Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Wem gehören die Kastanien?
Jemand, der „nicht genannt sein wollte“, äußerte im Namen der ÖVP vor wenigen Tagen auf dem Weg einer Meldung in einer unserer Tageszeitungen seinen Unmut: über die Kirche und ihr nahestehende Organisationen - im speziellen Fall die „Aktion Leben“. Ohne diese Äußerungen überbewerten zu wollen, scheint es angebracht, im folgenden der Beziehung Kirche - ÖVP einige Gedanken zu widmen.
Das Ziel einer politischen Partei ist die Gestaltung und die Teilhabe an der zeitlichen Ordnung. Der Auftrag der Kirche ist umfassender: sie ist auf die überzeitliche Ordnung hin angelegt, versucht aber eben deshalb, das Leben der Gläubigen in dieser Welt menschenwürdiger zu machen. Beide Positionen sind also fundamental ungleich, und je nach Betrachtungsweise wird entweder das Zeitliche oder das Überzeithehe absoluter gewichtet.
Das Gedankengut der christlichen Soziallehre hat in mehrere Parteiideologien Eingang gefunden. Die sozialistische Doktrin stimmt mit der Bindung des einzelnen an die Gemeinschaft überein, die Betonung der Menschenrechte wiederum spricht den li beralen Flügel dieser Partei an. Bei der ÖVP allerdings macht die christliche Soziallehre den geistigen Kern des politischen Selbstverständnisses aus, und zweifellos sind gerade deshalb viele aktive, engagierte Christen ihre Mitglieder und Wähler. Eine Identifikation „Kirche ist gleich Partei“ wird freilich schon seit vielen Jahren von beiden Seiten abgelehnt; und dadurch, daß auch die SPÖ Christen in ihren Reihen nicht mehr als Parteimitglieder zweiter Klasse ansieht, ja sogar Forderungen der Kirche an den Staat realisiert, wurde Schritt für Schritt eine distanzierte Haltung der Kirche gegenüber der Tagespolitik jeder Partei erreicht.
Eine Zäsur in diesem Prozeß trat mit der Beschlußfassung über die Fristenlösung ein, einer Entscheidung, vor der sowohl Amtsträger der Kirche als auch Christen aus allen politischen Lagern dringend gewarnt hatten. Zwar meine ich nicht, daß nach der zu erwartenden Ablehnung des Volksbegehrens zum Schutz des Lebens die Kirche erklären wird, die SPÖ sei für Christen nicht mehr wählbar - persönlich hielte ich eine solche Aussage auch nicht für richtig, weil die Kirche prinzipiell keine Wahlempfehlungen geben soll. Ich glaube aber, daß die einzelnen Christen sich selbst diese Frage nunmehr stellen werden.
Was die ÖVP betrifft, so schien es eigentlich klar, und sie ließ selber daran auch nie einen Zweifel, daß sie den Schutz der Ungeborenen als ihr Anliegen betrachtet. Nicht nur, weil das bisher größte Volksbegehren diesen Schutz verlangt und auch die Spitzen der ÖVP dieses Volksbegehren unterstützt haben, sondern weil die Preisgabe des Lebensschützes an den Wurzeln der personalen Freiheit rührt: denn was sollen alle Menschenrechte, alle persönlichen Freiheitsgarantien und Entwicklungschancen, ohne das Grundrecht auf Leben? Allen drei christlichen Fundamentalprinzipien - äem Prinzip der Personalität, dem Prinzip der Freiheit und dem der Brüderlichkeit -, welche, wenn ich recht verstehe, auch Prinzipien der ÖVP sind, schlägt die Fristenlösung ins Gesicht. Wenn dann jemand, der „nicht genannt sein will“, bemerkt, die Kirche solle nicht erwarten, daß die ÖVP ihr - der Kirche - die Kastanien aus dem Feuer holen werde, dann verwundert mich das sehr, dachte ich doch, es seien dies ebenso die „Kastanien“ der ÖVP.
Am Beispiel Fristenlösung also sei deshalb klar ausgesprochen: als Christ erwarte ich nicht von der ÖVP, daß sie der Büttel der kirchlichen Moralauffassungen ist. Es genügt, wenn die ÖVP zu ihrem eigenen Grundsatzprogramm steht. Dann ist ein Uber-die- Schulter-Schauen „Was meint die Kirche dazu?“ gar nicht nötig.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!