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Für innerparteiliche Sozialpartnerschaft

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Die Volkspartei wird, wenn sie wirklich „Volks“-Partei bleiben will, immer verschiedene Interessengruppen umfassen. „Volks“-Partei ist der kühne und schwierige Versuch, verschiedene Interessengruppen durch Grundsätze, die alle Parteimitglieder akzeptieren, zu einer schlagkräftigen politischen Organisation zusammenzuschweißen.

Bis 1970 hat es noch andere „einigende“ Kräfte gegeben. Allein die Tatsache, daß die ÖVP Mehrheitspartei war und nur als „ Volks“-Partei die Mehrheit erringen und halten und für Vertreter aller Bünde einflußreiche Positionen und Funktionen vergeben konnte, wirkte als starker integrierender Faktor.

Das hat sich nach 1970 radikal geändert: Die Mehrheit ging verloren, und die Tatsache, daß mit der SPÖ eine Partei, die sich stets als Klassen-partei verstand und auch heute noch weitgehend als solche versteht, stärker wurde als die auf alle Gruppen der Bevölkerung ausgerichtete Volkspartei, mußte ernüchternd wirken. Der innerparteiliche Interessenausgleich wurde nicht leichter.

Die integrierende Kraft der Mehrheitssituation war nicht nur aufgehoben, sondern bekam eine desintegrierende Komponente: Wirtschafts- und Bauernbund konnten Erfolge im Verhindern allzu weit gesteckter sozialistischer Forderungen aufweisen. Der ÖAAB hingegen hatte es schwer, seinen Mitgliedern und den Wählern aus Arbeitnehmerkreisen begreiflich zu machen, daß er vielen quantitativen Forderungen der Sozialisten aus grundsätzlichen und qualitativen

Überlegungen nicht zustimmen konnte; so etwa mit dem Hinweis auf die wachsenden Abhängigkeiten und die schrumpfende Freiheit.

Diese Situation wurde von den Sozialisten taktisch genutzt, indem sie bewußt übertriebene Forderungen erhoben, in der sicheren Erwartung, die ÖVP werde sie in den Verhandlungen auf ein erträgliches Maß reduzieren. Dies war für die Spö dann immer ein willkommener Anlaß, auf die unsoziale Haltung der ÖVP und insbesondere des ÖAAB hinzuweisen.

Nachdem die aus der Mehrheitssituation resultierenden „einigenden“ Faktoren weggefallen waren, war es nur selbstverständlich, ja geradezu eine logische Konsequenz aus der neuen Situation, daß in der Partei eine Rückbesinnung auf die Grundsätze erfolgen und eine Ideologiediskussion beginnen mußte. Diese Ideologiediskussion weiterzuführen, und zwar so, daß das Ergebnis für jedermann verständlich formuliert wird, ist eine der wichtigsten Aufgaben, vor denen die Partei in der nächsten Zukunft steht. Denn alle organisatorischen und strukturellen Maßnahmen können nur gelingen unter einer Voraussetzung: Daß die einigende Kraft der Grundsätze stärker ist als die Zentrifugalkräfte der verschiedenen Interessen!

Dabei sei klargestellt: Wir brauchen kein neues Grundsatzprogramm. Das Salzburger Programm ist eine ausgezeichnete programmatische Grundlage. Es geht vielmehr darum, es bekannter zu machen und auf die konkrete gesellschaftliche Situation anzuwenden, wie auch immer wieder unsere Position zu verschiedenen Sachfragen auch vom Grundsätzlichen her - also vom Salzburger Programm - zu begründen. Darüber hinaus bedarf dieses Grundsatzprogramm der Ergänzung durch ein von allen Gruppen der Partei getragenes Aktionsprogramm.

Eine aus verschiedenen Interessengruppen bestehende Partei erfordert den Interessenausgleich. Gerade die Bewältigung dieses sicher schwierigen Prozesses des Interessenausgleiches hat der ÖVP das Image eingetragen, eine uneinige Partei zu sein.

Es ist daher eine der wesentlichsten Anforderungen, denen eine Reform der Partei nachkommen muß, den Interessenausgleich zu beschleunigen und zu kultivieren. Dies erfordert den Verzicht auf Fixierungen, ehe die Diskussion in den Parteigremien abgeschlossen ist.

Als Mittel der Kultivierung und Beschleunigung bietet sich die Installierung einer innerparteilichen Sozialpartnerschaft an, also eines Gremiums, in dem die obersten Repräsentanten der Interessengruppen in vertraulichen Gesprächen eine Annäherung bzw. Ubereinstimmung suchen und das Ergebnis ihrer Verhandlungen dann den letztlich zuständigen Parteigremien zur endgültigen Festlegung der Parteimeinung unterbreiten.

Sollen solche Gespräche Erfolg haben, müssen sie wirklich hinter verschlossenen Türen vor sich gehen und nicht durch vorzeitige Stellungnahme in der Öffentlichkeit präjudiziell werden. Viele „Parteifreunde“ haben nämlich eine völlig falsche Vorstellung von einer „offenen Partei“. Sie sind der irrigen Meinung, daß das, was in vertraulichen Partei-gre'mien diskutiert wird, möglichst rasch via Medien in die Öffentlichkeit gelangen muß.

Das vielfach vorhandene Mißtrauensverhältnis der kleinen Funktionäre und einfachen Mitglieder gegen „die da oben“ kann nur durch häufige und intensive Kontakte überbrückt werden. Das Mitglied bzw. der Bürger muß „den“ Mandatar und „den“ Funktionär als „seinen“ Mandatar und „seinen“ Funktionär erleben.

Um diesen Identifikationsprozeß muß sich gerade eine „Volks“-Partei ständig bemühen. Erst dann wird die perverse Situation sich ändern, daß man in der ÖVP zwar den Splitter im Auge des eigenen Parteifreundes sieht, während man den Balken im Auge des politischen Gegners großzügig übersieht.

Solidarität bedeutet, daß man nicht um kurzfristiger und vermeintlicher Vorteile willen die Partei im Stich läßt oder ihr gar in den Rücken fällt Gerade einer Regierung gegenüber, die ihre Lockvogelangebote einmal den Bauern, ein andermal .den Arbeitnehmern und häufig der Wirtschaft vorwirft, ist Standhaftigkeit aus grundsätzlichen Erwägungen geboten. Nach diesen Verlockungen zu greifen und sich damit politisches Wohlverhalten abkaufen zu lassen, bedeutet gerade für eine Oppositionspartei eine entscheidende Schwächung, denn man kann nicht Opposition betreiben und gleichzeitig in den Vorzimmern der Macht antichambrieren!

Die ÖVP braucht wieder einen echten Teamgeist! In der Vergangenheit bot sie bisweilen das Bild einer Fußballmannschaft, in def jeder nur darauf bedacht war, am Tag nach dem Spiel eine gute Kritik über sich selbst in den Medien zu lesen bzw. zu hören. Ob die Mannschaft als Ganzes gesiegt hat oder geschlagen wurde, schien vielen nebensächlich.

Eine künftige Reform muß die Auswahlkriterien für die Repräsentanten und Mandatare verbessern. Derzeit ist es vor allem ein Prinzip, daß bei der Auswahl eines Kandidaten ausschlaggebend ist: das „Zufallsprinzip“. Wer in einer Region das Glück hat, gerade dann, wenn eine Funktion oder ein Mandat vakant wird, dafür anzustehen, hat berechtigte Aussicht, zum Zuge zu kommen. Wer diesen Zeitpunkt versäumt, wartet trotz aller Tüchtigkeit umsonst.

Dadurch ist das Leistungsprinzip weitgehend ausgeschaltet. Ihm größeres Gewicht zu geben, müßte Ziel einer künftigen Reform sein. Dazu ist es notwendig, dem Funktionär oder Mandatar klare Aufgaben im überschaubaren und damit kontrollierbaren Bereich zuzuordnen und eine Leistungskontrolle einzuführen.

Eine logische Konsequenz aus dieser innerparteilichen Reformmaßnahme wäre die Forderung nach Einführung von Einer-Wahlkreisen, weil dadurch ein besonderer Leistungsanreiz gegeben und eine Leistungssteigerung zu erwarten wäre, da sich der einzelne Mandatar selber um sein Mandat bemühen müßte.

Gerade in den letzten Jahren ist viel von der „Politik der menschlichen Nähe“ gesprochen und die Idee der Partnerschaft stark betont worden. Das heißt in der praktischen Politik, daß wir uns wirklich um den einzelnen Menschen und seine Nöte kümmern müssen: Daß uns kein Mann und keine Frau zu klein, kein Anliegen zu gering und kein Einsatz zu groß sein darf!

~Ratio und Routine allein genügen nicht. Vielmehr ist das Maß der inneren Anteilnahme in großem Ausmaß das Geheimnis des politischen Erfolges!

Um das zu erreichen, genügt es nicht, allein Strukturen zu verändern. Dazu ist es notwendig, durch Beispiel und Überzeugungskraft die Gesinnung zu ändern: den Parteimitgliedern neuen Mut und neue Hoffnung zu geben und ihren Einsatz und ihre Verantwortung für die Partei herauszufordern. Dann erst werden sie sich als „eine“ Partei fühlen.

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