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Wenn die Leut’ unsicher sind

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Das bemerkenswerteste am Wahlkampf in der Steiermark ist die Tatsache, daß mit einem langjährigen Tabu gebrochen wurde: Die Sozialisten, in bisherigen Wahlkämpfen mit Angriffen auf Josef Krainer äußerst zurückhaltend, attackieren nun auch den steirischen Landeshauptmann. Es begann mit einem Leitartikel, den Josef Riedler, neuer Besen in der Chefredaktion dies Parteiorgans „Neue Zeit”, in Form eines Nachrufes mit dem Titel „Trauer um einen Gegner” schrieb. In diesem Artikel heißt es: „Wir haben uns von einem Mann zu verabschieden, der in weiten Teilen der Bevölkerung Achtung und nahezu in der ganzen Steiermark und darüber hinaus in weiten Teilen Österreichs Respekt genossen hat. Wir haben uns von Josef Krainer zu verabschieden, dem Landeshauptmann, der gerne zum Landesvater geworden wäre, der viel von Toleranz, Fairneß und Achtung vor dem Gegner gesprochen hat. Geblieben ist Josef Krainer, der ÖVP-Landesobmann, der gehässiger Demagogie mehr Wert beizumessen scheint als geübter Demokratie.”

Diese in der „Arbeiter-Zeitung” durchaus gebräuchliche Tonart war in der „Neuen Zeit” bisher nicht üblich. Vor allem aus taktischen Erwägungen hatten es ‘die steirischen Sozialisten vermieden, Krainer frontal anzugreifen, weil sie um die Gefahr wissen, daß Propagandaschüsse gegen den Landeshauptmann danebengehen können und als Geller den Schützen gefährden.

Der „Nachruf” des NZ-Chefredak- teums war eine Reaktion auf Wochenendreden Krainers, in denen er „auf die klaren Fragen der Wähler klare Antworten” verlangte und mit den Sozialisten hart ins Zeug ging. Der Landeshauptmann verwendet allerdings kaum den Begriff „Volksfront”, wenn er auf die Wahlunterstützung der Kommunisten zu sprechen kommt.

Die Härte der Auseinandersetzung in diesem Wahlkampf hat Krainer bewogen, sich mehr als sonst parteipolitisch zu exponieren. So erscheinen zum Beispiel im steirischen ÖVP-Parteiorgan „Südost-Tages- past” jeden Samstag Stellungnahmen des Landeshauptmannes zur Wahl mit Bild. Und da heißt es etwa: „Mit viel Lärm und Überschwang empfehlen sich die sozialistischen Kandidaten mit kommunistischer Unterstützung für die Übernahme der Führung im Staate. Ihr Verhalten ist eine geistige Fehlentwicklung, die mit unserem Sprachgebrauch einfach nicht zu erklären ist. Wer nicht imstande ist mitzuregieren, soll plötzlich besser geeignet sein, selbst zu regieren. Wer nicht wirtschaften kann, will Geld verteilen, wer den Gegner nicht achtet, will Lehren in Demokratie erteilen. Macht ohne Verantwortung! Diese sozialistische Bewußtseinsspaltung ist die schwerste Hypothek der österreichischen Innenpolitik.” Vizekanzler Dr. Pittermann machte eine seiner ersten großen Wahltourneen in die Steiermark, in jenes Bundesland also, in dem schon ein Landtagswahlkampf auf die Alternative „Krainer oder Pittermann” zTjgespitzt worden war. Der Vizekanzler, bekannt wandlungsfähig, gab sich jovial und konziliant. In seitenlangen Berichten jubelte das hiesige SP-Parteiorgan über den „Triumphzug”. Tatsächlich konnte man auch im Lager des politischen Gegners nicht umhin, anzuerkennen, daß Dr. Pittermann „überraschend gut ankam”. Auch Innenminister Czettel, der jüngst in Graz auf dem Lendplatz langstielige rote Nelken an dort einkaufende Hausfrauen verteilte, wird bescheinigt, daß er es versteht, mit den Leuten zu reden. Freilich handelt es sich hier nur um Beobachtungen äußerer Erscheinungsformen des Wahlkampfes, die nicht viel darüber aussagen, „wie’s da drin” beim Wähler axisschaut. In ÖVP-Kreisen zeigt man sich über die hektische Beteiligung bei den Wahlversammlungen sogar ein bisserl bedrückt: „Das ist ein schlechtes Zeichen”, räsonieren Kenner der Situation: „Immer, wenn die Leute unsicher sind, kommen sie zu den Versammlungen.”

Beide Großparteien gießen eine wahre Versammlungsflut über das Land. In keinem der bisherigen Wahlkämpfe, seien es nun Bundes präsidenten-, Nationalrats- oder Landtagswahlen, wurde diese Intensität des Versammlungslebens erreicht. In der ÖVP wollte man zunächst von allzuviel Versammlungen nichts wissen, doch Krainer hat sich vom Anfang an für eine verstärkte Aktivität in dieser Form der Wahl- werfoung eingesetzt, weil ihm, wie Kenner der Person des Landeshauptmannes versichern, „seine Nase” gesagt habe, daß die Sozialisten in diesem Wahlkampf eine äußerst rege Versammlungstätigkeit entfalten würden. Schon aus Gründen der Optik könne man daher hier nicht nachstehen, argumentierte Krainer.

ÖVP-Landesparteisekretär Doktor Rainer hat auch diesmal wieder die Aktion „Werbung in der kleinen Gemeinschaft” gestartet: Schulungskurse, deren zahlreiche Teilnehmer auf politische Diskussionen und Mundpropaganda gedrillt werden, um den in dieser Beziehung wohl- ausgebildeten und überlegenen Sozialisten auch an dieser „Front” ein Gegengewicht entgegensetzen zu können.

FPÖ im „Kreuzfeuer”

Die Freiheitlichen können schon aus finanziellen Gründen und aus Mangel an genügend „Einsatzrednern” mit dem Massenaufgebot der beiden großen Parteien nicht Schritt halten. Die Versuche mit den „Kreuzfeuerveranstaltungen” (freiheitliche Spitzenpolitiker stellen sich den Fragen von Journalisten und Wählern) sind aber auch in der Steiermark „gut angekommen”. Im übrigen hofft man, daß auch diesmal wieder ein steirischer FPÖ-Manda- tar in den Nationalrat einziehen wird.

Derzeit sitzt als Nachfolger von Dr. Kandutsch der oststeirische Abgeordnete Meißl als steirischer FPÖ- Vertreter und Inhaber eines Reststimmenmandates ‘im Parlament. Spitzenkandidat im Wahlkreis Graz und Umgebung wurde der 46jährige Professor an einer Höheren Technischen Lehranstalt, Alfred Grengg. Es ist allerdings kaum wahrscheinlich, daß es der FPÖ in Graz diesmal gelingen wird, die Hürde des Grundmandates zu nehmen, weil sie dazu ihren Stimmenbestand gegenüber 1962 um rund ein Drittel steigern müßte. Wenn es also zu einer Entscheidung darüber kommt, wer das Reststimmenmandat bekommen soll, Grengg oder Meißl, so wird maßgebend sei, wo der relative Stimmenzuwachs der FPÖ am stärksten war: im Wahlrkeis Graz und Umgebung oder im Wahlkreis Oststeier, wo Meißl eine ziemlich rege Aktivität für seine Partei entfaltet hat.

In der ÖVP stand diesmal die Kandidatenaufsitellung sichtlich unter dem Motto: Keine Experimente. Es änderte sich wenig: B auernbundd irek tor Dr. Karl Schwer legte, ein sonst ziemlich ungewöhnlicher Vorgang, sein Mandat freiwillig zurück, um sich nun ausschließlich seinen beruflichen Agenden im Dienste der Landwirtschaft widmen zu können. Für ihn soll im Wahlkreis Mittel- und Unter- steder der Landtagsabgeordnete Neumann in den Nationalrat einziehen. Der ÖAAB, der einen zusätzlichen Abgeordneten für sich reklamierte, setzte sich nicht durch. Einziges Zugeständnis, das sich der mächtige Bauernbund, der bei der Kandidatenaufstellung immer seine volle Kraft zu entfalten pflegt, abringen ließ: der bisherige Nationalratsabgeordnete und Experte für Schul- und Bildungsfragen im ÖVP-Parlaments- klub, Adolf Harwalik, wurde im Wahlkreis Oststeier nicht wie vorgesehen an die gefährdete vierte Stelle, sondern auf den sicheren dritten Platz gereiht. Anspruch auf das vierte Grundmandat in der Oststeier hat der Bauernbundfunktionär Anton Weidinger. Dieses Mandat ist allerdings nur mit einem Überhang von nicht ganz 2000 Stimmen abgesichert und war bei den Nationalratswahlen 1959 schon einmal verlorengegangen.

Unzufriedener ÖAAB

In einem Kommentar zur Kandidatenaufstellung läßt das steirische ÖVP-Organ (Verlagsdirektor ist Landesrat und ÖAAB-Chef Franz Wegart) deutlichen Unmut erkennen. Die Demokratisierung der Kandidatenauswahl habe das Gegenteil von dem bewirkt, was eigentlich beabsichtigt gewesen sei, schreibt das Blatt: „Die Delegierten der Bezirke beschränken sich angesichts der geringen Zahl der Vorschlagsmöglichkeiten auf die gewohnten Namen und Bezirksangehörigen. Die Landesleitungen sind daher kaum in der Lage, frisches Blut zuzuführen, wenn ihr keines nachdrücklich vorgeschlagen wird. Das System der Berufung von oben hat jedenfalls, wenn man zurückblickt, wesentlich mehr für die personelle Zukunft der Partei beigetragen als das gegenwärtig gehandhabte System.”

Bei den Sozialisten fungieren die bisherigen Nationalratsabgeordneten Moser, Pay, Exler und Scheibengraf als Listenführer in den vier steirischen Wahlkreisen. Im Wahlkreis Graz und Umgebung schied der bekannte und für sozialistische Verhältnisse manchmal recht eigenwillige Abgeordnete Dr. Alfred Migsch wegen Erreichung der Altersgrenze aus. Für Migsch wurde der Nationalratsabgeordnete Josef Moser Listenführer. Hinter Moser (Direktor der Pensionsversicherung der Arbeiter) stehen die bewährten Abgeordneten Dipl.-Ing. Dr. Weihs und Herta Winkler. Diese drei Mandate sind den Sozialisten sicher. Auf den vierten Platz wurde der 41jährige Betriebsratsobmann der Simmering- Graz-Pauker-Werke, Josef Steinhuber, gereiht.

SPÖ: Ein sechstes Grundmandat?

Abschied vom Parlament nehmen die bisherigen obersteirischen Mandatare der SPÖ Max Eibegger und Max Jeßner. Die Reihung der sicheren fünf Anwärter für den Nationalrat im Wahlkreis Obersteier lautet nun: Ing. Heinrich Scheibengraf

(ehemaliger Bürgermeister von Kapfenberg), Alfred Haberl (wie Scheibengraf auch bisher schon im Parlament); neu dazu kommen der Landtagsabgeordnete Josef Schlager und der 43jährige Amtsstellenleiter der Arbeiterkammer Leoben, Karl Troll, am fünften Platz rangiert der leitende Wiener ÖGB-Funktionär Erich Hofstetter. Manche optimi- mistische Sozialisten rechnen sich in der Obersteiermark gewisse Chancen für ein sechstes Grundmandat aus, da die SPÖ 1962 in diesem Wahlkreis einen Überhang von fast 10.000 Stimmen für sich buchen konnte. Zusammen mit den etwa 14.000 kommunistischen Stimmen in diesem Industriegebiet und einem etwaigen zusätzlichen Gewinn aus dem Randschichtenlager könnte das Restmandat dieses Wahlkreises vielleicht tatsächlich zu einem sozialistischen Grundmandat werden.

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