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Alles beim alten

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„Der Wechselwähler hat sich als Stabilwähler entpuppt“, seufzte ein ÖVP-Wahlstratege resignierend in der Wahlnacht. Diese Äußerung ist die prägnante Formulierung der Tatsache, daß der in den letzten Wochen und Monaten umworbene und vielzitierte „Unentschlossene“ den meisten Wahlstrategen, Meinungsforscher und politischen Journalisten ein gewaltiges Schnippchen geschlagen hat; es bleibt im wesentlichsten alles beim alten.

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„Der Wechselwähler hat sich als Stabilwähler entpuppt“, seufzte ein ÖVP-Wahlstratege resignierend in der Wahlnacht. Diese Äußerung ist die prägnante Formulierung der Tatsache, daß der in den letzten Wochen und Monaten umworbene und vielzitierte „Unentschlossene“ den meisten Wahlstrategen, Meinungsforscher und politischen Journalisten ein gewaltiges Schnippchen geschlagen hat; es bleibt im wesentlichsten alles beim alten.

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Dennoch ist die These von IFES-Chef Blecha, der in einer Pressekonferenz am Montag meinte, daß es den fiktiven Wechselwähler gar nicht gebe, wissenschaftlich nicht haltbar. Das Wahlergebnis zeigt zwar vordergründig kaum Veränderungen gegenüber 1971, eine etwas detailliertere erste Betrachtung verrät jedoch, daß es offensichtlich in vielen Fällen zu einem „Wählertausch“ gekommen ist, der sich häufig — per saldo — vice versa wieder aufhebt.

So zeigte sich zum Beispiel in Industrieballungsräumen deutlich ein Zug zur SPÖ. Das bedeutet, daß die Arbeiter offensichtlich der SPÖ eher eine Sicherung der Arbeitsplätze zutrauen als der ÖVP. Insbesondere „die verstaatlichte Industrie hat wieder SPÖ gewählt“, wie es ein Wahlanalytiker kurz formulierte. Dieser Trend, der auch unter Berücksichtigung der jüngsten Betriebsratswahlen in der verstaatlichten Industrie zu erwarten war, hat deutlich gezeigt, daß die Angst um die Arbeitsplätze der Bevölkerung tiefer unter die Haut geht als etwa hohe Inflationsraten, an die man sich ohnehin schon gewöhnt zu haben scheint. Daß darüber hinaus der Wähler eher zu

Kreisky und seinem optimistischen Zukunftsbild, denn zur ÖVP mit dem warnend erhobenen Zeigefinger. Zuflucht nahm, ist ein Zeichen dafür, daß die SPÖ offensichtlich mit ihrer manchmal geradezu euphorischen Wahlwerbung dem Illusionsbedürfnis des Österreichers entgegenkam.

Wenn aber — insbesondere in Oberösterreich, Niederösterreich und in der Steiermark, wo die ÖVP ihre schwersten Treffer hinnehmen mußte — in den Industriezentren sowohl wie auch in den Landgemeinden die Sozialisten starke Gewinne für sich verbuchen konnten, so erklären sich die Gewinne der ÖVP, die diese Einbrüche zum Teil wettmachen konnten, in erster Linie durch die Tatsache, daß vor allem die Bauernschaft und die Jugend vorwiegend für die ÖVP votierten. Es ist nämlich falsch, zu glauben, daß SP-Einbrüche in Landgemeinden ein Abbröckeln der agrarischen Hausmacht der ÖVP bedeuten. Die Bauern sind heute in den meisten dieser Gemeinden ohnehin schon gegenüber der nichtagrarischen Bevölkerung in der Minderheit. Der oben geschilderte, durch die Sorge um den Arbeitsplatz motivierte Trend gilt nämlich auch hier für die Unselbständigen, wobei die zahlenmäßig ständig zunehmenden Pendler besonders stark ins Gewicht fallen.

In diesem Sinne kann auch nicht von einem einheitlichen Stadt-Land-Gefälle gesprochen werden, denn die ÖVP hat sich zum Beispiel in den drei großen oberösterreichischen Städten relativ gut gehalten, während die Landgemeinden mit hohem Pendleranteil sehr große SPÖ-Erfol-ge zeigen. Da sich auch in der Steiermark ein ähnlicher Trend abzeichnete, der in der Obersteiermark Verluste der Volkspartei mit sich brachte, während in Graz das Ergebnis eher statisch war, läßt sich annehmen, daß die Sorge um die Arbeitsplätze in den größeren Städten, wo eine höhere Arbeitsmobilität besteht, weniger zu Buche geschlagen hat als etwa in Pendlergemeinden und Gegenden mit geringem Arbeitsplatzangebot.

Daß die ÖVP jedoch in Gebieten mit relativ hohem Jungwähleranteil überproportional gut abschneiden konnte, dürfte in erster Linie auf die Person des Spitzenkandidaten zurückzuführen sein, dessen Ausstrahlung und Stil hier sichtlich angekommen sind.

Während also die SPÖ in den oben genannten drei Bundesländern große Gewinne verzeichnen konnte, zeigt sich in Vorarlberg, Tirol, Kärnten und auch in Wien für die ÖVP ein weitaus besseres Bild.

Unmittelbar nach der Wahl wurde die unvermeidliche Frage gestellt, wie denn das Team Schleinzer-Kohl-maier im gegebenen Falle abgeschnitten hätte. Eine müßige Frage, die nur geringen spekulativen Wert hat. Die Frage, was Taus und Busek in der kurzen, ihnen zur Verfügung stehenden Zeit der Partei „als Mitgift“ eingebracht haben, läßt sich jedoch vorsichtig an Hand eines Langzeitvergleiches von Meinungsforschungsergebnissen beantworten. Während nämlich die Meinungsforschungsresultate im Zeitraum Februar bis September 1975 (unter aliquoter Zuteilung der Unentschlossenen) das Bild einer absoluten SPÖ-Mehrheit mit gleichzeitig negativer Beurteilung des VP-Spitzenkandida-ten zeigen, brachten die Ergebnisse seit September zwar weiterhin eine absolute SP-Mehrheit, jedoch eine positive Beurteilung der neuen VP-Spitze. Dieser deutliche „Bruch“ stellt der neuen Führung nicht nur ein relativ positives Zeugnis aus, sondern hat vielleicht auch dazu beigetragen, daß für die ÖVP das Ärgste verhindert werden konnte.

Die FPÖ konnte — wenn man von ihrem Erfolg in Oberösterreich absieht — das Ergebnis von 1971, global gesehen, halten. Da sie ja auf Grund der letzten Volkszählung einen Stand von 12 Mandaten zu halten hatte, wird ihre Parteiführung den „Gewinn“ des elften Mandates mit einem lachenden und einem weinenden Auge hinnehmen müssen.

Nur der Vollständigkeit halber (und auch zur Untermauerung der oben angeführten These) sei auch das Abschneiden der Kommunisten erwähnt. Hatten noch vor einiger Zeit Betriebswahlergebnisse eine „wachsende Unruhe“ in der Arbeiterschaft erkennen lassen, so hat sich am 5. Oktober erneut gezeigt, daß der österreichische Wähler, wenn es „ums Ganze“ geht, keine Experimente schätzt und „Denkzettel“ nur bei weniger wichtigen Wahlgängen verteilt. Sicherheit, Stabilität und die Hoffnung auf eine rosige Zukunft sind Trumpf; die SP-Wahltexter haben Herrn Österreicher aus der Seele gesprochen.

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