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Der Lotse bleibt an Bord

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Niemand behaupte, daß ihn das Ergebnis der NationalratsVahl vom vergangenen Sonntag nicht überrascht hätte! Zu einhellig waren die vorsichtigen Prognosen von Freund und Feind, daß es ein harter Strauß, ein bis zur letzten Minute unsicheres, spannendes Rennen Kopf an Kopf werden würde. Je nach Sympathie oder auch Temperament — ob Optimist oder Pessimist — wurden dabei dem Rappen oder dem Rotfuchs die besseren Chancen zuerkannt.

Und nun ein Vorsprung von 8 Mandaten für die Oesterreichische Volkspartei, ein Gewinn von 218.682 Stimmen für jene Partei, die nicht nur dem natürlichen Abnützungsprozeß als bald elf Jahre führende Regierungspartei widerstand, sondern sich mit 82 Mandaten um ein Haar die absolute Mehrheit zurückgeholt hätte, die ihr 1945 die Wähler vertrauensvoll geschenkt. Mit einem neuen Mandat (Stimmengewinn: 54.625) und 74 Sitzen im Nationalrat schnitt die Sozialistische Partei durchaus ehrenvoll ab. Allein von einer Partei, die Neuwahlen gegen alle Abmachungen vorzeitig vom Zaune brach, weil ihr die Stunde günstig schien, vom zweiten auf den ersten Platz hinüberzuwechseln, muß das Ergebnis als eindeutige Schlappe empfunden werden. Und ist es auch in den Augen der österreichischen Bevölkerung. Die politische Zukunft — wenn man das Ergebnis noch als Zukunft überhaupt deuten darf — der Rechts- und Linksopposition wurde beinahe präzise vorausgesagt. Erinnern wir uns nur, daß am Beginn des Wahlkampfes auch in den Spalten dieses Blattes von der zu erwartenden Halbierung des Wählerstockes des ehemaligen Verbandes der Unabhängigen die Rede war. 283.717 Wähler für die neue „Freiheitliche Partei“ an Stelle von 472.866, die noch 1953 dem VdU ihr Vertrauen schenkten, sprechen für sich. In Mandaten ist das Ergebnis der von gewisser Seite gerne als „dritte Kraft“ vorgestellten Gruppe noch magerer. Es ist reichlich' Platz geworden im rechten Sektor unseres Parlaments, den künftighin statt 14 nur noch 6 Abgeordnete bevölkern werden. Ihnen vis-ä-vis werden wieder die Kommunisten Platz nehmen. Die Linkssozialisten, die angeblich mit ihnen gemeinsam kandidiert haben, werden freilich nur im Geist mitmarschieren können. Muß doch schon der traditionelle Freundeskreis der kleinen Vier einen Mann abgeben, da die österreichischen Wähler nur 3 Kommunisten einen Freibrief für das Hohe Haus ausgestellt haben. Dennoch braucht man im ZK nicht allzuviel Selbstkritik zu üben: die Kader blieben, mögen auch 35.741 Wähler Hammer und Sichel ade gesagt haben. Falls man allerdings hier von einer Offensive von neuen Wählerschichten nach dem Abzug der Besatzungsmacht geträumt hätte, dann freilich sollte man sich von einer Illusion endgültig trennen.

Das markanteste Ergebnis der Nationalratswahl vom 13. Mai ist aber ohne Zweifel das eine:: der Lotse bleibt an Bo r d ! Die Führung der Regierungsgeschäfte und damit das Schicksal des Landes bleibt mit dem Namen Julius Raab verbunden. Wir wissen, daß es anderen Völkern mitunter gefiel, seine führenden Persönlichkeiten selbst nach glänzend bestandenen Proben ihres staatsmännischen Geschicks in die Wüste zu schicken. Winston Churchill mußte Downing Street verlassen, nachdem er England in der schwersten Stunde seiner Geschichte gerettet hatte. Und die Zeichnung wurde weltberühmt, die den Fürsten Bismarck die Treppe des Schiffes hinabsteigend zeigt, das er auf offene See gebracht hatte. Das österreichische Volk hat solchen Undank nicht gekannt. Es hat in nüchterner, unpathetischer Form, die so recht zu dem Manne paßt, den es auf der Kommandobrücke sehen will, seinen Auftrag erneuert. Es glaubt sich auf gutem Kurs, es sieht keinen Grund, den Steuermann zu wer Win.

Dr.s ist der erste Eindruck, den man am Morgen nach der Wahl gewinnen mußte. Der letzte Urnengang ist aber zu interessant, als daß man es dabei bewenden lassen dürfte. Er verlangt nach einer genaueren Analyse. Dazu freilich ist es notwendig, die Tabelle der einzelnen Wahlkreise und Wahlkreisverbände in die Hand zu nehmen. Schon ein flüchtiger Blick ist instruktiv. Er zeigt den gleichmäßigen Anstieg der Stimmen für die Volkspartei in allen vier Wahlkreisverbänden und 25 Wahlkreisen. Neue Grundmandate wurden im Viertel ober dem Manhartsberg, in Linz und Umgebung, im Traunviertel, in Graz und Umgebung, in der Mittel- und Untersteiermark, in der Ostwie in der Obersteiermark und nicht zuletzt in

Wien erobert, wo 44.000 neue Wähler zwei wertvolle Grundmandate einbrachten. D i e Ueberraschung, von der noch zu sprechen sein wird! Als „bester“ Wahlkreis verband erwies sich für die Volkspartei ohne Zweifel der Wahlkreisverband 4 (Steiermark, Kärnten und Burgenland), wenn auch gerade im Burgenland nicht mit dem Gesamttrend Schritt gehalten wurde — was letzten Endes die Frage: absolute Mehrheit für die OeVP: ja oder nein — abschlägig beantwortete.

Besonders hart muß der FPOe der Verlust der als „nationale Bastionen“ einmal berühmten Wahlkreise Graz und Obersteiermark gefallen sein, die sie mit Tirol, Vorarlberg un“! dem Hausruckviertel aufgeben mußten. Obwohl hier die „neue“ Partei einen besonders intransi-genten Wortführer hat, der aus dem Schema der Vergangenheit nicht los kann. Oder gerade deswegen?

Die SPOe wiederum erwies sich offensiv, wo es, wie in- Linz, darum ging, mit- der Volkspartei sich in die Konkursmasse des VdU zu teilen. Mit diesen begrenzten Erfolgen hätte man sich, nachdem man die großen Träume abgeschrieben, vermutlich zwar schweren Herzens, aber immerhin zufrieden gegeben. Was traf und verwundete, waren aber die 28.000 verlorenen Stimmen in Wien und die ebenso überraschenden Verluste in den Industrieorten Guntramsdorf, Hirtenberg, Payerbach, Reichenau, Scheibbs,

Wiener Neustadt, St. Pölten, Vöslau, Ebenfurth, Hainburg und anderen.

Vor allem aber Wien.' Hier hätte es, wären mit den Nationalratswahlen gleichzeitig Gemeinderatswahlen verbunden gewesen, eine Rückkehr der OeVP an die Spitze der verlorenen Bezirksvertretungen von Döbling und Hietzing gegeben. Und das trotz der „wahlstrategischen“ zahlreichen neuen Gemeindebauten.

Aber noch interessanter sind die ungefähr 7000 verlorenen sozialistischen Stimmen im Wahlkreis West, dessen Kernstück das „proletarische“ Ottakring ist. Hier wurde der erste Stoß gegen einen Mythus getan.

Das hier vorgelegte Bild widerlegt auch überzeugend die ersten Kommentare führender Männer der SPOe, die den Erfolg der Volkspartei allein mit einem Zurückfluten der (jetzt freilich verschwiegenen) heiß und nicht immer würdevoll selbst umworbenen ehemaligen VdU-Wähler erklärt. Das ist bestenfalls eine halbe Wahrheit. Die andere Hälfte aber besagt, daß Zumindestens ein Teil ehemaliger SP-Anhänger — die KP blieb ja ohne Zustrom — zur Zeit noch zögernd, aber immerhin, ihre Schritte in Richtung Volkspartei zu richten beginnen. Die Chance ist einmalig: sie heißt durch neue sozialpolitische Initiativen den Vertrauensvorschuß gerade dieser Neuwähler rechtfertigen • und das sich lockernde spröde Erdreich bereit für eine neue Saat machen.

Damit aber sind wir bei der Zukunft und ihren Aufgaben angelangt.

Im Vordergrund steht natürlich die Bildung der neuen Bundesregierung. Sie soll — was auch immer dagegen eingewendet werden mag — wieder eine Regierung Volkspartei und Sozialisten sein. Freilich werden die Gewichte in der rechten Waagschale etwas größer sein. Die verantwortliche Führung der Volkspartei wird gewiß im Erfolg kühlen Kopf behalten. Auf der anderen Seite aber dürfte man sich klär sein, daß man dem Wahlresultat in der neuen Regierung seinen Tribut nicht vorenthalten kann.

Vor allem stehen für das „Königreich“ eines bestimmten Ministers republikanische Tage vor der Tür. Dagegen dürfte man eigentlich gerade als echter Sozialist nichts Entscheidendes einzuwenden haben. Und hat es auch nicht - wir sprechen von jenen sozialistischen Kreisen, die neben der Finanzpolitik der Stadt Wien (in nicht wenigen Wahlkuverts lagen statt Stimmen

Straßenbahnfahrscheine) in einer gewissen sozialistischen Managermentalität, als deren Prototyp der bisherige „Verstaatlichungsminister“ angesehen werden' darf, mit Recht den Grund für die Schlappe des 13. Mai sehen

Das letzte Wort aber gehe an die Adresse des Siegers. Wir haben der Oesterreichischen Volkspartei zu ihrem schönen Erfolg unsere Reverenz erwiesen. Für den ehrlichen Freund aber ziemt es sich nicht, in eitler Schönrednerei zu verharren. Es muß ihm gestattet sein, ein offenes Wort hinzuzufügen. Das kann in diesen Tagen nur lauten: Nicht blind werden durch den Erfolg des Tages für die Aufgaben der Zukunft, die, wie es der Generalsekretär der Partei noch in der Wahlnacht aussprach, nur von einer zu einer wahren sozialen Reformpartei gereiften Volkspartei erfüllrwerden können.

Nicht in dem Ergebnis der Wahl vom vergangenen Sonntag eine Bestätigung für die Richtigkeit alles dessen sehen, was von seilen der Volkspartei bisher geschah Nicht sich einreden — oder einreden lassen —, „weil wir sooo gut sind, haben sie uns gewählt“. Die Wahrheit: weil die anderen so wenig anziehend waren, haben Tausende und Zehntausende — die entscheidenden Zehntausende — für die Kandidaten der Volkspartei gestimmt.

Vieles ist gewonnen. Noch mehr kann erworben — oder wieder verloren werden.

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