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Der Gang nach Innsbruck

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Der Bundesparteitag der Volkspartei deutet praktisch den Beginn des Wahlkampfes 1959 an. Sein Ausgang könnte darüber entscheiden, ob das bisher praktizierte und für die ganze Welt vorbildliche Konzept des Ausgleichs von Interessen und Meinungen weiterhin Leitbild österreichischen Regierungshandelns sein kann oder ob es zu neuen politischen Kombinationen kommt. Die letzte Wahl zum Nationalrat stand noch unter dem für alle demokratischen Parteien geltenden Gebot, um der Rekonstruktion des österreichischen Staats- und Wirtschaftsgebäudes willen zu Kompromissen zu kommen. Jetzt aber geht es nicht mehr um die Liquidation von Mangel, sondern um die Verteilung von Wohlstand, was durchaus neue Konzepte notwendig macht.

Einigen scheint der Innsbrucker Parteitag der VP ein „Parteitag der Krise“ zu sein. Seit der Präsidentenwahl sind viele Plebiszite lokaler Natur ein Hinweis auf einen Substanzabbau der VP gewesen. Dazu kommt, daß es die Sozialisten in Oesterreich, dank ihrer neuen Führung, vermocht haben, aus der orthodoxen Verklammerung ihres bisherigen Denkens herauszukommen und anzudeuten, daß sie auch für Schichten wählbar seien, die sich ihnen bisher aus weltanschaulichen Gründen versagen mußten. Vor allem haben es die Sozialisten verstanden, sich katholischen Gruppen in einer W&se anzubieten, die auf einen völligen Wandel der Leitbilder der SP schließen läßt. Dadurch sind viele Menschen, die dem katholischen Kirchenvolk zugerechnet werden müssen, unsicher geworden, um so mehr, als sie schon bisher, weil kleine Lohnempfänger, scheinbar gegen ihre wirtschaftlichen Interessen die VP gewählt hatten. Auf der anderen Seite hat die SP auch gegenüber dem Freisinn keineswegs das Gesicht verloren und .ist offensichtlich für die Vertretung der Belange des Antiklerikalismus noch immer verläßlicher als die „schwarze“ VP.

Jedenfalls ist derzeit die „Stammkundschaft“ der VP etwas Verwirrt, was sich bei der Stimmenabgabe: T9 59 auswirken kSfffite. -

Es ist daher an der Zeit, fern, von Ressentn mewts (I-Angst davor, /daß ifcaötiku&ötedWrV wieder einmal Betrachtungen darüber anzustellen, was die VP s e i n w i 11 und was sie i's t.

Erstens will die VP, dem Wortlaut ihres Namens entsprechend, Volks partei sein, das heißt, im Sinn eines Interessenausgleichs, für alle sozialen Schichten da sein und daher A 11-schichtenpartei sein, wenn nicht, was freilich unmöglich ist, Allklassenpartei. Daher muß sich die VP stets dahin prüfen lassen, ob es in ihrem Verband, bis hin auf Regierungsebene, tatsächlich ein Gleichgewicht aller Gruppen gibt, die formell von der VP vertreten werden. Das ist nun nicht immer der Fall, da einzelne Gruppen vermöge ihrer organisatorischen Macht oder der gesellschaftlichen Stellung ihrer Mitglieder iin Uebergewicht an Einfluß und Macht haben.

Anderseits sollte man die VP nicht überfordern und ein mechanisches Gleichgewicht der Interessengruppen verlangen. Heute muß jede Großpartei, vor allem eine Regierungspartei, auch eine Wirtschaftspartei sein. Eine reine Weltanschauungspartei ist eine theoretische Annahme, aber keine politische Realität, um so mehr, als auch die wirtschaftspolitischen Programme mit sehr vielen weltanschaulichen Konzepten durchsetzt sind.

Wenn die VP Allschichtenpartei sein will, kann sie nun in die Gefahr kommen, alle, die nicht in eine dieser dergestalt legitimierten Schichten hineinpassen oder, sich einordnen lassen wollen, als politische „Unperson“ zu betrachten. Wer in die Politik nicht über einen der drei Bünde Zugang finden will, ist eigentlich in der VP standortlos, weil die Partei (freilich nur formell) Nurwirtschaf tspartei ist. Die Versuche, in der VP eine Organisation „D“ (A, B und C wurden als die drei Interessentenbünde verstanden) zu errichten, entsprangen daher dem ehrlichen Willen von Männern, die sich nun einmal der Partei als solcher verpflichtet fühlen wollten und nicht zuerst einem Interessentenverband. Auch bei der SP gibt es die Interessentengruppen. Ihre Bedeutung ist aber gegenüber der Partei sekundär.

Wenn auch jede Großpartei, um ,igroß“ zu bleiben, eine Partei für alle sein muß, ist es ihr trotzdem aufgegeben, ' eine Partei als solche neben den Bünden oder Gruppen zu sein und sich nicht nur als Kooperation von

Gruppen ohne eigene Gestalt zu verstehen, wie dies die VP weithin tut. Durch den Anstieg der allgemeinen Wohlfahrtschancen wird die Gruppe jener Menschen, die nicht zuvorderst als Angehörige eines Interessentenverbandes denken, größer. Die Konsumgesellschaft kennt, zum Unterschied von der alten Arbeitsgesellschaft, völlig andere Einteilungsgrundsätze. Darauf sollte die Führung der VP — etwa im Interesse der Gewinnung von Intellektuellen und des sogenannten Mittelstandes — mehr Bedacht nehmen als bisher.

Die VP will auch Staatspartei sein und gleichsam stellvertretend für den Staat stehen. So besitzt die Partei keine eigene Parteihymne, kein Parteizeichen, keine Parteifahne. Nun kann niemand der VP den Vorwurf machen, daß sie sich nicht in jeder Phase ihres Bestandes für das Vaterland eingesetzt hat. Was inser Vaterland heute ist, dankt es den Männern der Volkspartei (und den Sozialisten). Das sollten jene bedenken, die in sträflicher Uebertreibung einzelne Versager zum Anlaß einer pauschalen Verurteilung der Regierungsparteien machen.

Immer wieder und trotz aller Vorhalte wollen Führer der VP diese als eine bürgerliche Partei verstanden wissen. Nun kann das Wort „bürgerlich“ verschiedentlich gedeutet werden. Man kann es heute als besitzbürgerlich ausdeuten. Dann aber wäre die VP eine den Interessen einer kleinen Gruppe dienliche politische Institution. Oder man begreift das Wort „bürgerlich“ als staatsbürgerlich. Dieses Beiwort muß; man aber allen demokratischen Parteien zuerkennen. Kaum aber darf man annehmen, daß das. Wort „bürgerlich“ als Gegen saieosam ,PccrletaHadien“'ii;stehen isöll. nfJpwiüf wäfe, die VP eine Klassenpartei, .w-enaujisH; eine-Klassenkampf pärtei: Das-wollte sie -nie- seift; Wozu daher der keiner klaren Deutung zugängliche Begriff des Bürgerlichen, der in keiner Weise geeignet ist, der VP,gerade dort Wähler zu gewinnen, wo sie noch Chancen hat: bei jenen, die sich nicht mehr als Proletarier fühlen, aber auch nicht „bürgerlich“ sein wollen ...?

Sicher will die VP weiterhin eine auch christliche Partei sein und damit dem Paragraphen 1 ihres Organisationsstatuts Rechnung tragen. Die Tatsache, daß die Sozialisten gegenüber der Kirche eine maßvolle Sprache führen, hat sogar zu einer Betonung der christlichen Komponente in der Programmatik der VP geführt. Im Vergleich zur SP ist jedenfalls auch heute die VP mehr geneigt, sich für Interessen der Kirche zu engagieren. Auf diese Weise entzieht sich aber die VP die Mithilfe jener Gruppen aus dem nichtsozialistischen Lager, denen ein Kulturkampf lieber ist als ein Ausgleich mit den christlichen Kirchen und die in SP und FPOe doch eine verläßlichere Institution für die Durchsetzung ihrer Ziele sehen als in der VP. Das Betonen des Christlichen bringt der VP nicht nur Gewinn an Stimmen, sondern kostet sie mehr Stimmen, als man oft im Lager der Christen vermutet. Das sollte bedacht werden.

Anderseits hat sich die VP der Aufnahme betont nichtchristlicher Gruppen nach 1949 keineswegs versagt. Mit Recht haben daher erst in den letzten Monaten parteihöchste Kreise die VP als eine Partei von „Christen und Heiden“, von Christen, Liberalen und Freiheitlichen deklariert, wobei den Nichtchristen offensichtlich eine Verpflichtung auferlegt wurde: die Anerkennung des Sittengesetzes. Man kann auch sagen: Gerade weil die VP seit 1949 keine ausschließlich christliche Partei war, vermochte sie es — dank nichtchristlicher Stimmen —, erste Staatspartei zu bleiben. Der Kirche hat das sicher nicht geschadet. Dazu kommt noch, daß die Katholiken, soweit sie der VP anhängen, in keiner Weise in Oesterreich eine als solche etikettierte christliche Partei wünschen, weil das nur eine Verengung der Arbeit der Kirche darstellen könnte, die sich nun eindeutig gegenüber allen Parteien distanziert hat, um ihre seelsorgliche Unbefangenheit zurückzugewinnen. Daß nun in der VP neben überzeugten Christen auch Liberale und „Nationale“ stehen, entspricht dem „Geist“ der Zeit und ist ein Index dafür, daß die VP auch andere als Christen in ihren Reihen und daher auch zu Wählern hat. Eine exklusiv christliche Partei hätte heute in Oesterreich wahrscheinlich eine zweitrangige Bedeutung. Nicht “etwa deswegen, weil es keine katholischen , „Massen“ gibt, sondern weil die Christen eine Partei weniger wegen ihrer Etikette „christlich“ wähjen, sondern' eher wegen ihres Verhaltens, sie also an ihren Taten prüfen.

Vor welchen Problemen steht nun die Volkspartei in dieser Zeit?

Da ist vor allem die Frage der Führung. Die teilweise Trennung von Partei- und Staatsführung wird derzeit weithin dem gleichen Gremium von Menschen aufgelastet. Staats- und Parteibürokratie, staatliche und parteiliche Belange werden allzusehr miteinander verquickt. Dabei kommt die Partei zu kurz, wenn es auch den Laien anders zu sein scheint. Alles, was man dem Staat in seiner sichtbaren Form als Summe von Beamten und Einrichtungen aus irgendeinem Grund anlastet — das Versagen eines Funktionärs etwa — wird schließlich der Partei angelastet, weil sich diese allzusehr mit dem Staat identifiziert.

Manchmal hat man auch den Eindruck, daß die VP in ihrer Repräsentanz eine Einmannpartei sei. Sicherlich wird das von oben nicht gefördert. Aber durch die Konzentration der Führung in einem zu kleinen Gremium sind unvermeidbare Nebenführungen entstanden, weil zwischen Masse und Führung ein Vakuum klafft. Weil nun von oben her zuwenig an Verantwortungsmacht nach unten abgegeben wird, ist der wirksame Parteiapparat zu schmal und ruht lediglich auf den kleinen Schichten von überlasteten Amtsträgern, während die Masse der Aktivsten, die man vor allem in Wahlzeiten benötigt, honoriert werden muß, was wieder die Parteikassen entleert.

Was der Partei derzeit fehlt, ist nicht nur eine von unten aufsteigende, gleichsam lückenlose Hierarchie von Führungsgremien, sondern, sind vor allem auch die „zündenden Ideen“, jene genialen Formeln, die den Massen einprägsam und verständlich sind und aus sich heraus fortzeugend werbliche Wirkungen entfalten. Die Ideen der Eigentumsstreuung (Kleinaktien, die man bei uns „Volksaktien“ nennt) und der Mitbestimmung sind zwar den Sozialreformern einleuchtende Möglichkeiten, aus dem Dilemma von Verstaatlichung und privater Konzernierung herauszukommen, den Massen sagen sie aber wenig. Ein Beweis dafür, daß es der VP nicht durchweg glückt, ihr Programm auf jene „1000 Worte“ zu reduzieren, die allen verständlich sind, die verstehen wollen, ist etwa die künstlerisch ganz gut gemachte Wandzeitung der Partei, bei deren Durchsicht man das Gefühl hat, ein Plakat des Bundespressedienstes vor sich zu haben und nicht das einer Partei, die über ein Plakat für sich werben will und nicht für die Regierung in der nun einmal auch andere sitzen.

Mangels geeigneter Werbeformeln hat es auch die Parteiwerbung nicht leicht, die gesetzten Ziele zu erreichen. Bei einer Regierungspartei ist freilich die beste Werbung eine gut aufgenommene Regierungspolitik. Nun versteht es die VP mit einer bewunderungs-. würdigen und staatspolitisch durchaus positiv einzuschätzenden Beharrlichkeit, sich bei Bildung einer. Regierung jene Verwaltungsressorts zu verschaffen, die unpopulär sind oder nur gegenüber der Masse im verborgenen wirken, also in Nebenstraßen ihren Standort haben. Die andere Seite aber weiß sich — weil sie offen geben kann, was die VP-Minister oder Landesräte geholt haben — gut in Szene zu setzen. Dazu kommt noch, daß nach Ansicht eines hohen VP-Funktionärs die Sozialisten Meister, der Kommunalpolitik sind, also jener Politik, die der Wähler viel mehr „bemerkt“ als die große Staatspolitik, die ungegenständlich ist. Dem „kleinen“ Mann ist eine Wohnung nun einmal lieber als die Erleichterung der Lasten aus dem Staatsvertrag. Wir wollen dabei ganz und gar nicht behaupten, daß das nun so, wie es ist, gut ist. Lediglich festgestellt soll es werden.

(Bin zweiter Artikel folgt)

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