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Erdrutschsonntag

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Lediglich die österreichische Volkspartei hat am vergangenen kleinen Wahlsonntag ihre Wahlziele erreicht. Von den vielen Faktoren, die zu Sieg oder Niederlage beitrugen, gehörten zweifellos auch bundespolitische Momente, wenn dies auch in den Wiener Parteizentralen — mit unterschiedlicher Motivation — nicht gerne gehört wird. Eine große österreichische Tageszeitung meinte am vergangenen Samstag zu recht, warum eigentlich Umfragen- von Meinungsinstituten bei 2000 Österreichern einen Trend aušsagen sollen, nicht aber die Stimmabgabe von einer Million Steirer und Vorarlberger. ,•

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Lediglich die österreichische Volkspartei hat am vergangenen kleinen Wahlsonntag ihre Wahlziele erreicht. Von den vielen Faktoren, die zu Sieg oder Niederlage beitrugen, gehörten zweifellos auch bundespolitische Momente, wenn dies auch in den Wiener Parteizentralen — mit unterschiedlicher Motivation — nicht gerne gehört wird. Eine große österreichische Tageszeitung meinte am vergangenen Samstag zu recht, warum eigentlich Umfragen- von Meinungsinstituten bei 2000 Österreichern einen Trend aušsagen sollen, nicht aber die Stimmabgabe von einer Million Steirer und Vorarlberger. ,•

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Eine endgültige und umfassende Analyse des Wählerverhaltens wird erst nach geraumer Zeit vorliegen, dennoch können jetzt schon einige aufschlußreiche Folgerungen gezogen werden.

Steiermark

All das, was sich sozialistische Wahlstrategen gewünscht hätten, ist nicht eingetreten; die ÖVP hat mehr erreicht, als sie zu hoffen wagte. Niederl erklärte immer wieder, daß ein Halten des Mandatsstandes (28 : 26 : 2) ein schöner Erfolg wäre. Der unerwartete Gewinn von drei Mandaten dürfte jedoch zu einem Großteil auf Konto der steirischen ÖVP und ihres sympathischen Landeshauptmannes gehen, der das große Erbe Josef Krainers offensichtlich besser verwaltet hat, als er selbst es für möglich hielt.

Die steirische SPÖ (und allen voran deren Obmann Sebastian) haben von Anfang an einen aggressiven Wahlkampf geführt. Nicht die eigenen Leistungen wurden der Bevölkerung präsentiert, vielmehr wurde die steirische ÖVP angegriffen, wobei auch Worte wie „Amtsmißbrauch”, „Versäumnisse”, „die ÖVP ist hochmütig geworden” und „Protektionswirtschaft” zu hören waren. Die steirische SPÖ hat — wiederum zum Unterschied von der ÖVP — massive bundespolitische Hilfe aus Wien in Anspruch genommen. Nicht nur Kreisky selbst, sondern auch etliche Minister bereisten die Grüne Mark. Inwieweit diese bundespolitischen Anleihen am schlechten Wahlergebnis Anteil hatten oder vielleicht ein noch katastrophaleres Ergebnis abgewendet haben, werden die Parteistrategen herausfinden müssen.

Neben landespolitischen Wahlkampfthemen wurde auch die Bundespolitik ins Spiel gebracht, und zwar von beiden Parteien. Während die ÖVP nicht versäumte, auf die wirtschaftliche Situation in Österreich hinzuweisen, die — tatsächlich oder vermeintliche — Benachteiligung der Steiermark beim Straßenbau hervorhpb und die Politik der SPÖ in Sachen Fristenlösung und

ORFs scharf angriff, betonte die steirische SPÖ immer wieder, daß nur „eine erfolgreiche Bundespolitik ein sicheres Fundament für eine erfolgreiche Landespolitik” sei.

Die österreichischen Parteien können aus diesen Fakten den Schluß ziehen, daß ein aggressiver Wahlkampf, in dem noch dazu peinliche Entgleisungen nicht selten waren, vom Wähler nicht honoriert wird.

Als weitere Konsequenz der „Zwischenwahlen” muß zweifellos die Tatsache gelten, daß es um die bundespolitische Situation der SPÖ nicht gut bestellt sein kann; ein Umstand, der ohnehin seit den Arbeiterkammerwahlen bekannt ist, der aber nunmehr nicht mehr vom Tisch gewischt werden kann.

Interessante Parallelen zum steiermärkischen Ergebnis zeigen sich in

Vorarlberg

Der von Freund und Feind bereits — mehr oder weniger — abgeschriebene Keßler feiert einen triumphalen Sieg. Nachdem die ÖVP vor kurzem bei den Arbeiterkammerwahlen die absolute Mehrheit im Ländle erringen konnte, gelang es nunmehr der ÖVP, mit einem Stimmenzuwachs von rund sieben Prozent ihr Potential auf 5 Prozent zu steigern — und das ohne ein vorangegangenes Fußach.

Auch dieses Wahlergebnis läßt interessante Folgerungen zu. Auch in Vorarlberg war es die” SPÖ, die allzu aggressiv agiert haben dürfte. Bei einer Fernsehdiskussion der drei Spitzenkandidaten ging die Sach- politik fast völlig unter, gesprochen wurde hauptsächlich von „Verleumdungen”, „ehrenrührigen Angriffen” und „gerichtlichen Schritten”. Ein Wahlkampfklima, das die SPÖ zu verantworten hat, und für welches sie die Rechnung präsentiert erhielt. Statt gestärkt aus den Wahlen hervorzugehen, hat die SP gegenüber den letzten Landtagswahlen 0,1 Prozent verloren — gegenüber den Nationalratswahlen gar neun Prozent..

Auch in Vorarlberg spielte die Bundespolitik keine geringe Rolle. Insbesondere Fristenlösung und

ORF erwiesen sich schon lange vor den Wahlen als innenpolitische Fragen, die dem Vorarlberger offensichtlich unter die Haut gehen.

Dazu kommt, daß die ÖVP immerhin in Vorarlberg ein Gesetz beschlossen hat, das sie selbst (und nur sie) wahlstrategisch schlechter stellte. Sie beschloß mit ihrer absoluten Mehrheit eine Wahlrechtsreform, durch die sich das Ergebnis der letzten Landtagswahlen rechnerisch zu ihren Ungunsten veränderte (statt 20 : 9 : 7 stand es letzlich 19 :10 :7). Weiters muß erwähnt werden, daß die ÖVP — obwohl es in Vorarlberg das Majorzsystem gibt — immer wieder je einen Sozialisten und einen Freiheitlichen zu Landesräten wählte, obwohl sie nach der Landesverfassung dazü nicht verpflichtet wäre. Offensichtlich hat sich also in Vorarlberg politische Vernunft bezahlt gemacht und wurde vom Wähler honoriert.

Ein weiteres Detail zum politischen Stil in Österreich verdient Erwähnung: es macht sich nicht bezahlt, nach geschlagenen Wahlen den schlechten Verlierer zu spielen. Wenn die SPÖ nach den Arbeiterkammerwahlen der ÖVP (die gegen einen nahezu übermächtigen Gegner antreten mußte) „Materialschlachten” vorwarf und unmittelbar nach Feststehen des Wahlergebnisses Vorarlbergs SP-Chef Winder (wie auch kürzlich der niederösterreichische Landeshauptmannstellvertreter Czettel) schon wieder von einer „Materialschlacht” sprach, dann wird damit nicht die siegreiche Partei getroffen, sondern bestenfalls der Wähler, der sich durch einen tatsächlichen oder nur vermeintlichen Propagandaaufwand seiner Kritikfähigkeit begeben hätte.

Es ist ein Fehler, der sich oft schon bitter gerächt hat, den Wähler für dumm zu erklären. Gerade das aber geschah an diesem Sonntag deutlich in der „Zeit im Bild”: sowohl SP-Chef Winder wie auch SP- Zentralsekretär Marsch redeten — auf das Vorarlberger Ergebnis angesprochen — von einem Erfolg, da „zehn Mandate mehr sind als neun Mandate” und „daß die Vorarlberger SP nunmehr mit einem Abgeordneten mehr im Landtag sitze”. Dies, obwohl zu diesem Zeitpunkt bereits jedem Femsehzuseher klar gewesen sein mußte, daß der „Gewinn” dieses einen NĮandats nur einen rechnerischen Zuwachs auf Grund des geänderten Wahlrechts darstellt.

So zum „Drüberstreuen” (quasi als Glasur auf dem Wahlkuchen) konnte die Volkspartei auch noch in 118 Salzburger Gemeinden Stimmengewinne verzeichnen — ein Erfolg, der jedoch in erster Linie regionalen Charakter hat.

Wie gesagt, es sind viele Fehler gemacht worden. Nicht zuletzt gehört dazu auch die Unterschätzung Niederls und — insbesondere — Keßlers. Dem letzteren hatte man selbst in der eigenen Partei einen Erfolg nicht so recht Zutrauen wollen und hatte bereits die Namen möglicher Nachfolger kolportiert. Im Falle Niederl wurde zwar behutsamer vorgegangen, dennoch war auch hier ein anderer Name, selbstverständlich nur für den Fall des Falles, zu hören.

Ein Fehler, der nicht gemacht wurde: Bundeskanzler Kreisky erklärte ohne Umschweife und ohne etwas beschönigen zu wollen, daß es sich „um eine sehr ernste Niederlage für die Sozialistische Partei” handle. Politischer Realismus ohne Schönfärberei, der nottut.

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