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Einspruchsrecht der Betriebsräte

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Diese veränderte Basis muß man sich vor Augen halten, wenn man die einzelnen Bestimmungen des Entwurfs, die eine nähere Beziehung zwischen Gewerkschaftsbund und Betriebsräten herbeiführen wollen, betrachtet. Wird eine Betriebsversammlung von den zuständigen Betriebsangehörigen (in der Regel den Betriebsräten) nicht einberufen, kann die zuständige Gewerkschaft einberufen. Eine solche Bestimmung, die auf das Funktionieren der betrieblichen Interessenvertretungen abgestimmt ist, mag durchaus zweckmäßig und zulässig sein, ebenso die schon bisher vorgesehene Teilnahmemöglichkeit von Gewerkschaftsvertretern an den Betriebsversammlungen. Das geltende Recht kennt auch schon eine Wählbarkeit von Vorstandsmitgliedern und Angestellten der zuständigen Gewerkschaft in Betriebsräte von mindestens vier Mitgliedern, wobei allerdings drei Viertel der Betriebsratsmitglieder der Arbeitnehmerschaft des betreffenden Betriebes angehören müssen. Die Regel sollte aber doch sein, dsü dre“ etrteksfäte deav Betrieb angehören. Problematisch ist die Bestimmung in der Kodifikation, daß auch die' zuständige Gewerkschaft Betriebsratswahlen anfechten kann. Schon bisher sah das Betriebsrätegesetz vor, daß der Betriebsrat in Betrieben mit mehr als 500 Beschäftigten in gewissen Fällen Einspruch gegen die Wirtschaftsführung des Betriebes erheben konnte. Dieses Recht wird nun auf Betriebe mit mehr als 200 Beschäftigten erweitert.

Die erläuternden Bemerkungen führen dazu aus, daß den Gewerkschaften bestimmte Möglichkeiten eingeräumt werden sollen, auf die Bildung und das Funktionieren der Betriebsräteorganisation einzuwirken. Gewiß sollen sich die Gewerkschaften, zusammen mit den Arbeiterkammern, um die Schulung und Heranziehung der Betriebsräte bemühen; diese sollen sich auch an die Gewerkschaften um Rat wenden können. Abzulehnen sind aber rechtlich bindende Einflüsse der Gewerkschaften auf die Betriebsräte. Man muß sich zur Begründung dieser Forderung nicht auf den Rätegedanken stützen, sondern kann sich auch auf das Subsidiaritäts-prinzip berufen: Dieses verlangt, daß die kleineren Gemeinschaften eigenständig und eigenverantwortlich jene Aufgaben besorgen sollen, die ihnen der Natur der Sache nach zukommen. Es steht außer Zweifel, daß die spezifischen betrieblichen Interessen am besten von den Arbeitnehmern des einzelnen Betriebes vertreten werden. Diese müssen nicht immer in diesen Fragen der gleichen Ansicht sein wie die Gewerkschaften, die ja zur Interessenvertretung auf der Ebene der Berufsgemeinschaft berufen sind.

Die Notwendigkeit der Gewerkschaften, ihre Bedeutung im Interesse des Gemeinwohls wie im Interesse der Arbeitnehmer steht außer Zweifel; ebenso gewiß ist aber auch die Tatsache, daß das innerbetriebliche Leben von einer derartigen Mannigfaltigkeit und Buntheit ist, daß sich von außen kommende Einflüsse durchaus nicht immer zum Wohl der Betriebsangehörigen auswirken müssen. Gewiß ist auch eine Solidarität der Arbeitnehmer über den Betrieb hinaus erstrebenswert; sie darf aber nicht erzwungen werden. Betriebliche und gewerkschaftliche Interessenvertretung sollte daher klar getrennt werden, wenn man Entwicklungen zum „closed shop“ und zu Gesinnungszwang vermeiden will.

Problematische Firmenkollektivverträge

Vereinbarungen auf kollektiver Ebene müssen daher sorgfältig in ihrer Natur unterschieden werden. Betriebseigene Probleme sollten im Betrieb selbst gelöst werden, also im Wege von Betriebsvereifibarungen zwischen Betriebsinhaber und Betriebsrat, wie das grundsätzlich der Entwurf auch vorsieht. Streng davon zu trennen sind aber Kollektivverträge, die auf beiden Seiten von Interessenverbänden vereinbart werden. Ein — heute unzulässiges — Mittelding wäre der Firmenkollektivvertrag, bei dem als Vertragspartner der Gewerkschaft ein einzelner Unternehmer auftritt.

Derzeit werden Kollektivverträge in der gewerblichen Wirtschaft auf Arbeitnehmerseite von Gewerkschaften, auf Arbeitgeberseite von Handelskammern und ihren Fachorganisationen abgeschlossen. Die Bestimmungen oines-KotiektivvertFages gelten für sämtliche Dienstnehmer eines Betriebes, auch wenn sie nicht Gewerkschaftsmitglieder sind, soferne nur der Unternehmer an den Kollektivvertrag gebunden ist. Da alle einschlägigen Unternehmer Pflichtmitglieder der Handelskammer (und damit an den Kollektivvertrag gebunden) sind, gibt es praktisch keine Außenseiter. Nur in wenigen Bereichen schließen auch auf Dienstgeberseite auf freiwilliger Mitgliedschaft beruhende Berufsverbände Kollektivverträge ab; nur hier gibt es Außenseiter. In der Zeit nach dem ersten Weltkrieg schlössen dagegen auf Arbeitgeberseite so gut wie ausschließlich freiwillige Arbeitgeberverbände Kollektivverträge ab; das gleiche gilt für Jas derzeitige deutsche Recht. Hier stellt das Außenseiterproblem zweifellos eine gewichtige Rechtsfrage dar. Die in diesen beiden Rechtsordnungen getroffene Lösung, neben den Verbandskollektiwerträgen auch Firmenkollektivverträge zuzulassen, die zwischen der Gewerkschaft und dem einzelnen Unternehmer abgeschlossen werden, leuchtet daher ein. Aber auch beim Vorhandensein mehrerer Richtungsgewerkschaften, die in Österreich nicht existieren, soll für den einzelnen Betrieb eine Wahlmöglichkeit des Verhandlungspartners gewahrt werden.

Auch im Entwurf des Sozialministeriums ist die Einführung von solchen Firmenkollektivverträgen neben den Verbandskollektivverträgen vorgesehen. Die praktische Bedeutung der Firmenkollektivverträge würde noch erhöht werden, weil das Ministerium auch eine Ausweitung des zwingenden Inhalts aller Kollektivverträge anstrebt. Heute beschränkt sich die rechtliche Macht der Kollektivvertragspartner auf die unabdingbare Regelung dessen, was Inhalt eines Arbeitsvertrages sein kann. Nach dem Entwurf könnten zusätzlich auch Formvorschriften für den Abschluß von Einzelarbeitsverträgen, Einstellungsgeboten und -verboten, bestimmte betriebliche Angelegenheiten und die

Ausgestaltung des Betriebsrätewesens im Betrieb kollektivvertraglich geregelt werden.

Die Anwendung von Firmenkollektivverträgen würde in Österreich im Bereich der gewerblichen Wirtschaft nicht dazu führen, allfällige Außenseiter mit den anderen Branchenangehörigen gleichstellen zu können oder eine Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Gewerkschaften herzustellen, sondern im Gegenteil die Herauslösung einzelner Firmen aus dem durch den Kollektivvertrag geschaffenen Ge-samtbranchenrahmen bewirken. Nun zählt es aber zu den ältesten Aufgaben des Kollektivvertrages, eine gewisse Branchenordnung der Arbeitsbedingungen herzustellen. Man spricht daher nicht zu Unrecht von der „Kartellwirkung“ des Kollektivvertrages. Daß auch die Gewerkschaften eine Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen anstreben, zeigt ihre immer wieder erhobene Forderung, die Kollektivvertragslöhne an die tatsächlich gezahlten Löhne anzugleichen.

Ungleiche Partner

Gegen die Zulassung von Firmenkollektivverträgen in Österreich bestehen auch andersgeartete Bedenken. Die Einführung des Kollektivvertrages vor rund einem halben Jahrhundert bezweckte, die damalige untergeordnete Verhandlungsposition des Arbeitnehmers gegenüber seinem Arbeitgeber zu verbessern. Die Herstellung eines nicht nur rechtlichen, sondern auch tatsächlichen Verhandlungsgleichgewichtes wurde dadurch bewirkt, daß die Verhandlungsführung den beiderseitigen Interessenverbänden überantwortet wurde. Der gleiche Gesichtspunkt der Herstellung des Verhandlungsgleichgewichts läßt es aber für bedenklich erscheinen, den Arbeitgeber — von einzelnen Ausnahmefällen abgesehen — zum Verhandlungspartner der Gewerkschaft zu machen. Der Gewerkschaftsbund und seine Untergliederungen zählen heute zu den mächtigsten Einrichtungen Österreichs. Er entsendet seine Vertreter nicht nur in die Paritätische Kommission, in der neben den Lohnfragen auch Preisanträge einzelner Firmen entschieden werden, sondern ebenso in andere wichtige Institutionen, wie zum Beispiel die ERP-Kreditkommission. Unter den heute bestehenden Verhältnissen wird sich daher ein einzelner Unternehmer in seinen Beziehungen zur Gewerkschaft in einer unterlegenen Rolle befinden. Dem Gesetzgeber kommt aber die Aufgabe zu, wie man heute in Ablehnung der altliberalen Auffassung betont, das Verhandlungsgleichgewicht nicht nur formal herzustellen, sondern auch zu seiner tatsächlichen Verwirklichung beizutragen. Die Zulässigkeit von Firmenkollektivverträgen wäre unter Berücksichtigung der Realitäten unserer Zeit ein Schritt gegen diese Verpflichtung.

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