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„Alles, was wir hier tun, tun wir fiir die Familie“

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FURCHE: Herr Minister, in der Frage der Scheidungsreform haben Sie Ihren Standpunkt modifiziert. Welcher Position haben Sie sich eher angenähert, jener des Katholischen Familienverbandes oder der der Volkspartei?

BRODA: Ich möchte etwas vorausschicken: Es gehört zur österreichischen Tradition der Rechtsreform, die in den siebziger Jahren so außerordentlich positive Ergebnisse erzielt hat, daß wir immer das Argument gelten lassen: Wenn es bessere Argumente gibt, so werden sie übernommen. Wir haben damit Erfolg gehabt in der Familienrechtsreform, es ist auch bekannt, daß wir mit Ausnahme der Fristenlösung mit jeder anderen Bestimmung der Strafrechtsreform Konsens erzielt haben. Auch in der Scheidungsreform ist es naturgemäß so gewesen. Wir hatten sehr intensive Kontakte mit dem Katholischen Familienverband; der nun vorliegende Vorschlag der sozialistischen Fraktion trägt den Überlegungen der katholischen Organisationen in sehr wesentlichen Punkten Rechnung. Eine Annäherung an den Standpunkt der Volkspärt'einäben wir nicht vollzogen.

FURCHE: Es wurde behauptet, in der geänderten Haltung Ihrer Partei sei die Ursache darin zu sehen, daß einerseits ein gewisser Druck von der eigenen Frauenorganisation ausgeübt wurde und anderseits Meinungsumfragen über die Stimmung unter den Wählern zur Scheidungsreform vorliegen.

BRODA: Beides stimmt absolut nicht. Wir haben innerhalb der Frauenorganisation der sozialistischen Partei tiefgreifende und sehr ernste und engagierte Diskussionen über diesen Teil der Familienrechtsreform geführt, aber um die Frage einer unbefristeten immateriellen Härteklausel ging es in dieser Diskussion niemals.

Was die Meinungsumfragen anbelangt, möchte ich folgendes sagen: Wenn man Grundsatzpolitik und Gesellschaftspolitik machen will, dann muß man auch den Mut haben, in Kauf zu nehmen, daß es einmal nicht voll befriedigende Meinungsumfrageergebnisse gibt. Eine Grundsatzpolitik, die sich nur nach Meinungsumfragen richtet, würde diesen Namen nicht mehr verdienen. Denken Sie an meine eigene Stellungnahme zur Frage der Todesstrafe. Aber überdies stimmt das im konkreten Fall gar nicht.

FURCHE: Herr Minister, welches Gewicht hat in Ihren Augen die kirchliche Lehre von der Unscheidbarkeit der Ehe für den staatlichen Bereich?

Darf ich in diesem Zusammenhang nochmals mit Ernst und auch mit eigenem Engagement auf den harten Kern der Diskussion eingehen. Erfreulich ist es, daß wir zum Unterschied von einigen Teilen der Strafrechtsreform dieses Mal eine viel ruhigere, viel sachbezogenere und viel positivere Diskussion eines natürlich gesellschaftspolitisch brisanten Themas gehabt haben. Erfreulich ist auch, daß eigentlich vollkommen unbestritten ist, daß, wie immer die Kirche zur Frage der Unscheidbarkeit der Ehe steht, dem Staat nicht nur das Recht zugesprochen werden muß, andere Regelungen im staatlichen Bereich vorzunehmen, daß auch anerkannt wird, daß

das ein sehr moralisches und ein sehr menschliches Anliegen ist. Ich möchte nur darauf verweisen, daß es doch unseren gemeinsamen Auffassungen von der Würde des Menschen widerspricht, aus materiellen Gründen, aber nicht nur aus materiellen Gründen am Schein einer Lebensgemeinschaft festzuhalten, die viele Jahre keine mehr ist. Und ich habe es als Anwalt in jahrzehntelanger Praxis und als Justizminister immer wieder gesehen, wie durch die unbefriedigende Gesetzeslage und Rechtssprechung Frauen, deren Lebensgemeinschaft und bisherige Lebensgrundlage zerstört worden ist, nicht zu sich finden können, weil sie fixiert werden auf Illusionen, die nicht mehr verwirklicht werden können. Daher glauben wir, ist es eine tief menschliche Lösung, die wir vorschlagen. Das ist das Anliegen djeses Teils der Familienrechtsreform. Alles, was wir hier tun, tun wir für die Familie, für das Aufrechterhalten des Ansehens der Institution Ehe.

FURCHE: Woher schöpfen Sie Ihr inneres Engagement in der Frage der Familienrechtsreform? Schöpfen Sie Ihr Engagement aus dem sozialistischen Grundsatzprogramm, aus den sozialdemokratischen Prinzipien oder orientieren Sie sich darüber hinaus noch an anderen, vielleicht transzendentalen Ideen?

BRODA: Ich schöpfe dieses Engagement aus den Werten und Wertauffassungen, zu denen sich demokratische Sozialisten bekennen. Es ist das ein Anliegen der sozialistischen Bewegung in Österreich seit ihrem Beginn. Und ich sage es auch phne jede Einschränkung: Wer, wie ich, die Zeit der totalen Unmenschlichkeit erlebt hat, den Faschismus, die nationalsozialistische Diktatur, den Totalitarismus, wer wirklich in jenen Lebensjahren, in denen man die stärksten Eindrücke empfängt, gesehen hat, wie ein staatliches System alle Werte des menschlichen Zusammenlebens negieren kann, vernichten kann, der hat aus diesen Erfahrungen auch noch die weiteren Impulse abgeleitet, daß eine richtige Familienpolitik einfach dazugehört, daß Menschen menschenwürdig miteinander auskommen.

FURCHE: Wenn Sie den Konsens in der Scheidungsreform suchen, ist das nich't manchmal eine etwas riskante Gratwanderung zwischen Konsensbemühen und dem Versuch, gesellschaftspolitischen Veränderungen zum Druchbruch zu verhelfen?

BRODA: Ich möchte auf ein paar Grundsatzfragen eingehen: Unser Grundkonzept der Rechtsreform ist, daß wir meinen, daß man sich an veränderte gesellschaftliche Bedingun-

gen mit der Rechtsordnung evolutionär-demokratisch anpassen muß. Das aber bedeutet, daß wir nie die Absicht gehabt haben, mit Rechtspolitik Gesellschaftsveränderung primär zu betreiben. Der Anstoß muß immer aus der Gesellschaft herkommen, wobei es natürlich so ist, daß auch die Veränderung der Rechtsordnung ihrerseits zurückwirkt auf die gesellschaftlichen Verhältnisse. Nun ist es das Problem des Augenmaßes, zu erkennen, wie sich im Schoß der Gesellschaft diese Veränderungen schon entwickelt haben, die dann in der Veränderung der Rechtsordnung ihren Niederschlag finden. Im wesentlichen haben wir in den siebziger Jahren auf allen Seiten dieses Augenmaß bewiesen, sonst wäre ja dieser Konsens, der ja in Europa immer sehr interessiert verfolgt wird, gar nicht möglich gewesen.

FURCHE: Mit Ihrem überraschenden Änderungsvorschlag wollen Sie Ihren Verhandlungspartnern Konsensbereitschaft signalisieren. Glauben Sie, Herr Minister, daß eine geringfügige Kurskorrektur von der Kirche und auch von der großen Oppositionspartei als Konsens bereits akzeptiert werden kann?

BRODA: In diesem Zusammenhang möchte ich auf einen besonders wichtigen Punkt aufmerksam machen: Nämlich, daß es auch das gibt, was ich einen Realkonsens genannt habe, der nicht unbedingt dem formellen Konsens entsprechen muß. Ich meine zum Beispiel, daß wir in der Frage der so lange diskutierten und jetzt ausgereiften Scheidungsreform in Wirklichkeit einen schon sehr weitgehenden Konsens erzielt haben. Ich kann jetzt nicht sagen, ob dieser Konsens auch einen Niederschlag in der einstimmigen Annahme aller Bestimmungen in allen Lesungen im Parlament finden wird, aber auch der Vertreter der österreichischen Volks partei hat ja gemeint, es fehle nur noch das Tüpferl auf dem i, über das man sich, wie er meinte, finden müsse. Diesen Versuch werden wir sicher unternehmen, über den Erfolg kann ich im Augenblick nichts sagen.

FURCHE: Ist die materielle Absicherung so weitgehend, daß von hierher eine Bremse gegen unüberlegte Scheidungen zu erwarten ist?

BRODA: Darauf ist folgendes zu sagen: Es ist mir vollkommen bewußt, daß die materielle Absicherung natürlich nur die vordergründige Seite des menschlichen Problems betrifft Aber sie ist eben eine Voraussetzung dafür, daß man immerhin versuchen kann, die menschlichen Probleme besser als bisher zu lösen. Wir glauben, daß wir materielle Absicherungen vorsehen,

die weiter gehen als in irgend einem anderen Land Europas. Die Frage ist ganz berechtigt: Wird das eine eheerhaltende Funktion haben? Die Scheidung wird bei uns in Österreich teuer sein. Und niemand wird durch die neuen Gesetze ermuntert werden, etwa ohne Überlegung und viel zu rasch diesen Entschluß zu fassen.

FURCHE: Was halten Sie von der Forderung nach Verankerung von Ehe und Familie in der Verfassung, wie es von Katholischen Organisationen gefordert wird?

BRODA: Ich glaube, daß bei ruhiger, rein sachbezogener Diskussion, die man gar nicht im Zusammenhang mit dieser jetzt schon überfälligen und entscheidungsreifen Problematik verbinden kann, zu dem Ergebnis kommen wird, daß wir in Wirklichkeit eine gar nicht mehr zu erweiternde verfassungsrechtliche Sicherstellung der Familie in unseren Verfassungsbestimmungen haben. Ich verweise auf die Menschenrechtskonvention.

FURCHE: Auf einer Veranstaltung der Arbeitsgemeinschaft Christentum und Sozialismus hat Weihbischof Kuntner kritisiert, daß für die Sozialistische Partei die Familie ein Teil der Gesellschaft sei, während für die Kirche die Familie das Fundament der Gesellschaft sei. Wie schätzen Sie die Funktion der Familie heute ein?

BRODA: Ich glaube, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf, daß es sich hier doch um eine terminologische oder semantische Frage handelt Aus der ganzen gesellschaftlichen Entwicklung leite ich ab, daß die Familie eine erhöhte gesellschaftliche Funktion hat, gegenüber früheren Jahrzehnten. Ich weiß, daß die wirtschaftlichen Funktionen der Familie sich geändert haben, natürlich hatte die Großfamilie eine andere wirtschaftliche Funktion unter anderen gesellschaftlichen Verhältnissen; aber das veranlaßt nicht zu sagen, daß die Familie in der heutigen Form in der Gesellschaft eine geringere Bedeutung hat gegenüber den ganzen zentrifugalen Tendenzen der Gesellschaft, wo die menschlichen Beziehungen überall, nicht nur in der Familie, unter der Gefahr stehen, sehr gelockert zu werden. Das veranlaßt mich auch zu sagen, daß es ungemein wichtig ist, daß Menschen in einem Naheverhältnis miteinander stehen - und wo stehen sie in einem größeren und intensiveren Naheverhältnis als in einer wirklich funktionierenden Familie? Dazu sollten wir unseren Beitrag leisten, wie immer wir weltanschaulich dieses Familienverständnis fundieren und verankern.

Das Gespräch mit Justizminister Dr. Christian Broda führte Alfred Grinschgl.

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