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„Ein Hindernis für die Realisierung sozialpolitischer Vorhaben ist zweifellos die gegenwärtig beengte Budgetsituation “ schrieb kürzlich das Bundesorgan des Österreichischen Arbeiter- und Angestellten- bundes, „Freiheit“, und drückte damit sehr vorsichtig das Unbehagen aus, das zahlreiche Funktionäre der ÖVP-Arbeitnehmerorganisation seit einiger Zeit erfüllt.

Fühlten sie sich schon in der Frage der Wachstumsgesetze überspielt, so sehen Pessimisten in der Laudongasse bereits den Bund zwischen zwei Mühlsteinen und damit in die Gefahr, zerrieben zu werden, geraten: Einer der Mühlsteine sei die immer wieder betonte Einheit und Einigkeit der Gesamtpartei, der zweite das massive Paket sozialistischer Forderungen, die vor allem auf sozialpolitischem Gebiet präsentiert werden.

Sicherlich: Die ÖVP ist keine monolithische Partei (zugleich ein

Vorteil und ein Nachteil des hündischen Systems) und der ÖAAB ist keine opportunistische Interessenvertretung, doch vor allem in Grundsatzfragen glaubte man seit dem Klagenfurter Manifest in der ÖVP weltanschauliche Prinzipien des ÖA AB aufgenommen zu wissen. Um so größer also die Enttäuschung — wenn auch noch unausgesprochen —, die Hoffnungen und Träume der Arbeitnehmer als „übertriebene Begehrlichkeit" gedeutet zu sehen.

Die Opposition hat dies sofort erkannt: Seit Wochen schon wird dem ÖAAB in der sozialistischen Presse in Leitartikeln und Kommentaren das Recht abgesprochen, die Unselbständigen zu vertreten. Die gesellschaftliche Zielsetzung zurückstellend, wurde von den Sozialisten im Parlament geschickte parteipolitische Taktik betrieben: Die Anträge etwa während der Behandlung des Sozialbudgets im Parlament betrafen meist alte gewerkschaftliche Forde rungen, die einst auch die Zustimmung der christlichen Gewerkschafter gefunden hatten. Diese, als Abgeordnete der Regierungspartei, standen vor einem schweren Dilemma: „Ja sagen können wir nicht, nein sagen dürfen wir nicht!“

Die Bedeckungsvorschläge freilich, die von sozialistischer Seite dazu gemacht werden, sind eher kümmerlich, in einem Fall sogar schnell handschriftlich dazugefügt und erschöpfen sich meist in recht allgemeinen Anregungen. Nach außen sind die sozialistischen Anträge richtige Spektakelstücke der Sozialpolitik, etwa die Erhöhung der Witwenpensionen von 50 auf 60 Prozent, die von Sozialminister Grete Rehor allerdings bereits zugesaigt war. Trotz der geringen Erhöhung des Sozialbudgets, die noch dazu von der Rentendynamik geschluckt wird, soll es aber nach Ansicht des ÖAAB zu keinem Stillstand in der Sozialpolitik kommen: Ein ausgearbeitetes Konzept, das sich auf Jahre hinaus erstreckt, wird verwirklicht, es gibt eine Reihe wichtiger sozialpolitischer Vorhaben, die keine wesentlichen finanziellen Probleme aufwerfen und daher vorgezogen werden können: darunter so wichtige wie eine Regelung der Arbeitsmarktpolitik, des Arbeiterkammergesetzes und der S ozialgerichtsbarkeit.

Doch dieses Vorziehen der Lösung von Fragen, die geringen materiellen Aufwand erfordern, kann nicht mehr sein als Improvisation. Oder vielleicht ein Aufatmen und ein Atemholen, ehe es im Herbst weitergeht. Dann allerdings wahrscheinlich eine Spur schärfet. Man wird sich also in der Kärntnerstraße auf eine Marschroute einigen müssen, eine Taktik festsetzen, die den ÖAAB und seine Vertreter für einige Zeit dem gegnerischen „Trommelfeuer im vordersten Schützengraben“ entzieht. Denn die Gefahr zeichnet sich ab, daß die härtere Gangart auch eine Verschärfung des Klassenkampfes mit sich bringen würde, sollten die Sozialisten das auschließliche Recht auf Vertretung aller Arbeitnehmer für sich in Anspruch nehmen. Der Österreichische Arbeiterund Angestelltenlbund, die Arbeitnehmergruppe der Regierungspartei, hätte dann wahrscheinlich nur noch die Rolle einer „gelben Gewerkschaft“ zu spielen

Es scheint, als ob auf dem noch weltweit blauen Himmel der Konjunktur die ersten Gewitterwolken aufziehen, und das zu einer Zeit, da Österreich vor der Bewältigung dreier wirtschaftlicher Probleme steht:

• dem Preis-Lohn-Problem,

• dem Wachstumsproblem,

• dem Integrationsproblem, damit verbunden der Osthandel.

Vor allem das Wachstumsproblem hat noch einen Aspekt, der von den Kommentatoren bisher offenbar übersehen wurde: Die Gewerkschaften haben sich an einen bestimmten — meist zweijährigen — Rhythmus der Lohnforderungen gewöhnt, diese Forderungen konnten auch stets befriedigt werden. Eine Verzögerung des Wachstums allerdings würde den Rhythmus stören, sogar empfindlich stören.

An der Bewältigung dieser drei Probleme wird gearbeitet, doch eine Lösung mehr oder weniger ausschließlich auf Kosten der Unselbständigen und gegen den Willen der Opposition ist abzulehnen. Eine solche Politik kann dem Image einer Regierungspartei nur schaden, abgesehen davon, daß sie nicht lange durchzuhalten ist. Die Regierungsmitglieder, aber auch die National- ratsabgeordneten, die aus den Reihen des ÖAAB kommen, werden sich wohl bald vor die Entscheidung gestellt sehen, in „Nibelungentreue“ diese Politik zu vertreten oder aber sich ihres Mandates, das sae von den nichtsozialistischen Arbeitnehmern erhalten haben, bewußt zu werden.

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