zumindest keine brauchbaren Antworten. Viele der angepriesenen "Reformen" sind einfach nur Verschlechterungen. Die Rahmenbedingungen in Europa haben sich verändert durch den Aufstieg von Schwellenländern, durch technologische Revolutionen, die Arbeitsplätze vernichten, durch ein neues Finanzsystem, das einer Ellbogen-Gesellschaft den Weg gebahnt hat. Und dennoch dürfen wir uns nicht entmutigen lassen. Die Probleme sind lösbar. Aber die neuen und richtigen Antworten müssen erst erarbeitet werden und auf den Tisch kommen. Die Furche: Sie und Ihre Gattin sind ja von Maschek im ORF jahrelang durch den Kakao gezogen worden.

Fischer: Das war kein Kakao, sondern ein guter, englischer Earl Grey, also ein Humor, den ich als indirektes Kompliment aufgefasst habe. Wenn es Maschek nicht gegeben hätte, hätte man das erfinden müssen. Vielleicht wird es mir sogar abgehen.

Die Furche: Was machen Sie am 9. Juli? Fischer: Vielleicht irgendwo in den Voralpen wandern, wenn die Übersiedlung rechtzeitig abgeschlossen ist. Aber nix ist fix.

Das Gespräch führte Sylvia Einöder

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