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Persönlicher Triumph und...

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Der große Wahlerfolg der Sozialisten vom Sonntag wird nun wochenlang Gegenstand von Kommentaren und wissenschaftlicher Analysen sein. Die FURCHE hat zwei erfahrene Kenner der österreichischen Parteienlandschaft um ihre Meinung gebeten: Der Politik-Wissenschafter Univ.-Prof. Norbert Leser (SPÖ) und Staatssekretär a. D. Karl Pisa (ÖVP) üben keine offiziellen Partei-Ämter aus. Beide Autoren vertreten in ihren Beiträgen eine pointierte persönliche Meinung.

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Der große Wahlerfolg der Sozialisten vom Sonntag wird nun wochenlang Gegenstand von Kommentaren und wissenschaftlicher Analysen sein. Die FURCHE hat zwei erfahrene Kenner der österreichischen Parteienlandschaft um ihre Meinung gebeten: Der Politik-Wissenschafter Univ.-Prof. Norbert Leser (SPÖ) und Staatssekretär a. D. Karl Pisa (ÖVP) üben keine offiziellen Partei-Ämter aus. Beide Autoren vertreten in ihren Beiträgen eine pointierte persönliche Meinung.

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Die erste Feststellung, die sich bei einem Versuch der Interpretation und Einordnung des Wahlergebnisses vom 6. Mai in größere Zusammenhänge aufdrängt, bezieht sich auf die Tatsache, daß dieser überragende Erfolg Bundeskanzler Kreiskys und der SPÖ nicht nur in der österreichischen Geschichte, sondern auch in der Parteiengeschichte aller europäischen Staaten der Nachkriegszeit seinesgleichen sucht und daß das abgegriffene Wort „beispiellos“ hier wirklich einmal am Platz ist.

In keinem Land mit einer vergleichbaren Parteienstruktur ist es einer von nur drei Parteien und nur zwei Großparteien viermal hintereinander, davon nunmehr schon dreimal absolut, gelungen, die Mehrheit der Stimmen und Mandate zu gewinnen. Dieser Erfolg wiegt um so schwerer, als unser Verhältniswahlrecht, das noch dazu von den Sozialisten zugunsten der dritten Partei geändert wurde, die Bildung absoluter Mehrheiten nicht begünstigt, sondern erschwert.

Zunächst ist dieser Erfolg ein persönlicher Triumpf des Bundeskanzlers und sozialistischen Parteivorsitzenden, auch wenn er es in seiner Altersweisheit selbst ablehnt, dieses Gefühl des Triumphes auszukosten, sondern sich seine Gelassenheit auch angesichts des Glückes bewahrt. Doch so hoch der Anteil der Persönlichkeit des Kanzlers und der Kanzlerbonus am Zustandekommen dieses Ergebnisses auch war, es wäre falsch und irreführend, ihn allein auf das Wirken und Charisma dieser sicherlich einmaligen staatsmännischen Begabung zurückzuführen.

Vor allem die Volkspartei wäre schlecht beraten, wenn sie sich mit diesem Trost zufriedengäbe und über das ganze Ausmaß ihrer Niederlage und Distanzierung von der Stärke der Sozialisten durch das Votum der Wähler hinwegtäuschen wollte. Es sind auch strukturelle Gründe sozialer Natur, die der Sozialistischen Partei neue Wählerschichten erschließen, während sich das Wählerreservoir der ÖVP ständig verringert und

„Es sind auch strukturelle Gründe sozialer Natur, die der Sozialistischen Partei neue Wählerschichten erschließen“ keine Schichten in Sicht sind, die die Aderlässe wettmachen könnten.

Ohne einem soziologischen Automatismus oder der Vorstellung der Unumkehrbarkeit eines Trends huldigen und damit auf sozialistischer Seite gefährlichen Illusionen Vorschub leisten zu wollen, muß doch gesagt werden, daß sich breite Kreise der sozial Schwachen und Unterprivilegierten, aber auch der Aufsteiger mit der Sozialistischen Partei eher identifizieren können als mit der Volkspartei, die zuviel traditionellen Ballast mitschleppt und auch in ihren Kernschichten, wie der Bauernschaft, rückläufig ist.

Die SPÖ bringt im Bewußtsein einer immer größer werdenden Mehrheit von Menschen die besseren Voraussetzungen dafür mit, die Integrationsleistung zu erbringen, die von einer Massenpartei und einer Regierung erwartet wird. Die SPÖ ist gegenüber der ÖVP durch ein Mehr an Offenheit gegenüber neuen sozialen Realitäten und Ideen und durch ein Weniger an hemmenden Schranken ausgezeichnet.

Das Ergebnis des 6. Mai bedeutet, ohne mit dieser Behauptung seine Bedeutung schmälern zu wollen, keinen Sieg spezieller sozialistischer Ideen und kein Bekenntnis der Mehrheit der Österreicher zu den weiterführenden Vorstellungen des sozialistischen Parteiprogramms vom Mai 1978, das in die Wahlplattform nur sehr teilweise Eingang gefunden hat, sondern ein Votum zugunsten einer Politik der Stabilität und Kontinuität, die den Österreichern durch Kreisky und die von ihm geführte Partei verbürgt scheinen.

Doch die Kehrseite dieser Feststellung darf auch nicht verschwiegen werden: Es ist den Sozialisten soweit gelungen, die Gesellschaft in Richtung sozialdemokratischer Grundvorstellungen auf wirtschaftlichem, sozialem und kulturellem Gebiet zu entwickeln und zu verändern, daß der Raum für Alternativen, den die Volkspartei besetzen und wirkungsvoll vertreten kann, zusammenschrumpft und eine offensive Taktik ihrerseits mangels gravierender inhaltlicher Unterschiede zur Un-glaubwürdigkeit verurteilt ist.

Dies bedeutet nicht, daß die wichtige Funktion, die die Volkspartei als Opposition und Kontrolle auszuüben hat, irrelevant geworden ist. Aber sie wird sich zu überlegen haben, wie sie diese für die Demokratie wichtige und unentbehrliche Funktion mit dieser Struktur und Ideologie wahrnehmen und ohne einschneidende Veränderungen ihrer traditionellen Erscheinung und Substanz durchhalten kann. 1

Das Dilemma der Volkspartei besteht, auf eine kurze Formel gebracht, darin, daß sie sich durch eine zu starke Anpassung an die Politik der Sozialisten um ihren Charakter als Alternative, durch ein zu weitgehendes Abweichen vom gesellschaftlichen Konsens der Gegenwart aber, dessen historischer Motor die SPÖ war und ist, um die Chance bringt, jemals wieder die Mehrheit der Menschen von sich zu überzeugen.

Das Ergebnis des 6. Mai ist aber nicht nur als Niederlage und ernster Rückschlag der ÖVP, sondern auch als ein Ereignis zu werten, das manche Elemente der traditionellen Demokratietheorie, zu deren Sprecher sich geschäftige und alles kommentierende Politologen häufig machen, in Frage stellt und problematisiert. Nach dieser Demokratietheorie wäre es fast zwangsläufig so, daß die Fehler und Abnützungserscheinungen der regierenden Partei früher oder später der Opposition zugute kommen und einen Wechsel bzw. Ausgleich herstellen.

Dieses Wahlergebnis beweist, daß die Wähler in zunehmendem Maß dazu neigen, den Werten der Stabilität und Sicherheit, der Honorierung des Bewährten, den Vorzug vor Ablösen, die als zu riskant empfunden werden, zu geben. Wenn die Bilanz, die die Bevölkerung nach einer Periode der Regierungstätigkeit zieht, positiv ausfällt, wird auch den Sünden und Fehlern, die von der Opposition natürlich stets hochgespielt werden, gerade in Österreich, in dem die Menschen Verständnis für menschliche Schwächen haben, eine Generalabsolution erteilt.

Auch insofern müßte die Volkspartei zur Kenntnis nehmen, daß die Skandalisierung von Affären und Schwächen, die breitgetreten werden, den regierenden Sozialisten heute ebenso wenig schadet, wie den Christlichsozialen der Vergangenheit echte Korruptionsfälle geschadet haben.

In dieser Mentalität der Wähler kommt freilich nicht nur großzügige Nachsicht, sondern auch eine Nivellierung der moralischen Bewertung der Parteien zum Ausdruck, die primär nach ihrer Funktionstüchtigkeit zur Erfüllung bestimmter Aufgaben und nicht nach moralischen Ansprüchen, denen sie genügen bzw. nicht genügen, beurteilt werden. Diese Nivellierung der Werte im Bewußtsein der Wähler sollte aber die Sozialisten eher beunruhigen, jedenfalls aber nicht übersehen lassen, daß es neben hochgespielten Affären tatsächlich Fehlentwicklungen gibt, die man auch dann entschlossen überwinden sollte, wenn sie der Wähler in der Abwägung toleriert und nicht geahndet hat.

Es sollte der Privilegienabbau, der bisher nur in Ansätzen verwirklicht wurde, weitergeführt werden.

Gerade eine Initiative und Selbstbeschränkung auf diesem Sektor könnte dazu beitragen, reale Macht auch moralisch zu zementieren und Fehlerquellen, die morgen schon zum Einbruch demagogischer Bewegungen führen können, zu verstopfen.

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