6871070-1978_24_03.jpg
Digital In Arbeit

Wo ist hier ein Kompromiß?

Werbung
Werbung
Werbung

Nach langwierigen politischen Auseinandersetzungen ist es soweit: Am Donnerstag dieser Woche wird wieder einmal eine entscheidende gesellschaftspolitische Weichenstellung, die Reform des deutschen Ehegesetzes, im Nationalrat mit einfacher Mehrheit beschlossen. Der neue Paragraph 55, Absatz 3, den die Sozialisten und Freiheitlichen gegen die Volkspartei vertreten, wird dann lauten: „Dem Scheidungsbegehren ist jedenfalls stattzugeben, wenn die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten seit sechs Jahren aufgehoben ist.“ Bisher

konnte jeder Ehepartner, der sich nicht scheiden lassen wollte, auf einem unbefristeten Widerspruchsrecht gegen das Scheidungsbegehren beharren. Da die Ehescheidungen auch 1977 um 500 oder 4,5 Prozent zugenommen und die Zahl von 11.668 erreicht haben, befürchtet man nun durch die Neuregelung ein noch rasanteres Ansteigen der Scheidungs-Statistik. Über die sich daraus für die Kirche ergebenden Probleme und Fragestellungen sprach die FURCHE mit dem Wiener Erzbischof-Koadju-tor Dr. Franz Jachym. ,

FURCHE: In der Frage der Fristenlösung wurden der Kirche und den Katholiken Österreichs zu starke Zurückhaltung zum Vorwurf gemacht. In der Diskussion über die Scheidungsreform haben die Katholiken scheinbar öfter ihre Stimme erhoben. Weshalb?

FRANZ JACHYM: Ich glaube, es ist ein falscher Eindruck, daß die Kirche sich erst bei diesem zweiten Anliegendem Eherecht - besonders gerührt hätte. Wir haben ein Weißbuch veröffentlicht, in dem auf 110 Seiten geschrieben steht, wie oft sich der Herr Kardinal, die Bischöfe insgesamt, der einzelne Bischof zur Fristenlösung geäußert haben. In dieser Zeit war auch die Synode, war auch der österreichische Synodale Vorgang - immer wieder wurde zur Frage des Lebens Stellung genommen. Wie schwer die Entscheidung des Parlaments die Kirche getroffen hat, zeigt doch die Einleitung des Volksbegehrens - ein ganz außerordentliches Mittel in Österreich.

Und als wir des ersten Jahrestages unserer Niederlage am 11. Mai zu gedenken hatten, war es wieder ein Erinnern daran, daß wir diese Wunde nicht verheilen lassen können. Dieser Tag war der Anlaß, die Regierung nach den begleitenden Maßnahmen zu fragen: Man wagt ja beispielsweise nicht einmal, eine Statistik über die Abtreibungen zu führen und alle anderen versprochenen Hilfen sind auf dem Papier geblieben. Unterdessen sind auch die Lehrer auf dieses Problem hingewiesen worden.

Auch die Zahl der Kinder geht inzwischen zurück - und so ist das Problem von einer ganz anderen Seite sichtbar geworden: Schon immer hat man auf die Sozialversicherung hingewiesen, die sich fragen muß, wer in der nächsten Generation die großen Lasten für die alten Menschen zu tragen haben wird.

Für uns ist die Ehe, wie schon öfter gesagt, kein weltlich Ding, sondern ein Sakrament. Wenn wir etwas zu verteidigen haben, dann ist es der Wille des Herrn, wie er in den Sakramenten zum Ausdruck kommt. Uber uns allen steht das Wort Gottes: Was Gott verbunden hat, das soll der Mensch nicht trennen.

FURCHE: Der weitaus überwiegende Teil der Bevölkerung Österreichs gehört der Katholischen Kirche an. Wie sieht es in Anbetracht dieser Tatsache mit der Realisierung christlicher Wertvorstellungen in Österreich aus: Sind Sie in dieser Hinsicht persönlich zufrieden? Sind Sie nicht zufrieden? Könnte es schlimmer sein?

FRANZ JACHYM: Eine Hundertprozentigkeit in der Kirche hat es nie gegeben. Wenn wir an unseren Kirchenbesuch denken, so wird er regelmäßig zwischen 40 und 10 Prozent liegen. Und so müssen wir auch darauf gefaßt sein, daß ein mutiges Eintreten für die Anliegen der Kirche in der Öffentlichkeit, nicht von allen, die sich katholisch nennen, durchgeführt wird. Die Bischöfe haben nach dem Gesetz über die Fristenlösung ein Hirtenwort an die Gläubigen gerichtet. Dort heißt es: Die gläubigen Katholiken müssen heute mehr denn je den Mut haben, sich in ihrer Lebensauffassung, wo immer das notwendig ist, von anderen zu unterscheiden.

Schon immer war in der Geschichte der Glaube die Kraftquelle zu solchem Mut, das war letzten Endes Ursache

der weltweiten Ausbreitung der Kirche. Diesen Mut gilt es also wieder zu wecken. Die Bildungsarbeit, die Informationstätigkeit ist an der Basis wieder zu verstärken. Ich fühl' mich immer besonders erinnert an Bischof Rudigier, der vor 100 Jahren gelebt hat, und zum Unterschied von den Wiener Kirchenfürsten bald erkannt hat: Die Verhandlung mit dem wohlwollenden Kaiser genügt uns nicht. Was wir nicht im Volke haben, was wir nicht in den Katholiken haben, das_ haben wir auf die Dauer nicht. Und so ist das Konkordat 1855 nur wenige Jahre danach gefallen.

FURCHE: Vor dem jüngsten Parteitag der SPÖ fiel auch das Wort vom Festtags- und Alltagssozialismus: Ist es nicht eine Art Festtagssozialismus, in Programmen und Reden den Katholiken mit „tiefer Sympathie“ zu begegnen, während im Parlament der Alltagssozialismus Fristenlösung und ein liberales Eherecht beschließt?

FRANZ JACHYM: Es ist gerade in den letzten Wochen und Monaten von „tiefer Sympathie“ der Sozialisten gegenüber der Kirche die Rede gewesen. Immer wieder wollte man durch Veranstaltungen und solche Äußerungen den Eindruck erwecken, das Parteiprogramm sei mit der Kirche verhan-

delt worden und diese habe keinen wesentlichen Einwand dagegen zu äußern gehabt. Vielleicht war es auch eine heimliche, aber giftige Taktik, Katholiken gegen die Amtskirche, wie man sagt, auszuspielen. Wir müssen immer wieder sagen: Es gibt nur eine Kirche; und darin gibt es Amtsträger und wir alle müssen in Dankbarkeit zur Kirche stehen. Der Getaufte und Gefirmte, der Priester und der Bischof.

Es ist das alte Rezept, so kommt mir vor: Teile und herrsche! Wo Spaltung betrieben wird, tut man sich dann leichter. Mit freundlichem Händeschütteln unter den Spitzen von Kirche und Partei ist wirklich auf die Dauer nicht viel erreicht.

FURCHE: Sehen Sie Parallelen zwischen der Fristenlösung und der Ehe-rechtsreform?

FRANZ JACHYM: Tatsache ist, daß in zwei wesentlichen Punkten - der Fristenlösung und der Ehescheidung-unsere Weltanschauung tief verletzt wurde, und zwar mit einer einfachen, einer schwachen Mehrheit im Parlament, wo man sonst für wichtige Fragen die qualifizierte Mehrheit verlangt. Die Verwandtschaft der Fristenlösung mit der Ehescheidung sehe ich darin, daß nach Auffassung des Justizmini-

sters das Recht nur der Nachvollzug der gesellschaftlichen Verhältnisse ist. Gesetze vollziehen das nach, was im Volke lebt und vom Volk erwartet wird. Wenn wir uns diesem Grundsatz bis zuletzt ausliefern, wird vielleicht auch einmal die aktive Sterbehilfe dem Volk einsichtig gemacht werden und sie wird zum Gesetz werden.

Schließlich möchte ich noch sagen: Es gründet doch alles im Artikel 1 un-

serer Verfassung: „Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volke aus.“ Wenn das allein gilt, ohne daß Werte zu verteidigen sind, dann sind wir wirklich der Willkür einer zufälligen Mehrheit ausgeliefert. Wenn die Ehen heute zerbrechlich geworden sind - und wer wollte das leugnen? - so müßten doch Gesetzgebung und Regierung viel mehr Positives zugunsten des Bestandes der Ehen tun, anstatt das Auseinanderlaufen zu erleichtern, ja zu automatisieren. Und dies schon im Interesse des Staates.

FURCHE: Der Justizminister hat einen neuen Vorschlag zur Reform des Scheidungsrechtes der Öffentlichkeit als Kompromiß angeboten. Im Kern wurde die Frist, nach deren Ablaufes keinen Widerspruch eines Partners gegen das Scheidungsbegehren des anderen mehr geben soll, von fünf auf sechs Jahre verlängert. Die Öffentlichkeit hat diesen Vorschlag weitgehend als Kompromiß aufgenommen. Ist der letzte Vorschlag des Justizministers für Sie auch ein Kompromiß?

FRANZ JACHYM: Was die oft verkündete Kompromißlösung zwischen Kirche und Staat bezüglich der Ehescheidung anlangt, so muß ich sagen: Wenn ein Wort immer wieder dem

Volke vorgetrommelt wird, dann beginnt man es allmählich zu glauben. Worin soll hier ein besonderes Kompromiß bestehen? Man hat im wesentlichen doch eine automatische Scheidungsmöglichkeit nach dem Ablauf von sechs Jahren im Gesetz möglich gemacht. Außerdem hat der Justizminister wiederholt unsere Argumentation, daß diese beiden Gesetze - die Fristenlösung und die Ehescheidung-Signalwirkung haben werden, abgelehnt. Auf einmal, wo es um das Medienrecht geht, beginnt er selbst von der Signalwirkung der Gesetze zu reden.

FURCHE: Man könnte sagen: Mit der kommenden Beschlußfassung der Scheidungsaütomatik im Parlament hat die Kirche zwar ein Gefecht verloren, aber nicht die ganze Schlacht. Oder anders formuliert: Wie wird die Kirche in Österreich zu neuem Selbstbewußtsein finden?

FRANZ JACHYM: Wir müssen mit Hüfe der Katholischen Aktion die Schulungs- und Büdungsarbeit von der Pfarre her wieder neu beginnen. Es gilt also, den Leuten Mut zu machen, sich zu unterscheiden von den Lebensauffassungen anderer, die auf die Kirche nicht mehr viel halten. Und so wird es immer wieder Leute geben, die den Mut aufbringen, bis zur politischen Konsequenz, für die Anliegen der Kirche einzutreten.

FURCHE: Welche wichtigen gesellschaftspolitischen Probleme müssen in nächster Zeit zwischen Kirche und Staat neu geregelt werden? Sind neue Probleme in Sicht, bei denen die Ansichten von Kirche und Staat auseinandergehen?

FRANZ JACHYM: Ich darf hier auf die großen Probleme der Schule und der Erziehung hinweisen. Mir scheint es - man fasse das Wort nicht zu grob auf-, daß wir daran sind, eine Verstaatlichung des Kindes durchzuführen: Mit der Ganztagsschule - in der Weise, daß das Kind eigentlich nur noch zum Schlafen nach Hause kommt.

Weiters denke ich an den Sexualunterricht. Was geschieht hier eigentlich? Wer von den Eltern hat etwa ein Handbuch gelesen, wie man die Kinder auf diesem Gebiet am verantwortungsvollsten aufklärt und wie man ihnen die erforderliche sittliche Haltung dazu beibringt? Ich verweise auf den jüngst in der Herderbücherei erschienenen Leitfaden der Geschlechtserziehung für Eltern und Lehrer von Dr. Affemann.

FURCHE: Von der Kirche wird immer betont, das Verhältnis zwischen Kirche und Parteien werde durch die Parteien selbst bestimmt. Sollte das Eherecht im Sinne des letzten SPÖ-Vor-schlages beschlossen werden, haben die Sozialisten dann in ihrem Verhältnis zur Katholischen Kirche einen Positionswechsel vollzogen?

FRANZ JACHYM: Ob die Sozialisten einen Positionswechsel vollzogen haben? Ist nicht eher wieder ihre alte Position deutlich geworden? Ich habe den Eindruck, daß für die führenden Leute Religion ein politischer Faktor ist und nicht mehr. Sie haben kein inneres Verhältnis zur Religion in ihrer Lebens- und Weltauffassung. Das gibt es übrigens auch im bürgerlichen Lager, daß manche Personen die Religion ähnlich wie die Sozialisten sehen: Eben nur als Politiker!

Mit Erzbischof-Koadjutor Dr. Franz Jachym sprach Alfred Grinschgl.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung