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Nur ein schmaler Durchbruch

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In der „Grünen Mark“ wohnen heute bereits 43,7 Prozent der Wähler in den Städten und nur noch 40,3 Prozent in den ländlichen Klein-und Kleinstgemeinden. Die restlichen 16 Prozent verteilen sich auf Übergangsgemeinden. Noch im Jahre 1949 wohnten in den 22 städtischen Gemeinden der Steiermark nur 37,5 Prozent afler Wähler.

In der Studie wird nun auf Grund dieser soziologischen Situation nachgewiesen, daß der ÖVP zwar Einbrüche in traditionelle sozialistische Wählerschichten gelungen sind — aber in ungenügendem Maße.

Auch bei den Nationalratswahlen im Jahre 1966 lag in der Steiermark das Schwergewicht der Volkspartei immer noch im Bereich der ländlichen Klein- und Kleinstgemeinden. Trotz aller Umschichtungen kamen aus diesen Gebieten noch immer 53 Prozent aller ÖVP-Stimmen, während der Stimmanteil der rein städtischen Gemeinden 33,6 Prozent betrug. (Davon stellt allein Graz 21,5 Prozent.)

Ein Vergleich dazu: In den mittelstädtischen Gemeinden, darunter sind auch die obersteirischen Industriestädte, konnte die ÖVP ihren Stimmenanteil in den Jahren 1959 bis 1966 um 3,9 Prozent erhöhen und neue Wählerschichten gewinnen, im gleichen Zeitraum aber vergrößerte die SPÖ ihr Stimmenpotential in diesem Gebiet um 4,6 Prozent. Dazu kommt, daß die SPÖ sebstverständ-lich auch in die ländlichen Gemeinden eindringt: Von 1919 bis 1966 verdoppelte sie zum Beispiel ihren Stimmenanteil in der Oststeiermark: von 12 Prozent auf 24 Prozent.

Eine genaue Analyse der Einbrüche der ÖVP in das Stimmenreservoir der Sozialisten kommt zu folgendem interessanten Ergebnis: „Der Einbruch hat... nicht jenes Ausmaß erreicht, wie man in Kreisen der Volkspartei gerne glauben möchte. Der Einbruch scheint in jenen Bereichen am größten zu sein, die inmitten einer typisch agrarischen Strukturregion liegen (Leibnitz, Deutschlandsberg, Fürstenfeld). Die städtisch strukturierten Gemeinden und industriellen Ballungszentren zählen also zu den großen, bisher noch relativ bescheiden erschlossenen Hoffnungsgebieten der ÖVP. Dort werden auch die kommenden politischen Entscheidungen fallen. Die Volkspartei wird dort in jenem Maß Einfluß erzielen können, als sie auch für die Arbeitnehmer attraktiv ist, was bisher noch nicht in wünschenswertem Ausmaß der Fall gewesen zu sein scheint.“

Es ist bemerkenswert, daß die Affinität bei der ländlichen Arbeitnehmerschaft zugunsten der ÖVP dort wächst, wo die ländliche Arbeitnehmerschaft in eine Minderheitssituation gerät, wie zum Beispiel im Wahlkreis Graz und Umgebung. Anderseits ist die Bereitschaft der nichtagrarischen Arbeitnehmerschaft, ÖVP zu wählen, dort am größten, wo sie enklavenhaft in vorwiegend bäuerliche Regionen eingebettet ist: Die Neigung der Industriebeschäftigten in der Oststeiermark, ÖVP zu wählen, ist dreimal so hoch wie in den Industriewahlkreisen Graz und Umgebung und Obersteier. Die typischen Industriegemeinden bleiben also nach wie vor Domänen der Sozialisten: Allein aus den neun mittelstädtischen Gemeinden in der Größenordnung von 10.000 bis 100.000 Einwohnern bezieht die SPÖ 21,5 Prozent ihrer Stimmen.

Zwischen sozialistischer Stärke und organisatorischer Schwäche des ÖAAB besteht eine Wechselbeziehung. Die Mitgliederanzahl des steirischen ÖAAB wuchs von 22.000 im Jahre 1947 auf die respektable Zahl von 31.432 im Jahre 1967. Nicht ganz ein Zehntel der steirischen Unselbständigen sind zur Zeit im ÖAAB organisiert. Vergleicht man die Organisationsdichte in den einzelnen Städten (Organisationsdichte ist das Verhältnis der Anzahl der ÖAAB-Mitglieder zur Gesamtanzahl der unselbständig Beschäftigten), so ergibt sich die interessante Tatsache, daß der steirische Durchschnitt der Organisationsdichte, nämlich 9,1 Prozent, nur in sieben von den 22 städtischen Gemeinden erreicht wird. In Fürstenfeld, das, wie erwähnt, zu den Enklaven der nichtagrarischen Arbeitnehmerschaft in einer vorwiegend agrarischen Region gehört, ist die Organisationsdichte mit 23,8 Prozent sehr hoch, in der traditionell sozialistischen Domäne Kapfenberg dagegen mit 3,8 Prozent extrem niedrig.

In diesen Gebieten wird es also erhöhter Anstrengungen des ÖAA bedürfen, um Erfolge zu erzielen. Und nur im mittel- und kleinstädtischen Bereich, wo die meisten Unselbständigen wohnen, hat die ÖVP die Möglichkeit, neue Wählerreserven zu erschließen — das Reservoir der Landgemeinden ist ausgeschöpft. In der Untersuchung von Bernd Schilcher und Winfried Zankel werden die Gewinne der ÖVP in den Industriebezirken als „erfolgversprechend, aber noch nicht zufriedenstellend“ bezeichnet. Der ÖAAB werde hier nur Erfolge erzielen können, wenn er Unterstützung und Verständnis der Gesamtpartei genieße.

Den Weg zu diesem Erfolg versucht Paul Kaufmann in derselben Broschüre, die auch den Beitrag „Bevölkerungsstruktur und Wählerver-haüten“ enthält (Titel: „Zum 10. Landestag des steirischen ÖAAB 1967“), wie folgt zu skizzieren: „Unsere Vertrauensleute und Mandatare, wo immer sie stehen, haben zuerst die Interessen der Arbeitnehmer zu vertreten. Würden wir es anders halten, wäre es nur zum Schaden der Gesamtpartei, die uns als ihr soziales Gewissen zu respektieren hat. Es kann daher auch nicht die Aufgabe unserer Mandatare und Vertrauensleute sein, als eine Art Beschwichtigungshofräte durchs Land zu ziehen und Maßnahmen zu verteidigen oder zu verharmlosen, die sie selbst vor ihrem Gewissen nicht billigen können. Wenn wir es hier an Zivilcourage fehlen lassen, dann wird die Quittung nicht ausbleiben. Dann wird man dem ÖAAB eines Tages — und mit Recht — die Schuld am Niedergang der Partei geben; denn dem ÖAAB war es aufgetragen, eine ganz bestimmte Aufgabe zu erfüllen. Unsere Partei hat die Mehrheit im Staate. Wir wollen nicht eines Tages einbekennen müssen, daß wir diese Chance nur genützt haben, um uns selbst in die Tiefe zu stürzen.“

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