Ins politische Gefecht geraten

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Durch seine kontraproduktive Kritik an der Arbeiterkammer hat Jörg Haider die wichtige Frage nach der Reform der Interessenvertretung wieder einmal zu einem unlösbaren Konflikt werden lassen.

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Durch seine kontraproduktive Kritik an der Arbeiterkammer hat Jörg Haider die wichtige Frage nach der Reform der Interessenvertretung wieder einmal zu einem unlösbaren Konflikt werden lassen.

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Wenn es den Arbeiterkammern nicht gelingt, den Nutzen für ihre Mitglieder zu belegen, dann werden sie mit der Zeit immer größere Probleme mit der Pflichtmitgliedschaft bekommen". Also sprach Franz Vranitzky, Bundeskanzler und SPÖ-Chef, 1994 im Zusammenhang mit der auf ihrem Höhepunkt angelangten Debatte über Privilegien der "Bonzen" in den Kammerinstitutionen.

Bei der letzten Arbeiterkammer-Wahl vor sechs Jahren gingen von fast 2,7 Millionen Wahlberechtigten nur rund 830.000 (31,1 Prozent) zu den Urnen und davon stimmten noch 46.000 ungültig. Satte zwei Drittel der Bevölkerung waren laut Meinungsbefragung überhaupt gegen Zwangsmitgliedschaften. Nur 40 Prozent der Arbeitnehmer fühlten sich von ihrer Kammer "(sehr) gut" vertreten. Dabei war noch kurz vor der Wahl eine Reform über die Bühne gegangen, die der VP-Arbeitnehmerflügel gegen hinhaltende Bedenken der roten Genossen durchsetzen konnte. Der flächendeckende soziale Rechtsschutz für alle Mitglieder wurde eingeführt. Die Gegner dieser heute selbstverständlich anmutenden Dienstleistung fürchteten, daß damit den Gewerkschaften das Wasser abgegraben würde. Man rechnete in der Wiener Arbeiterkammer mit rund 30 Millionen Schilling Mehraufwand, denn 25 bis 30 neue Mitarbeiter waren zusätzlich einzustellen. Bis dahin vertrat man ja nur Mitglieder der Gewerkschaften vor Gericht, handelte also quasi im Auftrag derselben, aber keineswegs im Sinne der Gleichheit aller zahlenden Arbeiterkammermitglieder.

AK in Oppositionsrolle Um so mehr muß verwundern, daß im Zuge der jetzt wieder aufgeflammten Debatte über die Sinnhaftigkeit der mit 3,4 Milliarden üppig dotierten Pflichtvertretung gerade individuelles Service und Rechtsschutz als Hauptargument gegen die von Schwarz-Blau angeratenen Einsparungsmaßnahmen ins Treffen geführt werden. Der oberste Kämmerer Herbert Tumpel weicht zwar Fragen über die Berechtigung dieser Argumentation aus, verweist aber stolz auf die Meinung von 80 Prozent der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, die die Angriffe der Regierung gegen die Arbeiterkammer eindeutig ablehnen. Unangemessene Privilegien in den Führungsetagen seien, laut Tumpel, überdies längst beseitigt worden.

Betrachtet man die bisherigen Ergebnisse der laufenden Arbeiterkammerwahlen, scheint Tumpel und mit ihm die sozialdemokratischen Kämmerer mit dieser Oppositionsstrategie gegen die Regierung Erfolg zu haben. Nur Fritz Dinkhauser, schwarzer Platzhirsch in Tirol, konnte sich gegen die rote Übermacht in den Kammern fulminant durchsetzen - freilich mit dem für die Gesamt-ÖVP bitteren Beigeschmack einer aggressiven Linie gegen die Politik seiner eigenen konservativen Parteifreunde.

"Haiders kontraproduktive Angriffe haben eben zu Abwehrreaktionen und einer Solidarisierung mit der Kammer geführt", seufzt ÖAAB-Bundesobmann Werner Fasslabend im Gespräch mit der furche. Fasslabend geht in seinen Aussagen auf Distanz zur offiziellen Regierungslinie. Denn für den ÖAAB stünden Existenz und Funktionsfähigkeit der Arbeiterkammer außer Streit und seien zu gewährleisten. Eine an sich sinnvolle Debatte über Einsparungspotentiale sollte nicht losgelöst von den allgemein bestehenden Notwendigkeiten eines sorgfältigen Umgangs mit öffentlichen Mitteln geführt werden. Es gehe um mehr Effizienz im Bereich der gesetzlichen Interessenvertretungen überhaupt. Hier müßten aber alle Schritte im Einvernehmen mit den Sozialpartnern gesetzt werden. Der zur Ehre eines Nationalratspräsidenten aufgestiegene oberste schwarze Arbeitnehmervertreter zückt den Rechenstift: "Die Belastung durch den Mitgliedsbeitrag ist für den einzelnen mit rund 90 Schilling pro Monat so gering, daß sich mögliche Korrekturen nach unten kaum auswirken würden".

Wirtschafts- und Arbeitsminister Bartenstein argumentiert anders: Ihn stört, daß sich die Arbeiterkammern nun als Speerspitze der Opposition gegen die Regierung verstehen, doch will er ihnen deshalb keineswegs die Rute finanziellen Aushungerns ins Fenster stellen. Die von Haider verlangte Senkung der Beiträge - 0,3 Lohnprozent statt wie bisher 0,5 Prozent des Gehalts - kommt aber auch für den Minister nicht in Frage; denn die damit verursachte Kürzung der Mittel um 40 Prozent würde jede Institution in Schwierigkeiten bringen. Aber eine gewisse Straffung mit einer längerfristigen moderaten finanziellen Entlastung für die Arbeitnehmer scheint ihm "drinnen" zu sein.

Finanziell Aushungern Bartenstein liegt damit auf einer Linie mit dem designierten Chef der Wirtschaftskammern Christoph Leitl, der sich schon seit längerem auf das Reformgleis begeben hat. "Ich werde nur etwas machen, was für unsere Mitglieder zufriedenstellend ist, und dazu brauche ich Herrn Haider nicht", zeigt sich der Oberösterreicher selbstbewußt. Letztlich gehe es um die Funktionsfähigkeit der Sozialpartnerschaft und die müsse ihre Angelegenheiten selbst, also unabhängig von Regierung und Parteien, lösen. Damit trifft sich Leitl wiederum mit Fasslabend, der ebenfalls die Kammerkuh im Stall lassen und auf das Einvernehmen aller Beteiligten sowie die unwiderstehliche Kraft des überall notwendigen Sparzwanges setzt. Die Servicefunktion der Kammern dürfe allerdings darunter nicht leiden. Manche Aktivitäten - etwa im Bereich des Konsumentenschutzes - seien vielleicht übertrieben, meint Fasslabend, aber auch hier ist die Frage zu stellen: "Wer macht es sonst?"

Anschlag der FPÖ Womit die Aufregung über die angeblich viel zu teuren und nach wie vor privilegienträchtigen Arbeiterkammern wie das Hornberger Schießen ausgehen dürfte. Schon gar nicht ist ein Aderlaß zugunsten der maroden Krankenkassen in Sicht. Landeshauptmann Haider ist es mit seinem Vorstoß in diese Richtung wieder einmal gelungen, ein an sich wichtiges Thema - aus durchsichtigen populistischen Motiven heraus - so darzustellen, daß die Debatte geradezu zwangsläufig in unlösbare Konflikte mündet. Die scheinen noch dazu Haiders eigenen wahlwerbenden Kammer-Freunden prompt auf den Kopf zu fallen.

Eine sinnvollere Verwendung der Mittel für Interessenvertretung wäre aber sehr wohl anzustreben, räumt Alfred Gajdosik, Wiener Spitzenkandidat von AAB und Christlichen Gewerkschaftern gegenüber der furche ein: "Man sollte umschichten, etwa viel mehr für Bildung und Schulung und weniger für überflüssige Werbung ausgeben. Das wäre auch im Sinn der bitter notwendigen Arbeitsmarktpolitik." Was die FPÖ betreibe, ist für Gajdosik jedoch ein "Anschlag auf die Sozialpartnerschaft". Die Arbeiterkammer brauche, so der Christgewerkschafter, alle (für den einzelnen kaum spürbaren) Beiträge, um die Leistungen für die Arbeitnehmer aufrecht erhalten zu können und zu verbessern.

Ob die Kraftanstrengung der Umschichtung und Umgestaltung gelingen wird? Skepsis ist anzumelden. Wenn SP-Kämmerer Herbert Tumpel die Erfolge seiner Kammern darstellt, betont er gerade jetzt auffällig stark das politische Durchsetzen von Arbeitnehmerforderungen. Alles, was bisher gut und schön war, sei Erfolg der starken gesetzlichen Interessenvertretung. Man wird dabei an das alte Bild erinnert, das Gewerkschaften, Arbeiterkammern und die SPÖ als die unüberwindliche Troika darstellt, die den Wagen aller unselbständig Erwerbstätigen zieht. Jetzt macht dieser Wagen aber offenbar kehrt, um die bisher auffällig geschonten Bastionen der Regierung zu attackieren, wo die feindliche Flagge schwarz-blauer Sparpolitik gehißt wurde.

Damit sind die Kammern voll ins politische Gefecht geraten. Nicht erst der allzeit krähende Kampfhahn Haider hat sie dorthin getrieben, sondern diese Entwicklung zeichnete sich sehr bald nach der letzten Nationalratswahl ab. Das ist zu bedauern. Es erschwert eine vernünftige Debatte über das sinnvolle Eingliedern der Kammern, ja der Sozialpartnerschaft überhaupt, in ein neues Verständnis von Staat und Gesellschaft. Und in einen sorgfältigeren Umgang mit den knapper werdenden öffentlichen Mitteln. Wenn die Arbeiterkammern Ermäßigungen von Arbeitskosten im Promillebereich als "Milliardengeschenke an die Wirtschaft" anprangern, werden sie sich auf die Dauer schwer tun, 0,5 Prozent der Lohngelder als Quantite negligeable abzutun.

Schlank und effizient Reiche Kammern und arme Krankenkassen könnten tatsächlich auf Dauer ein Ärgernis werden. Man wird daher auch nach dem aktuellen Kammerwahlkampf ernsthaft trachten müssen, dem von Wirtschaftskammerchef Leitl beabsichtigten Weg schlanker und trotzdem effizienter Interessenvertretung überall zu folgen. Die Wirtschaftstreibenden scheinen, was die Kosten- und Nutzenrechnung gegenüber ihrer Interessenvertretung betrifft, viel kritischer und selbstbewußter zu sein, als es die Masse der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen gegenüber ihrer Kammer noch ist. So gibt es heute einfach noch zu viele teure Doubletten in den Bereichen Staatsverwaltung beziehungsweise allgemeine Politik einerseits und den Kammern andererseits. Auf Dauer kann es der Sozialpartnerschaft nur gut tun, wenn sie bei sich selbst so vorgeht, wie es ihre Klientel leidgeprüfter Steuer- und Beitragszahler auch sonst zu Recht erwarten darf.

Der Autor begann seine berufliche Laufbahn als Referent der Wiener Arbeiterkammer, war später Kammerrat und von 1980-1987 Bundesobmann des ÖAAB.

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