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Was fehlt zur Volkspartei?

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Überlegungen zum bevorstehenden Wahl-Parteitag der ÖVP in Wien und zum Erscheinungsbild der Mit-Regierungspartei

Die banalste Antwort auf diese Frage könnte lauten: Stimmen! Denn die Volkspartei lag mit 41,3 Prozent der Stimmen bei der letzten Nationalratswahl beim bisherigen Minimum von 1953 und bei den Regionalwahlen vom 12. März im Abwärtstrend.

Auch die Antwort, daß mit der Gleichsetzung des ganzen Volkes mit dem Teil einer Partei von vornherein ein unerfüllbarer Anspruch an sie gestellt wurde, wäre eine zu billige Ausrede. Hat doch die Volkspartei 1945 als einzige den Anspruch einer sozialen Integrationspartei erfüllt und noch in den sechziger Jahren bei einer ihrer ursprünglichen Wählerstruktur keineswegs entsprechenden Entwicklung der Bevölkerungsstruktur wieder Stimmen gewonnen.

Das Beispiel der Ära Kreisky, die Orientierung entideologisierter Großparteien zur Mitte hin und das sich nicht zuletzt aus Aufsteigern rekrutierende Wechselwählerpotential läßt das Ziel absoluter Mehrheiten nicht unerreichbar erscheinen. Es fehlt freilich auch nicht an Gründen, weshalb dies heute für alle Großparteien und die Volkspartei im besonderen schwieriger geworden ist:

• Das 1970 zwischen SPÖ und FPÖ paktierte Wahlrecht, das Kleinparteien begünstigt.

•Das seit 1986 bestehende parlamentarische Vier-Parteien-System.

• Die quer zu alten berufsständischen Strukturen liegenden neuen Themen der Politik, von denen Ein- Themen-Parteien profitieren.

• Und - scheinbar paradox - die Wiederbeteiligung der ÖVP an einer Regierung, die stark mit der Aufarbeitung von Altlasten beschäftigt ist.

Denn es ist ja, was letzteres betrifft, nicht gelungen, die Optik zweier “Ärzte“, die “bittere Medizin verabreichen“, durch ein noch gegenwärtiges Bewußtsein zu korrigieren, daß der “Patient“ von einem dieser “Ärzte verpfuscht wurde“.

Damit sind wir schon bei den “hausgemachten“ Problemen der Volkspartei. Der Wunsch, das Land allein nach ihren Vorstellungen zu regieren, war bei ihr nie sehr stark ausgeprägt. Angesichts einer traditionellen Verankerung in sechs Bundesländern und zwei Verbänden hielt sich die Angst der ÖVP vor verlorenen Nationalratswahlen bis vor kurzem in Grenzen. Man verlor ja schlimmstenfalls ein Dutzend Regierungsmitglieder und alle anderen konnten bleiben

Seit der Femsehdemokratie wurde aus der ÖVP auch eine große Zuschauerpartei, die sich von Spitzenpolitikern anderer Parteien faszinieren ließ und bald mit dem Daumen nach unten zeigte, wenn eigene Spitzenpolitiker nicht genü gend Show-Talent zeigten. Zum Überfluß ließ man sich auch noch auf eine Diskussion darüber ein, ob die eigene “Firma“ sich - ausgerechnet unter dem Markenzeichen eines “Stahlhelms“ - mehr um ihre “Stammkunden“ oder mit “bunten Hunden“ um die Werbung “neuer Kunden“ kümmern soll, wo doch nur ein “Sowohl-als-auch“ ohne verräterische Absichtserklärungen mehrheitsfähig machen kann.

Aber nicht nur aus solchen Fehlem wird der beim Bundesparteitag neu zu wählende Obmann der Volks partei mit seinem erneuerten Regierungsteam zu lernen haben. Auch Abgrenzungsstrategien gegenüber einer Vranitzky-SPÖ und einer Haider-FPÖ - zu der schon mehr ehemalige ÖVP-Wähler als echte Ehemalige zählen - werden nicht viel taugen.

Was not tut, ist für eine 40-Pro- zent-Partei mit dem Namen Volks-

partei eine Wiedergewinnungsstrategie. Gefragt ist die größere Problemlösungskompetenz bei den Problemen, die in den Augen der Wähler Priorität haben, die Antwort auf die Frage, was sich vor und nach Gebrauch von Volkspartei- ‘‘Rezepten“ zum - nicht immer nur materiellen - Vorteil des Wählers geändert hat oder ändern wird. Es fehlt keineswegs an solchen “Rezepten“, aber gewählt wird schließlich der “Arzt“ und da entscheidet das gesamte Erscheinungsbild einer Partei.

Der Wind des Wandels politischer Überzeugungen weht der Volkspartei keineswegs nur ins Gesicht. Die Staatsgläubigkeit ist erschüttert. Eine dem Subsidiaritätsprinzip entsprechende Mobilisierung der Problemlösungsfähigkeiten aller einzelnen und kleinerer Gemeinschaften wäre “in“. Programmatisch ist die Volkspartei aufnahmefähig für liberales Engagement für mehr Privat und weniger Staat, aber auch für mehr Wettbewerb; für soziales

Engagement, für die Familien, für die Überwindung neuer Armut und neuer Kälte gegenüber Ausgegrenzten; für konservatives Engagement für die Bewahrung moralischer Werte und unserer natürlichen Lebensgrundlagen.

Als christlich motivierte Partei sollte sie auch nicht die von Paul M. Zulehner diagnostizierte “Speisung“ von Altemativbewegungen und anderen großen Parteien durch eine “imbehauste“ und oft auch “unartikulierte“ religiöse Dynamik übersehen. Angesichts der sich häufenden apokalyptischen Visionen muß auch eine Politik, die zur Abwechslung einmal die Chancen des 21. Jahrhunderts ausleuchtet, attraktiver werden. Nicht zuletzt in Österreich, auf dem Fundament eines der wohlhabendsten Länder dieser Welt, ließe sich die Versuchsstation eines noch lebenswerteren Lebens errichten.

Was also fehlt zur Volkspartei?

Sicher nicht gegenseitige Schuldzuweisung, sondern Solidarität, sicher nicht Selbstmitleid mit dem Schicksal einer künftigen Mittelpartei, sondern das Selbstvertrauen, ungleich geringere Schwierigkeiten als im Zeitpunkt ihrer Gründung zu überwinden. Nicht zuletzt bietet der im Grunde noch problematischere Zustand der anderen großen Partei die Möglichkeit, Politik wieder als Dienst und Politiker als Diener am Allgemeinwohl glaubhaft zu machen, wenn man den Mut aufbringt, in allzu fett gewordenes eigenes Fleisch zu schneiden.

So gesehen fehlt zur Volkspartei eigentlich nur eines: wieder mitreißender Schwung und die Überzeugung, vor der Geschichte einen Auftrag zu haben und ihn auch erfüllen zu können. Nicht endgültig und nicht vollkommen, aber doch so, daß er es wert ist, später einmal in den Geschichtsbüchern verzeichnet zu werden.

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